BT-Drucksache 17/3673

Extraprofite von Atom- und Kohlekraftwerksbetreibern abschöpfen

Vom 10. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3673
17. Wahlperiode 10. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Barbara Höll, Ralph Lenkert,
Dorothee Menzner, Sabine Stüber, Dr. Axel Troost, Sahra Wagenknecht und der
Fraktion DIE LINKE.

Extraprofite von Atom- und Kohlekraftwerksbetreibern abschöpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat sich in den vergangen Jahren hartnäckig geweigert
Schritte zu unternehmen, um leistungs- und risikolos erzielte Extraprofite (so
genannte windfall profits) abzuschöpfen, die bei Stromversorgungsunterneh-
men aus den Preiseffekten des Emissionshandels entstehen. Entsprechende
Anträge der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag wurden stets abge-
lehnt. Die Subventionierung der fossil-atomaren Energiewirtschaft auf Kosten
von Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie öffentlichen Haushalten muss
unverzüglich beendet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Folgendes regelt:

1. Ab 1. Januar 2011 wird eine Abschöpfungssteuer auf Sondergewinne ein-
geführt, die Betreiber von Atomkraftwerken (AKW) erzielen. Die Steuer
beträgt im Jahr 2011 je Kilowattstunde (kWh) Atomstrom 2 Cent. Sie wird
ab 1. Januar 2012 jährlich entsprechend der prozentualen Entwicklung des
durchschnittlichen Vorjahres-Spotmarkt-Preises von CO2-Emissionszertifi-
katen (EU-Allowance – EUA) an der Leipziger Strombörse European
Energy Exchange (EEX) angepasst.

2. Zur Finanzierung externalisierter Schäden der Atomwirtschaft wird ab
1. Januar 2011 bei jedem Atomkraftwerk jährlich eine zusätzliche Steuer
von 100 000 Euro pro Megawatt Nettokapazität erhoben.

3. Vom 1. Januar 2011 wird befristet bis zum 31. Dezember 2012 eine Ab-
schöpfungssteuer auf Sondergewinne aus dem Emissionshandel eingeführt,
welche Betreiber von emissionshandelspflichtigen Kraftwerken erzielen,
die mit fossilen Brennstoffen befeuert werden. Die jährliche Höhe der
Steuer bemisst sich für jeden Anlagenbetreiber anhand der nach dem
Zuteilungsgesetz 2012 gratis für seine Anlagen zugeteilten Emissionszerti-
fikate, multipliziert mit dem durchschnittlichen Zertifikatspreis des Vorjah-
res.

4. Die Steuern unter den Nummern 1 und 3 sind keine abzugsfähigen Be-
triebsausgaben im steuerrechtlichen Sinn.

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5. Das Kernbrennstoffsteuergesetz (KernbrStG) sowie das Gesetz zur Errich-
tung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ (EKFG) werden
außer Kraft gesetzt.

Berlin, den 9. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Sondergewinne der Stromversorger fallen seit Einführung des Europäischen
Emissionshandelssystems im Januar 2005 an. Dabei preisen die Unternehmen
die Marktpreise der CO2-Emissionsberechtigungen als Opportunitätskosten in
die Strompreise ein – unbeschadet der Tatsache, dass 91 Prozent der Zertifikate
an die Kraftwerksbetreiber kostenlos zugeteilt wurden. Auf diese Weise erzielen
die Energieversorger jährliche Sondergewinne in Milliardenhöhe, welche die
Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihrer Stromrechnung bezahlen.

Am durch die Zertifikatskosten erhöhten Strompreis verdienen nicht nur Be-
treiber fossiler befeuerter Stromerzeugungsanlagen, etwa von Kohle- oder Gas-
kraftwerken, die als direkte CO2-Emittenten dem Emissionshandel unterliegen.
Gleichfalls profitieren davon Betreiber von Atomkraftwerken, obwohl ihre An-
lagen nicht emissionshandelspflichtig sind. Schließlich setzten die laufenden
Kosten jenes Kraftwerks den Handelspreis für alle Börsengeschäfte am Elektri-
zitätsmarkt, welches als letztes noch benötigt wird, um die aktuelle zahlungsbe-
reite Nachfrage nach Elektrizität zu bedienen. Dieses Kraftwerk ist in der Regel
ein Steinkohle- oder Gaskraftwerk; beide preisen den jeweils aktuellen CO2-
Handelspreis in ihr Angebot ein. So steigen auch bei Atomkraftwerken durch
den nunmehr höheren Strompreis die Einnahmen, da sich diese als Differenz
zwischen den eigenen laufenden Kosten und dem jeweiligen Stromhandelspreis
inklusive genannter CO2-Kosten bilden.

