BT-Drucksache 17/3203

"Kinder, Küche und Karriere" - Vereinbarkeit für Frauen und Männer besser möglich machen

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3203
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn),
Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

„Kinder, Küche und Karriere“ – Vereinbarkeit für Frauen und Männer besser
möglich machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es hat sich in den vergangenen Jahren ein zunehmendes Problembewusstsein
für die Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ent-
wickelt. Doch noch immer stellt genau diese Vereinbarkeitsproblematik viele
Eltern vor beinahe unüberwindliche Hindernisse: Arbeitszeiten und Arbeits-
umfang sind wenig flexibel und Kitaplätze oder Hortbetreuungsmöglichkeiten
nicht ausreichend oder nicht in gewünschter Qualität vorhanden. Es fehlt insge-
samt an ganztägigen Angeboten und die Öffnungszeiten der Einrichtungen sind
oft unflexibel und lebensfern.

Eltern benötigen in zweifacher Hinsicht Unterstützung: zum einen eine fami-
lienfreundliche Arbeitswelt und zum anderen gute Betreuungsangebote für ihre
Kinder. Bisher mangelt es vielerorts an beidem.

Zentral für eine gelungene Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufstätigkeit
sind verlässliche Kinderbetreuungsangebote. Gute Betreuung für Kinder um-
fasst nicht allein bedarfsgerechte Betreuungszeiten in Kitas und Schulen, Ganz-
tagsbetreuung sowie praktikable Angebote für flexible Betreuungsarrange-
ments, sondern schließt selbstverständlich hochwertige pädagogische Angebote
in den Einrichtungen ein. Das bedeutet: kleine, altersentsprechende Gruppen-
größen, gut ausgebildetes Fachpersonal in Kindertageseinrichtungen und ein
adäquater Personalschlüssel, der frühkindliche Bildung und Förderung ermög-
licht. Der bisherige Ausbau der Kindertagesbetreuung stockt und vernachläs-
sigt qualitative Aspekte. Hier gibt es deutlichen Nachbesserungsbedarf.

Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Kinder ab dem vollendeten ersten
Lebensjahr, der 2013 in Kraft treten soll, ist ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung. Seine Finanzierung beruht allerdings nicht auf einer soliden Kosten-
kalkulation. Viele Länder leiten zudem die Bundesmittel nicht vollständig
weiter und ziehen Landesmittel aus der Finanzierung ab. Bund und Länder
müssen gemeinsam mit den Kommunen dafür Sorge tragen, dass der Rechtsan-
spruch auch umgesetzt wird. Dabei dürfen die Kommunen nicht einseitig durch
bisher unberücksichtigte Kosten belastet werden. Zudem umfasst der für 2013
avisierte Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz keinen Ganztags-
platz wie er für erwerbstätige oder in Ausbildung befindliche Eltern notwendig

Drucksache 17/3203 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ist. Es ist die Aufgabe von Staat und Politik, für Familien vernünftige Rahmen-
bedingungen zu schaffen, also auch ein bedarfsorientiertes Angebot an Kinder-
betreuung bereitzustellen. Nur ein Rechtsanspruch auf eine qualitativ hoch-
wertige ganztägige Kinderbetreuung für Kinder ab Vollendung des ersten
Lebensjahres, genauso wie für ältere Kinder, kann Familien die notwendige
Verlässlichkeit garantieren.

Schule muss sich ändern – vor allem für die Kinder. Doch auch Eltern profi-
tieren davon in mehrfacher Hinsicht. Ganztagsschule heißt, der Schule einen
neuen Rhythmus zu geben, Unterricht neu zu strukturieren und ganzheitliches
Lernen zu ermöglichen. Mit der Ganztagsschule und guten Hortangeboten ver-
bessern sich nicht nur Bildungschancen, sondern auch die Vereinbarkeit von
Beruf und Familie. Diese wird deutlich erleichtert. Hier ist bislang viel zu we-
nig passiert.

Die Vereinbarkeit von Elternschaft und Erwerbstätigkeit ist ein Problem, das
zwar zunehmend Männer, aber weiterhin vor allem Frauen betrifft. In der Folge
von fehlender Infrastruktur und ungenügender Familienfreundlichkeit am
Arbeitsplatz bleiben Frauen oft berufliche Chancen verwehrt. Sie verdienen
weniger und tragen die Hauptlast der Familienarbeit. Trotz gleichwertiger
Arbeit verdienen Frauen immer noch etwa ein Viertel weniger als Männer und
sind überdurchschnittlich oft im Niedriglohnsektor beschäftigt. Teilzeitlösun-
gen zugunsten der Kindererziehung sind dadurch für viele Frauen nicht mög-
lich. Zudem tragen sie die Hauptlast der Sorge- und Familienarbeit.

