BT-Drucksache 17/3751

Die Durchsetzung von Fluggastrechten

Vom 11. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3751
17. Wahlperiode 11. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Ingrid Hönlinger,
Dr. Konstantin von Notz, Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn,
Undine Kurth (Quedlinburg), Friedrich Ostendorff und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Durchsetzung von Fluggastrechten

Verspätete Abflüge, Ankünfte oder Annullierungen sind neben Fällen der Her-
abstufung und Nichtbeförderung Bestandteil der sog. Fluggastrechteverord-
nung (EG) Nr. 261/2004. Damit sind es auch Kriterien, um die Rechtsdurchset-
zung der Fluggastrechte zu überprüfen. So sind sie gemäß Artikel 17 der Flug-
gastrechteverordnung die Kontrollparameter, die bereits im Jahr 2007 von der
Europäischen Kommission vorgestellt worden sind und über den Erfolg der
Verordnung entscheiden. In diesem Bericht wurden erhebliche Mängel in der
nationalen Rechtsdurchsetzung festgestellt.

Erstaunlicherweise betonte die Bundesregierung in den Antworten der Bundes-
regierung auf die Kleinen Anfragen auf Bundestagsdrucksachen 17/2626 und
17/3107, es würden dazu keine Daten erhoben. Aus der gesetzlichen Grundlage
des Verkehrsstatistikgesetzes ist das korrekt. Dennoch werden von den Ver-
kehrsflughäfen sowie von allen Fluggesellschaften und der Deutschen
Flugsicherung GmbH (DFS) sehr detaillierte Statistiken geführt. Im Rahmen ei-
ner Evaluation der Europäischen Kommission wurde zudem auf die umfang-
reiche Statistik und Expertise von dem Unternehmen EUclaim Deutschland
GmbH & Co. hingewiesen (vgl. http://ec.europa.eu/transport/passengers/studies/
doc/2010_02_evaluation_of_regulation_2612004.pdf; S. 77, 80 f.). EUclaim
führt eine Datenbank, die sich aus vielen Quellen, wie zum Beispiel Behörden
zur Überwachung des Flugverkehrs, Flughafenbetreibern, Flugunternehmen
und Meteorologischen Stationen, zusammensetzt.

Aus diesen Statistiken sind im Zeitraum von Februar bis Dezember 2009 in
Deutschland 796 986 Flüge zur Personenbeförderung registriert worden. Von
diesen waren 90 842 zwischen 15 und 90 Minuten zu spät. Ein Anspruch für
Fluggäste entsteht nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 allerdings erst ab
Verspätungen mit mehr als 180 Minuten. Dieses waren im besagten Zeitraum
1 816 Maschinen. Ein weiterer Tatbestand sind die 5 298 annullierten Flüge. In
Anbetracht der Tatsache, dass täglich rund 500 000 Passagiere (Ralph Beisel,
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen e. V., am 21. April 2010 in

der Sitzung des Ausschusses für Tourismus) in Deutschland per Flugzeug beför-
dert werden, geht schon allein aus diesen beiden Datensätzen hervor, dass täg-
lich Hunderte von Passagieren einen Anspruch auf Entschädigung, Ausgleich
oder sonstige Leistungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 haben. Und
das obwohl die weiteren Kriterien wie Herabstufung, Nichtbeförderung und
Verspätungen bei Abflug mit mehr als 120 Minuten hierbei nicht berücksichtigt

Drucksache 17/3751 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

sind. Auffällig sind auch die Unterschiede zwischen einzelnen Fluggesellschaf-
ten.

Die nach Artikel 16 der Fluggastrechteverordnung zur „Durchsetzung dieser
Verordnung in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flug-
häfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen“ zuständige Be-
schwerde- und Durchsetzungsstelle in Deutschland ist das Luftfahrt-Bundesamt
(LBA). Auch die Durchsetzung der Rechte von Fluggästen mit eingeschränkter
Mobilität soll das LBA ebenso wie die Transparenz bei der Angabe von Flug-
preisen gewährleisten. In Artikel 16 der Fluggastrechteverordnung heißt es
darüber hinaus: „Gegebenenfalls ergreift diese Stelle die notwendigen Maßnah-
men, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Kann die Bundesregierung die oben genannte Statistik bestätigen?

Wenn ja, warum lagen der Bundesregierung diese Daten nicht schon früher
vor?

Wenn nein, warum sind diese Daten keine evaluationsfähigen Kennziffern,
die die Bundesregierung zur Auswertung der Rechtsdurchsetzung der Ver-
ordnung (EG) Nr. 261/2004 nutzt, und wie erklärt sich die Bundesregierung
den Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, wonach diese Daten zur
Überprüfung verwendet werden?

a) Wie viele Fluggäste haben jährlich einen Anspruch aufgrund von Verspä-
tungen, Annullierungen, Nichtbeförderung oder Herabstufung?

b) Wie viele der betroffenen Fluggäste haben ihren Anspruch geltend ge-
macht?

c) Wie viele der betroffenen Fluggäste wurden von den Fluggesellschaften
ohne Beschwerdeschreiben entschädigt?

