BT-Drucksache 17/3541

Keine großflächige Landnahme und Spekulationen mit Land oder Agrarproduktion in den Ländern des Südens

Vom 27. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3541
17. Wahlperiode 27. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Niema Movassat, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Ulla Lötzer, Thomas Nord,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Süßmair, Alexander Ulrich, Katrin Werner und der
Fraktion DIE LINKE.

Keine großflächige Landnahme und Spekulationen mit Land oder Agrarproduktion
in den Ländern des Südens

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Über 900 Millionen Menschen leiden weltweit an Hunger. Über 80 Prozent der
hungernden Menschen leben auf dem Land. Dieser Umstand und die Preisexplo-
sion bei Grundnahrungsmitteln im Frühjahr 2008 haben die Landwirtschaft ins
Zentrum der Debatten um Entwicklung und Hungerbekämpfung gerückt. Maß-
geblich ist hierbei die Frage, welche Art von Landwirtschaft und Bodennutzung
geeignet ist, gerade für die armen und marginalisierten Menschen in den Ent-
wicklungsländern die Nahrungsgrundlagen zu sichern.

Der Weltagrarbericht von 2008, in dem über 500 Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler den aktuellen Wissensstand zur Landwirtschaft zusammengefasst
haben, macht deutlich, dass vor allem Kleinbäuerinnen und Kleinbauern für die
Ernährungssouveränität der Länder des Südens von entscheidender Bedeutung
sind. Ihr Zugang zu Land, Wasser und Saatgut ist dafür eine wesentliche Voraus-
setzung.

Längst ist Agrarland in Entwicklungsländern zum Spekulationsobjekt gewor-
den. Weltweit agierende Land- und Agrarfonds, Unternehmen, aber auch Indus-
trie- und Schwellenländer kaufen dort großflächig Land oder schließen Pacht-
verträge. Diese Entwicklung läuft den Schlussfolgerungen aus dem Weltagrar-
bericht zugunsten einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft zuwider, denn sie führt
zur Konzentration von Landbesitz und der Ausbreitung von Monokulturen. Di-
versifizierte kleinbäuerliche Landwirtschaft wird verdrängt. Informelle und ge-
meinschaftliche Landrechte von Gemeinden und Gemeinschaften werden oft
missachtet, insbesondere von Pastoralistinnen und Pastoralisten sowie Wander-
feldbäuerinnen und Wanderfeldbauern.

Die Investoren bauen auf dem gekauften Land Agrartreibstoffe, Holz zur

Zelluloseherstellung, Futtermittel oder auch Nahrungsmittel für den Export in
die Herkunftsländer der Investoren an. In anderen Fällen dient das gekaufte
oder gepachtete Land dem CO2-Handel oder der Spekulation auf den zu erwar-
tenden Wertzuwachs. Die Rahmenbedingungen für solche Verträge werden oft
durch Regierungsdelegationen in bilateralen Verhandlungen geschaffen. Die
Verträge werden üblicherweise intransparent unter Ausschluss der Öffentlich-
keit verhandelt.

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Als Folge der Landkäufe werden Kleinbäuerinnen und Kleinbauern oft von
ihrem Land vertrieben, ohne eine Entschädigung zu erhalten. Die mit der Land-
nahme verbundene Rodung von Wäldern und die Anpflanzung von riesigen
Monokulturen führen zur ökologischen Degradation.

Landkäufe finden vor allem in Ländern statt, die zur gleichen Zeit Empfänger-
länder von Nahrungsmittelhilfe sind, wie z. B. Äthiopien, Demokratische Repu-
blik Kongo, Kamerun, Madagaskar, Mali, Mosambik, Senegal, Sierra Leone,
Somalia, Sudan, Tansania, Sambia in Afrika oder Burma, Indonesien, Kambod-
scha, Laos, Pakistan, Philippinen in Asien.