Weil nach der im Dezember 2008 geänderten EU-Emissionshandelsrichtlinie
ab 2013 die CO2-Emissionszertifikate vom Staat an die emissionshandels-
pflichtigen Anlagenbetreiber versteigert werden, entfallen ab diesem Zeitpunkt
die windfall profits für fossile Kraftwerke. Gleichzeitig bleiben jedoch die
Extragewinne der AKW-Betreiber aus dem Emissionshandel solange bestehen,
wie Atomkraftwerke am Netz sind. Dies käme einer dauerhaften Subvention
der Atomwirtschaft gleich.

Eine im Juni 2008 vorgelegte Studie des Öko-Instituts im Auftrag des WWF
Deutschland (WWF = World Wide Fund For Nature) berechnet die geschilderten
Extragewinne aller Kraftwerksbetreiber aus dem Emissionshandel in der zwei-
ten Handelsperiode 2008 bis 2012 auf rund 35,5 Mrd. Euro, also rund 7 Mrd.
Euro pro Jahr. Dabei wurde ein CO2-Zertifikatspreis von 25 Euro angesetzt.
Laut Öko-Institut setzen sich diese 7 Mrd. Euro erstens zusammen aus den Zu-
satzgewinnen, die direkt aus der kostenlosen Zuteilung und der geschilderten
Opportunitätskostenüberwälzung der fossilen Kraftwerksbetreiber resultieren
(rund 3 Mrd. Euro), und zweitens aus jenen Extragewinnen, die auf zusätzlichen
Stromerlösen gründen, welche auch CO2-freie Stromerzeugungsanlagen wegen
des Strompreisanstiegs erzielen (etwa 4 Mrd. Euro, hauptsächlich aus Atom-
kraft).

Im Übrigen kommen den AKW-Betreibern über die genannten Sonderprofite
hinaus zusätzliche geldwerte Vorteile zu, die allerdings schwer zu quantifizie-
ren sind bzw. sich kaum einzelnen Kraftwerken zuordnen lassen. So etwa durch

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geringere Aufwendungen infolge der jahrelangen staatlichen Subventionen zur
Entwicklung der Atomtechnologien. Das Forum Ökologisch-Soziale Markt-
wirtschaft (FÖS) errechnete hier Finanzhilfen und Steuervergünstigungen in
Höhe von 125 Mrd. Euro von 1950 bis 2008. Hinzu kommen geldwerte Vor-
teile durch die Übernahme von Langzeitrisiken und Langzeitkosten durch die
Gesellschaft, welche durch die Atomwirtschaft verursacht wurden.

Eine verursachergerechte Anlastung der Folgekosten durch Errichtung, Betrieb
und Stilllegung von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle steht aus.
Schließlich werden allein der Rückbau und die Stilllegung alter Atomanlagen
(wie etwa Kosten für die Atommüllendlager Asse und Morsleben) den Bund
mindestens 7 Mrd. Euro kosten. Ferner fallen Sondergewinne an, die durch die
Marktmacht der vier großen Energieversorger in Deutschland im Sinne von
Oligopolprofiten erzielt wurden und werden.

Um die leistungs- und risikolos erzielten Gewinne aus den Preiseffekten beim
Emissionshandel sowie der nicht verursachergerechten Anlastung der Folge-
kosten durch Errichtung, Betrieb und Stilllegung von Anlagen zur Endlagerung
radioaktiver Abfälle abzuschöpfen, sollen drei Sondersteuern erhoben werden:
zwei für Betreiber von Atomkraftwerken und eine für Betreiber emissionshan-
delspflichtiger Anlagen der fossilen Stromwirtschaft.

Die vorgesehenen Steuern für AKW sind ausdrücklich nicht als „Handels-
geschäft“ mit den Energiekonzernen zum Ausgleich von Vorteilen zu verste-
hen, die den Betreibern aus der beschlossenen Laufzeitverlängerung zufallen.
Denn die Fraktion DIE LINKE. verfolgt klar das Ziel, unverzüglich aus der
Atomwirtschaft auszusteigen.

