BT-Drucksache 17/4513

Sanktionen bei Verstößen gegen die Fluggastrechte-Verordnung

Vom 21. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4513
17. Wahlperiode 21. 01. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger,
Dr. Konstantin von Notz, Viola von Cramon-Taubadel, Cornelia Behm, Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Friedrich Ostendorff und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sanktionen bei Verstößen gegen die Fluggastrechte-Verordnung

Verspätete Abflüge, Ankünfte oder Annullierungen sind neben Fällen der Her-
abstufung und Nichtbeförderung sanktionierbare Vorfälle im Sinne der Fluggast-
rechte-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Par-
laments und des Rates). Damit sind es auch geeignete Kriterien, um allgemein
die Rechtsdurchsetzung der Fluggastrechte zu überprüfen. So sind sie gemäß
Artikel 17 der Fluggastrechte-Verordnung die Kontrollparameter, die bereits im
Jahr 2007 von der Europäischen Kommission vorgestellt worden sind und über
den Erfolg der Verordnung entscheiden. In diesem Bericht wurden erhebliche
Mängel in der nationalen Rechtsdurchsetzung festgestellt.

Die nach Artikel 16 der Fluggastrechte-Verordnung zur „Durchsetzung dieser
Verordnung in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flug-
häfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen“ zuständige Be-
schwerde- und Durchsetzungsstelle in Deutschland ist das Luftfahrt-Bundesamt
(LBA). Auch die Durchsetzung der Rechte von Fluggästen mit eingeschränkter
Mobilität soll das LBA ebenso wie die Transparenz bei der Angabe von Flug-
preisen gewährleisten. In Artikel 16 der Fluggastrechte-Verordnung heißt es da-
rüber hinaus: „Gegebenenfalls ergreift diese Stelle die notwendigen Maßnahmen,
um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden.“ Damit sind insbe-
sondere verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gemeint.

Aus einem Bericht der Bundesregierung im Rahmen der Sitzung des Ausschus-
ses für Tourismus am 27. Oktober 2010 sowie der Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundes-
tagsdrucksache 17/2626 zu Frage 17 ging hervor, dass „bis Ende 2008 (…) ins-
gesamt 84 Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet“ wurden. Dabei wurden
Bußgelder von „durchschnittlich ca. 3 000 Euro verhängt.“ Dazu liegen aus
bislang zwei Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen auf
Bundestagsdrucksachen 17/2626 und 17/3107 weitere Zahlen vor. So heißt es in
der Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/2626 zu
Frage 17, „Seit Jahresmitte 2009 wurden in weiteren 1 400 Fällen Ordnungs-
widrigkeitenverfahren eingeleitet. Da verfahrensrechtlich noch nicht alle Fragen
abschließend geklärt werden konnten, konnte über diese Verfahren noch nicht

abschließend befunden werden. Daher ist derzeit noch nicht absehbar, in wie
vielen Fällen tatsächlich ein Bußgeld zu verhängen ist.“ Die Bundestagsdruck-
sache 17/2626 ist datiert auf den 22. Juli 2010. Summa summarum ergibt sich
seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 bis zu diesem Zeitpunkt
also eine Zahl von knapp 1 484 Ordnungswidrigkeitenverfahren.

Aus der Berichterstattung des WDR „markt“ am 22. November 2010 liegen
nun andere Zahlen vor. Dort heißt es: „Seit Inkrafttreten der Verordnung (EG)

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Nr. 261/2004 wurden bis zum 1. November 2010 insgesamt 1 910 Ordnungs-
widrigkeitenverfahren eingeleitet.“

Auch eine tabellarische Auflistung nach deutschen, europäischen und nichteuro-
päischen Fluggesellschaften ist dem WDR demnach bekannt. Erkenntnisse, die
bislang, unter Verweis auf angebliche datenschutzrechtliche Bedenken, der Bun-
destagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht mitgeteilt worden sind.

Anzahl eingeleiteter Ordnungswidrigkeitenverfahren nach Jahr des Anzeigeein-
gangs

Die Zahlen aus der Berichterstattung im Rahmen von Ausschusssitzungen und
Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen stimmen nicht mit den hier
vorliegenden Zahlen überein. So sind bis 2008 deutlich mehr als 84 Ordnungs-
widrigkeitenverfahren eingeleitet worden. Selbst bis zum Zeitpunkt 22. Juli 2010
müssen mehr als 1 484 Ordnungswidrigkeitenverfahren vorgelegen haben.

