BT-Drucksache 17/3188

Für eine Normalisierung der Beziehungen der Europäischen Union zu Kuba

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3188
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Jan van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether
Dehm, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,
Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord, Richard Pitterle, Paul
Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Für eine Normalisierung der Beziehungen der Europäischen Union zu Kuba

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Kuba ist das einzige Land Lateinamerikas und der Karibik, mit dem die Euro-
päische Union (EU) nicht durch ein beiderseitiges Abkommen verbunden ist.
Dennoch findet Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Ebenen statt: Die
Europäische Union gehört zu den wichtigsten Handelspartnern Kubas. Mit
den Instrumenten des Amtes für humanitäre Hilfe (ECHO) und dem Finan-
zierungsinstrument für die Entwicklungszusammenarbeit (DCI) unterstützt
die Europäische Union Kuba bei der Bewältigung schwerer Unwetterschä-
den. Einige Mitgliedstaaten, darunter Frankreich und Belgien aber nicht die
Bundesrepublik Deutschland, unterhalten darüber hinaus bilaterale Pro-
gramme der Zusammenarbeit. Seit 2008 findet außerdem ein politischer
Dialog zwischen der EU und Kuba statt, zuletzt am 10. Juni 2010 in Paris.

2. Die Normalisierung und die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen
der Europäischen Union und Kuba werden jedoch durch den Gemeinsamen
Standpunkt der EU zu Kuba blockiert, der am 2. Dezember 1996 durch den
Rat der EU angenommen wurde (96/697/GASP) und seither die Grundlage
des Verhältnisses der EU zu Kuba darstellt. Der Gemeinsame Standpunkt
folgt einem unilateralen Ansatz und formuliert explizit das Ziel eines poli-
tischen Wandels in Kuba. Dies stellt im Verhältnis der EU zu Staaten Latein-
amerikas und der Karibik eine einzigartige Herangehensweise dar. Das Ziel
des Systemwechsels verstößt gegen das Nichteinmischungsgebot der Charta
der Vereinten Nationen (VN-Charta).

3. Ungeachtet dessen und trotz der von den Vereinigten Staaten von Amerika
seit Jahrzehnten aufrechterhaltenen Wirtschaftsblockade konnte Kuba in den
letzten 10 Jahren seine internationale Isolation erfolgreich überwinden. Im
Zuge der regionalen Integration Lateinamerikas spielt Kuba als Gründungs-

mitglied der Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika
(ALBA) und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen
Staaten (CELC) eine zunehmend wichtige politische Rolle und tritt zudem
als bedeutender entwicklungspolitischer Akteur in vielen Ländern auf.

4. In Erwägung dieser Prozesse hatte während der spanischen EU-Ratspräsi-
dentschaft (1. Jahreshälfte 2010) ein Reflexionsprozess innerhalb der Euro-

Drucksache 17/3188 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

päischen Union darüber eingesetzt, wie die Beziehungen künftig gestaltet
werden sollen. In einem Diskussionspapier der Hohen Repräsentantin vom
April 2010 wird unter anderem die Möglichkeit angesprochen, den uni-
lateralen Ansatz zugunsten eines bilateralen Ansatzes aufzugeben und in
Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen der EU mit Kuba einzutre-
ten. In Anerkennung der erfolgreichen Entwicklungsprogramme Kubas wird
außerdem angeregt, eine trilaterale Zusammenarbeit zugunsten Dritter mit
Kuba zu prüfen.

5. In der EU gibt es dazu noch keine einheitliche Haltung. Während die spa-
nische Regierung für Verhandlungen der EU mit Kuba plädiert und sich
einige Mitgliedstaaten dieser Haltung anschließen, beharren andere, darunter
die deutsche Bundesregierung, weiter auf dem Gemeinsamen Standpunkt.
Die Diskussion über die Beibehaltung, Überarbeitung oder Ablösung des
Gemeinsamen Standpunkts durch einen bilateralen Ansatz der gleichberech-
tigten Verhandlungen wird dementsprechend unter der belgischen EU-Rats-
präsidentschaft (2. Jahreshälfte 2010) fortgesetzt.

6. Unterdessen hat die spanische Regierung nach Ablauf ihrer EU-Ratspräsi-
dentschaft in direkten Verhandlungen mit der kubanischen Regierung die
Freilassung von 52 inhaftierten Dissidenten erreicht und so verdeutlicht, wie
Betroffenen real geholfen werden kann. Dies ist ein überzeugender Erfolg
einer Ausrichtung der Kubapolitik auf nicht konditionierte Verhandlungen
auf gleicher Augenhöhe, die sich die EU insgesamt zu eigen machen muss.
Die Freilassung der 52 Inhaftierten wird ausdrücklich begrüßt.

