BT-Drucksache 17/4502

Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - und dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende -

Vom 21. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4502
17. Wahlperiode 21. 01. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze, Matthias
W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch
– Arbeitsförderung – und dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung
für Arbeitsuchende –

Regelungen zur Zumutbarkeit der Aufnahme einer Beschäftigung spielen eine
entscheidende Rolle in der Vermittlungstätigkeit der Arbeitsverwaltung, so-
wohl im Bereich des Dritten Buches (SGB III) als auch des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB II). Zumutbarkeitskriterien definieren, bei welchem
Stellenangebot die Arbeitsverwaltung vom Erwerbslosen eine Annahme ver-
langen und mit Sperrzeiten, Kürzungen und Minderung der Anspruchsdauer
der Lohnersatz- bzw. Sozialleistung drohen muss. Das SGB III und SGB II
regeln die Zumutbarkeit in eigenen Paragraphen (§ 121 SGB III, § 10 SGB II).
Im Zeitverlauf wurde die Schwelle für zumutbare Beschäftigungen immer wei-
ter herabgesetzt. Während das SGB III noch eine niedrigschwellige zeitlich ge-
staffelte Unzumutbarkeit hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der Entfernung
der Arbeitsstätte kennt, ist im SGB II formuliert, dass jede Arbeit zumutbar ist.

Weder das SGB III noch das SGB II sehen einen Berufsschutz bzw. einen an
der Qualifikation oder bisherigen Tätigkeit des Erwerbslosen orientierten Ver-
mittlungsvorschlag vor.

Die Zumutbarkeit hat sich so zu einem Steuerungsinstrument entwickelt, mit
dem Druck auf Erwerbslose, aber auch auf das Lohnniveau insgesamt ausge-
übt, prekärer Beschäftigung Vorschub geleistet und ein Prozess der Dequalifi-
zierung vorangetrieben wird, da berufliche Abschlüsse und Erfahrungen der
Kunden (Erwerbslose) in der Vermittlungstätigkeit der Arbeitsverwaltung kein
verbindliches Kriterium darstellen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Notwendigkeit bestand nach Ansicht der Bundesregierung, Kriterien
zumutbarer Beschäftigungen mit Einführung des SGB III im Jahre 1998

erstmalig gesetzlich zu regeln?

2. Welche Änderungen bei den Kriterien zumutbarer Beschäftigungen hat es
seit Einführung des Arbeitsförderungsgesetzes im Jahre 1969, des SGB III
1998 und mit/seit Einführung des SGB II 2005 gegeben, und wie schätzt die
Bundesregierung deren Wirkung auf die Höhe der registrierten Arbeitslosig-
keit und Beschäftigung ein?

Drucksache 17/4502 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. In wie vielen Fällen wurden im Jahr 2010 im Bereich des SGB III Sperrzei-
ten verhängt, bundesweit und in den Bundesländern, aufgeschlüsselt nach
dem Sperrzeitgrund und der Dauer (bitte auch im Vorjahresvergleich)?

4. In wie vielen Fällen wurden jeweils in den Jahren 2005 bis 2010 im Be-
reich des SGB II Sanktionen gegenüber erwerbsfähigen und nicht erwerbs-
fähigen Hilfebedürftigen neu ausgesprochen, und wie hoch war der Be-
stand an sanktionierten erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Hilfebe-
dürftigen, bundesweit und in den Bundesländern, aufgeschlüsselt nach dem
Grund und Umfang der Sanktion?

5. In wie vielen Fällen wurden jeweils in den Jahren 2005 bis 2010 im Be-
reich des SGB II Sanktionen, die zur Einstellung sämtlicher Zahlungen
führten, gegenüber erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Hilfebedürf-
tigen neu ausgesprochen (bitte bundesweit und nach Bundesländern ange-
ben)?

6. Liegen der Bundesregierung Angaben darüber vor, welche Beträge jeweils
in den Jahren 2005 bis 2010 bundesweit und nach Bundesländern durch
verhängte Sperrzeiten und Sanktionen im Bereich des SGB III und SGB II
eingespart wurden?

Falls nicht, was ist der Grund der Nichterfassung, und ist für die Zukunft
eine solche Aufstellung beabsichtigt?

7. Sind bei den von Sperrzeiten und Sanktionen betroffenen Erwerbslosen
signifikante Häufungen bezüglich Altersgruppe, Geschlecht, ausländischer
Herkunft, Regionen oder anderer Merkmale vorhanden?

8. In wie vielen Fällen war jeweils in den Jahren von 2005 bis 2010 infolge
von Sanktionen gegenüber Erwerbslosen die Aufnahme einer Erwerbs-
tätigkeit zu verzeichnen (bitte getrennt nach Rechtskreisen SGB III und
SGB II, dem Grund und Umfang der Sanktion, bundesweit und nach Bun-
desländern aufschlüsseln)?

