BT-Drucksache 17/4172

Umsetzung von Regelungen zur nachhaltigen Beseitigung von Kinderarbeit und Sklaverei auf Kakaoplantagen

Vom 13. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4172
17. Wahlperiode 13. 12. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Thomas Nord, Jan van Aken, Christine Buchholz, Diana
Golze, Annette Groth, Andrej Hunko, Niema Movassat, Katrin Werner und der
Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung von Regelungen zur nachhaltigen Beseitigung von Kinderarbeit
und Sklaverei auf Kakaoplantagen

Die Arbeitsbedingungen der weltweit rund 5,5 Millionen Kakaobauern/Kakao-
bäuerinnen sind häufig sehr schlecht und ihre Einkommen niedrig. Selbst
Kinderhandel und Kinderarbeit sind, das belegen mehrere aktuelle Studien, vor
allem in westafrikanischen Staaten integraler Bestandteil der Kakaoproduktion.

Dabei haben sich Verbände der Kakao- und Schokoladenindustrie bereits im
Jahr 2001 in einer freiwilligen Selbstverpflichtung, dem sog. Harkin-Engel-
Protokoll, dazu verpflichtet, aktiv gegen die schlimmsten Formen von Kinder-
arbeit, Kinderhandel und Zwangsarbeit für Erwachsene vorzugehen. Bis 2004
sollten die schlimmsten Formen der Kinderarbeit abgeschafft und dies mit Hilfe
einer Zertifizierung belegt werden.

Mehrere Gutachten u. a. der Regierungen Ghanas und der Elfenbeinküste (Côte
d’Ivoire) belegen jedoch, dass diese Formen immer noch weit verbreitet sind.

Das an der Tulane-Universität (New Orleans) angesiedelte Payson Center, das
im Auftrag der US-Regierung die Fortschritte bei der Umsetzung des Harkin-
Engel-Protokolls untersucht, kommt in seinen Berichten zu dem Ergebnis, dass
sich wenig an dieser Situation verändert habe.

In Côte d’Ivoire und in Ghana, so die Resultate einer umfassenden Erhebung
aus dem Jahr 2009, arbeiten jeweils mehr als 250 000 Kinder weiterhin unter
Bedingungen in der Kakaoindustrie, die die Normen 138 und 182 der Interna-
tional Labour Organization (ILO) brechen sowie gegen nationale Gesetze ver-
stoßen.

Laut dem im September 2010 erschienenen Abschlussbericht des Payson
Center werden noch immer Kinder aus Burkina Faso und Mali verkauft, um auf
Kakaofarmen in Ghana und in Côte d’Ivoire zu arbeiten. Im Rahmen der Studie
wurden 600 Menschen aus Burkina Faso und Mali identifiziert, die fast alle in
Côte d’Ivoire verkauft wurden. Alle 600 waren den schlimmsten Formen von
Kinderarbeit ausgesetzt. Sie mussten etwa ungeschützt mit Pestiziden arbeiten,

schwere Lasten tragen sowie psychische und physische Gewalt erleiden. Ein
großer Teil der Kinder ist Opfer von Menschenhandel geworden.

Eine wichtige Ursache für die Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen, das be-
legen auch Berichte der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammen-
arbeit (GTZ) GmbH, sind die niedrigen Weltmarktpreise. Nach Berechnungen
der International Cocoa Organization lag der Preis je Tonne Kakao inflations-
bereinigt 1980 noch bei rund 5 000 US-Dollar und sank bis zum Jahr 2000 auf

Drucksache 17/4172 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

rund 1 000 US-Dollar. Auch der derzeitige Preis von rund 3 000 US-Dollar
liegt deutlich unter dem Preis von 1980 und weit unter dem Preisniveau der
1970er Jahre.

Die Verhandlungsbasis der Bauern ist sehr schlecht, da je fünf Konzerne rund
die Hälfte des Kakao- sowie des Schokoladenmarktes beherrschen. Im Kakao-
sektor sind dies unter anderem ADM (Archer Daniels Midland) und Cargill
sowie Barry Callebaut. Barry Callebaut ist nicht nur einer der größten Kakao-
verarbeiter weltweit, sondern besitzt auch Schokoladenfabriken und stellt
Marken wie Stollwerck, Sarotti und Alpia her sowie No-Name-Produkte für
Discounter. Andere bekannte große Firmen mit Vertrieb sowie teilweise auch
Produktionsstätten in Deutschland sind Nestlé (After Eight, KitKat, Lion etc.),
Mars (Mars, Bounty, Snickers, Twix, Balisto etc.), Kraft Foods (Milka, Toble-
rone, Kaba etc.), Ferrero (Duplo, Hanuta, Kinderschokolade etc.).

Es ist unbedingt notwendig, nicht nur Kinderhandel und Kinderarbeit zu ver-
bieten, sondern grundsätzlich sicherzustellen, dass die in Artikel 23 der All-
gemeinen Erklärung der Menschenrechte oder die in der UN-Menschenrechts-
charta festgehaltenen Arbeitsrechte eingehalten werden. Auch die Kernarbeits-
normen der ILO sind verbindliches Recht.

Auch die von den Vereinten Nationen verabschiedeten sogenannten Millen-
niumsentwicklungsziele fordern die Erarbeitung und Umsetzung von Strate-
gien, die Männer, Frauen und Kinder aus den erbärmlichen entmenschlichen-
den Lebensbedingungen befreien und jungen Menschen eine reale Chance ge-
ben, menschenwürdige und produktive Arbeit zu finden.

