BT-Drucksache 17/3574

Stand des Aufbaus und der Kosten von ELENA

Vom 28. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3574
17. Wahlperiode 28. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Matthias W. Birkwald, Werner Dreibus, Diana Golze,
Ulla Jelpke, Katja Kipping, Katrin Kunert, Petra Pau, Jens Petermann, Raju
Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Stand des Aufbaus und der Kosten von ELENA

Am 20. Oktober 2010 meldete „dpa“, dass die Bundesregierung erwogen habe,
das Projekt ELENA ganz einzustellen, inzwischen aber prüfe, „wie die erst zu
Jahresanfang eingeführte gigantische Lohndatenbank angesichts hoher Kosten
und Bürokratie verbessert werden kann“ (dpa, 20. Oktober 2010).

Das mit ELENA anvisierte Ziel von „weniger Bürokratie und mehr Effizienz“
scheint nach verschiedenen Stellungnahmen und Gutachten nicht eingehalten
werden zu können. Schon jetzt erwartet zum Beispiel der Deutsche Städtetag in
einer geradezu als Brandbrief formulierten Stellungnahme an die Bundesregie-
rung und den Deutschen Bundestag mehr Bürokratie und nicht zumutbare Kos-
ten für die Verwaltungen und die Bürgerinnen und Bürger. Die Ergebnisse des
Deutschen Städtetages stehen in eklatantem Widerspruch zu dem Gutachten des
Nationalen Normenkontrollrats (NKR), das von der Bundesregierung in Auf-
trag gegeben wurde und mit dem die vom Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie befürchteten überhöhten Kosten des Verfahrens für die mittel-
ständischen Unternehmen überprüft werden sollten. Die Differenzen bewegen
sich dabei in kaum vorstellbaren Dimensionen. So schreibt der Deutsche Städ-
tetag zum Beispiel nach einer Überprüfung der Zahlen des NKR alleine für den
Bereich der Wohngeldanträge, dass man statt der vom NKR zugrunde gelegten
29,7 Mio. Euro von 85 Mio. Euro ausgehen müsse. Weiter heißt es, „dass [wenn]
die Kostenschätzungen des NKR für die beiden anderen Einrichtungen, die
ELENA anwenden sollen, die Arbeitsagenturen wie die Elterngeldstellen, in ver-
gleichbarer Relation unterschätzt worden sind, dann gelangt man zu einem Ge-
samtergebnis für die drei betroffenen Verwaltungsbereiche nicht, wie vom Nor-
menkontrollrat unterstellt, von 82,3 Mio. Euro, sondern von rd. 236 Mio. Euro.“

Fragwürdig ist ja schon, dass mit ELENA ausdrücklich Teile der Wirtschaft auf
Kosten der öffentlichen Verwaltungen entlastet werden sollen. Der NKR er-
rechnet eine minimale Nettoentlastung von 8,3 Mio. Euro, der Deutsche Städte-
tag dagegen kommt bei seiner Überprüfung auf eine Nettomehrbelastung von
wenigsten 145 Mio. Euro.

Die Schlussfolgerungen des Deutschen Städtetages lauten kurz und knapp:
„– Das ELENA-Verfahren ist den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern nicht
zumutbar.

– Das ELENA-Verfahren ist für die betroffenen Verwaltungen nicht adminis-
trierbar.

– Das ELENA-Verfahren kostet erheblich mehr als es an Einsparungen an
anderer Stelle bringt.

Drucksache 17/3574 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– Das ELENA-Verfahren widerspricht den Bemühungen von Bund, Ländern
und Kommunen um Entbürokratisierung.

– Das ELENA-Verfahrensgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung muss da-
her aufgehoben werden.“

Noch weiter geht der Marburger Bund in einer Stellungnahme vom 8. Okto-
ber 2010. Die Ärztevereinigung schreibt, selbst wenn der Gesetzgeber formale
Mängel beseitige, seien das ELENA-Verfahrensgesetz und die dazu erlassene
Durchführungsverordnung „unrettbar verfassungswidrig“. Gestützt wird die For-
derung durch ein Gutachten des am 8. September 2010 verstorbenen Staatsrecht-
lers Prof. Dr. Heinrich Wilms von der Zeppelin University Friedrichshafen. Nach
dessen Dafürhalten ist schon in der jetzigen Gesetzesform davon auszugehen,
dass es sich um eine Vorratsdatenspeicherung handelt, die es ermöglichen soll,
eine zentrale Datenbank zu errichten, in der letztlich „alle personenbezogenen
Daten aller Bürger zu jedem denkbaren Zweck gespeichert sind“ (Marburger
Bund Zeitung, Ausgabe 14 vom 8. Oktober 2010).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Von welcher Seite innerhalb der Bundesregierung gab es Überlegungen,
ELENA „vom Tisch“ zu nehmen, das heißt, einzustellen, und welche Ar-
gumente haben zur Fortsetzung geführt?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Stellungnahme des Deutschen
Städtetages vom 19. Oktober 2010 hinsichtlich der dort aufgeführten
Mehrbelastungen, und welche Gegenargumente hat sie dazu?

3. Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, dass die Kommunen für
ihre Mehrkosten einen finanziellen Ausgleich erhalten?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Stellungnahme des Deutschen
Städtetages hinsichtlich der Aussage, das Verfahren sei nicht administrier-
bar und widerspräche den Bemühungen um Entbürokratisierung?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Erklärung des Deutschen Städte-
tages, wonach die Spitzenverbände nicht bereit seien „einer Kosten-
umverteilung von der Wirtschaft auf die öffentliche Verwaltung in nahezu
dreistelliger Millionenhöhe ihre Zustimmung zu geben“?

6. Worin liegen die Gründe, dass der NKR in seinem Gutachten vom 13. Sep-
tember 2010 hinsichtlich der Kostenbelastung der Kommunen zu anderen
Ergebnissen als der Deutsche Städtetag kommt?

7. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus für eine wirk-
samere Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände bei kommunal-
relevanten Entscheidungen des Bundes, insbesondere im Konfliktfall?

8. Treffen Aussagen der kommunalen Spitzenverbände zu, dass ELENA für An-
tragsteller auf Wohngeld zu einem höheren bürokratischen Aufwand führt?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung hier Abhilfe zu schaffen?

9. Welche der vom Deutschen Städtetag genannten Probleme, die ihn zu der
Forderung veranlasst haben, das ELENA-Verfahrensgesetz in der jetzigen
Fassung aufzuheben, sind Gegenstand der von „dpa“ genannten Verbesse-
rungen, die die Bundesregierung derzeit anstrebe?

10. Welchen Stand haben die Überlegungen innerhalb der Bundesregierung zu
Verbesserungen von ELENA konkret erreicht, und welche Vorschläge wur-
den hierzu bereits erarbeitet, und durch welche Behörde?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3574

11. Hält es die Bundesregierung weiterhin für vertretbar, auf der Grundlage
eines selbst von ihr als ungenügend und dringend verbesserungsbedürftig
bezeichneten Gesetzes, umfassend Daten aller Bürger auf Vorrat zu sam-
meln?

Wenn ja, warum?

12. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung gegen ein vom Marburger Bund
und anderen gefordertes Moratorium?

13. Beabsichtigt die Bundesregierung die zeitliche Aussetzung der Erfassung
bestimmter Daten, die vom 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010 beispiels-
weise für die Erfassung von Kündigungsgründen gilt, zu verlängern?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 28. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und die Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.