BT-Drucksache 17/3864

Überprüfung und Neuordnung der Forschungsfinanzierung - Transparente und verbindliche Verfahren sicherstellen - Wissenschaftsgerechte Strukturen weiterentwickeln

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3864
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Krista Sager, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Priska
Hinz (Herborn), Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Überprüfung und Neuordnung der Forschungsfinanzierung – Transparente und
verbindliche Verfahren sicherstellen – Wissenschaftsgerechte Strukturen
weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Finanzierungsbedingungen der öffentlichen Forschungseinrichtungen in
Deutschland klaffen immer stärker auseinander. Die außeruniversitären For-
schungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft erhielten im
Rahmen des Bund-Länder-Paktes für Forschung und Innovation in den ver-
gangenen Jahren garantierte Aufwüchse und langfristige Planungssicherheit.
Dem gegenüber steht die von den Bundesländern zu leistende Grundfinanzie-
rung der Hochschulen für Forschung und Lehre angesichts weggebrochener
Steuereinnahmen und der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse zunehmend
unter dem Druck klammer Länderhaushalte. Trotz wachsender Aufgaben für die
Hochschulen kürzen einige Bundesländer wie Bayern, Hessen und Thüringen
bereits bei der Grundfinanzierung. Gleichzeitig wächst der Finanzierungsanteil,
den die Länder als Komplementärmittel im Rahmen der von Bund und Ländern
gemeinsam getragenen Forschungsfinanzierung aufbringen müssen.

Drittmittelprojekte wie die Exzellenzinitiative können die fehlenden Grund-
mittel der Hochschulen nicht kompensieren. Wettbewerblich vergebene Dritt-
mittel verteilen sich ungleichmäßig und diskontinuierlich auf die Disziplinen,
die Regionen und die Einrichtungen vor Ort. Als leistungsorientierte Ergän-
zung können sie die Grundmittel nicht ersetzen. Der steigende Drittmittelanteil
führt auch dazu, dass ein immer größerer Anteil des wissenschaftlichen Perso-
nals aus Drittmitteln finanziert und befristet beschäftigt wird. Zusammen mit
sinkenden Mitteln für die Grundfinanzierung verschärft sich insgesamt die Ten-
denz zur befristeten, prekären und Teilzeitbeschäftigung an den Hochschulen.
Dies gefährdet angesichts des demografischen Wandels zunehmend die Wett-
bewerbsfähigkeit des Berufsfeldes Wissenschaft insgesamt.

Naturgemäß partizipieren die Länder selbst sehr unterschiedlich an der gemein-
samen Forschungsförderung: Die Mittel werden nicht nur zum Teil kompetitiv
vergeben. Die gemeinsam finanzierten Forschungseinrichtungen sind auch regi-
onal sehr unterschiedlich verteilt und der Bundesanteil an der Mitfinanzierung
ist bei den verschiedenen Forschungsgemeinschaften unterschiedlich hoch.
Angesichts der wachsenden Länderanteile an der gemeinsamen Forschungs-
finanzierung und der Probleme der Länder, ihre eigenen Hochschulen adäquat
auszustatten, drängen auf Länderseite zunehmend rein finanzpolitisch moti-

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vierte Überlegungen in den Vordergrund, wie eine stärkere Partizipation des
jeweiligen Landes an der Bundesmitfinanzierung zu erreichen sei. Befördert
wird diese Dynamik durch politisch motivierte Koppelgeschäfte des Bundes, wie
den Wechsel des Kieler Forschungsinstituts IFM-GEOMAR von der Leibniz- zur
Helmholtz-Gemeinschaft, um den Finanzanteil des Bundes von 50 auf 90 Prozent
zu erhöhen. Dafür sollte offenkundig die Zustimmung Schleswig-Holsteins zum
Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundesrat honoriert und die in diesem
Bundesland selbst entstehenden Steuerausfälle ausgeglichen werden.

Bei der Ablösung wissenschaftsgeleiteter transparenter Verfahren und Ver-
einbarungen durch finanz- und machtpolitische Überlegungen und Manöver
droht die gesamte wissenschaftsorientierte Struktur der bisherigen Bund-
Länder-Forschungsfinanzierung zum Schaden des gesamten Wissenschafts-
und Forschungssystems ins Trudeln zu geraten.

