BT-Drucksache 17/4577

Vorläufige Bilanz der deutschen Opfer und Leidtragenden als Folge des ISAF-Einsatzes und zivilpolitischer Maßnahmen in Afghanistan

Vom 27. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4577
17. Wahlperiode 27. 01. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen,
Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch,
Stefan Liebich, Ulrich Maurer, Cornelia Möhring, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Vorläufige Bilanz der deutschen Opfer und Leidtragenden als Folge
des ISAF-Einsatzes und zivilpolitischer Maßnahmen in Afghanistan

Der Afghanistan-Einsatz der Bundesregierung befindet sich mittlerweile im
zehnten Jahr und dauert damit bereits länger als die sowjetische Intervention in
Afghanistan oder der Vietnam-Krieg. 2010 war dabei das bislang verlust-
reichste Jahr, auch für die Bundeswehr. Etwa 10 000 Menschen wurden getötet
(nach Angaben von icasualities.org), darunter rund 2 000 Zivilistinnen und
Zivilisten sowie neun Soldaten der Bundeswehr. Auch eine Reihe von zivilen
Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfern sowie Angehörige humanitärer Ent-
wicklungsorganisationen wurde verletzt oder verloren ihr Leben. Für das lau-
fende Jahr 2011 erwarten der Bundesminister der Verteidigung und Experten
keine Verbesserung der Lage, sondern, ganz im Gegenteil, eine Intensivierung
der Gefechte.

Gerade aus diesen Gründen und im Zuge der sich intensivierenden Debatte zur
Verantwortung und Legitimation des deutschen Engagements in Afghanistan
haben die Menschen in Deutschland ein Recht darauf, zu erfahren, welche
Opfer der Krieg auch in den eigenen Reihen fordert und welche Auswirkungen
er auf den körperlichen und seelischen Gesundheitszustand der Soldatinnen
und Soldaten, der zivilen Helferinnen und Helfer sowie ihrer Angehörigen hat.
Denn nicht nur körperliche Beeinträchtigungen, sondern auch auf den ersten
Blick nicht sichtbare, psychische Probleme, wie z. B. posttraumatische Be-
lastungsstörungen (PTBS) können durch den Zustand ständiger Bedrohung und
die Realität von Gewaltanwendung im Einsatz entstehen und das Leben der
Betroffenen stark beeinträchtigen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele deutsche Soldatinnen und Soldaten wurden im laufenden ISAF-
Einsatz nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2001 verletzt (bitte auf-
geschlüsselt nach Alter des/der Verletzten, Dienstgrad, Geschlecht, Her-

kunftsort [Bundesland], Datum und Ort des Vorfalls sowie Vorfallsursache)?

2. Wie viele deutsche Soldatinnen und Soldaten starben im laufenden ISAF-
Einsatz nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2001 (bitte aufgeschlüsselt
nach Alter des/der Toten, Dienstgrad, Geschlecht, Herkunftsort [Bundes-
land], Datum und Ort des Vorfalls sowie Vorfallsursache)?

a) Wie werden die im ISAF-Einsatz ums Leben gekommenen Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr statistisch erfasst?

Drucksache 17/4577 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Werden die spezifischen Todesursachen (Gefechtstod, Unfalltod, Suizid-
tod etc.) in einer gemeinsamen Statistik erfasst?

Wenn nein, warum wird nicht nach Todesursachen unterschieden?

3. Wie viele deutsche Soldatinnen und Soldaten unternahmen während ihres
ISAF-Einsatzes einen Suizidversuch (bitte aufschlüsseln nach Alter, Dienst-
grad, Geschlecht, Herkunftsort [Bundesland], Datum und Ort des Vorfalls
sowie Art des Suizidversuchs)?

a) Wie viele Suizidversuche endeten tödlich?

b) In wie vielen Fällen bestand ein Verdacht auf Suizid?

c) Wie viele Soldatinnen und Soldaten wurden im Anschluss an den Suizid-
versuch therapeutisch behandelt?

d) Wie viele Soldatinnen und Soldaten wurden nach Suizidversuchen wei-
terhin in Afghanistan oder anderen Einsatzgebieten eingesetzt?

e) Wie viele Suizidversuche gab es unter Rückkehrerinnen und Rück-
kehrern?

