BT-Drucksache 17/3047

Initiativen für faire Praktika und einen verbesserten Schutz von Praktikantinnen und Praktikanten vor Ausnutzung

Vom 27. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3047
17. Wahlperiode 27. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Sylvia Kotting-Uhl,
Ekin Deligöz, Katja Dörner, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner,
Krista Sager, Brigitte Pothmer, Beate Müller-Gemmeke und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Initiativen für faire Praktika und einen verbesserten Schutz von Praktikantinnen
und Praktikanten vor Ausnutzung

Seit Jahren ist der unzureichende Schutz sowie der missbräuchliche Einsatz von
Praktikantinnen und Praktikanten als gering oder unbezahlte Arbeitskräfte bzw.
Scheinpraktikanten bekannt. Wie die Vorgängerregierung leugnet auch die von
CDU/CSU und FDP geführte Bundesregierung nicht die Existenz von in mehre-
ren Studien identifizierten Problemgruppen, z. B. junge Menschen, die den Ein-
stieg in Medienberufe suchen.

Der Deutsche Bundestag hat in der 16. Wahlperiode intensiv über das Thema un-
fairer Praktikaverhältnisse debattiert, ohne dass die Bundesregierung gesetzge-
berische Konsequenzen daraus gezogen hätte. In mehreren Petitionen haben sich
Praktikantinnen und Praktikanten an den Deutschen Bundestag gewandt, um
mehr Schutz vor Ausnutzung in Praktika anzumahnen. Im Zusammenhang mit
den Eingaben Pet 4-16-11-81317-006547 und Pet 4-16-11-81317-014016 hat
sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages schon Mitte 2006 mit der
Problematik der „Generation Praktikum“ befasst. Auf eine gemeinsame Stel-
lungnahme konnten sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) meh-
rere Monate lang nicht einigen. Erst seit August 2010 liegt nun eine Stellung-
nahme des BMBF vor, abgestimmt mit dem BMAS, die aber weitere Fragen zur
Ausgestaltung des Missbrauchsschutzes von Praktikantinnen und Praktikanten
aufwirft.
Die Stellungnahme vom August 2010 weicht von den Folgerungen der beiden
Stellungnahmen des BMBF und des BMAS vom Juni 2008 ab. So sieht das
BMAS im Juni 2008 einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf beim Schutz von
Praktikantinnen und Praktikanten. Als wissenschaftliche Grundlage hierzu wird
Bezug genommen auf die Studie der Hochschul-Informations-System GmbH
(HIS) „Was ist gute Arbeit? – Anforderungen an den Berufseinstieg aus Sicht der
jungen Generation“. In der Antwort des BMBF vom August 2010 wird jedoch
eine gesetzliche Regelung abgelehnt.

Auf europäischer Ebene wird indes eine andere Linie verfolgt. Das Europäische

Parlament beabsichtigt, den Status von Praktikantinnen und Praktikanten zu stär-
ken. Dies zeigt u. a. die Entschließung des Europäischen Parlaments vom Juni
2010 INI/2009/2221. Dort werden EU-Kommission und Mitgliedstaaten aufge-
fordert, „im Bereich Jugend und Beschäftigung einen auf Rechten basierenden
Ansatz zu wählen“, um qualitativ gute Arbeitsstandards sicherzustellen. Im Rah-
men dieser Mischung aus gesetzlichen und untergesetzlichen Maßnahmen soll
auch eine europäische Qualitätscharta mit Mindestanforderungen für Praktika
eingerichtet werden.

Drucksache 17/3047 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen plant die Bundes-
regierung zur Verankerung von verbindlichen Standards für faire Praktika?

2. Auf welche empirischen Belege stützt die Bundesregierung ihre Behauptung,
„der quantitative Aspekt missbräuchlicher Praktika steht für die Bundes-
regierung heute nicht mehr im Vordergrund“ (Quelle: Stellungnahme des
Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Bildung
und Forschung, Dr. Helge Braun, zur Petition Az. 4-16-81317-006547 und
4-16-81317-014016 vom 13. August 2010)?