Die weitere Entwicklung der Forschungsfinanzierung und des Wissenschafts-
systems darf nicht der derzeitigen Eigendynamik und den jeweiligen Eigen-
interessen der Akteure überlassen bleiben. Die Frage, ob die Finanzierungs-
strukturen des Forschungssystems noch zeit- und aufgabengerecht sind und
wie diese wissenschaftsgeleitet weiterzuentwickeln sind, muss in einem trans-
parenten, zeitlich begrenzten Verfahren unter Beteiligung von Wissenschaft
und Politik, Bund und Ländern bearbeitet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf, dafür
Sorge zu tragen,

1. dass bei Strukturveränderungen im Rahmen der gemeinsamen For-
schungsförderung von Bund und Ländern sowie bei dem Wechsel von
Forschungseinrichtungen zwischen den verschiedenen Forschungsorga-
nisationen transparente, verbindliche und strikt wissenschaftsgeleitete
Verfahren angewandt und eingehalten werden;

2. dass eine zeitlich befristete Strategiearbeitsgruppe eingerichtet wird unter
Beteiligung des Wissenschaftsrats, von Vertreterinnen und Vertretern der
Wissenschaftsorganisationen, nationaler und internationaler Expertinnen
und Experten aus der Wissenschaft, insbesondere aus der Wissenschafts-
und Hochschulforschung, Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen
Bundestages, der Bundesregierung und der Länder – wobei die Vertrete-
rinnen und Vertreter aus der Wissenschaft die Mehrheit stellen sollen.

Diese Strategiearbeitsgruppe soll Vorschläge machen

● für die Weiterentwicklung der bisherigen Strukturen der Forschungs-
finanzierung in Deutschland. Dabei sind die bisherigen Modalitäten der
Forschungsfinanzierung daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie noch
ziel- und aufgabengerecht sind, ob sie der jeweiligen Mission der ver-
schiedenen Forschungsorganisationen und ihrer Einrichtungen entspre-
chen oder ob diese Missionen neu bestimmt werden müssen;

● wie Fehlanreize, Fehlallokationen und ungewollte Verteilungswirkungen
vermieden werden können;

● wie zukünftig auch die grundständigen Daueraufgaben der Hochschulen
in Forschung und Lehre mittelfristig besser abgesichert werden können;

● für die aufgabenadäquate Weiterentwicklung der Finanzierungsstrukturen
für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, wobei einer Versäu-
lung des Wissenschaftssystems entgegengewirkt und Kooperationen auch
nach dem Auslaufen der Exzellenzinitiative befördert werden sollen.

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Ziel muss es gleichzeitig sein, die wissenschaftsgeleitete nachhaltige Finan-
zierung des Wissenschafts- und Forschungssystems langfristig zu sichern
und rein finanzpolitisch motivierten Geschäften zwischen Bund und Län-
dern zulasten der Verlässlichkeit des Gesamtsystems einen Riegel vorzu-
schieben.

Berlin, den 22. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Mit dem Pakt für Forschung und Innovation und den darin garantierten Auf-
wüchsen haben die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) langfristige Planungssicherheit erhal-
ten. Die öffentlichen Mittel stiegen von 2006 bis 2010 um mindestens 3 Prozent
pro Jahr. Von 2011 bis 2015 werden sie jährlich sogar um mindestens 5 Prozent
steigen.

Die von den Ländern zu leistende Grundfinanzierung der Hochschulen für
Forschung und Lehre steht dagegen zunehmend unter dem Druck klammer
Länderhaushalte. Nachdem die Finanz- und Wirtschaftskrise bereits zu erheb-
lichen Einbrüchen im Steueraufkommen geführt hat, entzieht die verfehlte
Steuerpolitik der Bundesregierung den Ländern und Kommunen zusätzliche
Mittel. Allein das Wachstumsbeschleunigungsgesetz reißt in die Länderhaus-
halte von 2010 bis 2014 eine Lücke von 10,5 Mrd. Euro. Durch die ver-
fassungsrechtliche Schuldenbremse erhöht sich der Spardruck auf die Länder
weiter. Trotz steigender Kosten und wachsender Aufgaben für die Hochschulen
stagniert die Grundfinanzierung in vielen Bundesländern; einzelne Bundes-
länder beginnen sogar die Grundfinanzierung zu kürzen.

