BT-Drucksache 17/4422

Aufgaben und Zusammensetzung der Altersarmutskommission - Altersarmut umfassend und mit den richtigen Mitteln bekämpfen

Vom 18. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4422
17. Wahlperiode 18. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Heidrun Dittrich, Klaus
Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Jörn Wunderlich, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Aufgaben und Zusammensetzung der Altersarmutskommission – Altersarmut
umfassend und mit den richtigen Mitteln bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung plant im Jahr 2011 eine Kommission einzusetzen, die Vor-
schläge zur Bekämpfung der Altersarmut entwickeln soll. Die Auseinander-
setzung mit Altersarmut ist wichtig und dringend geboten. Denn seit die
„Grundsicherung im Alter“ in Kraft getreten ist, ist die Zahl der Rentnerinnen
und Rentner, die auf sie angewiesen sind, um über 55 Prozent gestiegen. Im Jahr
2003 gab es knapp 260 000 Betroffene, Ende 2009 waren es schon fast 400 000.
Bereits heute sind 15 Prozent der Menschen über 65 Jahre in Deutschland
armutsgefährdet – beinahe genauso viele wie im Durchschnitt der Gesamtbevöl-
kerung. Armut im Alter ist aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters und be-
grenzter Möglichkeiten, an dieser Situation noch etwas zu ändern, in der Regel
verfestigte Armut. Bei unveränderten Rahmenbedingungen wird die Alters-
armut in Zukunft erheblich zunehmen.

Langzeitarbeitslosigkeit, die Ausbreitung von Niedriglohnbeschäftigung und
die von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene und von späteren Regie-
rungskoalitionen fortgesetzte langfristige Absenkung des Rentenniveaus wer-
den absehbar dazu führen, dass in Zukunft viele Beschäftigte keine armutsfesten
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mehr erhalten und auf die
unzureichende „Grundsicherung im Alter“ angewiesen sein werden. Die Ver-
sicherten im Osten stehen in einer besonderen Gefahr, künftig im Alter in Ar-
mut zu leben (vgl.Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsfor-
schung e. V. 11/2010 sowie Diskussionspapiere Nr. 8 des Instituts für Wirt-
schaftsforschung Halle vom April 2010). Frauen sind, waren und werden auch
in Zukunft weiter stark von Altersarmut betroffen sein. Erwerbsgeminderte wer-
den ebenfalls sehr häufig Renten unterhalb des Existenzminimums beziehen.

Die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP umrissenen Aufgaben
für die geplante Kommission zeigen jedoch, dass die Bundesregierung das
Thema Altersarmut völlig unzureichend angeht und den eingeschlagenen Weg

der Rentenkürzungen weitergehen will. Denn statt zu prüfen, wie die gesetz-
liche Rentenversicherung so reformiert werden kann, dass sie den Lebens-
standard im Alter wieder sichert und langjährigen Beitragszahlerinnen und Bei-
tragszahlern ein Rentenniveau bietet, das deutlich über dem Niveau der
„Grundsicherung im Alter“ liegt, will sie die private und betriebliche Altersvor-
sorge weiter stärken.

Drucksache 17/4422 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Bundesregierung will die gesetzliche Rente nicht strukturell armutsfest ma-
chen, sondern denen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und privat vorge-
sorgt haben, ein bedarfsabhängiges und steuerfinanziertes Alterseinkommen
jenseits der gesetzlichen Rente verschaffen. Dies bedroht die Akzeptanz der ge-
setzlichen Rente als Pflichtversicherungssystem. Auch führt dies zu einem
Zwei-Klassen-System im Alter. Wer nicht ein Leben lang arbeiten konnte, be-
kommt eine vernachlässigte und völlig unzureichende „Grundsicherung im Al-
ter“. Die Fürsorge erster Klasse bekommen alle, die nicht nur durchgehend ar-
beiten, sondern auch zusätzlich privat vorsorgen konnten. Notwendig ist hinge-
gen, dass alle Menschen im Alter in Würde leben können.

