BT-Drucksache 17/4528

Die Energieeffizienz verbessern - Auf dem europäischen Sondergipfel zur Energiepolitik am 4. Februar 2011 verbindliche Maßnahmen vereinbaren

Vom 25. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4528
17. Wahlperiode 25. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dirk Becker, Hubertus Heil (Peine),
Ulrich Kelber, Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett, Sören Bartol, Gerd Bollmann,
Marco Bülow, Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Garrelt Duin, Petra Ernstberger,
Michael Gerdes, Iris Gleicke, Michael Groß, Petra Hinz (Essen), Oliver Kaczmarek,
Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Dr. Matthias Miersch, Thomas Oppermann,
Holger Ortel, Heinz Paula, Gerold Reichenbach, Frank Schwabe, Dr. Martin
Schwanholz, Wolfgang Tiefensee, Ute Vogt, Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Die Energieeffizienz verbessern – Auf dem europäischen Sondergipfel zur
Energiepolitik am 4. Februar 2011 verbindliche Maßnahmen vereinbaren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Energie- und Klimapolitik Deutschlands wird heute sehr stark von europäi-
schen Vorgaben geprägt. Zugleich hat Deutschland als größter EU-Mitgliedstaat
aber auch die Chance, die europäischen Rahmenbedingungen entscheidend mit-
zugestalten.

Deutschland importiert 75 Prozent seiner Energieträger aus dem Ausland. Die
gesamten Einfuhren von Öl, Gas und Uran nach Deutschland erfolgen über an-
dere EU-Staaten. Um seine Energieversorgung zu sichern, ist Deutschland auf
die Kooperation der EU-Staaten angewiesen.

Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 wurden im
Bereich der Energie- und Klimapolitik neue Kompetenzen der EU geschaffen.
Die Energiepolitik wurde erstmals in einem eigenständigen Kapitel des EU-Ver-
trags verankert, das Prinzip der Energiesolidarität festgeschrieben und die Be-
kämpfung des Klimawandels explizit als Ziel hervorgehoben. Die Energieeffi-
zienz zu fördern ist seitdem ausdrückliches Ziel der Europäischen Union.

Die EU-Kommission hat angekündigt, ihr energiepolitisches Initiativrecht durch
Vorlage einer Reihe von mittel- und langfristigen Strategien zu nutzen. Dazu
zählen die neue europäische Energiestrategie 2011 bis 2020 und das erwartete
Energiekonzept 2050, das die EU bis 2050 zu einem kohlenstoffarmen, res-
sourcenschonenden und klimaneutralen Wirtschaftsraum entwickeln soll.
Auf europäischer Ebene wird in den kommenden Jahren insbesondere über In-
strumente und Mechanismen der Energieversorgungssicherheit und -infrastruk-
tur zu entscheiden sein, allen voran die Diversifizierung der Energieträger, der
Versorgungsquellen und der Transitrouten.

Technische Innovation und Energieforschung stehen ebenso im Fokus wie die
Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien. Einen funktions-

Drucksache 17/4528 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

fähigen europäischen Binnenmarkt für Strom und Gas voranzutreiben, bleibt
Priorität.

Der Deutsche Bundestag setzt sich dafür ein, dass in der EU ein solidarischer
Energiebinnenmarkt bei angemessener Lastenteilung entsteht. Um Energiever-
sorgungssicherheit herzustellen, sollen neue Mechanismen der EU-internen
Kooperation bei der Krisenvorsorge geschaffen werden. Mittel für den Ausbau
transeuropäischer Energienetze, insbesondere an den Schnittstellen für Leitun-
gen an den Grenzen, müssen aufgestockt werden. Es sollen vermehrt Investi-
tionen getätigt werden, die einen hohen gesamteuropäischen Nutzen haben.
Darüber hinaus muss der Anteil erneuerbarer Energien durch nationale Maß-
nahmen und EU-Förderung kontinuierlich erhöht werden. Anstrengungen zur
Steigerung der Energieeffizienz sollen intensiviert und möglichst durch verbind-
liche Regelungen auf europäischer Ebene abgesichert werden.

Ziel der Klimaschutzpolitik der Europäischen Union ist es, den Anstieg der glo-
balen Durchschnittstemperatur auf weniger als 2 Grad Celsius über dem vor-
industriellen Niveau zu begrenzen. Im Oktober 2009 beschloss der Europäische
Rat, dass Europa und die anderen Industrieländer ihre Treibhausgasemissionen
bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 senken müssen, um die-
ses Ziel zu erreichen. Da die Emissionen in einigen Produktionsbereichen und
in der Landwirtschaft nicht vollständig vermieden werden können, muss, um das
Gesamtziel zu erreichen, die Energieversorgung den größten Beitrag leisten. An
diesem Ziel hat sich auch unsere deutsche Energiepolitik zu orientieren.