Die Zuwächse bei den öffentlichen Drittmitteln, die durch die Deutschen For-
schungsgemeinschaft und im Rahmen der Exzellenzinitiative vergeben werden,
können die fehlenden Grundmittel der Hochschulen jedoch nicht oder nur
unzureichend kompensieren. Diese Drittmittel werden kompetitiv vergeben
und begünstigen Universitäten in den Bundesländern, die in der Vergangenheit
stärker in die Forschung und weniger in die Lehre und den Ausbau von Stu-
dienplätzen investiert haben. Bei dieser wettbewerblichen Vergabe kommt es
zwangsläufig zu sehr unterschiedlichen regionalen, lokalen und disziplinären
Verteilungswirkungen. Schließlich sind diese öffentlichen Drittmittel als leis-
tungsorientierte Ergänzung, aber nicht als Ersatz für eine wegbrechende Grund-
finanzierung gedacht. Komplett außen vor bleiben die Fachhochschulen, da sie
in der Exzellenzinitiative nicht antragsberechtigt sind und wegen ihrer Ausrich-
tung auf die Anwendungsforschung auch an den DFG-Mitteln fast gar nicht
partizipieren. Der steigende Anteil von Drittmitteln führt auch dazu, dass ein
immer größerer Anteil des wissenschaftlichen Personals aus Drittmitteln finan-
ziert und nur in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt wird.

Während die Bundesländer zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre Hoch-
schulen aufgabengerecht auszustatten, wachsen zugleich ihre Verpflichtungen
bei der Mitfinanzierung des Paktes für Forschung und Innovation und der ande-
ren Wissenschaftspakte. Allein die Aufwüchse im Pakt für Forschung und Inno-
vation in Höhe von 5 Prozent pro Jahr von 2011 bis 2015 erfordern von den
Ländern mindestens 1,6 Mrd. Euro an zusätzlichen Komplementärmitteln.

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Diese Mehrkosten erschweren die aufgabengerechte Anpassung der Grund-
finanzierung im Rahmen der Wissenschaftsbudgets.

Aber auch Ad-hoc-Vereinbarungen im Vermittlungsausschuss wie die indirekte
Teilkompensation der Mehrkosten der BAföG-Erhöhung durch die Gewährung
einer Overheadkostenpauschale bei den Projektmitteln des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF) schränken den Handlungsspielraum der
Länder weiter ein und führen zu Verwerfungen. Bezogen auf die heutigen Stu-
dierendenzahlen kommen durch die BAföG-Erhöhung auf die Länder Mehr-
kosten in Höhe von 173 Mio. Euro pro Jahr zu. Hingegen bringt die Kostenpau-
schale in der Projektförderung zurzeit nur rund 136 Mio. Euro als Kompensa-
tion. Diese Schere dürfte noch weiter auseinandergehen, sobald stärker als bis-
her wirksame politische Schritte für eine soziale Öffnung der Hochschulen
eingeleitet werden.

So wünschenswert die Berücksichtigung der Overheadkosten bei der Projekt-
förderung des Bundes prinzipiell ist, darf nicht übersehen werden, dass die zur
Teilkompensation der BAföG-Kosten gedachten Bundesmittel nicht den
Ländern zufließen. Insbesondere profitieren auch hier die forschungsstarken
Universitäten, deren eingeworbene Drittmittel dadurch aufgestockt werden.
Länder und Hochschulen, die zwar viele Studierende, aber keine oder wenige
BMBF-Projekte haben, sind dem gegenüber im Nachteil. Zu befürchten ist,
dass einige Länder zumindest mittelfristig auch bei den Grundmitteln im Hoch-
schulbereich kürzen, um so die höheren BAföG-Kosten zu finanzieren. Belohnt
werden durch dieses Vermittlungsergebnis also alle Länder und Hochschulen,
die die Lehre und die Schaffung zusätzlicher Studienplätze zugunsten der
Hochschulforschung zurückstellen.