7. Die EU sollte sich für die Freilassung der seit 1998 in den USA inhaftierten
und als „Miami Five“ bekannt gewordenen fünf kubanischen Gefangenen
einsetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich innerhalb der EU dafür einzusetzen,

a) dass der Gemeinsame Standpunkt zu Kuba (96/697/GASP) aufgehoben
wird,

b) dass er durch einen bilateralen Ansatz ersetzt wird und dementsprechend
Verhandlungen mit Kuba über ein Kooperationsabkommen eingeleitet
werden,

c) dass solche Verhandlungen gleichberechtigt, ohne Vorbedingungen und
mit vollständigem Respekt für die Souveränität der beteiligten Partner
und des Nichteinmischungsgebots der VN-Charta geführt werden;

2. mit der kubanischen Regierung ohne Vorbedingungen Gespräche über wirt-
schaftliche, kulturelle und Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen und
dabei auch die Möglichkeit trilateraler Zusammenarbeit zugunsten Dritter zu
erörtern;

3. sich weiter für die Freilassung inhaftierter Dissidenten in Kuba einzusetzen;

4. sich dafür einzusetzen, dass die seit 1998 in den USA inhaftierten und als
„Miami Five“ bekannt gewordenen kubanischen Gefangenen Antonio
Guerrero Rodríguez, Fernando González Llort, Gerardo Hernández Nordelo,
Ramón Labañino Salazar und René González Sehwerert freigelassen werden
und dass, solange sie sich noch in Gefangenschaft befinden, ihre Ehefrauen
Besuchsrecht erhalten.

Berlin, den 5. Oktober 2010
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3188

Begründung

Kuba ist ein wichtiger Akteur der lateinamerikanischen Integration und ent-
wicklungspolitischer Partner ärmerer lateinamerikanischer und afrikanischer
Staaten, vor allem auf dem Feld der Gesundheit und der Bildung. In einer enge-
ren Zusammenarbeit der EU mit Kuba läge ein großes Potenzial für die Armuts-
bekämpfung in Lateinamerika und Afrika und zur Verwirklichung der wirt-
schaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte. Nach dem international
hoch anerkannten Beitrag Kubas zur Versorgung der haitianischen Erdbeben-
opfer zu Beginn dieses Jahres haben nicht nur die Hohe Repräsentantin und die
EU-Kommission die Erwägung einer solchen Zusammenarbeit nahegelegt. Die
norwegische Regierung hat bereits ein entsprechendes Kooperationsabkommen
mit Kuba zugunsten von Haiti unterzeichnet.

Auf internationaler Ebene gibt es sehr wenig Verständnis für eine negative Son-
derbehandlung Kubas, wie die jährliche Abstimmung in der Vollversammlung
der Vereinten Nationen über die Wirtschaftsblockade der USA gegen Kuba
zeigt. Die im Gemeinsamen Standpunkt manifestierte Haltung der Europäischen
Union, die Beziehungen zu Kuba nicht wie mit allen anderen lateinamerika-
nischen und karibischen Staaten in einem bilateralen Abkommen zu regeln, son-
dern stattdessen in einem unilateralen Ansatz diese Beziehungen in den Dienst
politischer Einflussnahme zu stellen, scheint vor diesem Hintergrund wie ein
Relikt aus dem Kalten Krieg.

Dieser Ansatz ist auch vor dem Hintergrund der Menschenrechtssituation in
Kuba nicht zu rechtfertigen, wenn diese mit der Situation in vielen anderen
lateinamerikanischen Staaten, insbesondere bei den bevorzugten Kooperations-
partnern der Bundesregierung wie etwa Kolumbien und Mexiko, verglichen
wird, wo die Ermordung von Gewerkschaftern und Aktivisten sozialer Bewe-
gungen sowie Vertreibungen und der Raub ökonomischer und sozialer Existenz-
grundlagen für viele Menschen an der Tagesordnung sind. Die Bundesregierung
hat Proteste von Menschenrechtsorganisationen gegen das jüngst abgeschlos-
sene Abkommen der EU mit Kolumbien und Peru mit dem Verweis auf die darin
enthaltenen Menschenrechtsklauseln beantwortet. Vor diesem Hintergrund ist
gerade die Haltung der Bundesregierung, die besonders vehement für die Beibe-
haltung des Gemeinsamen Standpunktes und gegen ein Kooperationsabkommen
mit Kuba eintritt, noch weniger verständlich.

Die Freilassung von 52 Inhaftierten in Kuba ist ein begrüßenswertes Signal.
Entsprechende Bemühungen sollten fortgesetzt werden.

Die Freilassung der in den USA gefangen gehaltenen Kubaner Antonio
Guerrero Rodríguez, Fernando González Llort, Gerardo Hernández Nordelo,
Ramón Labañino Salazar und René González Sehwerert ist erforderlich. Es gibt
erhebliche Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Prozesses gegen die als
„Miami Five“ bekannt gewordenen fünf kubanischen Gefangenen, die in den
USA terroristische Gruppen infiltrierten, um weitere Anschläge auf ihr Land zu
verhindern. Die Konstruktion der Anklagepunkte, die Umstände ihrer Haft und
ihrer Verurteilung waren unter anderem von der Arbeitsgruppe der Vereinten
Nationen zu willkürlichen Inhaftierungen sowie von zahlreichen Nobelpreisträ-
gern scharf kritisiert worden. Vor diesem Hintergrund und angesichts dessen,
dass die Männer bereits 12 Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht haben,
sind internationale Bemühungen für ihre Freilassung dringend angezeigt. Bis
ihre Freilassung durchgesetzt werden kann, muss zumindest das Besuchsrecht
der Ehefrauen durchgesetzt werden. Olga Salanueva und Adriana Pérez haben
ihre Ehemänner René González Sehwerert und Gerardo Hernández Nordelo
seit über 10 Jahren nicht gesehen, weil ihnen ein Visum zur Einreise in die Ver-
einigten Staaten verweigert wird.

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