BT-Drucksache 17/3350

Beteiligung von pharmazeutischen Unternehmen an Verträgen der Integrierten Versorgung

Vom 21. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3350
17. Wahlperiode 21. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Birgitt Bender,
Elisabeth Scharfenberg, Dr. Thomas Gambke, Lisa Paus, Christine Scheel und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beteiligung von pharmazeutischen Unternehmen an Verträgen der Integrierten
Versorgung

Verträge der Integrierten Versorgung nach § 140a des Fünften Buches Sozialge-
setzbuch (SGB V) können die Qualität der Versorgung bestimmter Patienten-
gruppen oder ganzer Regionen verbessern. Bislang existiert dabei die Möglich-
keit für Krankenkassen, die Arzneimittelversorgung in der Integrierten Versor-
gung über Rabattverträge zu regeln. Im Zuge des Arzneimittelmarktneuord-
nungsgesetzes (AMNOG) soll dies nun gestrichen und Krankenkassen dafür die
Möglichkeit gegeben werden, über die Arzneimittelbereitstellung hinausge-
hende umfassende Versorgungsverträge zur Integrierten Versorgung direkt mit
pharmazeutischen Unternehmen abzuschließen. Bereits im Vorfeld der Verab-
schiedung des AMNOG sorgen jedoch Versorgungsverträge mit indirekter Be-
teiligung der pharmazeutischen Industrie bei Fachverbänden für erhebliche Kri-
tik.
So hat die AOK Niedersachsen kürzlich einen Integrationsvertrag nach § 140a
SGB V über die Versorgung von psychiatrischen Patienten abgeschlossen. Die-
ser Budgetvertrag umfasst ausschließlich die Versorgung von Patientinnen und
Patienten mit Schizophrenie. Vertragspartner ist das „Institut für Innovation
und Integration im Gesundheitswesen“ (I3G GmbH), eine 100-prozentige
Tochter des Pharmaunternehmens Janssen-Cilag GmbH. Janssen ist Hersteller
mit einem relevanten Marktanteil für verschreibungspflichtige Medikamente
zur Behandlung von an Schizophrenie erkrankten Patientinnen und Patienten.
Mit der regionalen Umsetzung wurde die Care for Schizophrenia (care4S)
GmbH beauftragt (vgl. Ärzte Zeitung, 7. September 2010).
Der Dachverband Gemeindepsychiatrie e. V. sowie die Deutsche Gesellschaft
für Soziale Psychiatrie e. V. (vgl. EPPENDORFER 10/2010, S. 9) befürchten
gravierende Folgen für die betroffenen Patientinnen und Patienten. Verträge wie
der in Niedersachsen widersprächen den S3-Leitlinien „Psychosoziale Thera-
pien“, bei denen multiprofessionelle, teambasierte und tatsächlich integrierte
Versorgungsansätze im Vordergrund stehen. Der niedersächsische Vertrag unter
Einbeziehung der Tochter eines pharmazeutischen Unternehmens biete Anlass
zu der Befürchtung, dass psychisch erkrankte Menschen in Niedersachsen künf-
tig vorwiegend medikamentös behandelt würden und gemeindepsychiatrisch

gewachsene Strukturen verdrängen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welche Weise kann die Integrierte Versorgung nach Auffassung der
Bundesregierung zu einer guten Versorgungsqualität psychisch Kranker bei-
tragen, und welche inhaltlichen Anforderungen an entsprechende Versor-
gungsverträge resultieren daraus?

Drucksache 17/3350 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2. a) Welche konkreten Verbesserungen für die Versorgungsqualität der Pa-
tientinnen und Patienten erwartet die Bundesregierung durch die mit der
Änderung des § 140b Absatz 1 SGB V beabsichtigten Aufnahme pharma-
zeutischer Unternehmen als direkte Vertragspartner der Krankenkassen in
der Integrierten Versorgung?

b) Welche konkreten Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung begründen
nach Ansicht der Bundesregierung die Vermutung verbesserter Versor-
gungsqualität?

3. a) Hält die Bundesregierung die geplanten Änderungen auch vor dem Hin-
tergrund für akzeptabel, dass dabei pharmazeutische Unternehmen Ein-
fluss auf die Medikamentenverordnungen des eigenen Angebots bekom-
men können?

Wenn ja, warum?

b) Auf welche Weise will die Bundesregierung eine derartige Einfluss-
nahme ausschließen?

4. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass durch Versorgungsverträge unter
direkter Beteiligung pharmazeutischer Unternehmen Anreize entstehen, die
zur Fehlversorgung von Patientinnen und Patienten führen können?

Wenn nein, warum nicht?

5. Auf welche Weise wird künftig angesichts der geplanten Streichung des
§ 140a Absatz 1 Satz 5 SGB V die Medikamentenversorgung bei Verträgen
der Integrierten Versorgung sichergestellt?

6. Wie bewertet die Bundesregierung den Versorgungsvertrag zwischen der
AOK Niedersachsen und der I3G GmbH bzw. der care4S GmbH vor dem
Hintergrund der Behandlungsleitlinien zur psychosozialen Therapie schwe-
rer psychischer Erkrankungen?

7. a) Hält die Bundesregierung den o. g. Versorgungsvertrag für zulässig?

b) Auf welcher rechtlichen Grundlage kann nach Ansicht der Bundesregie-
rung der o. g. Versorgungsvertrag abgeschlossen worden sein?

c) Zu welcher der in § 140b Absatz 1 SGB V genannten Leistungserbringer-
arten gehört nach Kenntnis der Bundesregierung die I3G GmbH?

8. a) Trifft es zu, dass die Begleitforschung zum Versorgungsvertrag der AOK
Niedersachsen durch das von Janssen geförderte Forschungsprojekt an
der Berliner Charité „Evaluation Integrierter Versorgung psychisch Kran-
ker in Berlin-Brandenburg, Niedersachsen und Bremen“ übernommen
wird, und wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Form der
pharmafinanzierten Begleitforschung?

b) Wenn nein, durch wen wird nach Kenntnis der Bundesregierung die
Begleitforschung zu o. g. Versorgungsvertrag realisiert, und ist nach Auf-
fassung der Bundesregierung gewährleistet, dass die Begleitforschung
unabhängig von Janssen oder einer Tochterfirma durchgeführt wird?

Berlin, den 21. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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