Staaten wie China, Brasilien, die Golfstaaten oder Indien kaufen oder pachten
Land, um sich mit Agrarprodukten zur Nahrungs- oder Energiesicherung zu ver-
sorgen. Doch ca. 90 Prozent der Landkäufe werden durch den privaten Sektor ge-
tätigt, wie Studien belegen. Auch europäische und deutsche Firmen sind an
Landkäufen und dem Anbau von Agrartreibstoffen im Osten Europas und in
Entwicklungsländern beteiligt, darunter die Firmen Coachcraft Systems (CCS)
mit Sitz in Bad Honnef, PROKON Unternehmensgruppe in Itzehoe und Acazis
AG mit Sitz in Gilching. Deutsche Finanzinstitutionen gründen zunehmend
Kapitalgesellschaften, die vom Kauf des Bodens über die Produktion bis zur
Vermarktung alles anbieten, wie die AGRARUIS AG mit Sitz in Bad Homburg,
die Agrarfonds KTG Agrar und Aquila Capital (AgrarINVEST, Klimaschutz-
INVEST I-III, WaldINVEST I und III) aus Hamburg, die Allianz Global Inves-
tors Kapitalanlagegesellschaft mbH und der DWS Invest Global Agribusiness
(LC) sowie der DWS Global Agribusiness Fund der Deutschen Bank.

Deutschland ist drittgrößter Geber der Weltbank und an der Tochter im Pri-
vatsektor International Finance Corporation (IFC) mit einem Kapitalanteil von
5,4 Prozent beteiligt. Daher trägt Deutschland innerhalb der Weltbank eine
besondere Verantwortung für die Entscheidungen und Projekte der Weltbank.
Die Weltbank beteiligt sich aktiv an der Erstellung von positiven Rahmenbedin-
gungen für den Erwerb von Land für Investoren und entwickelt mit dem Foreign
Investment Advisory Service (FIAS) des IFC zunehmend Instrumente, um Land-
erwerb zu fördern, wie z. B. die Projekte „Access to Land“, „Investing Across
Borders“ und „Land Market for Investment“.

Auf EU-Ebene wird gegenwärtig der neue Rahmen für Investitionsschutzver-
träge erarbeitet (KOM(2010) 344). Dieser Ausgestaltungsprozess sollte für ein
grundlegendes Umsteuern in der EU-Handels- und -Investitionspolitik und kon-
kret dafür genutzt werden, negative Effekte großflächiger Landnahmen rechtlich
anzusprechen und den Vorrang der Menschenrechte vor dem Investitionsrecht
zu stärken.

Auf internationaler Ebene gibt es zwei relevante Prozesse, in denen internatio-
nale Institutionen auf die Problematik der großflächigen Landnahme reagieren:
1. die „Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure of Land and
other Natural Resources“ der Food and Agriculture Organization of the United
Nations (FAO) und 2. die „Principles for Responsible Agricultural Investment
that Respects Rights, Livelihoods and Resources“ der Weltbank, FAO, Interna-
tional Fund for Agricultural Development (IFAD) und anderen.

Außerdem existiert seit 2005 das „Model International Agreement on Invest-
ment“ des kanadischen Instituts „International Institute for Sustainable Devel-
opment“ (IISD). Das IISD hat ein Modell für Investitionsabkommen (ISA) ent-
wickelt, welches Investitionen für zukunftsfähige Entwicklung fördern will. In
diesem Modellvertrag werden zu den Rechten von Investoren auch ihre Pflich-
ten sowie die Rechte und Pflichten der Gastländer und Sitzländer aufgeführt.
Zusätzlich werden das Streitschlichtungsverfahren reformiert und neue Institu-
tionen geschaffen.

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Die Bundesregierung ihrerseits spricht sich im Diskurs 014 (2009) des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ein-
deutig dafür aus, dass Investitionen in Strategien der Armutsreduzierung der
Zielländer integriert werden sollen und dass eine gerechte Teilhabe der lokalen
Bevölkerung an den Gewinnen aus den Investitionen gewährleistet sein muss.
Weiter wird dort ausgeführt, dass das Menschenrecht auf Nahrung vor jeder
anderen Nutzung der Flächen (zum Beispiel Anbau von Energiepflanzen für
Agrartreibstoffe) Vorrang haben muss.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dafür Sorge zu tragen, dass die Durchsetzung des Menschenrechts auf
Nahrung vor den Interessen von Investoren Vorrang hat und dass groß-
flächige Landnahme in den Ländern des Südens nicht weiter eine Gefahr für
die Ernährungssouveränität der Menschen dort bleibt, und in diesem Sinne