Angesichts der wachsenden Beiträge der Bundesländer zu den gemeinsam
finanzierten Forschungsaufgaben richtet sich die politische Aufmerksamkeit
verstärkt auf die Frage, in welcher Weise die einzelnen Länder von der gemein-
samen Forschungsfinanzierung profitieren. Finanzpolitische Überlegungen ge-
winnen dabei gegenüber bisherigen wissenschaftsgeleiteten Vereinbarungen
zunehmend an Gewicht. In den Vordergrund drängen vor allem Überlegungen,
mit welchen Verschiebungen und Veränderungen das jeweilige Bundesland
stärker an der gemeinsamen Forschungsfinanzierung, insbesondere an den
Bundesmitteln partizipieren kann. Maßgeblich befördert wurde diese Dynamik
durch den Wechsel des Forschungsinstituts IFM-GEOMAR von der Leibniz-
Gemeinschaft zur Helmholtz-Gemeinschaft sowie durch die Verschmelzung
der Universität Karlsruhe mit dem Forschungszentrum Karlsruhe zum KIT
(Karlsruher Institut für Technologie).

Das Beispiel des IFM-GEOMAR zeigt, wie der Bund mit inoffiziellen Kompen-
sationsgeschäften, die das Wohlverhalten einzelner Bundesländer im Bundesrat
belohnen, die gesamte Struktur der gemeinsamen Bund-Länder-Forschungs-
finanzierung aushöhlt. Am 8. Juli 2010 kündigten in einer Pressekonferenz der
Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Peter Harry Carstensen, der Wissen-
schaftsminister von Schleswig-Holstein Jost de Jager und die Bundesministerin
für Bildung und Forschung Dr. Annette Schavan an, das Leibniz-Institut für
Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-GEOMAR) aus der Leibniz-
Gemeinschaft herauszulösen und in die Helmholtz-Gemeinschaft zu überführen.
Mit der Leibniz-Gemeinschaft hat es zu diesen Plänen im Vorfeld keinerlei
Abstimmung gegeben. Der Wissenschaftsrat, der in der Vergangenheit Empfeh-
lungen zum Wechsel von Forschungseinrichtungen gegeben hat, war bis zur
Pressekonferenz nicht involviert. Auch das Institut IFM-GEOMAR war weder
über den Zeitpunkt noch über den Inhalt der Pressekonferenz im Vorhinein
informiert worden.

Eine wissenschaftspolitische Begründung für den Wechsel gibt es bis heute
nicht. Vielmehr wird sogar die bewährte regionale Zusammenarbeit mit der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3864

Universität Kiel und anderen Instituten aufs Spiel gesetzt. Der Wechsel des
Instituts verfolgt offenbar vorrangig das Ziel, den Finanzierungsanteil des
Bundes von 50 auf 90 Prozent zu erhöhen, um auf diese Weise zusätzliche
Bundesmittel nach Schleswig-Holstein zu transferieren und so die Zustimmung
Schleswig-Holsteins zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Dezember letz-
ten Jahres zu kompensieren. Mit den zusätzlichen Bundesmitteln soll der
Landeshaushalt soweit entlastet werden, dass die von der schleswig-holsteini-
schen Landesregierung im Rahmen ihres Sparpakets bereits angekündigte
Schließung der medizinischen Fakultät an der Universität Lübeck verhindert
wird. Die Signalwirkung dieses Manövers für andere Bundesländer und die Zu-
kunft der Forschungsfinanzierung in Deutschland wird von der Bundesregie-
rung offenkundig ignoriert.