3. Auf welche empirischen Belege stützt sich die gegenüber der Stellungnahme
des BMAS zur Petition Az. 4-16-81317-006547 und 4-16-81317-014016
vom 3. Juni 2008 veränderte Einschätzung des BMBF und des BMAS vom
August 2010, dass eine gesetzliche Klarstellung

a) in § 612 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), dass es sich bei Miss-
brauchsfällen nicht um eine Vergütung von Praktikantinnen und Prakti-
kanten, sondern von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern handelt,

b) in § 17 des Berufsbildungsgesetzes, dass Praktika und Volontariate nach
einem beruflichen Abschluss zu vergüten sind,

c) der Vergütungspflicht für Praktika und Volontariate im BGB

nicht mehr notwendig ist?

4. Plant die Bundesregierung weitere bzw. regelmäßige Datenerfassung und/
oder wissenschaftliche Untersuchungen zum Ausmaß des Missbrauchs von
Praktikantinnen und Praktikanten in Auftrag zu geben, um gegebenenfalls
auf neue aktuelle Entwicklungen reagieren zu können?

a) Wenn ja, wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?

b) Wenn nein, warum nicht?

5. Plant die Bundesregierung, wissenschaftliche Untersuchungen zum Ausmaß
des Missbrauchs von Praktikantinnen und Praktikanten in einem der zahlrei-
chen regelmäßigen Berichte der Bundesregierung fest zu verankern?

a) Wenn ja, in welchem?

b) Wenn nein, warum nicht?

6. Befürwortet die Bundesregierung weiterhin die Einrichtung einer Ombuds-
stelle zur außergerichtlichen Klärung von Interessenunterschieden zwischen
Praktikanten und Praktikumsanbietern (Quelle: Stellungnahme des BMBF
zur Petition Az. 4-16-81317-006547 und 4-16-81317-014016 vom 6. Juni
2008)?

a) Wenn ja, hat sie selbst eine Ombudsstelle eingerichtet?

b) Wenn nein, warum nicht?

7. Welche konkreten qualitativen Verbesserungen von Praktikabedingungen
will die Bundesregierung mit Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und
Unterstützungsangeboten erreichen, und welche einzelnen Maßnahmen ver-
bergen sich dahinter (Quelle: Stellungnahme des Parlamentarischen Staats-
sekretärs bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Helge
Braun, zur Petition Az. 4-16-81317-006547 und 4-16-81317-014016 vom
13. August 2010)?

8. Wie ist der Stand der Abstimmung der Gespräche zwischen der Bundes-
regierung und den Sozialpartnern über faire Praktikabedingungen, welche Ziele
und Ergebnisse gibt es (Quelle: Stellungnahme des Parlamentarischen Staats-
sekretärs bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Helge Braun,

zur Petition Az. 4-16-81317-006547 und 4-16-81317-014016 vom 13. August
2010)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3047

9. Hält die Bundesregierung eine Selbstverpflichtung von Unternehmen für
faire Praktika für ausreichend, um bundesweit faire Praktikabedingungen zu
garantieren, sollten die Gespräche zwischen Bundesregierung und Sozial-
partnern zu keinem gemeinsamen Ergebnis führen?

10. Wie viele Unternehmen haben sich momentan der Initiative „Fair Company“
angeschlossen, die unter der Schirmherrschaft der Bundesministerin für
Arbeit und Soziales steht?

a) Wie viel Prozent der in Deutschland tätigen Unternehmen sind dies?

Wie hoch ist ihr Anteil am Arbeitsplatzangebot in Deutschland insge-
samt?

b) Wie viele DAX-30-Unternehmen zählen dazu?

c) Wie viel Prozent der Unternehmen aus den Branchen Presse, Rundfunk,
Fernsehen, Kunst und Kultur, in denen viele Absolventenpraktika durch-
geführt werden, haben sich der Initiative „Fair Company“ angeschlos-
sen?

11. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Verbesserung der
Arbeitsbedingungen von Praktikantinnen und Praktikanten bei Arbeitge-
bern, die sich dieser Selbstverpflichtung nicht anschließen?

12. Wird es eine Überprüfung der Qualitätsstandards oder eine andere Form der
Erfolgskontrolle bei der von Unternehmen angeregten Selbstverpflichtung
geben?

a) Wenn ja, wer ist für diese Überprüfung zuständig?

In welchen Abständen sollen Überprüfungen stattfinden?

