BT-Drucksache 17/426

Lohndumping verhindern - Leiharbeit strikt begrenzen

Vom 13. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/426
17. Wahlperiode 13. 01. 2010

Antrag
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Klaus Ernst,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Diana Golze, Katja Kipping,
Cornelia Möhring, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Lohndumping verhindern – Leiharbeit strikt begrenzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Firma SCHLECKER dokumentiert, wie Unternehmen Leiharbeit gezielt
als Instrument zum Lohndumping einsetzen. SCHLECKER schließt bisherige
Filialen und entlässt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In den neu gegrün-
deten sogenannten XL-Filialen werden sie über eine Leiharbeitsfirma weiter-
beschäftigt – für den halben Lohn. Allein für diesen Zweck wurde die Leih-
arbeitsfirma gegründet. Sie ist Erfüllungsgehilfin beim Lohndumping.
Bestehende Tarifverträge werden unterlaufen. Erst nach massivem politischem
Druck von außen hat SCHLECKER Mitte Januar 2010 angekündigt, keine wei-
teren Verträge mit der Leiharbeitsfirma mehr abzuschließen. Es ist allerdings
offen, was nun mit den Beschäftigten passiert, die bereits einen Leiharbeitsver-
trag unterschrieben haben.

Das Vorgehen der Firma SCHLECKER ist leider kein Einzelfall. Leiharbeit
wird in vielen Unternehmen mit dem Ziel eingesetzt, die Löhne zu drücken.
Lohndumping durch Leiharbeit geht auf Kosten der Beschäftigten, der Solidar-
gemeinschaft und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Bereits heute erhält
jeder achte Beschäftigte der Leiharbeitsbranche Aufstockungsleistungen nach
Hartz IV, weil die Löhne nicht zum Leben reichen. Das ist ein unhaltbarer Zu-
stand. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen dafür aufkommen, dass
Arbeitgeber wie SCHLECKER keine anständigen Löhne mehr bezahlen.
Gleichzeitig entgehen den Sozialversicherungskassen Beiträge durch die nied-
rigeren Löhne. Auch dies ist nicht hinzunehmen.

Tür und Tor geöffnet für solch eine Entwicklung hat die ehemalige rot-grüne
Bundesregierung im Jahr 2003, als sie das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
änderte. Der formell zwar nun gesetzlich verankerte Grundsatz „Gleicher Lohn
für gleiche Arbeit“ wurde durch eine folgenschwere Ausnahmeregelung gleich
wieder ausgehebelt: Wenn Leiharbeitsfirmen einen eigenen Tarifvertrag ab-
schließen, dürfen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter schlechter als Festange-
stellte bezahlt werden, obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten. Diese „Aus-

nahmeregelung“ lässt den Gleichbehandlungsgrundsatz ins Leere laufen. Mit
fatalen Folgen für den Arbeitsmarkt und die Beschäftigten.

Seit der Gesetzesänderung 2003 dürfen Leiharbeitsfirmen ihre Beschäftigten
darüber hinaus beliebig lang an ein Unternehmen verleihen. Daher sind viele
Unternehmen dazu übergegangen, dauerhaft billigere Leiharbeit einzusetzen,
statt reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen. Nicht selten haben sie

Drucksache 17/426 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

sogar ihre Stammbelegschaft abgebaut und durch Leiharbeit ersetzt. Dadurch
wächst der Druck auf reguläre Löhne und die Belegschaften werden gespalten.

Dieser Entwicklung muss Einhalt geboten werden. Nicht zuletzt im Interesse
der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter. Sie erhalten für die gleiche Arbeit bis
zu 50 Prozent weniger Lohn als Festangestellte. Die aktuelle Krise hat zudem
deutlich gezeigt, wie unsicher diese Form der Beschäftigung ist. Leiharbeiterin-
nen und Leiharbeiter wurden als Erste entlassen. Waren im Sommer 2008 noch
800 000 Menschen in dieser Branche beschäftigt, waren es im April 2009 nur
noch 507 000.

Angesichts der sich abzeichnenden erneuten Zunahme von Leiharbeitsverhält-
nissen muss der Gesetzgeber endlich tätig werden und verhindern, dass Leih-
arbeit weiterhin als Instrument zum Lohndumping eingesetzt wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Maßnahmen umfasst:

1. Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz werden sämtliche Ausnahmeregelungen
in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gestrichen. Ab dem ersten
Einsatztag erhalten Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter den gleichen Lohn
und die gleichen Arbeitsbedingungen wie Festangestellte. Ein Tarifvertrag
kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn er bessere Bedingungen vor-
sieht.

2. Zusätzlich wird im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zwingend eine Flexi-
bilitätsprämie vorgeschrieben. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter bekommen
zusätzlich zu ihrem Lohn eine Prämie in Höhe von 10 Prozent ihres Brutto-
lohnes.

3. Die Überlassungshöchstdauer im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wird
wieder auf drei Monate begrenzt.

4. Im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes erhalten Betriebsräte im Ent-
leihbetrieb ein zwingendes Mitbestimmungsrecht über den Einsatz von Leih-
arbeiterinnen und Leiharbeitern. Kommt keine Einigung mit dem Arbeitgeber
zustande, entscheidet die Einigungsstelle. Bis zur Entscheidung der Eini-
gungsstelle dürfen keine Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter eingesetzt wer-
den.

