BT-Drucksache 17/3996

Klare Perspektiven für Kommunen - Gewerbesteuer stärken

Vom 1. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3996
17. Wahlperiode 01. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Bernd Scheelen, Nicolette Kressl, Joachim Poß, Ingrid
Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Lothar Binding (Heidelberg),
Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Petra Ernstberger, Martin Gerster, Iris Gleicke,
Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Ute Kumpf, Caren Marks, Thomas
Oppermann, Dr. Carsten Sieling, Manfred Zöllmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Klare Perspektiven für Kommunen – Gewerbesteuer stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bürgerinnen und Bürger brauchen handlungsfähige Städte, Gemeinden und
Kreise. Nur wenn die Kommunen ihre Handlungsfähigkeit bewahren, können
sie ihre vielfältigen Leistungen der Daseinsvorsorge erbringen und eine mo-
derne Infrastruktur bereitstellen. Voraussetzung dafür ist vor allem eine aufga-
bengerechte und stabile Finanzausstattung.

Innerhalb der kommunalen Einnahmen ist die Gewerbesteuer die wichtigste
Einzelsteuer. Im Zeitraum von 1995 bis 2007 ist ihr Anteil von 10,8 Prozent auf
17,9 Prozent gestiegen. Die Gewerbesteuer ist im Trend jährlich um 4,7 Prozent
gewachsen (Deutscher Städtetag, Die Gewerbesteuer- eine gute Gemeinde-
steuer, Juli 2010). Damit weist die Gewerbesteuer eine Wachstumsdynamik auf,
die weit über der der übrigen lohn- und ertragsabhängigen Steuern (Einkom-
mensteuer, Körperschaftsteuer) liegt. Ihre Entwicklung ist zwar konjunkturab-
hängig – dies gilt aber auch für die Einkommensteuer und in noch stärkerem
Maße für die Körperschaftsteuer. Nach den Ergebnissen der Steuerschätzung
vom November 2010 wird die Gewerbesteuer auch künftig hohe Zuwächse auf-
weisen. Außerdem erfüllt die Gewerbesteuer die verfassungsrechtlichen Vorga-
ben der kommunalen Selbstverwaltung. Als eigene wirtschaftskraftsbezogene
Steuerquelle mit Hebesetz ist sie besonders geeignet, um die finanzielle Eigen-
verantwortung der Kommunen sicherzustellen.

Bei der Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung kommt somit der Wei-
terentwicklung der Gewerbesteuer eine zentrale Bedeutung zu. Mit der Verbrei-
terung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer im Rahmen der Unterneh-
mensteuerreform 2008 wurde ein wichtiger Beitrag zur Verstetigung der Ein-

nahmen aus der Gewerbesteuer geleistet. Dies wurde durch die Erweiterung der
gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen auf sämtliche Zinsen und die Finanzie-
rungsanteile von Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren erreicht.
Die Erweiterung der Hinzurechnungen sichert außerdem über die Gewerbe-
steuer hinaus auch die Einnahmen der ertragsabhängigen Gewinnsteuern. Sie
macht insbesondere Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerländer unattraktiv,
bei denen deutsche Firmen zu versteuernde Unternehmensgewinne zielgerichtet

Drucksache 17/3996 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

in unangemessen hohe Zahlungen von Zinsen, Mieten, Leasingraten oder Li-
zenzgebühren an ihre ausländischen Konzernmütter umgewandelt haben.

Es ist deshalb zu begrüßen, dass die kommunalen Spitzenverbände mit ihrem
Kommunalmodell diese Strategie des Ausbaus und der Stabilisierung der Ge-
werbesteuer fortsetzen. Das Kommunalmodell sieht eine zusätzliche Verbrei-
tung der Bemessungsgrundlage durch eine nochmalige Erweiterung der Hinzu-
rechnungen und durch eine Einbeziehung von Selbständigen und Freiberuflern
in die Gewerbesteuerpflicht vor. Für die Angehörigen der freien Berufe führt
dies zu keiner unzumutbaren Mehrbelastung, da sie ihre Gewerbesteuerzahlun-
gen grundsätzlich mit ihrer Einkommensteuerschuld verrechnen können.

