BT-Drucksache 17/3216

Abstimmung über das neue strategische Konzept der NATO

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3216
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas
Nord, Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Abstimmung über das neue Strategische Konzept der NATO

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

vor der Zustimmung der Bundesregierung zum neuen Strategischen Konzept
der NATO dieses Dokument dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vor-
zulegen.

Berlin, den 5. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die für November 2010 in Lissabon geplante Verabschiedung des neuen „Strate-
gischen Konzepts“ der NATO wird erhebliche Konsequenzen für den Hand-
lungsspielraum der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik haben. In
Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 zum Einsatz
der Bundeswehr in der Adria, welches die Eckpunkte für die Beteiligung des
Deutschen Bundestages festsetzte, das Urteil zum 1999 verabschiedeten Strate-
gischen Konzept der NATO von 2001, welches den Ermessensspielraum der
Bundesregierung hinsichtlich des Eingehens neuer (völker-)rechtlicher Ver-
pflichtungen bestimmte, sowie dem jüngsten Urteil zu den Lissaboner Verträgen
2009, in dem das Mitwirkungsrecht des Deutschen Bundestages bei inter-
gouvernmentalen Entscheidungen gestärkt wurde, ist es nur folgerichtig, dass
der Deutsche Bundestag vor dem Treffen des NATO-Rates über das neue „Stra-
tegische Konzept“ diskutiert und der Bundesregierung ein Mandat für deren
Abstimmungsverhalten im NATO-Rat erteilt.

Aufgrund der politischen Bedeutung und den strukturellen Konsequenzen für
die Sicherheits- und Verteidigungspolitik hält der Deutsche Bundestag seine
Beteiligung für notwendig. Die Beteiligung des Deutschen Bundestages in die-
ser wichtigen Frage würde außerdem das bislang hingenommene Missverhält-
nis beseitigen, dass der Deutsche Bundestag einerseits jeder Aufnahme neuer

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NATO-Mitgliedstaaten zustimmen muss, bei der aber viel weitreichenderen
Festlegung neuer militärischer Aufgabenfelder keine Stimme hat.

Welche weitreichenden Auswirkungen das „Strategische Konzept“ der NATO
auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Mitgliedstaaten und die Aus-
gestaltung des Militärbündnisses hat, zeigt das 1999 von der NATO angenom-
mene „Strategische Konzept“. Es steckte den Rahmen ab für die Planung von
Militärinterventionen und die Bereitstellung der entsprechenden militärischen
Kapazitäten. Die Reorganisation der NATO-Marinekomponenten, die heute als
Standing Naval Groups im Mittelmeer und am Horn von Afrika quasi im
Dauereinsatz sind, die Aufstellung der NATO Response Force für Militärinter-
ventionen auch ohne UN-Mandat und die Aufstellung von verlegbaren Haupt-
quartieren für diese Interventionen sind auf die politischen Vorgaben des Strate-
gischen Konzepts zurückzuführen. Die damalige Bekräftigung der Mitglied-
staaten, dass Atomwaffen ohne Einschränkungen zum Einsatzspektrum der
Militärallianz gehören, ist auch heute noch Grundlage für die Bereitstellung
von Tornados im Rahmen der technisch-nuklearen Teilhabe. Vor allem aber hat
die Ausweitung des Aufgabenspektrums bis hin zur globalen Sicherung der
Seetransportwege und des Einsatzgebietes über die Grenzen der NATO-Staaten
hinaus erhebliche und ernste Auswirkungen für die Mitgliedstaaten.

Jedes neue Strategische Konzept schafft neue Sachzwänge für die Mitgliedstaa-
ten, die außerhalb der parlamentarischen Kontrolle bleiben. Zwar hat das Bun-
desverfassungsgericht 2001 geurteilt, dass die Fortentwicklung eines Systems
kollektiver Sicherheit – als das die NATO von dem Gericht eingestuft wurde –,
die keine Vertragsänderung ist, keiner gesonderten Zustimmung des Deutschen
Bundestages bedarf. Gleichzeitig wird eingeschränkt, dass das Recht auf Teil-
habe dann verletzt wird, wenn die Bundesregierung die Fortentwicklung des
Systems jenseits der ihr erteilten Ermächtigung betreibt und/oder das Bündnis
den Zweck der Friedenswahrung verlässt.

Selbst wenn das neue Strategische Konzept keine Änderung des ursprünglichen
NATO-Vertrages bedeutet, werden damit erneut die Aufgabenschwerpunkte der
NATO verschoben, z. B. hinsichtlich dem Stellenwert der territorialen Bündnis-
verteidigung und der Rolle der Atomwaffen. Gerade zu letzterem Aspekt hat
der Deutsche Bundestag im März 2010 klare Vorgaben gemacht. Atomwaffen
wurden als friedensgefährdende Waffen identifiziert und die Bundesregierung
aufgefordert, für eine Beendigung der technischen nuklearen Teilhabe zu sor-
gen und die Rolle der Atomwaffen in der NATO-Strategie zurückzuführen. Der
Deutsche Bundestag muss die Gelegenheit bekommen, die Einhaltung seiner
Vorgaben bei der Fortentwicklung der NATO zu überprüfen.

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