BT-Drucksache 17/323

EU-Terrorlisten und Außenwirtschaftsgesetz

Vom 18. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/323
17. Wahlperiode 18. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Jens
Petermann, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

EU-Terrorlisten und Außenwirtschaftsgesetz

Auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezem-
ber 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen ge-
richtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 344
vom 28. 12. 2001, S. 70) hat die Europäische Union zwei Listen mit von ihr als
„terroristisch“ eingestuften Personen und Organisationen beschlossen. Laut der
Verordnung sind alle Gelder und finanziellen Vermögenswerte und wirtschaft-
lichen Ressourcen der in der Liste aufgeführten Personen, Vereinigungen und
Körperschaften einzufrieren, zugleich dürfen ihnen weder direkt noch indirekt
Gelder, andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen zur
Verfügung gestellt werden.

Nach § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) können vorsätzliche Verstöße
gegen Sanktionsvorschriften der EU mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis
zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Auch ein fahrlässiger Verstoß ist strafbar.
§ 34 AWG ist eine sogenannte Blankettnorm, d. h. das Gesetz beschreibt nicht
abschließend, welche konkreten Handlungen strafbar sind, sondern überlässt
diese Bestimmung europäischen oder internationalen Rechtsakten.

Für die EU-Terrorliste, deren Rechtsnatur bislang weitgehend ungeklärt ist, fin-
det der Grundsatz der Unschuldsvermutung keine Anwendung. Das Gericht
Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften hat mit Urteil vom 2. Septem-
ber 2009 (Az. T-37/07 und 323/07) entschieden, dass eine Person durch Be-
schluss des Rates auch dann in die EU-Terrorliste aufgenommen und deren
Gelder eingefroren werden können, wenn eine rechtskräftige Verurteilung nicht
vorliegt. Denn solche Sicherungsmaßnahmen stellten keine Strafmaßnahmen
dar und griffen der Unschuld oder der Schuld der betreffenden Person in keiner
Weise vor.

Unabhängig davon kritisierten das Gericht Erster Instanz und der Europäische
Gerichtshof (EuGH) in mehreren Entscheidungen nach Klagen betroffener
Organisationen oder Personen, dass das Verfahren der Erstellung der Terrorliste
weder demokratisch noch rechtlich legitimiert oder kontrolliert ist. Zudem
beruhen die Informationen, die zur Listung führen, oft auf Informationen von
Geheimdiensten, die in der Regel nicht bereit sind, ihre relevanten Informatio-

nen den Gerichten zur Verfügung zu stellen. Wo jedoch Informationen über die
Voraussetzungen einer Entscheidung fehlen, ist regelmäßig auch die juristische
Bewertung der Entscheidung nicht möglich.

Der Sonderermittler des Europarates, Dick Marty, bezeichnete das Vorgehen
der EU in Bezug auf die Terrorliste als ungerecht und pervers. So würden Men-
schen im Sinne des Feindstrafrechts mit einer zivilen Todesstrafe belegt, da sie

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in keiner Weise mehr handlungsfähig wären. Selbst Serienkiller hätten mehr
Rechte als die dort Gelisteten.

Kritiker sehen in Anklagen auf Grundlage des AWG in Verbindung mit den
EU-Terrorlisten die Etablierung eines neuen Mittels zur Kriminalisierung un-
liebsamer politisch tätiger Menschen und der von ihnen vorgenommenen finan-
ziellen Interaktionen, das kaum mehr einer juristischen und demokratischen
Kontrolle unterliegt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit hält die Bundesregierung die EU-Terrorliste für anwendbar oder
sogar bindend für die Vorschrift des § 34 AWG?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Problematik, dass es im Falle einer
Anklage nach § 34 AWG auf Grundlage der EU-Terrorliste nicht mehr dem
nationalen Strafgericht obliegt, zu beurteilen und zu überprüfen, ob es sich
bei einer Organisation tatsächlich um eine terroristische Vereinigung han-
delt, sondern diese Entscheidung durch die weder von der Legislative noch
der Judikative zu beeinflussende Aufnahme der Organisation auf die EU-
Terrorliste vorweggenommen und somit der einem rechtsstaatlichen Straf-
verfahren angemessenen gerichtlichen Kontrolle entzogen wird?

3. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Bundesanwaltschaft in dem in der
Vorbemerkung erwähnten Verfahren angeregt hat, eine Vorabentscheidung
hinsichtlich bestimmter Rechtsfragen vor dem EuGH einzuholen?

Wie beurteilt die Bundesregierung diese Anregung?

4. Inwieweit ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Unbestimmtheit
der Normen des § 34 AWG in Verbindung mit der EU-Terrorliste dem Ver-
fassungsgrundsatz des Artikels 103 Absatz 2 des Grundgesetzes („Eine Tat
kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war,
bevor die Tat begangen wurde“) Genüge tut, wenn die Strafbarkeit der
Handlung einer Person von in regelmäßigen Abständen wechselnden EU-
Ministerratsbeschlüssen abhängen soll?

5. Welchen Beitrag zur Rechtssicherheit leistet nach Auffassung der Bundes-
regierung in diesem Zusammenhang das Merkblatt des Bundesamtes für
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle „Länderunabhängige Embargomaßnahmen
zur Terrorismusbekämpfung“, das auch über die Sanktionsnorm des § 34
AWG informieren soll, und in dem es einleitend heißt: „Der Inhalt des
Merkblatts steht unter dem Vorbehalt einer abweichenden Auslegung durch
die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden und ist nicht rechtsverbindlich“?

6. Welche und wie viele Verstöße gegen § 34 AWG im Zusammenhang mit auf
den EU-Terrorlisten genannten Organisationen oder Personen innerhalb des
Bundesgebietes sind der Bundesregierung seit Inkrafttreten der Verordnung
(EG) Nr. 2580/2001 bekannt?

a) In welchen dieser Fälle kam es zu einer Anklageerhebung?

b) In welchen dieser Fälle kam es zu einer Verurteilung und in welcher
Höhe?

c) In welchen Fällen kam es zu einer Einstellung oder einem Freispruch?

7. Welche auf den EU-Listen über terroristische Organisationen genannten
Gruppierungen oder Einzelpersonen sind nach Erkenntnissen der Bundesre-
gierung im Bundesgebiet vertreten?

a) Welche davon sind im Bundesgebiet politisch in Erscheinung getreten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/323

b) Welche davon haben lediglich Unterstützer oder Mitglieder im Bundes-
gebiet, ohne direkt politisch in Erscheinung zu treten?

c) Welche davon sammeln Gelder im Bundesgebiet zur Unterstützung ihrer
Organisationen?

8. In wie vielen und welchen Fällen wurden Gelder oder sonstige Vermögens-
werte der auf den EU-Listen genannten Organisationen, Körperschaften
oder Einzelpersonen seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001
eingefroren (bitte jeweils einzeln und nach Jahren aufschlüsseln)?

a) Welche Gruppierungen oder Einzelpersonen waren davon betroffen?

b) Wie hoch waren die eingefrorenen Gelder oder Vermögenswerte jeweils?

c) Wo wurden diese Gelder oder Vermögenswerte aufgefunden?

d) In welchen Fällen wurde den auf den Listen genannten Personen oder
Unterstützern der genannten Organisationen oder Körperschaften die Be-
reitstellung von Geldern, Krediten oder sonstigen wirtschaftlichen Res-
sourcen verweigert?

e) In welchen Fällen wurden strafrechtliche Schritte gegen in Deutschland
ansässige Firmen und Finanzinstitutionen wegen geschäftlicher Bezie-
hungen mit auf den Listen genannten Organisationen, Personen oder Kör-
perschaften eingeleitet?

9. In wie vielen und welchen Fällen haben betroffene Einzelpersonen oder
Organisationen gegen Maßnahmen deutscher Behörden im Zusammenhang
mit der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 vor deutschen und europäischen
Gerichten geklagt und mit welchem Erfolg?

Berlin, den 17. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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