Auch die Instrumente der Familienförderung müssen mit Blick auf eine besse-
rer Vereinbarkeit ausgestaltet werden. Zwar hat sich das Elterngeld als fami-
lien- und gleichstellungspolitisches Instrument grundsätzlich bewährt. Doch
eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der frühen Familienphase
hat es bisher nur bedingt ermöglicht. Eine partnerschaftliche Aufteilung der
Familien- und Erziehungsarbeit ist trotz eines deutlichen Umdenkens im Hin-
blick auf die Rollenbilder von Frauen und Männern noch nicht erreicht. Das
Elterngeld in der derzeitigen Ausgestaltung mit einem doppelten Anspruchs-
verbrauch bei gleichzeitiger Teilzeittätigkeit beider Eltern stützt die Ungleich-
verteilung und steht egalitären Familienarbeits- und Arbeitszeitarrangements
entgegen. Um dem Wunsch vieler Eltern nach Teilzeitarbeit nachkommen zu
können und eine flexible partnerschaftliche familiäre Arbeitsteilung besser zu
ermöglichen, muss die Teilelterngeldoption beim Elterngeld weiterentwickelt
und die gleichzeitige Teilzeit während des Elterngeldbezugs ermöglicht wer-
den.

Eine familienfreundliche Beschäftigungskultur muss einhergehen mit der Nut-
zung von flexiblen Arbeitszeitmodellen und einem anderen Umgang mit Teil-
zeitmodellen. Vor allem die Option einer 30-Stundenwoche finden viele Mütter
und Väter, auch unter dem Gesichtspunkt einer egalitären Verteilung der Sorge-
und Erwerbsarbeit, erstrebenswert. Allerdings ist eine familienbedingte Teil-
zeitarbeit fast nur bei Müttern anzutreffen und unter Vätern immer noch rar, so-
dass eine egalitäre Arbeitszeitkonstellation mit Teilzeit beider Eltern fast nicht
vorkommt. Um Familie und Beruf besser auszubalancieren, wünschen sich
Eltern mehrheitlich kürzere Arbeitszeiten. Doch Wunsch und Wirklichkeit
gehen gerade hier weit auseinander. Möglichkeiten für eine „lange Teilzeit“
sind oft nicht vorhanden oder nicht bekannt. Auch das fehlende Rückkehrrecht
auf eine Vollzeittätigkeit macht die Inanspruchnahme von Teilzeit für viele
immer noch unattraktiv.

Familien und Alleinerziehende in den unteren Einkommensgruppen hingegen
können nur von Teilzeitarbeit träumen. Im Gegenteil: Sie sind aufgrund nied-
riger Löhne gezwungen, zusätzliche Jobs zu Lasten der Kinder anzunehmen.
Beschäftigte müssen von ihrer Arbeit leben können. Ein gesetzlicher Mindest-
lohn als Unterkante und branchenspezifische Mindestlöhne sind unerlässlich.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3203

Ausbildungs- und Studienstrukturen, aber auch Finanzierung und Organisation
von Ausbildung und Studium sind an vielen Hochschulen und in vielen Ausbil-
dungsgängen bislang nur in Einzelfällen so gestaltet, dass Elternschaft und
Ausbildung oder Studium problemlos vereinbar sind. Die Rahmenbedingungen
von Ausbildung und Studium sind so weiterzuentwickeln und zu öffnen, dass
Eltern ohne Benachteiligung die jeweilige Qualifizierungsphase absolvieren
können. Neben der verstärkten Ermöglichung eines Teilzeitstudiums ist es da-
her notwendig, das Studienangebot auch ansonsten verstärkt, entsprechend der
spezifischen (zeitlichen) Bedürfnisse von studierenden Eltern, auszugestalten.
Bei der beruflichen Ausbildung hat die damalige rot-grüne Bundesregierung
2005 dafür gesorgt, dass Eltern eine Teilzeitausbildung vereinbaren können,
ohne dass dies die Gesamtdauer der Ausbildung verlängert. Über diese Mög-
lichkeit müssen mehr Betriebe informiert werden, damit vor allem junge Mütter
nicht ohne Ausbildung bleiben, während Betriebe händeringend nach Auszubil-
denden suchen. Die Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie sollte auch
durch eine Modularisierung der Ausbildungen und die Bündelung von Angebo-
ten in den überbetrieblichen Ausbildungsstätten unterstützt werden, wie bei-
spielsweise mit dem Modell DualPlus.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– bei dem im Achten Buch Sozialgesetzbuch zum Jahre 2013 verankerten
Rechtsanspruch auf Betreuung für unter Dreijährige klarzustellen, dass die-
ser Anspruch einen ganztägigen Betreuungsplatz umfasst;