Von erheblicher Sprengkraft für die Zukunft der gemeinschaftlichen For-
schungsfinanzierung sind die Versuche der Verschmelzung von Universitäten
mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie dies mit dem KIT (Karls-
ruher Institut für Technologie aus der Universität Karlsruhe und dem For-
schungszentrum Karlsruhe) und dem JARA (Jülich Aachen Research Alliance
aus RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich) bereits eingeleitet
wurde. Die stärkere Vernetzung lokal vorhandener Exzellenz, das Aufbrechen
der Versäulung des deutschen Wissenschaftssystems, gemeinsame Berufungen,
die Einrichtung gemeinsamer Graduiertenkollegs und die Clusterbildung im
Forschungsbereich sind positiv zu beurteilen und sind mit der Exzellenzinitia-
tive explizit beabsichtigt. Wenn über die wünschenswerte Kooperation hinaus
aber die Grenzen zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungs-
einrichtungen verwischt werden, hat dies nicht nur unzweifelhaft Auswirkungen
auf die Identität und Mission der jeweiligen betroffenen Forschungsgemein-
schaften und -organisationen. Es wird vor allem auch in den Bundesländern eine
Dynamik in Gang gesetzt, Probleme bei der Grundfinanzierung der Hoch-
schulen durch solche Verschmelzungen kompensieren zu wollen. Forschungs-
einrichtungen und Forschungsorganisationen würden zunehmend zum Spielball
rein fiskalischer Interessen werden.

Der 90-Prozent-Anteil der Bundesfinanzierung an den Forschungszentren der
Helmholtz-Gemeinschaft ist keine Zufälligkeit, sondern der spezifischen
bundesweiten und internationalen Mission der Helmholtz-Zentren im deutschen
Wissenschaftssystem geschuldet. Das Sitzland finanziert nur zehn Prozent der
Kosten, weil es bei den Helmholtz-Zentren nur nachrangig um regionale und
lokale Standortinteressen geht. Wenn ein überwiegend vom Bund finanziertes
Helmholtz-Zentrum nun mit einer lokalen Universität fusioniert, treten damit
fraglos regionale Interessen stärker in den Vordergrund und der Bundes-
finanzierungsanteil von 90 Prozent gerät damit unter Rechtfertigungsdruck. Im
gleichen Maße wird die Begründung für die geringeren Bundesfinanzierungs-
anteile bei den Leibniz-, Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten in Frage ge-
stellt.

Die Beispiele IFM-GEOMAR und KIT haben erkennbar in vielen Bundes-
ländern eine Dynamik in Gang gesetzt, nach ähnlichen Modellen zu suchen, um
in stärkerem Maße an Bundesmittel zu kommen und gegebenenfalls Landes-
mittel zu kompensieren. In einzelnen Bundesländern gibt es an den Universitä-
ten bereits Überlegungen, Leibniz-Institute mit den Universitäten zu fusionie-
ren, um mittelfristig die Finanzmittel für die Forschungseinrichtung in die
Grundfinanzierung der Universität zu überführen.

Die Bundesregierung muss aufhören, durch bilaterale Kompensationsgeschäfte
aktiv dazu beizutragen, die missionsorientierten Strukturen der Bund-Länder-
Forschungsfinanzierung zum Schaden des gesamten Wissenschafts- und For-
schungssystems weiter ins Trudeln zu bringen. Sie muss davon Abstand neh-
men, durch Ad-hoc-Vereinbarungen im Vermittlungsausschuss Fehlanreize und

Drucksache 17/3864 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Fehlallokationen in der Forschungs- und Wissenschaftsförderung in Kauf zu
nehmen, und sie muss ihrer Verantwortung für das Wissenschaftssystem gerecht
werden, indem sie Versuche der Verschmelzung von Hochschulen und außer-
universitären gemeinschaftlich finanzierten Forschungseinrichtungen nicht
mehr nur passiv beobachtet oder sogar ohne Rücksicht auf die Gesamtstruktur
der Forschungsfinanzierung aktiv unterstützt.

Vielmehr ist es dringend erforderlich, die Entwicklungen in ihren Auswirkun-
gen auf das gesamte Wissenschaftssystem zu reflektieren, die Finanzierungs-
modalitäten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der Hoch-
schulen zu überprüfen und ein transparentes wissenschaftsgeleitetes Verfahren
für die Zuordnung und Finanzierung von Forschungseinrichtungen festzulegen
und einzuhalten.

Die Frage, ob die Finanzierungsstrukturen des Forschungssystems noch zeit-
und aufgabengerecht sind und wie diese weiterentwickelt werden sollten, muss
in einem transparenten, zeitlich begrenztem Verfahren gemeinsam von Wissen-
schaft, Politik, Bund und Ländern bearbeitet werden.

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