Die erste Atomsteuer dient zur Abschöpfung der windfall profits aus den Preis-
effekten des Emissionshandels. Sie beträgt 2 Cent je kWh Atomstrom für das
Jahr 2011. Die Steuer orientiert sich an einem durchschnittlichen Spotmarkt-
Handelspreis an der Leipziger Strombörse EEX für CO2-Emissionszertifikate
(EUA) von rund 15 Euro je Tonne CO2 im Jahr 2010. In den Folgejahren soll sie
an die Preisentwicklung für EUA angepasst werden. Dass heißt, sie soll prozen-
tual im gleichen Umfang steigen oder fallen, wie sich der Index des durch-
schnittlichen EUA-Preises des Vorjahres zum Jahr davor verändert hat. Zusätz-
lich wird bei jedem Atomkraftwerk jährlich eine Steuer von 100 000 Euro pro
Megawatt Nettokapazität erhoben. Damit sollen sich die AKW-Betreiber an den
volkswirtschaftlichen Kosten beteiligen, welche die Atomkraft der Gesellschaft
aufbürdet.

Für Betreiber von emissionshandelspflichtigen fossil befeuerten Kraftwerken
wird eine Steuer zur Abschöpfung der windfall profits aus der Einpreisung kos-
tenlos zugeteilter Emissionsberechtigungen erhoben. Sie ist in den Jahren 2011
und 2012 auf jedes von der Deutschen Emissionshandelsstelle nach den Regeln
des Zuteilungsgesetzes 2012 kostenlos an die Anlagenbetreiber vergebene
CO2-Zertifikat (EUA) mit einem einheitlichen Steuersatz in Höhe des durch-
schnittlichen Zertifikatspreis des Vorjahres zu erheben. Die Steuer soll im Jahr
2012 in der Höhe entsprechend des durchschnittlichen Vorjahrespreises dieser
CO2-Emissionszertifikate an der EEX angepasst werden.

Die vorgesehenen Steuern werden das Preisniveau weder auf der Großhandels-
noch auf der Endverbraucherseite anheben. So fungiert ein Atomkraftwerk an
der Strombörse aufgrund seiner im Vergleich zu fossil befeuerten Kraftwerken
niedrigen laufenden Kosten nie als preissetzendes Grenzkraftwerk. Daran
würde der vorgeschlagene Preisaufschlag von 2 Cent je kWh Atomstrom nichts
ändern. Denn auch inklusive der neuen Atomsteuer läge der Angebotspreis für
Atomstrom in der Regel weiterhin unter den variablen Kosten fossil befeuerter
Kraftwerke; der für alle Kraftwerksbetreiber geltende Strompreis würde weiter-
hin von einem fossilen Kraftwerk gesetzt. Entsprechend würden die windfall

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profits abgeschöpft, ohne dass sich durch die Atomsteuer der Strompreis für
Verbraucher erhöht. Auch die zusätzliche Steuer je Megawatt Nettokapazität
wird nach der Logik der Strompreisbildung an liberalisierten Märkten nicht auf
die Verbraucher überwälzt werden, da sie als Fixkosten gelten, aber nur va-
riable Kosten in die Börsenpreisbildung für das kurzfristige Stromangebot ein-
gehen.

Um bei fossil befeuerten Kraftwerken ein Überwälzen der Kosten der Ab-
schöpfungssteuer auf den Strompreis zu verhindern – was bei ihnen in ihrer
möglichen Funktion als an der Strombörse preissetzendes Grenzkraftwerk im
Falle einer Steuer auf jede abgesetzte Kilowattstunde Strom zumindest möglich
wäre – wird hier als Bemessungsgrundlage nicht die verkaufte Strommenge,
sondern die Erstzuteilung der kostenlos an die Stromerzeugungsanlagen ausge-
gebenen CO2-Emissionszertifikate gewählt. Der jeweilige Handelspreis der
vom Staat verschenkten Zertifikate wird ohnehin schon jetzt auf die Strom-
preise übergewälzt. Die künftige Abschöpfungssteuer auf diese Emissions-
rechte würde demzufolge nicht den Strompreis für Endverbraucher erhöhen,
sondern nur die windfall profits kassieren, die der geschilderten Einpreisung
entspringen. Auch nach einschlägiger wissenschaftlicher Meinung wirken die
Zuteilungsverfahren zwar unterschiedlich auf die langfristige Entwicklung der
Kraftwerksparkstruktur. Für das kurzfristige Stromangebot und dessen Kosten
allerdings spielt die Form der Zuteilung aber keine Rolle, da nur der Handels-
wert der Emissionsberechtigungen – egal ursprünglich ob kostenlos zugeteilt
oder kostenpflichtig erworben – als Bestandteil der Grenzkosten in den Ange-
botskosten der Strommärkte berücksichtigt wird. Die Abschöpfungssteuer für
fossil befeuerte Kraftwerke wird überflüssig, wenn ab 2013 die Emissions-
rechte laut EU-Emissionshandelsrichtlinie versteigert werden.

