BT-Drucksache 17/4079

Überhöhte Dispositionszinsen für Verbraucherinnen und Verbraucher

Vom 1. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4079
17. Wahlperiode 01. 12. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Marianne Schieder (Schwandorf),
Kerstin Tack, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Lothar Binding
(Heidelberg), Petra Ernstberger, Martin Gerster, Iris Gleicke, Petra Hinz (Essen),
Nicolette Kressl, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Joachim Poß, Bernd Scheelen,
Manfred Zöllmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Überhöhte Dispositionszinsen für Verbraucherinnen und Verbraucher

Deutsche Kreditinstitute verlangen von ihren Kundinnen und Kunden für einge-
räumte Kontoüberziehungen nach einer Untersuchung der Stiftung Warentest
vom September 2010 im Durchschnitt 12,52 Prozent, im Einzelfall bis zu
17 Prozent Überziehungszinsen, obwohl der Leitzinssatz der Europäischen Zen-
tralbank (EZB) als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 7. Mai 2009 un-
verändert bei 1 Prozent steht. Kreditinstitute refinanzieren sich zu einem Groß-
teil über die EZB oder über den Kapitalmarkt. Dennoch haben sie die Leitzins-
senkung der EZB nicht an ihre Kundinnen und Kunden weitergegeben.

Eine Obergrenze für die Zinssätze bei Kontoüberziehungen gibt es in Deutsch-
land nicht. Zwar hat der Gesetzgeber die Kreditinstitute mit der Umsetzung der
europäischen Verbraucherkreditrichtlinie ab 11. Juni 2010 verpflichtet, ihre Dis-
positionszinsen an einen Referenzzinssatz zu koppeln. Die Institute können
diese Zinssätze damit nicht mehr willkürlich einseitig erhöhen. Da das Zins-
niveau aber derzeit historisch niedrig ist, ist bei steigenden Referenzzinsen ein
weiterer Anstieg der Zinssätze für Kontoüberziehungen möglich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Untersuchung
der Stiftung Warentest (Zeitschrift Finanztest, Ausgabe 10/2010), wonach
deutsche Kreditinstitute bis zu 17 Prozent Zinsen für eingeräumte Konto-
überziehungen verlangen, während der Leitzinssatz der EZB seit 7. Mai 2009
bei 1 Prozent steht?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Gewinnmarge der
deutschen Kreditinstitute im Bereich der Überziehungszinsen im Zeitraum
2003 bis 2005 durchschnittlich 7,79 Prozent betrug, während sie inzwischen
bei durchschnittlich 10,25 Prozent liegt (Hamburger Abendblatt vom 21. Juni
2010)?
3. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass nach Berechnungen der
Verbraucherzentrale Bremen der Drei-Monats-Euribor seit Oktober 2008 um
4,4 Prozentpunkte gefallen ist, während die Zinssätze für Kontoüberziehun-
gen in diesem Zeitraum nur durchschnittlich um 1,7 Prozentpunkte sanken?

Drucksache 17/4079 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Liegen der Bundesregierung eigene Informationen über die durchschnitt-
liche Höhe der Zinssätze deutscher Kreditinstitute für eingeräumte und nur
geduldete Kontoüberziehungen vor, und wenn nein, plant die Bundesregie-
rung entsprechende Erhebungen?

5. Wie hoch ist das Kreditvolumen durch Kontoüberziehungen in Deutschland
(Angaben bitte nach Institutsgruppen und innerhalb dieser nach eingeräum-
ten und geduldeten Überziehungen aufschlüsseln)?

6. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die jährlichen Einnahmen der deut-
schen Kreditinstitute aus Überziehungskrediten (Angaben bitte nach Insti-
tutsgruppen und innerhalb dieser nach eingeräumten und geduldeten Über-
ziehungen aufschlüsseln)?

7. Wie hat sich der Unterschied zwischen 3-Monats-Geldzinssätzen (Euribor)
einerseits und dem durchschnittlich für eingeräumte Überziehungen ver-
langten Zinssatz in Deutschland längerfristig entwickelt (Angaben bitte ab
1990 nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?

8. Wie hat sich seit Ausbruch der Finanzkrise im Oktober 2008 der Unter-
schied zwischen dem Referenzzinssatz der EZB und den durchschnittlich
für eingeräumte Überziehungen verlangten Zinssätzen im Euroraum ent-
wickelt (Angaben bitte nach Staaten einzeln aufschlüsseln)?

9. Welche durchschnittlichen Zinssätze für Kontoüberziehungen werden im
Euroraum von den Kreditinstituten verlangt (Angaben bitte nach Staaten
– jeweils für eingeräumte und geduldete Überziehungen – einzeln auf-
schlüsseln)?

10. In welchen Staaten des Euroraumes existieren gesetzliche Regelungen zur
Begrenzung der Zinssätze oder der Gewinnmargen bei Kontoüberziehungen
(Angaben bitte nach Staaten und unter Darstellung des Inhalts der gesetz-
lichen Regelungen einzeln aufschlüsseln)?

11. Wie hoch sind die Ausfallquoten bei eingeräumten und geduldeten Überzie-
hungskrediten?

12. Welche gesetzlichen Regelungen verpflichten die deutschen Kreditinstitute
zur Unterlegung der Dispositionskredite mit Eigenkapital?

13. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Höhe und Ent-
wicklung der Nettoverdienstmargen bei Überziehungskrediten vor?

14. Ab welcher Größenordnung der Nettoverdienstmarge würde die Bundes-
regierung annehmen, dass der Wettbewerb im Markt für eingeräumte und
geduldete Kontoüberziehungen nur unzureichend funktioniert?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Praxistauglichkeit der Zinskopplung
an einen Referenzwert durch das seit 11. Juni 2010 geltende Gesetz zur Um-
setzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zah-
lungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das
Widerrufs- und Rückgaberecht, und sieht sie hier gesetzlichen Nachbesse-
rungsbedarf?

16. Wann will die Bundesregierung die von der Bundesministerin für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, angekündigte
Studie (Handelsblatt vom 15. September 2010) zu den überhöhten Disposi-
tionszinsen bei deutschen Kreditinstituten in Auftrag geben?

17. Plant die Bundesregierung, den Untersuchungsgegenstand der Studie über
das Zinsanpassungsverhalten der deutschen Kreditinstitute hinaus auch auf
das Niveau der Zinssätze auszudehnen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4079

18. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Urteilen des
Bundesgerichtshofs (Urteile vom 21. April 2009 – XI ZR 55/08 und 78/08),
wonach einseitige Zinsanpassungsklauseln zugunsten der Kreditinstitute
eine unangemessene Benachteiligung der Kunden darstellen?

19. Wie bewertet die Bundesregierung das Anpassungsverhalten der Kredit-
institute im Hinblick auf die Urteile des Bundesgerichtshofs (Urteile vom
21. April 2009 – XI ZR 55/08 und 78/08) seit Ausbruch der Finanz- und
Wirtschaftskrise im Oktober 2008?

20. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des
Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main (Urteil vom 4. August 2010 – 23 U
157/09) gegen die sich teilweise in Staatseigentum befindliche Commerzbank
AG, wonach eine zusätzliche Gebühr von 5 Euro pro Überweisungsvorgang bei
Überziehung des Dispositionskredits nicht zulässig ist?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung die Umsetzung der Selbstverpflichtung
der deutschen Kreditwirtschaft vom 1. September 2009, den Privatkunden
bessere Konditionen bei Dispositionskrediten anzubieten?

22. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des Vorsitzenden des Vor-
standes der Postbank AG, Stefan Jütte (BILD vom 19. Juni 2010), „neben
den Kundeneinlagen verdienen wir an den Überziehungszinsen der Kun-
den“?

23. Wie bewertet die Bundesregierung den einstimmig gefassten Beschluss der
Verbraucherschutzministerkonferenz vom 17. September 2010 in Potsdam,
mit dem die Finanzwirtschaft aufgefordert wurde, die Zinssätze für Dis-
positions- und Überziehungskredite im Interesse eines besseren Kunden-
schutzes am Basiszinssatz zu orientieren?

24. Wie reagiert die Bundesregierung auf den einstimmig gefassten Beschluss
der Verbraucherschutzministerkonferenz vom 17. September 2010, mit dem
die Bundesregierung aufgefordert wurde zu prüfen, ob das Bundeskartell-
amt nach geltender Rechtslage gegenüber den Kreditinstituten hinsichtlich
der Anpassung der Zinssätze für Dispositions- und Überziehungskredite tä-
tig werden kann, und andernfalls eine entsprechende Rechtsänderung vor-
zuschlagen?

25. Ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nach Ansicht der
Bundesregierung aufsichtsrechtlich zuständig für die Zinsgestaltung bei
Überziehungskrediten, und wenn nein, warum nicht?

26. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass Erträge aus Über-
ziehungskrediten für eine Quersubventionierung von Leistungen der Giro-
kontoführung genutzt werden (vgl. Rede der Parlamentarischen Staats-
sekretärin bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, Julia Klöckner, Plenarprotokoll 17/62 des Deutschen
Bundestages vom 30. September 2010, S. 6489)?

27. Welche Zinshöhe hält die Bundesregierung für eingeräumte und geduldete
Kontoüberziehungen für angemessen?

28. Plant die Bundesregierung eine auf den Referenzzinssatz bezugnehmende
gesetzliche Zinsobergrenze für Dispositionskredite, und wenn nein, was
spricht gegen eine solche gesetzliche Regelung?

29. Plant die Bundesregierung nach dem Vorbild der Regelung über Verzugs-
zinsen im Bürgerlichen Gesetzbuch eine gesetzliche Deckelung des Zinssat-
zes für eingeräumte Dispositionskredite auf maximal 5 Prozentpunkte über
dem Basiszinssatz und für geduldete Dispositionskredite auf maximal

8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, und wenn nein, was spricht gegen
eine solche gesetzliche Regelung?

Drucksache 17/4079 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
30. Plant die Bundesregierung eine gesetzliche Begrenzung der Gewinnmarge
zwischen den Überziehungs- und den Refinanzierungszinsen (z. B. EZB-
Leitzinssatz, Euribor, Libor, Eonia) der Kreditinstitute, und wenn nein, was
spricht gegen eine solche gesetzliche Regelung?

31. Plant die Bundesregierung weitere Maßnahmen, um eine größere Preis-
transparenz bei Dispositionskrediten zu erreichen, und wenn nein, warum
nicht?

Berlin, den 1. Dezember 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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