Während andere EU-Mitgliedstaaten bei jedem positiv festgestellten Verstoß
ein Bußgeld verhängen, wird in Deutschland zwischen „signifikanten“ und
„nicht signifikanten Fällen“ unterschieden (vgl. http://ec.europa.eu/transport/
passengers/studies/doc/2010_02_evaluation_of_regulation_2612004.pdf; S. 57)
In den insgesamt 1 910 Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde bis dato nur in
34 Fällen tatsächlich ein Bußgeld verhängt. Die verhängten Bußgelder lagen
dem Bericht des WDR zufolge zwischen 1 000 und 4 000 Euro.

Wir fragen die Bundesregierung daher:

1. Wie hoch genau ist angesichts der der Öffentlichkeit vorliegenden, vonein-
ander abweichenden Statistiken die Anzahl eingeleiteter Ordnungswidrig-
keitenverfahren, aufgeschlüsselt nach Jahr des Anzeigeeingangs?

2. Warum weichen die kursierenden Zahlen so stark voneinander ab?

3. Gegen welche Fluggesellschaften richtete sich aus welchen Gründen, und in
welcher Höhe bislang ein Bußgeld (bitte jedes der 34 mit einem Bußgeld
belegten Ordnungswidrigkeitenverfahren einzeln nach Datum und Flugge-
sellschaft auflisten)?

4. Wie viele Anzeigen sind beim LBA seit der Berichterstattung im WDR-
„markt“ am 8. November 2010 und 22. November 2010 täglich eingegangen,
und sind diese Zahlen zum bisherigen Tagesaufkommen überdurchschnittlich
hoch?

5. Hält es die Bundesregierung für hinreichend abschreckend im Sinne der
ratio der einschlägigen Ordnungswidrigkeitenbestimmungen, wenn ein Buß-
geld in Höhe von 1 000 Euro verhängt wird, die Fluggesellschaft aber jedem
Fluggast bei Annullierung oder mehr als dreistündiger Verspätung zwischen

Typ 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Gesamt-
ergebnis

Deutsche Luftfahrt-
unternehmen

0 7 432 107 456 59 1 061

Europäische Luft-
fahrtunternehmen

1 29 190 99 288 37 644

Luftfahrtunterneh-
men aus Drittstaaten

0 1 74 36 85 9 205

Gesamtergebnis 1 37 696 242 829 105 1 910
250 und 600 Euro zahlen müsste?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4513

6. Hält es die Bundesregierung für möglich und naheliegend, dass Fluggesell-
schaften anstatt alle Insassen eines Passagierflugzeugs unaufgefordert zu
entschädigen, lieber ein Bußgeld in der genannten Höhe in Kauf nehmen,
da sich die Summe der Entschädigungen pro Flugzeug ansonsten im
Schnitt um einen Betrag von 80 000 Euro bewegt?

7. Hat die Bundesregierung beziehungsweise haben die zuständigen Bundes-
ministerien und die ihnen nachgeordneten Behörden für einzelne Fluggesell-
schaften den Entzug der Fluglizenz erwogen, um dem auch in Einzelfällen
belegbaren, offenkundigen und gravierenden Vollzugsdefizit der Bestim-
mungen der Fluggastrechteverordnung zu Lasten der Verbraucherinnen und
Verbraucher effektiv entgegenzutreten?

Wenn nein, warum wurde davon Abstand genommen?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die steten Versuche der Fluggesellschaf-
ten, selbst bloße „technische Defekte“ regelmäßig als außerordentliche und
etwaige Ansprüche ausschließende Umstände vorzuschieben?

Beabsichtigt sie die Sanktionierung dieses offenkundigen Missstandes oder
hält sie dies für nicht erforderlich?

Wenn nein, warum nicht?

Wie viele Beschwerden müssen aus Sicht der Bundesregierung vorliegen,
bevor von einem „erheblichen“ Verstoß gesprochen werden kann?

9. Prüft das LBA in Beschwerdefällen, ob es sich – bei entsprechenden Häu-
fungen von Beschwerden – um ein Einzeldelikt oder einen systematischen
Betrug der Fluggesellschaft handelt?

Wenn ja, in wie vielen Fällen ist dies bislang geschehen?

Wie geht das LBA dabei im Einzelnen vor (bitte Beschreibung des entspre-
chenden Behördenverfahrens)?