4. Wie erklärt die Bundesregierung den hohen Anteil an Kfz-Unfällen im Zu-
sammenhang mit toten oder verletzten deutschen Soldatinnen und Soldaten?

5. Wie viele Soldatinnen und Soldaten haben seit 2001 in Afghanistan unver-
schuldete Schussverletzungen erlitten oder sind infolge dieser gestorben
(bitte aufschlüsseln nach Datum und Ort des Vorfalls und Angabe, ob andere
Soldatinnen und Soldaten beteiligt waren)?

6. Wie viele deutsche Polizistinnen und Polizisten wurden im Rahmen des
Polizeiaufbaus nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2001 verletzt (bitte
aufgeschlüsselt nach Alter des/der Verletzten, Dienstgrad, Geschlecht, Her-
kunftsort [Bundesland], Datum und Ort des Vorfalls sowie Vorfallsursache)?

7. Wie viele deutsche Polizistinnen und Polizisten wurden im Rahmen des
Polizeiaufbaus nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2001 getötet (bitte
aufgeschlüsselt nach Alter des/der Getöteten, Dienstgrad, Geschlecht, Her-
kunftsort [Bundesland], Datum und Ort des Vorfalls sowie Vorfallsursache)?

a) Wie werden die beim Einsatz ums Leben gekommenen Polizistinnen und
Polizisten statistisch erfasst?

b) Werden die spezifischen Todesursachen (Gefechtstod, Unfalltod, Suizid-
tod etc.) in einer gemeinsamen Statistik erfasst?

Wenn nein, warum wird nicht nach Todesursachen unterschieden?

8. Bei wie vielen deutschen Soldatinnen und Soldaten wurden seit 2001 wäh-
rend des Einsatzes oder nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan psychische
Probleme festgestellt?

9. Bei wie vielen deutschen Soldatinnen und Soldaten wurde nach ihrer Rück-
kehr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert (aufgeschlüs-
selt nach Einsatzort, Einsatzzeitraum, Alter, Geschlecht, Dienstgrad)?

a) Wie viele von ihnen wurden stationär behandelt?

b) Wie viele von ihnen wurden ambulant behandelt?

c) Wie viele blieben trotz diagnostizierten psychischen Problemen unbehan-
delt?

d) Wie viele blieben trotz Behandlungswunsch unbehandelt?

e) Wie viele wurden untersucht, jedoch ohne eindeutige Diagnose entlas-
sen?
f) Wie viele kehrten nach ihrer Genesung zurück in das Einsatzgebiet oder
fanden Verwendung in einem anderen Auslandseinsatz?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4577

g) Wie viele verblieben in Deutschland und ggf. in Behandlung?

h) Wie viele von ihnen quittierten ihren Dienst?

i) In wie vielen Fällen wurde eine Wehrdienstbeschädigung ausgestellt?

j) Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der nicht erkannten
PTBS-Fälle ein?

k) Existieren Erfahrungswerte oder wissenschaftliche Erkenntnisse da-
rüber, nach wie viel Stehzeit im Einsatzland die Gefahr einer PTBS sig-
nifikant steigt?

10. Bei wie vielen deutschen Polizistinnen und Polizisten wurde nach ihrer
Rückkehr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert (auf-
geschlüsselt nach Einsatzort, Einsatzzeitraum, Alter, Geschlecht, Dienst-
grad)?

a) Wie viele von ihnen wurden stationär behandelt?

b) Wie viele von ihnen wurden ambulant behandelt?

c) Wie viele blieben trotz diagnostizierten psychischen Problemen unbe-
handelt?

d) Wie viele blieben trotz Behandlungswunsch unbehandelt?

e) Wie viele wurden untersucht, jedoch ohne eindeutige Diagnose ent-
lassen?

f) Wie viele kehrten nach ihrer Genesung zurück in das Einsatzgebiet oder
fanden Verwendung in einem anderen Auslandseinsatz?

g) Wie viele verblieben in Deutschland und ggf. in Behandlung?

h) Wie viele von ihnen quittierten ihren Dienst?

i) Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der nicht erkannten
PTBS-Fälle ein?

j) Existieren Erfahrungswerte oder wissenschaftliche Erkenntnisse da-
rüber, nach wie viel Stehzeit im Einsatzland die Gefahr einer PTBS sig-
nifikant steigt?

