BT-Drucksache 17/4186

Missbrauch von Praktika gesetzlich stoppen

Vom 15. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4186
17. Wahlperiode 15. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Agnes Alpers, Dr. Petra Sitte, Diana Golze, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein,
Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Jörn Wunderlich, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Missbrauch von Praktika gesetzlich stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Praktika stehen immer häufiger am Anfang der Erwerbstätigkeit junger Men-
schen. Dies hat das Internationale Institut für Empirische Sozialökonomie im
Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) bereits An-
fang 2008 in der Studie „Anforderungen an den Berufseinstieg aus Sicht der
jungen Generation“ festgestellt. Inzwischen hat jeder bzw. jede fünfte junge
Erwerbstätige (bis 34 Jahre) nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung
oder des Studiums noch mindestens ein Praktikum, im Durchschnitt allerdings
noch zwei Praktika gemacht. Dabei werden Praktika nach dem Abschluss mit
knapp einem Drittel der Absolventinnen und Absolventen am häufigsten nach
vollzeitschulischen Berufsausbildungen absolviert; unter dieser Gruppe ist
auch die Anzahl der durchschnittlich nach dem Abschluss absolvierten Praktika
am größten. Unter Hochschulabsolventinnen und -absolventen geht jeder bzw.
jede Vierte nach dem Studium noch mindestens einmal in ein Praktikum, unter
den Absolventinnen und Absolventen betrieblicher Ausbildungen ist dies jeder
bzw. jede Fünfte. Zwei Drittel der Praktikantinnen und Praktikanten mit ab-
geschlossener Ausbildung bleiben mehr als drei Monate in diesem Status, die
Hälfte sogar länger als ein halbes Jahr. Gut die Hälfte der Praktikantinnen und
Praktikanten mit abgeschlossener Ausbildung erhält keinerlei Vergütung, wei-
tere 12 Prozent halten ihre Vergütung für unangemessen. Rund die Hälfte aller
Praktikantinnen und Praktikanten wird während des Praktikums von anderen
Personen – etwa von den Eltern – finanziell unterstützt. Viele können sich unter
diesen Bedingungen den immer üblicher werdenden Berufseinstieg über Prak-
tika nicht ohne Weiteres leisten.

Seit einigen Jahren machen Medienberichte außerdem immer wieder darauf
aufmerksam, dass Praktika missbraucht werden, um reguläre Arbeitsverhält-
nisse zu ersetzen. Die Ergebnisse der Studie „Generation Praktikum? – Prekäre
Beschäftigungsformen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen“ des

Arbeitsbereichs Absolventenforschung der FU Berlin im Auftrag der DGB-
Jugend (DGB – Deutscher Gewerkschaftsbund) und der Hans-Böckler-Stiftung
haben im Februar 2007 deutlich gemacht, dass Praktikantinnen und Praktikan-
ten vielfach fest in den Betriebsablauf eingeplant sind und von einer hohen Ar-
beitsbelastung berichten. Des Weiteren ist die HIS Hochschul-Informations-
System GmbH in der Studie „Generation Praktikum – Mythos oder Massen-
phänomen?“ im Auftrag des BMAS zu dem Ergebnis gekommen, dass mehr als

Drucksache 17/4186 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

die Hälfte der befragten Absolventinnen und Absolventen mit Praktikaerfah-
rung während des Praktikums nicht über einen Praktikumsplan verfügte. Das
Lernen, welches eigentlich das wesentliche Ziel eines Praktikums sein sollte,
wird in der Praxis vielfach in den Hintergrund gedrängt. Stattdessen werden
Praktikantinnen und Praktikanten als billige Arbeitskräfte missbraucht und re-
guläre Arbeitsplätze verdrängt.

Der Bundestag hat sich in der vergangenen Wahlperiode anlässlich parlamenta-
rischer Initiativen der Opposition bereits mehrfach mit dem Thema befasst.
Hierüber hinaus haben sich im Rahmen öffentlicher Petitionen in der
16. Wahlperiode weit über 50 000 Menschen an den Bundestag gewandt und
die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zum Handeln aufgefordert. Weder
die damalige Koalition aus CDU/CSU und SPD noch die aktuelle Koalition aus
CDU/CSU und FDP sind diesem Handlungsauftrag bisher nachgekommen.
Auch jüngere Forderungen nach gesetzlichen Regelungen zum Schutz von
Praktikantinnen und Praktikanten blieben seitens der Bundesregierung bislang
ohne Konsequenzen, gesetzgeberische Aktivitäten sind nach Auskunft der
Bundesregierung auch künftig nicht geplant (vgl. Antwort der Bundesregierung
auf die Schriftliche Frage 89 der Abgeordneten Nicole Gohlke, Bundestags-
drucksache 17/3308 sowie Pressemitteilung der DGB-Jugend vom 4. Novem-
ber 2010 „Bundesregierung ignoriert die Ausbeutung von Praktikanten“).