Die Steuerhöhe von insgesamt 2 Cent je kWh Atomstrom für das Jahr 2011
würde – bezogen auf die Nettostromerzeugung von 138 Mrd. kWh aus AKW
im Jahr 2008 – eine Summe von rund 2,8 Mrd. Euro als zusätzliche Haus-
haltseinnahmen ergeben. Die Steuer von 100 000 Euro je Megawatt Nettokapa-
zität würde zusätzliche Mehreinnahmen von ca. 2,2 Mrd. Euro jährlich ermög-
lichen. Bei den fossilen Stromversorgern ist 2011 entsprechend mit zusätz-
lichen Haushaltseinnahmen von 1,4 Mrd. Euro zu rechnen.

Die Einnahmen beider Steuern in Höhe von zunächst jährlich rund 6,4 Mrd.
Euro, die aufgrund der Nichtabzugsfähigkeit bei Bund und Ländern netto anfal-
len, sollten erstens dafür verwendet werden, Haushalte mit niedrigem Einkom-
men bei den rasant gestiegenen Energiepreisen zu entlasten. Zweitens sollten
sie zur Finanzierung von Energieeffizienzmaßnahmen, etwa einem „Energie-
sparfonds“ sowie für die verbesserte Förderung erneuerbarer Energien einge-
setzt werden.

Die mit diesem Antrag vorgesehenen Instrumente werden die windfall profits
aus den Preiseffekten des Emissionshandels weitgehend abschöpfen. Dies hätte
auch gegolten, wenn die AKW-Laufzeiten nicht gegen den Willen der Mehrheit
der Bevölkerung von der Koalitionsmehrheit verlängert worden wären. Im Ge-
gensatz dazu sind die von der Bundesregierung im Kernbrennstoffsteuergesetz
(KernbrStG) sowie das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Ener-
gie- und Klimafonds“ (EKFG) vorgesehenen Instrumente zur Gewinnabschöp-
fung ungeeignet, die Profite der Energiekonzerne adäquat zu beschneiden. Sie
betreffen ohnehin nur AKW-Betreiber und lassen fossile Kraftwerke außen vor.

Bei Umsetzung der von der Regierungskoalition beschlossenen Laufzeitverlän-
gerung für Atomkraftwerke würden die Betreiber nach Berechnungen des Öko-
Instituts zusätzliche Sondergewinne aus der Stromerzeugung in Höhe von ins-
gesamt zwischen 58 Mrd. Euro (stagnierende Strompreise) und 94 Mrd. Euro
(moderat steigende Strompreise) erzielen, die zum überwiegenden Teil aus den
geschilderten Auswirkungen des Europäischen Emissionshandelssystems auf

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die Großhandelspreise am Elektrizitätsmarkt resultieren. Hinzu kommen Finanz-
erträge aus den Rückstellungen für den Rückbau und die Entsorgung der Atom-
kraftwerke bzw. der abgebrannten Brennelemente in Höhe von ca. 20 Mrd.
Euro. Nach den Plänen der Bundesregierung soll nur ein Teil dieser Gewinne
abgeschöpft werden. Und zwar durch eine Brennelementesteuer in den Jahren
2011 bis 2016 und durch eine freiwillige Abgabe („Förderabgabe“) der Energie-
versorgungsunternehmen (EVU) auf Atomstrom ab 2017. Unter Berücksichti-
gung sonstiger Steuern würden jedoch laut Öko-Institut die Abschöpfungs-
quoten durch die genannten Instrumente – je nach Strompreisentwicklung und
genauer Steuerausgestaltung – lediglich zwischen 36 und 46 Prozent liegen.
Saldiert würden bei den EVU entsprechend zwischen 42 und 73 Mrd. Euro zu-
sätzliche Gewinne verbleiben. Zudem hat die Bundesregierung keinerlei Pläne,
die windfall profits der Betreiber fossiler Kraftwerke abzuschöpfen. All diese
leistungs- und risikolos erzielten Extraprofite wären nicht nur zutiefst ungerecht.
Sie würden zugleich die Marktmacht der vier großen EVU weiter verfestigen.

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