11. Wie viele Psychiater, Psychologen oder Psychotherapeuten arbeiten derzeit
bei der Bundeswehr?

Wie viele Stellen sind dabei unbesetzt geblieben (bitte beide Antworten
aufschlüsseln nach Berufsgruppe und Einsatzgebiet)?

12. Wie viele deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei nationalen oder
internationalen Nichtregierungs-Organisationen (NGO) wurden seit 2001
verletzt (bitte aufgeschlüsselt nach Alter des/der Verletzten, Geschlecht,
Herkunftsort [Bundesland], Datum und Ort des Vorfalls sowie Vorfallsur-
sache)?

13. Wie viele deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei nationalen oder
internationalen NGOs wurden seit 2001 getötet (bitte aufgeschlüsselt nach
Alter des/der Getöteten, Geschlecht, Herkunftsort [Bundesland], Datum
und Ort des Vorfalls sowie Vorfallsursache)?

14. Bei wie vielen deutschen NGO-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde
nach ihrer Rückkehr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnosti-
ziert (aufgeschlüsselt nach Einsatzort, Einsatzzeitraum, Alter, Geschlecht)?

a) Wie viele von ihnen wurden stationär behandelt?

b) Wie viele von ihnen wurden ambulant behandelt?

c) Wie viele blieben trotz diagnostizierten psychischen Problemen un-

behandelt?

Drucksache 17/4577 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
d) Wie viele blieben trotz Behandlungswunsch unbehandelt?

e) Wie viele wurden untersucht, jedoch ohne eindeutige Diagnose ent-
lassen?

f) Wie viele kehrten nach ihrer Genesung zurück in das Einsatzgebiet oder
fanden Verwendung in einem anderen Auslandseinsatz?

g) Wie viele verblieben in Deutschland und ggf. in Behandlung?

h) Wie viele von ihnen wechselten den Beruf?

i) Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der nicht erkannten
PTBS-Fälle ein?

j) Existieren Erfahrungswerte oder wissenschaftliche Erkenntnisse da-
rüber, nach welcher Aufenthaltsdauer im Einsatzland die Gefahr einer
PTBS signifikant steigt?

15. Welche Stellen sind innerhalb der Bundeswehr mit der Erfassung von
Toten und Verletzten in den Einsatzgebieten befasst, und wie werden diese
Informationen zum Zwecke der öffentlichen Berichterstattung vorbereitet
und weitergeleitet?

16. Besteht vonseiten der Bundeswehr oder der Bundesregierung ein Betreu-
ungsangebot oder eine erste Anlaufstelle für Hinterbliebene bzw. Ange-
hörige von Geschädigten, die in den Einsatzgebieten tätig waren?

a) Wenn ja, wie gestaltet sich die Betreuung im Alltag der Hinterbliebenen,
und welche Stellen sind für die Koordination zuständig?

b) Wenn nein, warum gibt es keine derartige Einrichtung?

c) Wie gestaltet sich die Betreuung der Angehörigen von Geschädigten,
und welche Stelle leitet die Koordination?

d) Gibt es ein Netzwerk für die gegenseitige Unterstützung von Hinterblie-
benen, und wenn ja, wie werden diese darauf aufmerksam gemacht?

e) Wie lange werden Hinterbliebene mindestens und wie lange maximal
betreut und begleitet?

f) Wie lange werden Angehörige von Geschädigten maximal betreut und
begleitet?

g) Stehen die Betreuungsangebote auch den Hinterbliebenen und Angehö-
rigen von Geschädigten ziviler Organisationen offen oder gibt es für
diese gesonderte Stellen?

h) Werden Angehörige von am ISAF-Einsatz beteiligten Personen im Vor-
feld auf die Risiken und potentielle Gefahren eines Einsatzes sowie die
daraus resultierende Auswirkungen vorbereitet?

Wenn ja, wie sieht diese Vorbereitung aus?

Berlin, den 27. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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