10. Was gedenkt die Bundesregierung im Hinblick auf die Berichterstattung
des WDR und der vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz kofinanzierten, bundesweiten Studie der Verbrau-
cherzentralen, die am 15. November 2010 in Berlin vorgestellt worden ist,
zu tun, um die Rechte der Fluggäste besser durchzusetzen?

Ab wann handelt es sich nicht mehr um „Einzelerfahrungen“ (vgl. Antwort
der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/4114, zu Frage 11)?

11. Welche Maßnahmen wurden durch das Unternehmen easyJet „(…) in Aus-
sicht gestellt, die die Unannehmlichkeiten, die im Zusammenhang mit Flug-
annullierungen bzw. -verspätungen stehen, minimieren sollen“ (vgl. Bun-
destagsdrucksache 17/3107, zu Frage 6), und welche Sanktionen wurden
seitens des LBA im Falle des Nichthandelns beziehungsweise erkennbarer
Nichtumsetzung angedacht?

12. Welche konkreten Maßnahmen sind mit dem Unternehmen easyJet verein-
bart worden, um die bekannt gewordenen „Unannehmlichkeiten“ zu mini-
mieren?

a) Worin genau bestanden diese „Unannehmlichkeiten“?

b) Sind diese „Unannehmlichkeiten“ bei anderen Unternehmen auszu-
schließen?

Wird der Frage nachgegangen, ob diese auch bei anderen Fluggesell-
schaften auftreten?

c) Wer zeichnet zuständig und kontrolliert, dass die genannten Maßnahmen

durch das Unternehmen easyJet umgesetzt werden?

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13. Ist es zutreffend, dass es beim Vollzug der Bußgeldbescheide zu Verzöge-
rungen kommt?

Wenn ja, wie lange dauern die Verzögerungen, worauf beruhen sie (bitte im
Einzelnen aufschlüsseln), und betrifft dies ausländische wie nationale Un-
ternehmen gleichermaßen?

14. Zahlen einzelne Unternehmen auffällig verspätet?

Wenn ja, welches sind diese Unternehmen, und worauf sind die Verzöge-
rungen aus Sicht des LBA zurückzuführen?

Welchen möglichen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung hier?

15. Gibt es systematische Gründe für die im Vergleich zu den eingehenden Be-
schwerden recht geringe Anzahl von Bußgeldbelegung?

Wenn ja, welche, und wie geht die Bundesregierung dagegen vor?

Wenn nein, welches sind die Gründe für die vergleichsweise geringe An-
zahl von Bußgeldbelegung?

16. Worin liegen die Gründe für die acht Bußgelder gegen deutsche Unterneh-
men, und gibt es eine Erklärung, warum es bis in das Jahr 2010 offenbar
noch deutlich weniger Anlässe für ein Vorgehen gegen deutsche Unterneh-
men gab?

17. Gegen welche deutschen Unternehmen konkret richteten sich die Bescheide?

Welche sonstigen Maßnahmen hat die Flugaufsicht diesbezüglich ergriffen?

18. Nach welchen Kriterien wird zwischen „signifikanten“ und „nicht signifi-
kanten“ Verstößen unterschieden?

19. Wie steht die Bundesregierung Überlegungen gegenüber, die Airlines zu
einer sofortigen Auszahlung der Entschädigungen und Ausgleichsleistun-
gen – auch ohne Verbraucherbeschwerden – anzuhalten, und sie nur im
Falle des hinreichenden Nachweises eines außerordentlichen Umstands da-
von zu entlasten?

Hielte die Bundesregierung diesen Ansatz gerade auch im Hinblick auf die
begrenzten Personalkapazitäten des LBA und angesichts der großen Pro-
bleme in der Rechtsdurchsetzung nicht für eine praktikable und sachge-
rechte Lösung?

20. Welches sind, neben dem Anzeigeaufkommen, weitere mögliche Indikato-
ren bei der Bewertung der Rechtsdurchsetzung (vgl. Antwort der Bundes-
regierung auf Bundestagsdrucksache 17/4114, zu Frage 7)?

21. Welche konkreten Mängel wurden bei den „Vor-Ort-Kontrollen an Flug-
häfen“ festgestellt (vgl. Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdruck-
sache 17/4114, zu Frage 15)?

22. Geht die Bundesregierung stets ohne Positionierung in Vorabgespräche zu
Verhandlungen über EU-Vorlagen (vgl. Antwort der Bundesregierung auf
Bundestagsdrucksache 17/4114, zu Frage 24)?

Berlin, den 21. Januar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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