Wie ist die Überprüfung ausgestaltet?

b) Wenn nein, warum nicht?

13. Wie steht die Bundesregierung zu einer Einführung eines Güte- oder Quali-
tätssiegels für Praktika, das im Gegensatz zu der Unternehmensselbstver-
pflichtung „Fair Company“ unabhängig von Arbeitgebern von den zuständi-
gen Bundesministerien oder von anderen Dritten getragen wird?

14. Erscheint der Bundesregierung eine Schirmherrschaft der Bundesministerin
für Arbeit und Soziales für die Initiative „Fair Company“ in Anbetracht der
Tatsache, dass die Aufwandsentschädigung für ein Praktikum im Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales lediglich Essenszuschüsse und Reise-
beihilfe beinhaltet und vor dem Hintergrund, dass zur Selbstverpflichtung
von „Fair Company“ eine Mindestvergütung von 300 Euro auch für Pflicht-
praktika gehört, als konsistent?

15. Planen die Bundesregierung oder einzelne Bundesministerien, die Richt-
linien des Bundes für Praktikantenvergütungen vom 13. August 2001 anzu-
passen, so dass auch Praktika, die Bestandteil einer Hochschulausbildung
sind, zu vergüten sind?

a) Wenn ja, wann, wie, und in welcher Form?

b) Wenn nein, warum nicht?

16. Wie viele Praktika bietet die Bundesregierung an (bitte aufschlüsseln nach
Dienststellen)?

In welchem Alter sind die Praktikanten durchschnittlich?

Wie hoch ist der Anteil von Hochschulabsolventinnen und -absolventen?

17. Sind die Praktikumsplätze auf einen Zeitraum begrenzt?
Wenn ja, wie lange (bitte nach Dienststellen aufschlüsseln)?

Drucksache 17/3047 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
18. Welche Entschädigung erhalten Praktikantinnen und Praktikanten für Prak-
tika in den Bundesministerien (bitte nach Bundesministerien aufschlüs-
seln)?

19. Ist der Bundesregierung der Initiativbericht des Europäischen Parlaments
„Förderung des Zugangs Jugendlicher zum Arbeitsmarkt, Stärkung des Sta-
tus von Auszubildenden, Praktikanten und Lehrlingen“ bekannt, und beab-
sichtigt sie, eine europäische Qualitätscharta für Praktika auf nationaler
Ebene zu unterstützen und umzusetzen?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Aufforderung des Europäischen Par-
laments an die EU-Mitgliedstaaten,

a) „mit gutem Beispiel voranzugehen und die Werbung für unbezahlte Prak-
tika von ihren Internetseiten zu entfernen“,

b) „allen ihren Praktikanten eine Mindestzuwendung auf der Grundlage der
Lebenshaltungskosten am Praktikumsort“ zu zahlen,

c) „Sozialleistungen zu zahlen“?

Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

21. Wie bewertet die Bundesregierung die Aufforderung des Europäischen Par-
laments, junge Menschen vor öffentlichen und privaten Arbeitgebern zu
schützen, die den Wunsch junger Menschen nach Ausbildung ausnutzen,
ohne ihnen die Perspektive einer Festanstellung zu bieten?

Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

22. Wie bewertet die Bundesregierung die Schaffung eines europäischen Sys-
tems zur Bescheinigung und Anerkennung der durch Ausbildung und Prak-
tika erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten, um Mobilität zu fördern?

Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die Empfehlung des Europäischen Parla-
ments, jungen Menschen, die sich in der Ausbildung oder in einem Prakti-
kum befinden, die Arbeits- und Sozialleistungsrechte in vollem Umfang zu
gewähren und unter bestimmten Voraussetzungen einen Anteil ihrer Sozial-
abgaben zu übernehmen?

Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Empfehlung des Europäischen Parla-
ments, Programme für Ausbildung, Praktika und den Erwerb von Arbeits-
erfahrung in die Sozialleistungssysteme einzubeziehen?

Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Aufforderung des Europäischen Par-
laments an die Mitgliedstaaten, eine nationale Arbeitsgruppe im Jugendbe-
reich aufzubauen, um für eine bessere Abstimmung zwischen dem Bildungs-
system und dem Arbeitsmarkt zu sorgen?

Welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Berlin, den 27. September 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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