Gab es hierbei auffällige Unterschiede zwischen den entsprechenden
Fluggesellschaften?

d) Wie wird dieses seitens des LBA überprüft?

2. Warum werden die relevanten Zahlen nicht von der nachgeordneten Be-
hörde erhoben, obgleich sie von Flughäfen, Deutscher Flugsicherung (DFS)
und Fluggesellschaften erfasst und gespeichert werden?

3. Sieht die Bundesregierung in Verspätungen, Annullierungen, Fällen von
Nichtbeförderung oder Herabstufung geeignete Parameter für eine Evalua-
tion der Rechtsdurchsetzung von Fluggastrechten, und wenn ja, wann plant
die Bundesregierung eine Überarbeitung des § 12 des Verkehrsstatistikgeset-
zes?

Wenn nein, warum nicht?

4. Welche Daten enthält die Datenbank, die im Bericht der Bundesregierung
unter der Ausschussdrucksache 17(20)17 auf S. 4 angeführt wird?

5. Warum enthält diese Datenbank nicht Kennziffern wie Verspätungen bei
An- und Abflügen, Annullierungen, Nichtbeförderung oder Herabstufung?

6. Hält es die Bundesregierung im Rahmen des Bürger-Services des LBA nicht
für „kundenorientiert“, den Flugpassagier über die Zuverlässigkeit der ein-
zelnen Fluggesellschaften zu informieren, wie es beispielsweise in den Ver-
einigten Staaten von Amerika geschieht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3751

7. Worin besteht der Sinneszusammenhang, dass das rückläufige Anzeigeauf-
kommen beim LBA ein Indikator dafür ist, „dass die Luftfahrtunternehmen
den Verpflichtungen der Verordnung im stärkeren Umfang nachkommen“
(Ausschussdrucksache 17(20)17)?

a) Wie erklärt sich die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, dass
fast neun von zehn Flugpassagieren angeben (vgl. test, Ausgabe 5/2009,
S. 12), nicht genügend informiert zu werden und nur etwa ein Viertel der
Fluggäste in der EU jemals von ihren Rechten gehört hat (vgl. Euro-
päische Kommission (2009): Fluggastrechte; Eurobarometer Spezial 319,
S. 15)?

b) Inwiefern wurden die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher
bei den Evaluationen der Bundesregierung im Hinblick auf die Rechts-
durchsetzung berücksichtigt?

8. Welche Maßnahmen und welche Sanktionen streben die Bundesregierung
beziehungsweise ihre nachgeordnete Behörde an, um den Missstand, dass
86 Prozent der Fluggäste angeben, durch die Fluggesellschaften nicht in-
formiert zu werden, zu beheben beziehungsweise beheben zu lassen vor
dem Hintergrund, dass gemäß Artikel 14 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
Airlines ihre Kunden über ihre Rechte informieren müssen?

9. Wie erklärt sich die Bundesregierung den enormen und ansteigenden Zu-
lauf von Fluggästen bei Verbraucherverbänden und Schlichtungsstelle für
öffentlichen Personenverkehr, wenn dem gegenüber die Rechtsdurchset-
zung durch ein rückläufiges Anzeigeaufkommen nach Ansicht der Bundes-
regierung besser wird (vgl. Ausschussdrucksache 17(20)17)?

10. Hält es die Bundesregierung für möglich, dass sich Flugpassagiere auf-
grund des hohen bürokratischen Aufwands, den sie wegen des schriftlichen
Beschwerdeverfahrens mit den Fluggesellschaften eingehen müssen, und
der vergleichsweise geringen Streitwerte keine Anzeige erstatten bezie-
hungsweise auf ihren Ausgleich oder ihre Entschädigung verzichten?

Wie hoch schätzt die Bundesregierung diesen Anteil von geschädigten
Flugpassagieren ein?

11. Wie wertet die Bundesregierung die Erfahrungen der Schlichtungsstelle,
den Verbraucherzentralen oder den zahlreichen Gerichtsverfahren, wo-
nach Beschwerdeschreiben von Fluggästen durch viele Fluggesellschaf-
ten – wenn überhaupt – erst Monate später und dann in aller Regel mit
standardisierten Antwortschreiben, in denen sich auf außerordentliche
Umstände berufen wird, abgewiesen werden?

12. Hält es die Bundesregierung für möglich, dass das rückläufige Anzeigeauf-
kommen beim LBA auch in der nicht bekannten Funktion des LBA für
Verbraucher liegt?

Wenn nein, wie viele Bürger kennen die Funktion des LBA im Hinblick auf
die Fluggastrechteverordnung?

13. Wird im Rahmen der Informationspflicht der Fluggesellschaften auf die
Rolle des LBA hingewiesen?

14. Was tun Bürger, die kein Internet nutzen, bei Beschwerden?

Müssen diese nach Braunschweig fahren, um eine Anzeige zu erstatten
oder ist eine andere unbürokratische Lösung möglich?

