BT-Drucksache 17/4091

Vorgehen eines französischen Polizisten während des Castortransportes und Gefährdung von Menschenleben durch den Polizeieinsatz

Vom 1. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4091
17. Wahlperiode 01. 12. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Karin Binder, Kornelia Möller, Petra Pau,
Dr. Kirsten Tackmann, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Vorgehen eines französischen Polizisten während des Castortransportes und
Gefährdung von Menschenleben durch den Polizeieinsatz

Die Umstände des Einsatzes eines französischen Polizisten während des Castor-
einsatzes Anfang November 2010 erweisen sich als äußerst unklar. Der Beamte,
ein Angehöriger der Eliteeinheit CRS (Compagnies Républicaines de Sécurité),
hatte an einem Einsatz gegen Atomkraftgegner aktiv teilgenommen. Eine Foto-
strecke, die im Internet eingesehen werden kann (www.flickr.com/photos/
boeseraltermannberlin/sets), dokumentiert, wie der CRS-Angehörige einen
Demonstranten, der sich an einer Blockade des Bahngleises entlang der Castor-
strecke beteiligt hatte, in den Würgegriff nahm und gemeinsam mit einem deut-
schen Polizisten vom Gleis trug.

Die Äußerungen der Bundesregierung zu diesem Punkt sind extrem widersprüch-
lich und reichen von glatter Leugnung bis hin zur Bezeichnung als Routine.

In der Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 10. No-
vember 2010 legte die Abgeordnete Ulla Jelpke (DIE LINKE.) Fotos vor, die
den CRS-Beamten beim Einsatz im Wendland zeigten. Diese Fotos waren am
selben Tag in der Tageszeitung „junge Welt“ erschienen. Sowohl die Vertreter
des Bundesministeriums des Innern (BMI) als auch der Präsident der Bundes-
polizeidirektion äußerten, keine Kenntnis darüber zu haben, dass CRS-Beamte
im Wendland eingesetzt waren – und zwar, obwohl, wie die Bundesregierung
später mitteilte, diese Beamten von der Bundespolizei eingeladen waren. Eben-
falls am Mittwoch, dem 10. November 2010, ließ die Pressestelle des BMI ver-
lauten, es habe keine Anforderung von CRS-Beamten und demzufolge auch kei-
nen Einsatz gegeben. Dies war eine glatte Falschinformation.

Am 11. November 2010 verbreitete die Bundesregierung dann die Information,
es hätten „im Rahmen des Einsatzes der Bundesbereitschaftspolizei zwei fran-
zösische Polizeibeamte als Beobachter“ am Castoreinsatz teilgenommen. Dies
entspreche langjähriger Praxis. Aufgrund der angeblichen Gefährdung durch
Atomkraftgegner habe der Beamte Uniform und Schutzausstattung getragen.
Wozu er allerdings für eine Beobachterfunktion auch Schlagstock und Schuss-
waffe mitführte, geht aus der Stellungnahme des Bundesministeriums nicht her-
vor. Zum Einsatz sei es schließlich gekommen, weil der französische Beamte

seine deutschen Kollegen in einer „Notsituation“ unterstützt habe. Hierbei berief
sich das Bundesministerium auf Artikel 28 des Prümer Vertrages. In ihrer Ant-
wort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache
17/4013) legte die Bundesregierung dann auch noch die Artikel 24, 26, 27 und
28 des Prümer Vertrages nach. Aus Sicht der Fraktion DIE LINKE. deutet dies
darauf hin, dass sich die Bundesregierung selbst nicht darüber im Klaren ist, auf
welcher Rechtsgrundlage der Einsatz eigentlich erfolgte.