Die Europäische Union hat sich im Dezember 2008 auf eine integrierte Strategie
im Bereich Energie und Klimaschutz geeinigt. Durch diese Strategie sollen bis
zum Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen um 20 Prozent gegenüber 1990 ge-
senkt werden. Durch verbesserte Energieeffizienz soll der Primärenergiever-
brauch europaweit um 20 Prozent verringert werden. Im Jahr 2020 sollen zudem
20 Prozent des Gesamtenergiebedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt wer-
den.

Die Europäische Union ist weit davon entfernt, diese Ziele tatsächlich zu errei-
chen. Insbesondere das Reduktionsziel für den Energieverbrauch wird ohne wei-
tere Maßnahmen im Bereich der Energieeffizienz und der Einsparung deutlich
verfehlt werden. Auch deshalb fordert die EU-Kommission „ein verstärktes
politisches Engagement für die Verwirklichung dieses Vorsatzes durch eine
klare Definition des angestrebten Ziels sowie eine strenge Überwachung der
Einhaltung der Vorgaben“. Das EU-Parlament spricht sich klar dafür aus, die
„Energieeffizienz um mindestens 20 % bis 2020 als verbindliches Ziel festzule-
gen“.

Unter diesem Aspekt ist die Energie-Sondersitzung des Europäischen Rates am
4. Februar 2011 als Krisengipfel zu verstehen. Es zeigt sich, dass die 20/20/20-
Ziele der EU ohne unterstützende Maßnahmen nicht zu erreichen sind.

Auch das deutsche Energiekonzept der Bundesregierung enthält keine unterstüt-
zenden Maßnahmen und setzt allein auf das Prinzip Hoffnung durch das wett-
bewerbliche Innovationsinteresse der Wirtschaft. Deutschland ist damit kein
Vorbild mehr in der Europäischen Union. Vorbild ist vielmehr Dänemark, das als
einziges Mitglied der EU im Sinne der Energiedienstleistungsrichtlinie Einspar-
ziele gesetzlich festgelegt hat und seit langem einen Energieeffizienzfonds
besitzt. Aber auch Frankreich ist mit Grenelle II und laufenden Einsparver-
pflichtungen für Energieversorger hervorzuheben.

Energieeinsparungen und Effizienzsteigerungen, die als gemeinschaftliche Ziel-
vorgaben vereinbart wurden, müssen in der gesamten Wertschöpfungskette vom
Rohmaterial bis zum Verbraucher mit konkreten Obergrenzen für den Energie-

einsatz umgesetzt werden. Als Obergrenzen dienen die Hersteller, die mit dem

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4528

geringsten Energieeinsatz auskommen. Dieses „Top-Runner-Modell“ stellt
sicher, dass der Absenkungspfad für den Energieeinsatz optimal verläuft.

Die Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts für Energie ist ein ebenso
wichtiges Ziel. In dieser Zielperspektive darf aber nicht der transnationale Ener-
giehandel an oberster Stelle stehen. Der Energietransfer über weite Strecken ist
allein ökonomisch begründet und mit hohen Leitungsverlusten behaftet. Er ge-
fährdet somit des Einspar- und Effizienzziel. Hingegen ist der Ausbau von re-
gional grenzüberschreitenden Netzen ein starkes wettbewerbliches Instrument.

Zur Sicherung des EU-Ziels zur Energieeffizienz muss ein Aktionsplan mit ver-
bindlichen Vorgaben abgestimmt werden. Schwerpunkt eines solchen Energie-
effizienzaktionsplans soll der Gebäudesektor werden. Hier kann die EU den im
Energiekonzept formulierten Absichten nochmals Nachdruck verleihen, z. B.
durch die Vorgabe zur Einführung langfristiger Sanierungsfahrpläne und im
nachgelagerten legislativen Verfahren durch klare Fristen für deren Umsetzung.

Daneben sollte der Energieeffizienzaktionsplan insbesondere auf den Weg
bringen:

● eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung von nationalen Sanie-
rungsfahrplänen zur Senkung des Primärenergieverbrauchs im Gebäude-
bestand um 80 Prozent bis 2050,

● konsistente Finanzierungsstrategien als Mix von zielgerichteter öffentlicher
Förderung, steuerlichen Anreizen und Maßnahmen zur Entwicklung von
Finanzdienstleistungen am Markt,

● förderliche Rahmenbedingungen zur breiten Umsetzung niedriginvestiver
Maßnahmen durch Energiedienstleistungen wie Energieeinsparcontracting,
insbesondere für den Gebäudebestand in der Hand privater Eigentümer,

● die Priorisierung existierender Mittel (z. B. KfW-Mittel, EU-Strukturfonds)
und künftiger Einnahmen aus dem Emissionszertifikatehandel für Energie-
effizienz und zwar nach Kosteneffektivität sowie zur Verbreitung neuer Tech-
nologien mit erhöhtem Förderbedarf,

● eine bessere, mitgliedstaatenübergreifende Förderung der Forschung und
Entwicklung im Bereich Energieeffizienztechnologien,

● Programme zur Qualifizierung eines Energieeffizienz-Handwerks,

● ein erhöhter Nachdruck auf die Mitgliedstaaten zur Umsetzung von EU-Vor-
haben und zu strikterem und schnellerem Vollzug.

