BT-Drucksache 17/4264

Pläne der Bundesregierung in der Kinder- und Familienpolitik

Vom 15. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4264
17. Wahlperiode 15. 12. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn),
Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Pläne der Bundesregierung in der Kinder- und Familienpolitik

Die Kinder- und Familienpolitik in Deutschland steht vor großen Herausfor-
derungen. Mehr als ein Jahr nach Amtsantritt der neuen Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist fraglich, welche Vorhaben in der
laufenden Legislaturperiode noch angegangen werden sollen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Inhalte verbinden sich nach Auffassung der Bundesregierung mit
dem Begriff „Chancengesellschaft“ im Zusammenhang mit dem Aufwachsen
von Kindern und Jugendlichen, und wie werden diese Inhalte in der Politik
der Bundesregierung sichtbar?

2. Ist es nach Ansicht der Bundesregierung politische Aufgabe, alle Eltern in die
Lage zu versetzen, die Elternverantwortung für ihre Kinder tragen zu können
und, wenn Eltern mit der Erziehung und Förderung ihrer Kinder überfordert
sind, zu helfen, die Verantwortung wahrzunehmen?
Wenn ja, mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung die
Eltern unterstützen?
Wenn nein, warum nicht?

3. Welche Konsequenzen verbindet die Bundesregierung mit der Feststellung,
dass Kinder am Rande der Gesellschaft in die Mitte der Aufmerksamkeit und
politischen Arbeit gehören, und welche konkreten Schritte wird die Bundes-
regierung unternehmen, dies zu gewährleisten?

4. Mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung dafür sorgen,
dass die Aufstiegschancen der Kinder verbessert und jedes Kind seine Fähig-
keiten entwickeln und angemessen nutzen kann, um ein eigenverantwort-
liches Leben zu führen?

5. Welches Maßnahmenbündel wird die Bundesregierung über bereits seit lan-
gem bestehende Instrumente (finanzielle Hilfen, Familienorientierung in der
Arbeitswelt, planmäßiger Ausbau der Kindertagesbetreuung) hinaus ent-
wickeln und umsetzen, das Familien und Kinder vor Armut schützt und ihnen

Bildungschancen eröffnet?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, „das 2009 und 2010 jeweils an-
gehobene Kindergeld […] 1,8 Millionen Kinder in einkommensschwachen
Familien“ erreicht, und wie begründet die Bundesregierung ihre Ansicht vor
dem Hintergrund, dass die Kindergelderhöhung komplett auf Fürsorgeleis-
tungen angerechnet wurde und somit Kinder im SGB-II- und SGB-XII-Be-
zug keinen Cent mehr bekamen als vorher?

Drucksache 17/4264 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

7. Hält die Bundesregierung die Aussage für zutreffend, dass ungelöste Fami-
lienkonflikte bei vielen Kindern zu Übergewicht, Diabetes, Störungen im
Bewegungsapparat sowie zu Verhaltensstörungen führen, und welche poli-
tischen Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

8. Kann die Bundesregierung verifizieren, dass rund 100 000 Kinder täglich in
Gefahr sind, Opfer von Vernachlässigung und Misshandlung zu werden,
und dass davon auszugehen ist, dass 5 bis 10 Prozent aller in Deutschland
lebenden Kinder von direkter Vernachlässigung betroffen sind?
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Kinder vor den ge-
nannten Gefahren zu schützen?

9. Welche Studien oder Gutachten liegen der Bundesregierung vor, die einen
wissenschaftlich validen Zusammenhang herstellen zwischen dem Mangel
an ausreichender Bildung und Qualifikation von Eltern einerseits und deren
Mangel an Erziehungskompetenz und erzieherischem Engagement anderer-
seits?

10. Welche Konzepte zur aufsuchenden Betreuung durch speziell qualifizierte
Fachkräfte als Unterstützung von Eltern, deren Kinder keinen Schul- und
Berufsabschluss haben, hat die Bundesregierung flächendeckend umgesetzt
oder wird diese umsetzen?
Mit welchem Fördervolumen werden diese für welchen Zeitraum finanziert?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Bildungs- und Erzie-
hungsort „Familie“ als kleinster und wichtigster Baustein unserer Gesell-
schaft gestärkt werden muss, und wenn ja, mit welchen zusätzlichen Maß-
nahmen und welchem Finanzvolumen setzt sie dies um?