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Der Hinweis auf eine angebliche „Notsituation“ – die von der genannten Foto-
serie widerlegt wird – dient offenkundig dazu, eine Rechtsgrundlage für das
Handeln des CRS-Angehörigen zu schaffen, die sonst nicht gegeben wäre. Denn
ein Unterstützungsersuchen an die französische Polizei sowie die Einstufung des
CRS-Mannes als Hilfspolizist nach § 63 Absatz 2 i. V. m. § 64 Absatz 4 Satz 3
des Bundespolizeigesetzes ist offenbar nicht erfolgt. Merkwürdig ist auch, dass
die niedersächsische Polizeiführung über die Anwesenheit zweier CRS-Beamter
gar nicht informiert worden ist.

Offenbar war auch die französische Polizei selbst mit dem starken Interesse am
Einsatz eines ihrer Beamten in Deutschland überfordert. Das französische In-
nenministerium konnte am 12. November 2010 keine präzisen Angaben über
den CRS-Einsatz machen (laut Meldung des Nachrichtenportals „Rue 89“) und
verwies stattdessen auf Erklärungen der deutschen Regierung, die ja, wie ge-
zeigt, extrem widersprüchlich waren. Dies alles verfestigt den Eindruck der
Fraktion DIE LINKE., dass anlässlich des Castoreinsatzes unter Missachtung
von Rechtsgrundlagen ein gemeinsamer Einsatz gegen Atomkraftgegner statt-
gefunden hat.

Völlig unverhältnismäßig – neben dem massiven Einsatz von Reizmitteln – war
auch das „Herunterschießen“ eines Demonstranten, der in über vier Metern
Höhe auf einem Baum saß. Nach seinen Angaben wurde er ohne Vorwarnung
mit Reizmitteln beschossen, so dass er unkontrolliert vom Baum fiel. Aus Sicht
der Fraktion DIE LINKE. ist eine solche Maßnahme, da mit erheblichem Risiko
schwerstwiegender Verletzungen verbunden, absolut unzulässig. Der Demons-
trant hatte Glück im Unglück und erlitt „nur“ eine Brustwirbelverletzung.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher Rechtsgrundlage und zu welchem Zweck erfolgte der Einsatz
der CRS-Beamten (bitte sowohl Europarecht als auch nationale Rechtsgrund-
lagen nennen)?

2. Inwiefern wurde dabei konkret vereinbart, dass die CRS-Beamten aus-
schließlich zur Einsatzbegleitung eingesetzt werden können und keinerlei
exekutive Rechte wahrnehmen dürfen?

a) Welche Rechte und Befugnisse hatten sie konkret, und was genau war
Gegenstand ihrer Belehrung am 4. November 2010?

b) Wie lange dauerte diese Belehrung?

3. Von welcher Stelle innerhalb der Bundespolizei ging zu welchem Zeitpunkt
an welche Stelle der französischen Polizei die entsprechende Einladung bzw.
das Ersuchen?

Zu welchem Zeitpunkt bestätigte die französische Seite die Entsendung der
Beamten?

4. Wie waren die Einsatzbegleitung und die Leitung der CRS-Beamten (sowie
ggf. weiterer ausländischer Beamter) konkret geregelt?

5. Wie erklärt die Bundesregierung, dass weder Vertreter des BMI noch der
Bundespolizei in der Sitzung des Innenausschusses am 10. November 2010
bestätigen konnten, dass CRS-Beamte im Wendland waren, obwohl die Bun-
despolizei diese eingeladen hatte?

6. Warum hat das BMI noch am 10. November 2010, nachdem die Bilder bereits
in der Zeitung „junge Welt“ abgedruckt und im Innenausschuss gezeigt wor-
den waren, behauptet, es habe weder eine Anforderung noch einen Einsatz
von CRS-Beamten gegeben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4091

7. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Falschinforma-
tionen?

8. Warum hat der CRS-Beamte, obwohl er angeblich nur zur Beobachtung
hätte eingesetzt werden sollen, Schusswaffe und Schlagstock mitgeführt?

Wer hat das Führen dieser Waffen genehmigt?