In der Fachwelt als dringend notwendig diskutierte Maßnahmen zur Verhinde-
rung künftiger Altersarmut fehlen in der Aufgabenbeschreibung der Kommis-
sion völlig: Die Politik des sinkenden Rentenniveaus wird überhaupt nicht in
Frage gestellt. Ein präventiver Ansatz am Arbeitsmarkt ist ebenso nicht vorge-
sehen. Damit stehen gute Arbeit, gute Löhne und gute Rente nicht im Mittel-
punkt der Anstrengungen. Dabei hat der 23. CDU-Parteitag zu Recht darauf
hingewiesen, dass niedrige Renten „nicht nur aus einer Absenkung des Renten-
niveaus, sondern auch aus niedrigen Löhnen“ folgen. Aber nicht einmal ein ge-
setzlicher Mindestlohn soll geprüft werden. Nach Auffassung der Bundesregie-
rung soll sich die Kommission auch nicht um die Frage bemühen, wie Lücken
in der Erwerbsbiografie oder niedrige Löhne ausgeglichen werden können.
Oder wie im Fall von Erwerbsunfähigkeit ein ausreichender Schutz sicherge-
stellt werden kann. Gruppen, die besonders von Altersarmut betroffen sind, fin-
den im Konzept der Bundesregierung gar keinen Platz.

Die Formulierung im Koalitionsvertrag legt außerdem nahe, dass es sich bei der
geplanten Kommission lediglich um eine Arbeitsgruppe von Regierungsmit-
gliedern handeln soll. Unabhängiger Sachverstand aus Wissenschaft, Gewerk-
schaften, Arbeitgeber-, Sozial- und Betroffenenverbänden soll lediglich bera-
tend hinzugezogen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine Kommission zur Bekämpfung von Altersarmut einzusetzen, in der Poli-
tikerinnen und Politiker der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien
ebenso vertreten sind wie Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften,
Arbeitgeber- und Sozialverbänden, Seniorenorganisationen sowie aus der
Wissenschaft. Die Kommission soll beauftragt werden,

a) Reform- und Finanzierungsvorschläge zu entwickeln, die geeignet sind,
das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung so zu definieren, dass
die gesetzliche Rente dauerhaft den Lebensstandard im Alter sichert und
bei langjähriger Beitragszahlung eine Rente deutlich oberhalb des
Niveaus der „Grundsicherung im Alter“ garantiert, ohne dass zusätzliche
private oder betriebliche Vorsorge im Alter und die Anhebung der Alters-
grenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung erforderlich sind;

b) in diesem Rahmen zu prüfen, wie die gesetzliche Rentenversicherung zu
einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung umgebaut werden kann,
in der alle Erwerbstätigen pflichtversichert und so für das Alter und bei
Erwerbsminderung umfassend abgesichert sind;

c) geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, um Lücken in der Erwerbsbio-
grafie und Zeiten mit niedrigem Verdienst im Rahmen der gesetzlichen
Rentenversicherung auszugleichen und hierfür besonders die Rentenan-
wartschaften bei Langzeiterwerbslosigkeit zu verbessern, die Rente nach
Mindestentgeltpunkten fortzuentwickeln und die verstärkte Anerkennung

von Zeiten der Ausbildung in den Blick zu nehmen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4422

d) zu prüfen, wie das Risiko Erwerbsminderung besser abgesichert werden
kann und hierfür besonders die Abschaffung der Abschläge und die Ver-
längerung der Zurechnungszeit in den Fokus zu nehmen;

e) bei ihren Vorschlägen ein besonderes Augenmerk auf Maßnahmen zu
legen, die geeignet sind, Frauen die Möglichkeit für eine ausreichende,
eigenständige Alterssicherung zu eröffnen. Hierzu gehören insbesondere
die gleiche Entlohnung von Frauen und Männern für gleiche und gleich-
wertige Arbeit als auch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf für Frauen und Männer durch den Ausbau der Kindertagesbe-
treuung und die familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt sowie die
stärkere Berücksichtigung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten in der
Rente;

f) bei ihren Vorschlägen in besonderem Maße zu berücksichtigen, dass eine
deutliche Zunahme von Altersarmut besonders im Osten Deutschlands
droht, die durch gezielte Maßnahmen verhindert werden muss;

2. dafür zu sorgen, dass keines der Kommissionsmitglieder über Anstellung,
Aufträge, Honorarverträge oder Drittmittel finanzierte universitäre For-
schung interessenmäßig mit der Banken- und Versicherungswirtschaft ver-
woben ist;

3. die Ergebnisse der Kommission zeitnah in entsprechende umfassende ar-
beitsmarktpolitische und rentenpolitische Reformen umzusetzen.