Weiterhin bietet die Revision des Energieeffizienzaktionsplans die Chance, die
auch in Deutschland vollkommen unzureichende Umsetzung der Energiedienst-
leistungsrichtlinie durch Brüssel entschiedener von den Mitgliedstaaten nach-
bzw. einfordern zu lassen. Damit im Zusammenhang stehen z. B. die Überprü-
fung der Zielerreichung, die Einführung neuer Instrumente wie weißer Zertifi-
kate, Energieeffizienzfonds sowie nicht zuletzt die nationale Festschreibung von
Einsparzielen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● konkrete Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und zur Energieeinsparung in
einem Energieeffizienzaktionsplan vorzulegen;

● dem Deutschen Bundestag ein umfassendes Gesetz zur Energieeffizienz und
Energieeinsparung vorzulegen, das die Zielvorgabe einer Verdoppelung der
Energieproduktivität analog zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bis 2020
gegenüber 1990 sicherstellt und den Energieeffizienzaktionsplan verbindlich

umsetzt;

Drucksache 17/4528 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
● dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht vorzulegen, wie sich der
Energieverbrauch in Deutschland entwickelt und welche Energieeinspar-
erfolge erzielt wurden;

● sich bei den Verhandlungen zu den Schlussfolgerungen zur Energie-Sonder-
sitzung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 als auch zum Energie-
ministerrat am 28. Februar 2011 für die Stärkung nationaler Fördersysteme
wie dem deutschen Erneuerbaren-Energien-Gesetz einzusetzen;

● auf der Energie-Sondersitzung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011
ein klares Bekenntnis zu konkreten Maßnahmen zur Sicherstellung des Ein-
sparziels abzugeben und sich im Rahmen der europäischen Gespräche und
Verhandlungen zum Energieaktionsplan für verbindliche nationale Energie-
effizienz-Ziele einzusetzen;

● sich im Rahmen der europäischen Gespräche und Verhandlungen zur Über-
arbeitung des Energieaktionsplans für verbindliche europäische Ziele zur
Einsparung des Primär- und Endenergieverbrauchs von 20 Prozent bis 2020
und 42 Prozent bis 2030 einzusetzen;

● sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Umsetzung und Auf-
teilung der verbindlichen nationalen Energieeffizienz-Ziele auf die einzelnen
Sektoren im Sinne der Subsidiarität von den nationalen Regierungen und Par-
lamenten vorgenommen wird;

● sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die EU-Kommission
– ähnlich zur Erstellung der nationalen Aktionspläne für erneuerbare Ener-
gien (NREAP) – eine Vorlage für die Mitgliedstaaten erarbeitet und ver-
öffentlicht, damit die Qualität der nationalen Energieeffizienzaktionspläne
verbessert wird und alle Mitgliedstaaten sich in gleichem ambitionierten
Maße für die Steigerung der Energieeffizienz einsetzen;

● sich im Rahmen des Regulierungsgremiums und entsprechenden Ratsforma-
tionen dafür einzusetzen, dass die Ecodesign-Richtlinie und die Energiekenn-
zeichnungsrichtlinie besser verzahnt und dynamischer ausgestaltet werden,
dass in den noch ausstehenden Umsetzungsverordnungen zur Ecodesign-
Richtlinie jeweils ein europäischer Top-Runner-Mechanismus implementiert
wird und dass in die Richtlinie weitere Produktgruppen aufgenommen
werden, um die Europäische Union wirklich zur ökoeffizientesten Region zu
machen;

● sich auf europäischer Ebene einzusetzen, damit Körperschaften der öffent-
lichen Hand bei der Umsetzung der politischen Instrumente zur Steigerung
der Energieeffizienz ausnahmslos eine Vorbildrolle einnehmen müssen. Dies
beinhaltet die frühere Einführung von Nahe-Nullenergie-Standards im
Neubau ab 2012, einen früheren Einstieg in einen verbindlichen Sanierungs-
fahrplan im Gebäudebestand (spätestens 2014) sowie die verpflichtende Ein-
führung von Effizienzkriterien bei der Beschaffung (beste Energieeffizienz-
klasse oder wo möglich Kriterien der Typ-1-Umweltzeichen z. B. EU-Blume
oder der Blauer Engel).

Berlin, den 25. Januar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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