Die Einwände gegen einen Ausbau und die Stabilisierung der Gewerbesteuer er-
weisen sich bei näherer Betrachtung als interessengeleitet. Die überwiegende
Zahl der mittelständischen Betriebe sind wegen des Freibetrages in Höhe von
100 000 Euro von Hinzurechnungen überhaupt nicht betroffen. Die Gewerbe-
steuer stellt auch keinen deutschen Standortnachteil dar. Die Steuerbelastung
durch die Gewerbesteuer darf nicht isoliert, sondern muss im Zusammenhang
mit der Gesamtsteuerbelastung bewertet werden. Bei der Gesamtsteuerbelastung
von Unternehmen belegt Deutschland im Vergleich der Industrieländer einen
mittleren Platz. Kombinationen von ertragsabhängigen und ertragsunabhängi-
gen Steuern sind auch in anderen Ländern üblich (Bundesministerium der Finan-
zen, Monatsbericht Januar 2009, S. 67 ff.). Die Gewerbesteuer als Realsteuer
stellt schließlich, anders als die Körperschaftsteuer oder die Einkommensteuer,
auch eine gruppenbezogene Gegenleistung für die Nutzung der kommunalen
Infrastruktur durch das Unternehmen dar. Die Erhebung der Gewerbesteuer ist
somit eine wichtige Voraussetzung für die Bereitstellung einer leistungsfähigen
wirtschaftsbezogenen Infrastruktur.

Die Bundesregierung hat sich trotz anderslautender Ankündigungen der Bun-
deskanzlerin im Wahlkampf die Abschaffung der Gewerbesteuer zum Ziel
gesetzt. Gleich nach ihrem Amtsantritt hat sie begonnen, die Gewerbesteuer aus-
zuhöhlen: Die Hinzurechnung von Mieten und Pachten wurde herabgesetzt, das
Gewerbesteuerprivileg für Leasing- und Factoringunternehmen wurde erweitert
und die Steuergestaltungen bei konzerninternen Verlagerungen von Wirtschafts-
gütern ins Ausland (sog. Funktionsverlagerungen) wurden wieder erleichtert.

Im Rahmen der von ihr eingesetzten Gemeindefinanzkommission wollte sie zu-
nächst die Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und
einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer er-
setzen. Nachdem dieser Versuch am entschiedenen Widerstand der Kommunen
gescheitert ist, gab der Bundesminister der Finanzen die Zusage, dass die Ge-
werbesteuer erhalten bleiben soll. Das Angebot des Erhalts der Gewerbesteuer
verband er allerdings mit der Einführung eines kommunalen Hebesatzrechtes
bei der Einkommensteuer. Ein solches Hebesatzrecht wäre aber vor allem für
strukturschwache Kommunen nachteilig, da sie ihren Bürgern eine höhere Ein-
kommensteuerbelastung als im Durchschnitt zumuten müssten. Die Zusage des
Gewerbesteuererhalts wurde durch den Koalitionsausschuss am 18. November
2010 wieder zurückgenommen. Die Bundesregierung wird nun doch Möglich-
keiten zur Einschränkung der gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen prüfen.
Eine besondere Dreistigkeit stellt die von einzelnen Koalitionsvertretern erho-
bene Forderung dar, bei dem in Aussicht gestellten kommunalen Hebesatzrecht
bei der Einkommensteuer nur Abschläge gegenüber dem geltenden Einkom-
mensteueranteil der Kommunen zuzulassen. Dieser Zickzackkurs ist auf die
innere Zerstrittenheit von Bundesregierung und der Regierungsparteien über die
Gewerbesteuer und ihre Orientierungslosigkeit bei der Reform der kommunalen
Finanzen zurückzuführen. Die Kommunen brauchen aber klare und verlässliche

Entscheidungen zur Verbesserung ihrer Finanzausstattung.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3996

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

– die den kommunalen Spitzenverbänden durch die Bundeskanzlerin und den
Bundesminister der Finanzen gemachten Zusagen einzuhalten, dass die Ge-
werbesteuer erhalten bleibt;

– alle weiteren Maßnahmen zur Aushöhlung der Gewerbesteuer durch eine
Schmälerung der Bemessungsgrundlage zu unterlassen;

– die finanziellen Auswirkungen des von den kommunalen Spitzenverbänden
vorgeschlagenen Kommunalmodells (Erweiterung der Hinzurechnungen und
Einbeziehung der Selbständigen und freien Berufe in die Gewerbesteuer-
pflicht) zur Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zeitnah zu berechnen und
dem Deutschen Bundestag zu berichten;

– die Beratungen der Gemeindefinanzkommission auf der Grundlage des
Kommunalmodells fortzusetzen und zügig zu einem Abschluss zu führen,
damit die Kommunen Planungssicherheit über ihre Finanzausstattung be-
kommen;

– auf die Einführung eines kommunalen Hebesatzrechtes bei der Einkommen-
steuer zu verzichten;

– die Kommunen von Ausgaben für die soziale Sicherung, insbesondere die
Grundsicherung im Alter, zu entlasten und dies nicht von Änderungen bei der
Gewerbesteuer und/oder der Einkommensteuer abhängig zu machen.

Berlin, den 30. November 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.