Berlin, den 13. Januar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Bei SCHLECKER handelt es sich um eine besonders perfide Art des Lohn-
dumpings. Die Weichen für solch eine Praxis wurden jedoch von der Politik
selbst gestellt. Seit Mitte der 80er-Jahre lockerten verschiedene Regierungs-
koalitionen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, indem schrittweise die Über-
lassungshöchstdauer angehoben wurde. Mehr oder weniger komplett deregu-
liert wurde die Leiharbeitsbranche mit den Hartz-Gesetzen ab dem 1. Januar
2003. So wurde eine Begrenzung der Überlassungshöchstdauer vollständig auf-
gehoben und Ausnahmeregelungen vom neu aufgenommenen Gleichbehand-
lungsgrundsatz definiert. Zuvor Erwerbslose dürfen in den ersten sechs

Wochen einen geringeren Lohn enthalten. Zudem dürfen in einem Tarifvertrag
abweichende Regelungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz getroffen werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/426

Insbesondere letztgenannte Regelung hat zu einer erheblichen Tarifierungsbe-
wegung in der Leiharbeitsbranche geführt. Fast alle Verleihfirmen haben Tarif-
verträge abgeschlossen. Nicht selten wie auch im Fall von SCHLECKER mit
sogenannten Christlichen Gewerkschaften, die zumeist Gefälligkeitstarifver-
träge für die Arbeitgeber abschlossen, mit ausgesprochen niedrigen Entgelten
für die Beschäftigten. Das schwächte auch die Position des Deutschen Gewerk-
schaftsbundes, dessen Tarifverträge für die Leiharbeitsbranche auch niedrige
Löhne vorsehen. Das Gleichbehandlungsprinzip ist nicht zur Realität für Leih-
arbeiterinnen und Leiharbeiter geworden. Im Schnitt verdienen sie knapp
30 Prozent weniger als Festangestellte mit der gleichen Beschäftigung. In Einzel-
fällen liegt der Lohnabstand sogar bei bis zu 50 Prozent. Die Leiharbeitsbranche
ist eine Niedriglohnbranche. Nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichtes Berlin
vom 7. Dezember 2009 ist die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften
für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) allerdings gar nicht tarif-
fähig.

Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter finden sich vor allem in großen Betrieben.
Rund 35 Prozent der Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten setzen Leih-
arbeitskräfte ein. Besonders häufig ist sie in Branchen mit relativ hohem Lohn-
niveau für Stammbeschäftigte anzutreffen. So beträgt der Anteil der Leiharbei-
terinnen und Leiharbeiter im verarbeitenden Gewerbe mittlerweile 4,5 Prozent,
in der Metall- und Elektroindustrie sogar 6 Prozent. Die Leiharbeit wird nicht
mehr nur dazu verwendet, Auftragsspitzen abzufedern und kurzfristigen Per-
sonalbedarf zu decken. Vielmehr wird sie dazu genutzt, durch niedrige Löhne
dauerhaft die Arbeitskosten zu senken.

Ein weiteres Problem ist, dass Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter im entleihen-
den Unternehmen nicht unter den Kündigungsschutz fallen. Dieser wird durch
den Einsatz von Leiharbeit umgangen. Auch die betriebliche Mitbestimmung
wird ausgehebelt. Nur wenige Leiharbeitsfirmen haben einen Betriebsrat. Im
Entleihbetrieb dürfen die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zwar bei der Be-
triebsratswahl mitwählen, sofern sie länger als drei Monate im Betrieb sind, bei
der Festlegung der Größe des Betriebsrates zählen sie allerdings nicht mit.
Auch sind die Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte über den Einsatz von
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter bisher völlig unzureichend.

Die häufig von Befürworterinnen und Befürwortern gepriesenen Klebe- und
Brückeneffekte der Leiharbeit, bleiben ein Mythos. Weniger als drei von zehn
Leiharbeiterinnen bzw. Leiharbeitern erhalten nach Ablauf ihres Leiharbeits-
verhältnisses eine reguläre Beschäftigung. Eine Zahl, die sich kaum von Be-
schäftigungszugang aus der Arbeitslosigkeit unterscheidet.

Um diese Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern, ist es dringend
erforderlich, den Gleichbehandlungsgrundsatz ohne Einschränkungen umzuset-
zen. Gleichzeitig muss die Überlassungshöchstdauer auf drei Monate begrenzt
werden, um die Leiharbeit auf ihre ursprüngliche Funktion der Abfederung von
Auftragsspitzen zurückzuführen. Eine Ausweitung oder Ersetzung von Stamm-
belegschaften durch Leiharbeitskräfte schadet dem Arbeitsmarkt. Hier kann
Deutschland von Frankreich lernen. Dort gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz
uneingeschränkt und die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter haben zusätzlich
einen Anspruch auf eine Flexibilitätsprämie in Höhe von 10 Prozent der Brutto-
lohnsumme. Dadurch wird die hohe Flexibilität der Leiharbeiterinnen und
Leiharbeiter honoriert, was zudem bewirkt, dass Leiharbeit wieder strikt be-
grenzt und auf die Abfederung kurzfristiger Personalengpässe zurückgeführt
wird.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.