Praktika sind damit weiterhin ein gesetzlich weithin ungeregelter Bereich.
Anders als Auszubildende sind Praktikantinnen und Praktikanten von vielen
Regelungen des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) ausgenommen und können
sich damit in vielerlei Hinsicht nicht einmal auf arbeitsrechtliche Mindest-
schutzbestimmungen berufen. Eine klare gesetzliche Abgrenzung von Praktika
als Lernverhältnisse von regulären Arbeitsverhältnissen fehlt nach wie vor. Die
Fraktion DIE LINKE. hat hierfür bereits 2006 Eckpunkte formuliert (vgl. Bun-
destagsdrucksache 16/3349) und 2007 einen Gesetzentwurf für eine entspre-
chende Novelle des BBiG vorgelegt (vgl. Bundestagsdrucksache 16/6629). Um
den Missbrauch von Praktika wirksam zurückzudrängen, darf sich der Bund
nicht länger darauf zurückziehen, auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Un-
ternehmen zu hoffen oder Praktikantinnen und Praktikanten aufzufordern,
selbst den prekären Klageweg einzuschlagen. Um der jungen Generation einen
gesicherten Berufseinstieg zu ermöglichen, sind gesetzliche Neuregelungen un-
umgänglich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Praktika in Abgrenzung von Arbeitsverhältnissen eindeutig als Lernverhält-
nisse zu definieren und zu gewährleisten, dass Praktikantinnen und Praktikan-
ten sich auf arbeitsrechtliche Mindestschutzbestimmungen berufen können.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Bundestag einen Entwurf für
eine Novelle des BBiG vorzulegen, die mindestens folgende Punkte umfasst:

– Der Geltungsbereich des BBiG wird vollumfänglich auf Praktikantinnen
und Praktikanten erweitert. Damit werden die im BBiG formulierten
arbeitsrechtlichen Mindestschutzbestimmungen auch für Praktikantin-
nen und Praktikanten in Kraft gesetzt.

– Der Verzicht auf eine Vertragsniederschrift für „andere Vertragsverhält-
nisse“ nach § 26 BBiG wird gestrichen. Praktikantinnen und Praktikanten
erhalten hiermit das Recht auf einen schriftlichen Praktikumsvertrag,
welcher unter anderem Art, sachliche und zeitliche Gliederung sowie
Lernziele des Praktikums umfassen muss.

– Im BBiG wird verankert, dass die Praktikantinnen und Praktikanten das

Recht auf die Ausstellung eines qualifizierten Praktikumszeugnisses
haben.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4186

– Durch eine entsprechende Änderung des BBiG wird sichergestellt, dass
auch für Praktikantinnen und Praktikanten geeignete Betreuungspersonen
benannt werden müssen und der Praktikumsgeber eine angemessene Be-
treuung zu gewährleisten hat.

– Durch eine entsprechende Erweiterung des BBiG wird sichergestellt,
dass die Praktikantinnen und Praktikanten eine angemessene Vergütung
erhalten. Diese darf für Praktikantinnen und Praktikanten, die sich in
Ausbildung oder Studium befinden, keinesfalls unterhalb von 300 Euro
monatlich liegen. Praktika nach dem Berufs- bzw. Studienabschluss,
Volontariate und andere Berufseinstiegsprogramme sollen tariflich ver-
gütet werden, mindestens aber einen gesetzlichen Mindestlohn erhalten,
der zum 1. Mai 2013 mindestens 10 Euro pro Stunde betragen muss;

2. den Missbrauch von Praktika wirksam zurückzudrängen, indem ihre Dauer
grundsätzlich beschränkt und die Kontrollfunktion von Betriebs- und Perso-
nalräten vor Ort abgesichert werden. Die Bundesregierung wird aufgefor-
dert, dem Bundestag Entwürfe für Gesetzesänderungen vorzulegen, die min-
destens die folgenden Punkte umfassen:

– Die Dauer von Praktika wird grundsätzlich auf höchstens drei Monate be-
schränkt, soweit nicht Studien- oder Ausbildungsordnungen eine hierüber
hinausgehende Dauer zwingend vorsehen.

– Im Betriebsverfassungs- sowie im Personalvertretungsrecht wird klar-
gestellt, dass die Einstellung von Praktikantinnen und Praktikanten
grundsätzlich als Eingliederung in den Betrieb anzusehen ist und die
gewählten Interessenvertretungen der Beschäftigten mit den vollen Mit-
bestimmungsrechten ausgestattet sind, wie sie für reguläre Arbeits-
verhältnisse gelten. Damit wird insbesondere als Aufgabe von Betriebs-
und Personalräten verankert, die Ausgestaltung von Praktika als Lern-
verhältnisse zu kontrollieren und eine Verdrängung regulärer Arbeits-
verhältnisse zu verhindern.

Berlin, den 15. Dezember 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.