Berlin, den 18. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Alterssicherungspolitik, die von der rot-grün geführten Bundesregierung
unter Bundeskanzler Gerhard Schröder unter tatkräftiger Mithilfe von vermeint-
lich unabhängigen, tatsächlich aber mit den Interessen der Banken- und Ver-
sicherungswirtschaft verwobenen Experten eingeschlagen und von allen nach-
folgenden Bundesregierungen fortgeführt wurde, hat sich als Holzweg erwiesen.

Die Absenkung des Rentenniveaus führt in Verbindung mit den Kürzungen
solidarischer Ausgleichselemente in der gesetzlichen Rentenversicherung und
der Deregulierung des Arbeitsmarktes dazu, dass in Zukunft viele Beschäftigte
– auch bei langjähriger Beitragszahlung – nicht mehr auf eine Rente kommen
werden, die oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegt. Die vorgesehene Kom-
pensation der Ausfälle beim Niveau der gesetzlichen Rente durch betriebliche
oder private Vorsorge wird für viele Versicherte nicht möglich sein, weil sie
entweder gar nicht in der Lage sind, eine zusätzliche Altersvorsorge zu finan-
zieren, oder die Erträge aufgrund zu geringer Sparleistung, hoher Verwaltungs-
kosten oder Kapitalvernichtung nicht ausreichen werden, um die Lücken, die in
der gesetzlichen Rente gerissen wurden, zu schließen. Die Finanzkrise hat zu-
dem gezeigt, wie riskant das Setzen auf kapitalgedeckte Verfahren der Alters-
vorsorge ist. Immer mehr Fachleute warnen außerdem vor den verheerenden
Auswirkungen der zunehmenden Niedriglohnbeschäftigung auf die Altersein-
kommen der Betroffenen.

Die Bundesregierung zeigt sich von diesen warnenden Stimmen bisher un-

beeindruckt. Ungebrochen hält sie an der falschen Politik der Stärkung der
kapitalgedeckten Altersvorsorge zulasten der gesetzlichen Rente und damit an

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der Privatisierung der Altersvorsorge fest. Sie ist auch nicht bereit, mit einem
gesetzlichen Mindestlohn gegen den grassierenden Niedriglohnsektor und
damit eine Hauptursache künftiger Altersarmut vorzugehen. Statt die gesetz-
liche Rente durch die Stabilisierung des Rentenniveaus und die Stärkung soli-
darischer Ausgleichselemente wieder strukturell armutsfest zu machen, sucht
sie ihr Heil weiter in einer Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge und in
der Schaffung eines Zwei-Klassen-Systems im Alter.

Um Altersarmut heute und künftig umfassend und wirksam zu bekämpfen, ist
dagegen ein grundlegender Kurswechsel in der Rentenpolitik erforderlich. Die-
ser muss darauf zielen, den Lebensstandard zu sichern, vor Altersarmut zu
schützen und die gesetzliche Rente wieder als die tragende Säule der Alters-
sicherung herzustellen. Entschlossen gegen Niedriglöhne vorzugehen ist ein
wesentlicher Baustein dieses Kurswechsels. Er beinhaltet aber auch Maßnah-
men zur Stärkung des Solidarausgleichs innerhalb der gesetzlichen Rentenver-
sicherung und zu einer menschenwürdigen Gestaltung einer Mindestsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung.

Eine mit Politikerinnen und Politikern aller im Deutschen Bundestag vertrete-
nen Parteien, mit Vertreterinnen und Vertretern von Interessen- und Sozialver-
bänden sowie aus der Wissenschaft besetzte Kommission kann ein Ort sein, an
dem ein solcher Kurswechsel diskutiert und vorbereitet wird sowie damit ver-
bundene Einzelprobleme geklärt werden. Das gelingt jedoch nur, wenn die
Kommission mit einem entsprechenden Auftrag ausgestattet und die Unab-
hängigkeit ihrer Mitglieder von der Versicherungs- und Bankenwirtschaft ge-
währleistet ist. Zum Auftakt der Diskussion über eine neue, solidarische Renten-
politik wird deshalb die Einrichtung einer entsprechend ausgestalteten und
beauftragten Kommission vorgeschlagen.

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