12. Mit welchen neuen Maßnahmen plant die Bundesregierung die Akteure, die
in der Schwangerschaftsberatung tätig sind, zu unterstützen und zu vernetz-
ten, und gehört dazu auch die Verstetigung und Aufstockung der bisherigen
Projektmittel?

13. Hält die Bundesregierung die Bekanntmachung der Hebammenhilfe für alle
Eltern für das zentrale Handlungsfeld, bezogen auf die Vorbereitung der
Eltern auf einen verantwortlichen Umgang mit dem Neugeborenen?
Wenn nein, welches ist nach Auffassung der Bundesregierung das zentrale
Handlungsfeld?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für die sozialräumliche Ver-
netzung des Systems der Frühen Hilfen zusätzliche Finanzmittel erforder-
lich sind, um eine Verbindung der lokalen und regionalen Akteure, bessere
Abstimmung der Informationen und die Optimierung der Zusammenarbeit
vor Ort wirklich zu erreichen?
Wenn ja, wann und auf welchem Wege stellt die Bundesregierung die Mittel
zur Verfügung?
Wenn nein, warum nicht?

15. Inwiefern prüft die Bundesregierung den Einsatz von eigens geschulten
Kinderkrankenschwestern oder Familienhebammen für den praktischen
Kinderschutz vor Ort, und welche rechtlichen und finanziellen Vorausset-
zungen müssen dafür geschaffen werden?

16. Plant die Bundesregierung eine bundesgesetzliche Regelung zur Einfüh-
rung eines verbindlichen Einladewesens bei Vorsorgeuntersuchungen, und
welcher zusätzliche Nutzen würde dadurch entstehen, wenn bereits die
Bundesländer ein verbindliches Einladewesen eingeführt haben?
Von welchen Kosten geht die Bundesregierung aus?
17. In welchem Umfang hält es die Bundesregierung mit Blick auf seelische
und körperliche Vernachlässigung von Kindern für erforderlich, Erzieherin-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4264

nen und Erzieher, Tagesmütter und -väter sowie Lehrerinnen und Lehrer
durch Schulungen oder Weiterbildungen zu befähigen, diese zu erkennen
und deren Eltern Hilfen zu ermöglichen, und wann wird die Bundesregie-
rung entsprechend tätig?

18. Durch welche Maßnahmen kann die Bundesregierung darauf hinwirken,
dass aus der Tradition herrührende Vorstellungen von Ehre und Männlich-
keit nicht zur Begründung von Gewalt und zur Unterdrückung von jungen
Mädchen führen und es sogar zu Menschenhandel oder Zwangsverheira-
tung kommt?
Mit welchem Fördervolumen arbeiten diese Instrumente und Maßnahmen,
und wann erwartet die Bundesregierung messbare Ergebnisse?

19. Wann wird die Prüfung der Bundesregierung zu Ergebnissen kommen, wie
die Leistungen im Unterhaltsrecht, Steuerrecht, Sozialrecht und Familien-
recht harmonisieren und wie die größtmögliche Wirksamkeit dieser Instru-
mente erreicht werden kann?

20. Wann und mit welchen inhaltlichen Festlegungen wird die Bundesregierung
Eckpunkte zur Weiterentwicklung des bestehenden Kinderzuschlags vorle-
gen?

21. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es einen gesetzlichen Re-
formbedarf gibt, mit dem Ziel, überforderte Eltern, die staatliche Beratungs-
und Bildungsangebote nicht annehmen, stärker zur Inanspruchnahme zu
motivieren und dazu ggf. bestehende gesetzliche Sanktionsmöglichkeiten
konsequenter anwenden zu können?

22. Erkennt die Bundesregierung die Notwendigkeit an, Kindertagesstätten zu
Eltern-Kind- oder Familienzentren weiterzuentwickeln, um niedrigschwel-
lige Angebote für Familien machen zu können?
Wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung in Bezug
auf eine finanzielle Unterstützung dieser Aktivitäten?
Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung?

23. Welche strukturell neuen Instrumente plant die Bundesregierung für eine
verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. für die Entstehung
familienfreundlicher Arbeitsplätze?

24. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um das Unterhalts-
vorschussgesetz dahingehend zu ändern, sodass der Unterhaltsvorschuss
entbürokratisiert und bis zur Vollendung des vierzehnten Lebensjahres
eines Kindes gewährt wird?
Welche Kosten entstünden hierdurch auf der Ebene des Bundes und der
Länder?

25. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um säumige Unterhalts-
zahlungen im Sinne des Kindeswohls besser als bisher einzufordern?

26. Mit welchen Kosten würde schätzungsweise zu rechnen sein, wenn alle
Sorgerechtsfälle von nicht miteinander verheirateten Eltern als Einzelfall
familiengerichtlich entschieden werden müssten, und wäre eine solche
Regelung kindeswohldienlicher als eine allgemeine gesetzliche Regelung?

27. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um Tagespflege-
personen entsprechend wissenschaftlicher Standards (beispielsweise Deut-
sches Jugendinstitut) zu qualifizieren, und wie viele Tagespflegepersonen
wurden dadurch in welchem Umfang ausgebildet?

28. Teilt die Bundesregierung in Bezug auf Fachlichkeit, Qualität und Rechts-

sicherheit des Handelns der Jugendämter die Auffassung, dass eine gute
personelle und finanzielle Ausstattung, fachliche Kompetenz und sichere

Drucksache 17/4264 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Verfahrenswege von zentralerer Bedeutung für die Arbeit sind als eine bun-
deseinheitlich standardisierte Dokumentation der Arbeit?

29. Durch welche konkreten Maßnahmen wird im Handeln der Bundesregie-
rung deutlich, dass Kinder eine qualitativ gute frühkindliche Bildung, Be-
treuung und Erziehung erhalten sollen?

30. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die frühpädagogi-
sche Ausbildung mit dem Ziel zu reformieren, dass in Kindertageseinrich-
tungen auch Personal zur Verfügung steht, das auf Hochschulniveau ausge-
bildet ist?

31. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um sicherzustellen, dass
bis 2012 eine bedarfsgerechte intensive Sprachförderung vor der Schule im-
plementiert ist?

32. Welche rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen müssen geschaf-
fen werden, um einen bedarfsgerechten Ausbau von Ganztagskindergärten
und Ganztagsschulen mit strukturiertem Tagesrhythmus zu erreichen, und
ist die Bundesregierung bereits in diese Richtung aktiv geworden?

33. Wie plant die Bundesregierung die außerschulischen Bildungsangebote und
die Schaffung lokaler Bildungsbündnisse zu unterstützen, um die Kinder
insbesondere im Grundschulalter in ihrer Entwicklung zu fördern?

34. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch eine Vielzahl von
Förderprogrammen und unterschiedlichen Zuständigkeiten der Leistungs-
träger bei der Unterstützung von benachteiligten Kindern bürokratische
Hürden entstanden sind, die eine wirksame Hilfe erschweren und es daher
zeitnah geboten ist, die Zuständigkeiten zu bündeln und betroffenen Kin-
dern einen verlässlichen Ansprechpartner zuzuweisen?
Wenn ja, welchen Zeitplan verfolgt die Bundesregierung zur Umsetzung
dieser Neustrukturierung?
Wenn nein, warum nicht?

35. Plant die Bundesregierung ein Bundesprogramm zur aufsuchenden Eltern-
arbeit insbesondere für Kinder mit Zuwanderungsgeschichte?
Wenn ja, auf welchem Weg soll das entsprechende Personal rekrutiert und
ausgebildet werden?

36. Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für geeignet, Jungen aus bil-
dungsfernen Familien und Familien mit Zuwanderungsgeschichte in ihrer
Bildungsbiographie und ihrem Rollen- und Geschlechterverständnis zu un-
terstützen?
Inwiefern unterscheiden sich diese Maßnahmen von denen für Mädchen?

37. Prüft die Bundesregierung derzeit die finanziellen und verfassungsrecht-
lichen Möglichkeiten und Grenzen einer staatlichen Leistungserbringung in
Form von kombinierten Geld- und Sachleistungen mit dem Ziel, Teilhabe
für alle Kinder zu fördern und gleichzeitig Stigmatisierung zu vermeiden?
Wenn ja, wann liegen dazu Ergebnisse vor?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 15. Dezember 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.