Drucksache 17/3751 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

15. Wie häufig haben die „Vor-Ort-Kontrollen an Flughäfen“ seitens des LBA
stattgefunden?

a) Was waren die Erkenntnisse dieser Stichproben?

b) Wieso sollen diese Maßnahmen ausgebaut werden, wenn die Bundes-
regierung keine Defizite in der Rechtsdurchsetzung erkennt?

16. Wie steht die Bundesregierung zu dem seit geraumer Zeit auf der Website der
Europäischen Kommission unter http://ec.europa.eu/transport/passengers/
studies/doc/2010_02_evaluation_of_regulation_2612004.pdf zum Down-
load zur Verfügung stehenden Evaluationsbericht der Fluggastrechteverord-
nung, bei dessen „review“ im April 2010 auch Vertreter der nachgeordneten
Behörde, dem LBA, anwesend waren?

a) Was sind die Kernerkenntnisse aus diesem Bericht und der „review“ für
die Bundesregierung?

b) Warum hielt die Bundesregierung diesen Bericht und das Treffen auf
europäischer Ebene im Rahmen der Tourismusausschusssitzung vom
27. Oktober 2010 unter Tagesordnungspunkt 4 für nicht beratungsrele-
vant?

17. Welche gesetzliche Grundlage liegt der durchschnittlichen Bußgeldhöhe
von 3 000 Euro zugrunde?

a) Aufgrund welcher Einschätzungen wurde diese Sanktion für verhältnis-
mäßig und abschreckend befunden?

b) Was bedeutet die durchschnittliche Bußgeldhöhe von 3 000 Euro im
EU-Vergleich?

c) Wie hoch ist das durchschnittliche Bußgeld in den anderen EU-Mit-
gliedstaaten?

d) Gibt es vom LBA außer den Ordnungswidrigkeitsverfahren weitere
Sanktionsmaßnahmen, die bei grober Missachtung der Rechte in Be-
tracht gezogen werden?

e) Gegen welche Unternehmen hat sich aufgrund welcher Tatbestände die
Bußgeldbelegung gerichtet?

f) Haben sich die Bußgelder gegen deutsche Luftfahrtunternehmen gerich-
tet?

18. Wie steht die Bundesregierung zu der Arbeit der niederländischen Durch-
setzungsstelle, die jährlich deutlich mehr als 10 000 Ordnungswidrigkeits-
verfahren einleitet, und wie kommt trotz gleicher gesetzlicher Grundlage
(Verordnung (EG) Nr. 261/2004) und geringeren Passagierzahlen die große
Diskrepanz zu den zwischen 700 und 800 liegenden Verfahren in Deutsch-
land zustande?

19. Ab wann sieht das Luftfahrt-Bundesamt beziehungsweise die Bundesregie-
rung einen signifikanten Anstieg der Ordnungswidrigkeitsverfahren als ge-
geben, um gemäß Artikel 16 „weitere, notwendige Maßnahmen sicherzu-
stellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden“?

20. Welche Maßnahmen sind gegen easyJet seit den Antworten der Bundes-
regierung auf Bundestagsdrucksachen 17/2626 oder 17/3107 eingeleitet
worden?

Welche spezifischen datenschutzrechtlichen Normen tangieren die Beden-
ken, die die Bundesregierung unter Bundestagsdrucksache 17/3107 hin-
derte, darauf zu antworten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3751

21. Hält die Bundesregierung an ihrer im Koalitionsvertrag zwischen CDU,
CSU und FDP vereinbarten verkehrsträgerübergreifenden Schlichtungs-
stelle fest oder wird eine separate Schlichtungsstelle für den Flugverkehr
diskutiert?

22. Wie steht der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu
dem einstimmigen Beschluss der Verbraucherminister auf ihrer Konferenz
am 17. September 2010 in Potsdam, wonach das Reiserecht zu vereinfa-
chen ist und die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr auch ver-
bindlich für Fluggesellschaften werden soll?

23. Wie steht die Bundesregierung zu der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs zu erheblichen Verspätungen (d. h. die Gleichstellung einer
drei- und mehrstündigen Verspätung mit einer Annullierung), und setzt sich
die Bundesregierung dafür ein, dass diese Rechtsprechung zukünftig in ent-
sprechende Rechtsakte eingearbeitet wird?

24. Welche Informationen liegen der Bundesregierung zur Auswertung des
Konsultationsverfahrens der Fluggastrechteverordnung und der Pauschal-
reise-Richtlinie vor?

a) Welche zeitliche Planung ist hier seitens der Europäischen Kommission
anvisiert worden?

b) Ist mit einer Überarbeitung der beiden Rechtsakten zu rechnen?

Wenn ja, wann?

c) Welche Position nimmt die Bundesregierung hierbei ein?

25. Wie steht die Bundesregierung zu der Studie des ADAC e. V. von November
2010, die eine Verbrauchertäuschung im Hinblick auf die unterschiedlichen
Zusatzkosten für Gepäck, die Sitzplatzreservierung oder das Bezahlen mit
Kreditkarte herausgefunden hat?

26. Sieht die Bundesregierung dahingehend Handlungsbedarf?

Berlin, den 11. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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