– gemeinsam mit den Ländern für Qualitätsverbesserungen in der Kinder-
tagesbetreuung Sorge zu tragen, insbesondere durch

● die flächendeckende Verbesserung der Strukturqualität der Angebote,

● die qualitative Anhebung der Ausbildung eines Teils der Erzieherinnen
und Erzieher auf Hochschulniveau,

● die Verankerung einer verbindlichen Grundqualifizierung von Kinder-
tagespflegekräften und die Schaffung adäquater Weiterbildungsmöglich-
keiten,

● die Erweiterung von Kindertageseinrichtungen zu Eltern-Kind-Zentren
als Regelangebot anzustreben,

● die Gewährleistung einer gesunden, ausgewogenen und kindgerechten
Verpflegung innerhalb der institutionellen Betreuungsangebote,

● die Entwicklung einer umfassenden Initiative, um die vielfältigen Ange-
bote der Familienbildung mit mehr Ressourcen auszustatten, besser mit-
einander und mit angrenzenden Bereichen wie der Erwachsenenbildung
oder Gesundheitsaufklärung zu vernetzen und die Zugänge zu den Ange-
boten zu verbessern;

– gemeinsam mit den Ländern und Kommunen unverzüglich eine fundierte
und aktualisierte Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs an Kinderbetreuungs-
plätzen zur Realisierung des Rechtsanspruch ab dem Jahr 2013 vorzuneh-
men und das benötigte Finanzvolumen am tatsächlichen Bedarf auszurichten
sowie alle Kosten zur Realisierung der mit dem Kita-Ausbau angestrebten
Ziele und Leistungen – auch im qualitativen Bereich – in die Kostenkalkula-
tion einzubeziehen;

– auf die Länder einzuwirken den flächendeckenden Ausbau von Ganztags-
schulen an allen Schulformen und für alle Schulstufen voranzutreiben. Dar-
über hinaus sollten die Länder Möglichkeiten einer gesicherten Kinderbe-
treuung in den Ferien schaffen;

Drucksache 17/3203 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Elterngeldes vorzulegen,
der die Zahlung eines Teilelterngeldes bei gleichzeitiger Teilzeittätigkeit bei-
der Eltern ohne doppelten Anspruchsverbrauch flexibel möglich macht;

– das im Teilzeit- und Befristungsgesetz verankerte Recht auf Teilzeit um ein
Rückkehrrecht auf eine Vollzeittätigkeit zu ergänzen, damit Eltern wieder in
eine Vollzeittätigkeit zurückkehren können;

– gemeinsam mit den Sozialpartnern eine Initiative für familienfreundliche
Arbeitszeitmodelle zu starten, die auch den besonderen Bedürfnissen allein-
erziehender Eltern gerecht wird;

– Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Chancen für den
beruflichen Wiedereinstieg zu verbessern und sie so zu gestalten, dass die
Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben gewähr-
leistet sind;

– gemeinsam mit den Ländern im Bundesausbildungsförderungsgesetz eine
Kinderkomponente zu ergänzen, die eine bessere Vereinbarkeit von Eltern-
schaft und Studium während der Ausbildungsphase ermöglicht und die Stu-
dienfinanzierung von Studierenden mit Kind nachhaltig verbessert;

– gemeinsam mit den Ländern die Rahmenbedingungen von Ausbildung und
Studium so flexibel weiterzuentwickeln, dass Eltern ohne Benachteiligung
die jeweilige Qualifizierungsphase absolvieren können. Die Möglichkeit der
Teilzeitausbildung sollte bekannt gemacht und durch geeignete Maßnahmen
unterstützt werden;

– gemeinsam mit den Ländern, Trägern, Wohlfahrtsverbänden und Kranken-
kassen Unterstützungsangebote wohnortnah zu etablieren, die unter ande-
rem die Betreuung der Kinder während einer Krankheit oder bei beruflicher
Abwesenheit des betreuenden Elternteils qualifiziert und sicherstellen. Bund
und Länder sollen dabei gemeinsam für eine adäquate Finanzierung dieser
Maßnahmen sorgen.

– einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen und branchenspezifische Min-
destlöhnen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu ermöglichen.

Berlin, den 5. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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