9. Auf welche Informationen beruft sich die Bundesregierung bei der Be-
hauptung, der CRS-Beamte habe in einer „Notsituation“ gehandelt?

a) Wie soll die behauptete „Notsituation“ genau ausgesehen haben, und
wie lange soll sie angedauert haben?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die in das
Internet eingestellten Fotos, die dokumentieren, wie der CRS-Beamte
gegen einen Demonstranten vorgeht, der sich in keiner Weise gewalttä-
tig verhält?

10. Warum wurde die Einsatzführung, die Polizeidirektion Lüneburg, nicht
über die Anwesenheit zweier französischer Beamter unterrichtet, bzw. zu
welchem Zeitpunkt wurde sie unterrichtet?

11. Was genau war der Zweck des Besuches von Angehörigen der den nieder-
ländischen Streitkräften unterstellten Marechaussee sowie der türkischen
Polizei und der russischen Grenzpolizei?

a) Von welchen Stellen der Bundespolizei genau wurde gegenüber wel-
chen Stellen der niederländischen Marechaussee sowie der türkischen
und russischen Polizei die Einladung ausgesprochen?

b) Welche Befugnisse wurden den eingeladenen Sicherheitskräften dabei
zugesprochen, und inwiefern wurden sie hierüber belehrt?

c) An welchen Orten bzw. Befehlsstellen und Führungsstäben haben sie
sich an welchen Tagen aufgehalten?

d) Was war dabei jeweils der Zweck ihrer Anwesenheit, und welchen Nut-
zen verspricht sich die Bundespolizei hiervon?

12. Welche Hilfsleistungen im Zusammenhang mit dem Castortransport hat das
Technische Hilfswerk (THW) geleistet?

a) Inwiefern gab es Absprachen zwischen dem THW und der Bundeswehr?

b) Inwiefern gab es Absprachen zwischen dem THW und polizeilichen
Einsatzleitungen?

c) Inwiefern betrafen diese Absprachen auch Maßnahmen gegen Demons-
tranten, wie etwa das „Losschneiden“ etwaiger Blockierer auf den
Bahngleisen?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Vorfall, dass ein
Demonstrant, der in über vier Metern Höhe auf einem Baum saß, auf der
Höhe zwischen Laase und Gorleben gegen 9 Uhr von Polizisten mittels
Reizstoffen beschossen wurde und infolgedessen vom Baum stürzte?

14. Waren Angehörige der Bundespolizei an dieser Maßnahme beteiligt, und
wenn ja, von welcher Einheit?

a) Wer hat die Anordnung zum Beschuss des Demonstranten mit einem
Reizmittel erteilt?

b) Welches Reizmittel wurde hierbei konkret eingesetzt?

Drucksache 17/4091 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
c) Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Aussage des geschä-
digten Demonstranten gegenüber den Fragestellern, er habe keine Auf-
forderung zum Verlassen des Baumes erhalten, zutrifft, und wenn ja, auf
welcher Grundlage?

d) Wie ist es nach Auffassung der Bundesregierung mit dem Verhältnismä-
ßigkeitsgebot zu vereinbaren, einen unkontrollierten Absturz eines De-
monstranten aus über vier Metern Höhe zu riskieren?

e) Wie beurteilt es die Bundesregierung, dass der Demonstrant nach sei-
nem Sturz nicht an Ort und Stelle ärztlich versorgt wurde – schließlich
waren gravierende Verletzungen der Wirbelsäule nicht auszuschließen –
und dass er stattdessen angehalten wurde, sich von der Absturzstelle zu
entfernen und erst nach ungefähr 400 Metern Wegstrecke anhalten und
auf ärztliche Hilfe warten konnte?

f) Ist es aus Sicht der Bundesregierung angemessen, dass die Hinweise des
Verletzten auf seinen Absturz und das Risiko, schwer wiegende Verlet-
zungen erlitten zu haben, von den Einsatzkräften nicht mit dem Ange-
bot sofortiger ärztlicher Hilfe beantwortet wurden, sondern mit der Auf-
forderung, sich weiter zu entfernen?

Berlin, den 1. Dezember 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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