Darüber hinaus existieren in den Kakaoanbauländern Gesetze, die die Arbeits-
rechte von Erwachsenen festlegen und Kinderarbeit verbieten. Die weltweite
Kakao- und Schokoladenindustrie verfügt jedoch derzeit über eine Lieferkette,
in der diese internationalen und nationalen Rechte nicht eingehalten werden.

Verbraucherinnen und Verbraucher haben derzeit keine Chance zu erfahren,
ob bei der Produktion der von ihnen erworbenen Schokolade die Menschen-
rechte eingehalten wurden. Die Rechtslage lässt es zu, dass der Einzelhandel
bei Nachfragen keine Auskunft über die Produktionsbedingungen in seiner Lie-
ferkette zu geben braucht.

Eine Verpflichtung für die Hersteller, auf Kakao und Kakaoprodukten die
geographische Herkunft des Kakaos anzugeben, würde ermöglichen, dass Ver-
braucherinnen und Verbraucher von Kakaoprodukten, wie z. B. Schokolade,
Informationen über die Herstellungsbedingungen erlangen und diese in ihre
Kaufentscheidung einbeziehen können.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche unverzüglichen und wirksamen Maßnahmen hat die Bundesregie-
rung getroffen, um der ILO-Konvention 182 Geltung zu verschaffen und
sicherzustellen, dass die schlimmsten Formen der Kinderarbeit vordringlich
verboten und beseitigt werden?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Deutschland zwar das
ILO-Übereinkommen 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen
zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 ratifi-
ziert hat, deutsche Unternehmen aber nach wie vor viele Produkte importie-
ren, bei deren Herstellung diese Kernarbeitsnorm nicht eingehalten wird?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass deutsche Unterneh-
men nach wie vor viele Produkte importieren, bei deren Produktion die
Kernarbeitsnormen der ILO nicht eingehalten wurden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4172

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass Armut, Arbeits-
losigkeit und ein hoher wirtschaftlicher Druck seitens der kakaover-
arbeitenden Konzerne für das Problem Kinderarbeit mitverantwortlich
sind?

5. Welchen Standpunkt vertritt die Bundesregierung bezüglich der Einschät-
zung, dass kakaoverarbeitende Konzerne, wie z. B. Nestlé oder Kraft Foods,
Verantwortung für die Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern tragen?

6. Welchen Standpunkt vertritt die Bundesregierung bezüglich der Einschät-
zung, dass die Kakao- und Schokoladenindustrie ihre Projekte auf Produk-
tivitäts- und Ertragssteigerung konzentriert, soziale Gesichtspunkte aber
außer Acht lässt und somit den schleppenden Aufbau einer fairen und
nachhaltigen Versorgungskette verantwortet?

7. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung bisher unternommen, um
die Schokoladen- und Kakaoindustrie in die Verantwortung für den Kampf
gegen Kinderarbeit zu nehmen?

8. Wie viele der rund 5,5 Millionen Kakaobauern wurden bislang durch Pro-
jekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erreicht, und wie viele
durch Initiativen der Industrie?

9. Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung, durch eine Verschärfung
des Verbraucherinformationsgesetzes die Schokoladenproduzenten und
den Einzelhandel zu verpflichten, Verbraucherinnen und Verbrauchern
Auskunft über die Produktionsbedingungen in ihrer bzw. seiner Lieferkette
zu geben?

10. Wie bewertet die Bundesregierung das von Nichtregierungsorganisationen
vorgetragene Ansinnen, mittels einer verpflichtenden Zertifizierung von
Kakaoprodukten für mehr Transparenz und Druck auf die Hersteller zu
sorgen?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung, auf Kakao- und Schoko-
ladenprodukten in Deutschland Kinderarbeit kenntlich zu machen?

12. Wird sich die Bundesregierung für eine europäische Regelung einsetzen,
welche binnenmarktrechtliche und welthandelsorganisationsrechtliche Vor-
gaben beachtet, um die Unternehmen dazu zu verpflichten, die Kinder-
arbeit und den Kinderhandel bei der Kakaoproduktion nachhaltig zu be-
kämpfen?

13. Kann die Bundesregierung sich vorstellen, nach dem Vorbild der Nieder-
lande durch einen von mehreren Ministerien einberufenen und moderierten
runden Tisch Unternehmen dazu zu bewegen, sich zu einem Ausbau des
Einkaufs von Kakao aus nachweislich nachhaltigem Anbau zu verpflich-
ten?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass nicht nur die
geringen Marktpreise für die Missstände verantwortlich sind, sondern
u. a. auch Kriege und Korruption durch Rohstoffhandel finanziert werden –
oft im Interesse multinationaler Konzerne und auf Kosten der Produzen-
ten?

15. Erwägt die Bundesregierung eine aktive Zusammenarbeit mit den betroffe-
nen Menschen und Nichtregierungsorganisationen, um die Ursachen für
Kinderarbeit zu bekämpfen?

Drucksache 17/4172 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
16. Erwägt die Bundesregierung eine aktive Zusammenarbeit mit den Regie-
rungen der betroffenen Länder, um die Ursachen zu bekämpfen, wie in dem
Beispiel der Kooperation zwischen dem US Department of Labor (DOL)
und den Regierungen Ghanas und der Côte d’Ivoire (www.dol.gov/opa/me-
dia/press/ilab/ILAB20101285.htm), und falls ja, wie hoch sind die dafür
zur Verfügung stehenden Mittel?

Berlin, den 13. Dezember 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.