a) sich im Rahmen der Handels- und Investitionspolitik der EU dafür ein-
zusetzen, dass Investitionen europäischer Unternehmen und Finanzinsti-
tutionen in Agrarproduktion und in Land in den Ländern des Südens nur
unter der Bedingung menschenrechtlicher Prüfung und unter Beachtung
der Partizipationsrechte nach dem Prinzip der freien, rechtzeitigen und
informierten Zustimmung mit möglichen Sanktionsmechanismen gestat-
tet werden;

b) eine Kommission einzuberufen und zu unterstützen, die ein deutsches
Modell eines Investitionsabkommens, vergleichbar mit dem „Model Inter-
national Agreement on Investment“ des IISD, ausarbeitet, sich für dessen
Implementierung als Grundlage für die neuen bilateralen Investitions-
schutzverträge der Europäischen Union einzusetzen, die aktuell im Ent-
wurf vorliegen (KOM(2010) 344), sowie im Rahmen der Vereinten Na-
tionen den Aufbau eines internationalen Investitionsregimes für zukunfts-
fähige Entwicklung aktiv zu unterstützen;

c) Auslandsdirektinvestitionen deutscher Unternehmen und Finanzinstituti-
onen in großflächigen Landkauf oder in Landpacht ab 30 Jahren Laufzeit
in den Ländern des Südens nicht durch öffentliche Kredite, Bürgschaften
oder andere öffentliche Förderungen abzusichern bzw. zu unterstützen;

d) grundsätzlich sicherzustellen, dass Auslandsdirektinvestitionen deutscher
Unternehmen und Finanzinstitutionen, die unmittelbar mit Agrarinvesti-
tionen verknüpft sind, nur unter der Bedingung einer obligatorischen
Menschenrechtsprüfung durch öffentliche Kredite, andere öffentliche För-
derung oder im Rahmen von Investitionsschutzabkommen unterstützt
werden;

e) in allen Verhandlungen über Wirtschafts- und Investitionsabkommen auf
die Problematik von großflächigen Landnahmen hinzuweisen und ent-
sprechende Maßnahmen zur Gewährleistung der Menschenrechte mit
möglichen Sanktionsmechanismen zu treffen;

2. in der bilateralen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit sicherzu-
stellen, dass das Ziel der Ernährungssouveränität nicht durch großflächige
Landnahme konterkariert wird, und in diesem Sinne

a) Partnerländer bei Landreformen und dem Erhalt bzw. dem Ausbau einer
kleinbäuerlichen Landwirtschaft nach Kräften zu unterstützen und lokale
Gruppen bei ihrer Aufklärungsarbeit zu Landnahme vor Ort zu unterstüt-
zen;

Drucksache 17/3541 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) sich dafür einzusetzen, dass bei Investitionen in Agrarwirtschaft und in
Land Gendersensibilität und eine gerechte Teilhabe der lokalen Bevöl-
kerung an den Gewinnen aus den Investitionen gewährleistet sind;

c) den Schutz informeller und gemeinschaftlicher Landrechte von Gemein-
den und Gemeinschaften bei deutschen Investitionen in Agrarwirtschaft
und in Land zu gewährleisten, insbesondere von Pastoralistinnen und Pas-
toralisten sowie von Wanderfeldbäuerinnen und Wanderfeldbauern;

d) sich bei der Weltbank dafür einzusetzen, dass sie keine Investitionsrisiken
von Unternehmen, die in den Ländern des Südens großflächig Land auf-
kaufen oder Land für 30 Jahre oder länger pachten, absichert und Agrarin-
vestitionen grundsätzlich nicht ohne eine obligatorische Menschenrechts-
prüfung abgesichert werden;

e) sich dafür einzusetzen, dass innerhalb der IFC der Weltbank die Instru-
mente des FIAS zur Förderung des Landerwerbs einer Überprüfung an-
hand menschenrechtlicher Kriterien unterzogen werden;

3. das Thema der großflächigen Landnahme in allen relevanten Positions- und
Strategiepapieren der Bundesregierung, so auch im Afrika-Konzept und im
Sektor-Konzept „Ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung“ des
BMZ, ausführlich zu behandeln und sich für eine verbindliche Vorrangstel-
lung der Menschrechte einzusetzen;

4. den Prozess und die Ausarbeitung der „Voluntary Guidelines on Responsible
Governance of Tenure of Land and other Natural Resources“ der FAO aktiv
zu unterstützen und ihre partizipative Implementierung sicherzustellen.

Berlin, den 27. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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