BT-Drucksache 17/4248

EUTM Somalia beenden - Für eine politische Lösung in Somalia

Vom 16. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4248
17. Wahlperiode 16. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Christine
Buchholz, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Thomas Nord, Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

EUTM Somalia beenden – Für eine politische Lösung in Somalia

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Ausbildung somalischer Rekruten durch die Mission EUTM SOM
(European Training Mission for Somalia) droht den Konflikt in Somalia wei-
ter zu eskalieren und auf die Nachbarstaaten Äthiopien und Kenia sowie
Uganda auszuweiten. Es ist nicht ersichtlich, dass von der EU ausgebildete
Soldaten eine dauerhafte Befriedung Mogadischus oder gar des gesamten
Territoriums Somalias ermöglichen könnten. Bis heute ist unklar, wie diese
Soldaten in die Kommandostruktur der Kräfte der somalischen Übergangs-
regierung (TFG) eingegliedert werden sollen, die bisher ein eher loser Ver-
band verschiedener Milizen sind. Es besteht somit die Möglichkeit, dass die
vom Ausland ausgebildeten und finanzierten Soldaten nach ihrer Ausbildung
für Partikularinteressen einzelner Warlords kämpfen oder aber zu den Al
Shabaab überlaufen. Die Somalia Monitoring Group der Vereinten Nationen
geht davon aus, dass in der Vergangenheit 80 Prozent der vom Ausland aus-
gebildeten Sicherheitskräfte mitsamt ihrer Ausrüstung desertiert oder überge-
laufen sind (www.reliefweb.int/rw/RWFiles2010.nsf/FilesByRWDocUnid-
Filename/MUMA-83N2WN-full_report.pdf/$File/full_ report.pdf). Auch
der ehemalige Stabschef der somalischen Armee, Yusuf Hussein Osman,
äußerte jüngst, die Regierungsarmee sei „die wichtigste Waffenquelle für
die Islamisten“ (www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/fit-fuer-den-krieg-mit-
deutschem-geld/).

2. EUTM Somalia droht ein weiteres Beispiel zu werden, wie die Bundesregie-
rung ohne Zustimmung des Parlaments parteiisch in Bürgerkriege eingreifen
und zur weiteren militärischen Eskalation beitragen kann. Politische Lösun-
gen werden so blockiert.

3. Die Bundesregierung kann nicht ausschließen, dass im Rahmen von EUTM
bzw. bei der zugleich durch ugandische Streitkräfte erfolgenden Ausbildung

auch Minderjährige an der Waffe ausgebildet werden, um anschließend in
Mogadischu zu kämpfen. Zugleich gibt es Hinweise, dass die TFG für die
Ausbildung in Uganda Bürgerkriegsflüchtlinge u. a. auch in Flüchtlings-
lagern rekrutiert hat. Bei der Ausbildung somalischer Rekruten durch die
ugandischen Streitkräfte kam es bereits während der Anwesenheit der EUTM
im Ausbildungslager Bihanga zu „körperlichen Züchtigungen“ der Rekruten
und anschließend zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Rekruten

Drucksache 17/4248 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

und Ausbildern. EUTM sowie der gegenwärtige Gesamtansatz zur „Befrie-
dung“ Somalias veranlassen Bundesregierung und Bundeswehr dazu, mit
Kräften zu kooperieren, denen schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen wer-
den. Dies gilt jedoch nicht nur für die TFG, die Kindersoldaten rekrutiert,
sondern auch für die AMISOM (African Union Mission in Somalia) und
ebenso für die Streitkräfte Ugandas und Äthiopiens, denen die Tötung Hun-
derter Zivilisten angelastet werden. Sowohl der TFG als auch den AMISOM-
Truppen wurde bereits mehrfach der massive und willkürliche Beschuss stark
besiedelter Wohnviertel mit Raketen, Mörsern und Artillerie vorgeworfen.
EUTM trägt zudem dazu bei, das Waffenembargo gegenüber Somalia zu un-
terlaufen. Bei vergleichbaren Ausbildungsmissionen zuvor liefen die ausge-
bildeten und ausgerüsteten Rekruten zur Opposition über oder wurden von
der TFG selbst Bürgerkriegsmilizen unterstellt. Im Rahmen von EUTM
wurde das ugandische Feldlager Bihanga u. a. durch eine neue Landebahn
aufgewertet. Somit leistet die EU Hilfe für die ugandischen Streitkräfte, de-
nen in der Vergangenheit schwere Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen
vorgeworfen wurden und deren Beteiligung an solchen Verbrechen auch jetzt
nicht ausgeschlossen werden kann.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die im Rahmen von EUTM SOM in Uganda stationierten Soldaten unverzüg-
lich nach Deutschland zurückzuverlegen und den zuständigen EU- Gremien
mitzuteilen, dass es keine weitere Beteiligung der Bundeswehr an der Mis-
sion geben wird;

2. sich im Rat dafür einzusetzen, die Mission EUTM SOM unverzüglich einzu-
stellen und zu diesem Zweck ihre Beiträge über den ATHENA-Mechanismus
spätestens zum 30. April 2011 einzufrieren;

3. sich innerhalb der EU wie auch gegenüber den USA, der Afrikanischen
Union und den UN dafür einzusetzen, dass für Somalia eine politische – an-
statt wie bislang eine militärische – Lösung angestrebt wird, die zunächst auf
einen Waffenstillstand in Mogadischu abzielt. Bis ein umfassender Friedens-
prozess eingeleitet wird, soll die Bundesregierung gegenüber ihren Partnern
dafür werben, sämtliche Ausbildungs- und Unterstützungsmaßnahmen für die
Armee- und Polizeikräfte der somalischen Übergangsregierung einzustellen.