9. Wie hat sich allgemein die Höhe der Sperrzeitquote im Bereich des SGB III
in den letzten zehn Jahren und der Sanktionsquote im Bereich des SGB II
in den letzten sechs Jahren entwickelt sowie im Speziellen bei Ablehnung
einer zumutbaren Beschäftigung, bundesweit und nach Bundesländern?

10. Erscheint es der Bundesregierung vor dem Hintergrund des von ihr
diagnostizierten Fachkräftemangels sinnvoll, einen beruflichen Qualifika-
tionsschutz zur Sicherung eines hohen Qualifikationsniveaus in die Zumut-
barkeitskriterien nach dem SGB III und SGB II aufzunehmen?

11. Liegen der Bundesregierung Angaben darüber vor, in wie vielen Fällen
Erwerbslose unterhalb ihrer beruflichen Qualifikation in Beschäftigung
vermittelt wurden (bitte nach Jahren seit 2005, getrennt nach Rechtskrei-
sen, Bundesländern und Altersstufen angeben)?

12. Liegen der Bundesregierung Angaben darüber vor, in wie vielen Fällen
Erwerbslose in Niedriglohnbeschäftigung vermittelt wurden (bitte nach
Jahren seit 2005, getrennt nach Rechtskreisen und Bundesländern ange-
ben)?

13. Liegen der Bundesregierung Angaben darüber vor, in wie vielen Fällen Er-
werbslose in Leiharbeit vermittelt wurden (bitte nach Jahren seit 2005, ge-
trennt nach Rechtskreisen und Bundesländern angeben)?

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14. Welche Konsequenzen hat aus Sicht der Bundesregierung das Urteil des
Bundesarbeitsgerichts zur Nichttariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christ-
licher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP)
vom 14. Dezember 2010 für die Arbeitsvermittlung und die Frage zumut-
barer Beschäftigungen?

Welche Konsequenzen ergäben sich hinsichtlich verhängter Sperrzeiten
und Sanktionen gegenüber Erwerbslosen, die eine Beschäftigung zu
CGZP-Tarifverträgen abgelehnt oder aufgegeben haben, aus einer rückwir-
kenden Unwirksamkeit der CGZP-Tarifverträge?

15. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Arbeitsangebote als Tage-
löhner (auf einen Tag befristete Beschäftigung) nach dem SGB II eine
zumutbare Beschäftigung und ein sinnvolles Instrument zur Überwindung
der Erwerbslosigkeit darstellen, auch wenn dadurch die Hilfebedürftigkeit
nicht beendet werden kann?

16. Welche Argumente sprechen aus Sicht der Bundesregierung dagegen, im
Bereich des SGB II künftig nur in Tätigkeiten zu vermitteln, die die Hilfe-
bedürftigkeit eines Erwerbslosen beenden?

17. Welche Kriterien werden bezüglich der Zumutbarkeit von arbeitsmarkt-
politischen Maßnahmen, wie Weiterbildung, Marktersatzmaßnahmen usw.
angelegt?

Gibt es für Maßnahmen definierte Qualitätsstandards, die erfüllt sein müs-
sen, um Erwerbslosen ein Angebot unterbreiten zu können?

18. Inwieweit ist die Verhältnismäßigkeit bzw. Sinnhaftigkeit nach Auffassung
der Bundesregierung bei den zumutbaren maximalen Pendelzeiten gewahrt,
wenn insbesondere bei Teilzeitbeschäftigungen Arbeits- und Pendelzeit sich
einander annähern oder Fahrtkosten einen Großteil des Arbeitsentgeltes in
Anspruch nehmen?

19. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch bzw. Anpassungsbedarf
zwischen den Regelungen zu zumutbaren Beschäftigungen und § 35
Absatz 2 SGB III (Vermittlungsangebot), nach dem die Agentur für Arbeit
in der Vermittlung die Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Ar-
beitsuchenden zu berücksichtigen hat sowie § 1 Absatz 1 SGB II (Aufgabe
und Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende), nach dem die Grund-
sicherung dazu beitragen soll, dass die Hilfebedürftigen ihren Lebensunter-
halt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften
bestreiten können, da die Zumutbarkeitskriterien derzeit nicht an diesen
Grundsätzen ausgerichtet sind?

20. Haben sich aus Sicht der Bundesregierung die derzeitigen Regelungen im
SGB III und SGB II zu zumutbaren Beschäftigungen und Sperrzeiten/
Sanktionen in der Vergangenheit bewährt, bzw. wie schätzt sie die Wirkung
dieser ein, sowohl auf die Verfasstheit des Arbeitsmarktes insgesamt als
auch auf den einzelnen Erwerbslosen?

Berlin, den 21. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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