BT-Drucksache 17/3189

Arbeit familienfreundlich gestalten

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3189
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Sabine Zimmerman und der Fraktion DIE LINKE.

Arbeit familienfreundlich gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Laut „Monitor Familienleben 2010“ beklagen 42 Prozent der nichtberufstätigen
Mütter die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Besonders stark
betroffen sind Alleinerziehende. Angemahnt wird die mangelnde Ganztags-
betreuung von Kindern (54 Prozent) ebenso wie flexible Betreuungszeiten
(56 Prozent). Rund 53 Prozent der befragten Eltern wünschen sich eine stärkere
finanzielle Förderung. Diesen grundlegenden Bedürfnissen der Familien be-
gegnet die Bundesregierung völlig unzureichend.

Der Ausbau der Kinderbetreuung hinkt weit hinter den Erfordernissen zurück.
Die finanziell „ausgetrockneten“ Kommunen können diese Last nicht alleine
schultern. Finanziell mutet die Bundesregierung gerade einkommensschwachen
Familien harte Einschnitte zu: Das Elterngeld für Familien in Hartz IV wird
ebenso gestrichen wie der Übergangszuschlag vom Arbeitslosengeld zu Leis-
tungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Regelsätze er-
füllen bisher nicht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums. Geringverdiener verlieren den Heizkostenzuschlag. Sowohl
im Bereich der infrastrukturellen Unterstützung als auch in der direkten finan-
ziellen Förderung von Familien sind dringend Verbesserungen erforderlich.

Familien benötigen Unterstützung in Form eines Dreiklanges aus Infrastruktur,
Geld und Zeit, so der Siebte Familienbericht der Bundesregierung. Dieser Drei-
klang wird so lange nicht harmonisch sein, wie die betriebliche Realität – ins-
besondere die Gestaltung der Arbeitszeit – einseitig von der Interessenlage der
Unternehmen dominiert wird. Die überwiegende Mehrheit von Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern wünscht sich Arbeitszeiten, die kürzer als der der-
zeitige Standard der Vollzeitarbeit sind und sich im Bereich „lange Teilzeit“ oder
„kurze Vollzeit“ bewegen. Dies sehen viele als Voraussetzung dafür an, Familie
und Beruf vereinbaren zu können. In ihrem Bemühen, Kindererziehung und Be-
ruf zu vereinbaren, stoßen Eltern zu oft an Grenzen, die Politik, Wirtschaft und

Gesellschaft zu verantworten haben. Prekäre Arbeitsverhältnisse und materielle
Unsicherheit führen bei vielen Menschen dazu, dass der Wunsch nach Kindern
nicht mehr realisiert wird. Für Familien mit Kindern, besonders für Alleinerzie-
hende, ist der Alltag ein Balanceakt mit zunehmender Absturzgefahr. Vor allem
junge Frauen müssen mit dem Risiko leben, dass ihnen nach einer Elternzeit der
Wiedereinstieg in den Beruf erschwert oder verwehrt wird. Die Entscheidung
für ein Kind ist in Deutschland oft immer noch eine Entscheidung hinsichtlich

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der Erwerbstätigkeit der Frau. Es ist daher dringend geboten, die Arbeitszeit so
zu gestalten, dass Mütter und Väter beide die Möglichkeit haben, sowohl er-
werbstätig zu sein als auch ihren Beruf mit der Familie zu vereinbaren. Politik
und Unternehmen stehen in der Verantwortung für eine familienfreundliche
Arbeitswelt.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf keine Frage der individuellen
Durchsetzungsfähigkeit und der Bereitschaft zum „Entgegenkommen“ der Ar-
beitgeber sein. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, welches gesamt-
gesellschaftlicher Antworten bedarf. Notwendig ist ein Umdenken, das den
mobilen, flexiblen und umfassend verfügbaren Arbeitnehmer nicht mehr zum
Maßstab unternehmerischer Politik macht. Erforderlich sind darüber hinaus eine
Stärkung der Rechte von Eltern im Berufsleben und eine deutliche Verbesserung
der Rechtposition von betrieblichen Interessenvertretungen und Gewerkschaf-
ten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich ein Maßnahmenpaket zur Stärkung der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf vorzulegen, das folgende Aspekte umfasst:

1. Kündigungsschutz für Eltern ausweiten

Im Elterngeldgesetz und im Kündigungsschutzgesetz wird der besondere Kün-
digungsschutz, wie er schon heute bis zum Ende der Elternzeit gilt, auf den
gesamten Zeitraum bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres des Kindes ausge-
weitet. Darüber hinaus werden die Kriterien, nach denen die obersten Landes-
behörden Kündigungen während des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit zulas-
sen dürfen, deutlich präzisiert und eingeschränkt.

2. Berufsrückkehr fördern

Die Situation von Berufsrückkehrerinnen und Berufsrückkehrern nach der
Elternzeit wird durch ein ausdrücklich im Bundeselterngeld- und Elternzeit-
gesetz verankertes Rückkehrrecht auf den gleichen oder einen gleichwertigen
Arbeitsplatz gestärkt. Berufsrückkehrerinnen und Berufsrückkehrer erhalten
außerdem einen Rechtsanspruch auf alle Verbesserungen der Arbeitsbedingun-
gen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten. Durch
Beteiligung an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen und die bevorzugte
Möglichkeit zur Übernahme kurzer Vertretungen soll der Kontakt zum Unter-
nehmen auch während der Elternzeit erhalten bleiben.

3. Gestaltung der Arbeitszeit

Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhalten Eltern mit Kindern im Alter
von unter 12 Jahren ein Initiativrecht zu einer möglichen Gestaltung von Beginn
und Ende ihrer regulären Arbeitszeit – verbunden mit einer Ankündigungsfrist.
Für Eltern wird das Recht in Teilzeit arbeiten zu können durch einen Rechts-
anspruch auf Rückkehr auf eine Vollzeitstelle bzw. auf eine Verlängerung der
wöchentlichen Arbeitszeit ergänzt. Ebenfalls erhalten sie das Recht, von Mehr-
schichtbetrieb in Normalschicht zu wechseln und Mehrarbeit abzulehnen. Be-
triebe, die mit Eltern mit Kindern unter 12 Jahren Mehrarbeit vereinbaren, müs-
sen die Kosten für zusätzlich anfallende Kinderbetreuung übernehmen.

Berlin, den 5. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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