Berlin, den 16. Dezember 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Rat beschloss am 15. Februar 2010 die Durchführung einer Mission der Ge-
meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Beitrag der EU zur Ausbil-
dung von Sicherheitskräften der TFG, die EU-Trainingsmission Somalia
(EUTM SOM). Aufgrund der prekären Sicherheitslage in Somalia und der be-
reits stattfindenden Ausbildung somalischer Rekruten durch die Streitkräfte
Ugandas findet die Mission in Uganda statt.

Am 31. März 2010 beschloss die Bundesregierung, sich mit bis zu 20 Soldaten
der Bundeswehr an EUTM SOM zu beteiligen. Eine Befassung des Bundestages
mit der Entsendung der zur Selbstverteidigung „und gegebenenfalls zu Ausbil-

dungszwecken“ bewaffneten Bundeswehrsoldaten hielt die Bundesregierung für

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4248

unnötig mit der Begründung, dass es sich hierbei nicht um einen „Einsatz be-
waffneter deutscher Streitkräfte“ im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
handele, da die konkrete militärische Gefahrenlage eine Einbeziehung in be-
waffnete Auseinandersetzungen nicht erwarten ließe.

Vertreter der Bundesregierung sowie des Rates und der EU-Kommission be-
tonen regelmäßig, dass die EUTM SOM Teil eines „umfassenden Lösungs-
ansatzes der EU für die Lage in Somalia“ sei, zu dem auch die EU-Mission zur
Bekämpfung der Piraterie im Golf von Aden (ATALANTA), die finanzielle
Unterstützung für die Ausbildung somalischer Sicherheitskräfte durch das Sta-
bilitätsinstrument und die humanitäre Hilfe für Somalia und benachbarte Staa-
ten, gehöre.

Im Rahmen von EUTM SOM ist die spezifisch militärische Ausbildung von je
etwa 1 000 somalischen Rekruten im ugandischen Militärlager Bihanga über ei-
nen Zeitraum von je sechs Monaten zu Offizieren und Unteroffizieren vor-
gesehen, die anschließend der TFG unterstellt werden. Ausbildungsinhalte um-
fassen den Umgang mit Handwaffen (Sturmgewehr AK 47, Rocket Propelled
Grenades/Panzerabwehrwaffen und Maschinengewehren), Minen- und Explo-
sionskörperabwehr, den Kampf in bebautem Gelände sowie Schulungen im
Sanitäts- und Fernmeldewesen. Die Waffen für den Zeitraum der Ausbildung
werden den somalischen Rekruten durch die ugandischen Streitkräfte und die
EU zur Verfügung gestellt, die Waffen für den anschließenden Einsatz in Soma-
lia erhalten sie anschließend von der TFG sowie der in Somalia agierenden
AMISOM. Gemeinsam sind diese auch für die Auswahl der auszubildenden
Rekruten verantwortlich. Zudem umfasst EUTM SOM auch Spezialmodule für
diejenigen Rekruten, die zugleich durch ugandische Streitkräfte ebenfalls in
Bihanga ihre Grundausbildung erhalten. Abschließend ist eine vierwöchige ge-
meinsame Ausbildung der Mannschaftsdienstgrade und (Unter-)Offiziere auf
Zugebene vorgesehen.

Die Ausbildung der ersten tausend Soldaten durch die EUTM in Bihanga begann
im Mai 2010. Seither ist die Lage in der somalischen Hauptstadt Mogadischu
weiter eskaliert. Allein im Juli 2010 sind nach Angaben des Internationalen
Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) mindestens 4 000 weitere Personen vor
Gefechten aus der Hauptstadt geflüchtet. Die Vereinten Nationen werfen allen
Konfliktparteien – einschließlich der TFG und der AMISOM – vor, unter-
schiedslos Wohnviertel unter Beschuss zu nehmen und dabei überwiegend
Zivilisten zu töten und zu verletzen. Allein in der letzten Augustwoche wurden
in den beiden größten Krankenhäusern der Stadt über 200 Menschen mit Schuss-
verletzungen eingeliefert.

Die TFG kontrolliert selbst mithilfe von 7 200 Soldaten der AMISOM lediglich
einen kleinen Teil der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Die Truppen der
TFG bestehen aus ehemals verfeindeten Milizen und umfassen zahlreiche Kin-
dersoldaten. Es ist nicht ersichtlich, dass von der EU ausgebildete Soldaten eine
dauerhafte Befriedung Mogadischus oder gar des gesamten Territoriums Soma-
lias ermöglichen könnten. Vielmehr drohen diese lediglich zur weiteren Eska-
lation des Bürgerkrieges beizutragen. Die Anschläge während des Endspieles
der Männer-Fußballweltmeisterschaft in Kampala, welche den Al Shabaab
zugeordnet werden, sowie Informationen der ugandischen Geheimdienste wei-
sen auf die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Konfliktes hin. Auch die
von Uganda in Aussicht gestellte Erhöhung der Truppenstärke der AMISOM auf
bis zu 20 000 Soldaten droht den Bürgerkrieg in Somalia letztendlich zu einem
internationalen Konflikt zwischen Uganda und Somalia zu eskalieren.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.