BT-Drucksache 17/3043

Die Steinkohlevereinbarung gilt

Vom 28. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3043
17. Wahlperiode 28. 09. 2010

Antrag
der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett, Sören
Bartol, Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, Edelgard Bulmahn, Martin
Burkert, Petra Ernstberger, Michael Gerdes, Iris Gleicke, Michael Groß, Hubertus
Heil (Peine), Petra Hinz (Essen), Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf,
Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula, Gerold Reichenbach, Frank
Schwabe, Dr. Martin Schwanholz, Wolfgang Tiefensee, Waltraud Wolff
(Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Die Steinkohlevereinbarung gilt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 7. Februar 2007 haben sich der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und
das Saarland unter Mitwirkung der RAG Aktiengesellschaft und der IG BCE
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie über die Zukunft der deut-
schen Steinkohle verständigt. Auf dieser Grundlage ist das „Gesetz zur Finan-
zierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr
2018 (Steinkohlefinanzierungsgesetz)“ von Bundestag und Bundesrat be-
schlossen worden.

Das Steinkohlefinanzierungsgesetz sieht vor, den subventionierten Steinkoh-
lenbergbau bis zum Jahr 2018 geregelt auslaufen zu lassen. Es garantiert den im
Bergbau Beschäftigten einen sozialverträglichen Anpassungsprozess sowie
Planungssicherheit. Die öffentliche Hand wird geschont, da die RAG-Stiftung
die Finanzierung der Ewigkeitslasten des Bergbaus nach dessen geplanter
Beendigung Ende 2018 absichert.

Staatliche Beihilfen für den Steinkohlenbergbau müssen jedoch durch die EU-
Kommission genehmigt werden. Bisherige Rechtsgrundlage ist die Verordnung
(EG) Nr. 1407/2002 des Rates vom 23. Juli 2002 über staatliche Beihilfen für
den Steinkohlenbergbau, die zum 31. Dezember 2010 ausläuft.

Der von der EU-Kommission am 20. Juli 2010 vorgelegte Verordnungsvor-
schlag, der die Stilllegung von nicht wettbewerbsfähigen EU-Steinkohlenberg-
werken bis Oktober 2014 ermöglichen soll, stellt den oben genannten deut-
schen Steinkohlekompromiss in inakzeptabler Weise in Frage. Über den

Verordnungsvorschlag wird der EU-Ministerrat am 11. Oktober 2010 entschei-
den.

Der Deutsche Bundestag erwartet von der Bundesregierung, dass sie sich für
die Genehmigung von Betriebsbeihilfen für deutsche Steinkohlenbergwerke
gemäß Steinkohlefinanzierungsgesetz einsetzt, damit der sozialverträgliche
Auslaufpfad nicht gefährdet wird.

Drucksache 17/3043 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Das Jahr 2018 wurde mit Bedacht gewählt und geht auf intensive Verhandlun-
gen zwischen allen Beteiligten zurück. Bei einem vorzeitigen Verlassen des
vereinbarten Ausstiegspfads wären betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr
auszuschließen. Steuerzahler müssten mit Mehrbelastungen rechnen, weil das
Finanzierungsmodell der RAG-Stiftung nicht mehr aufgehen würde und Bund
und Länder absehbar höhere Ausgaben für den Bergbau übernehmen müssten.
Daher muss sichergestellt sein, dass keine Fakten geschaffen werden, die den
vereinbarten Fahrplan bis 2018 gefährden oder gar zu einer Insolvenz der
RAG-Stiftung führen könnten.

Wichtiger Bestandteil des Steinkohlefinanzierungsgesetzes ist außerdem die
Revisionsklausel, mit der das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus bis zum
Jahr 2012 unter aktuellen energiepolitischen Gesichtspunkten ergebnisoffen
überprüft werden kann.

Die Wahrung einer Fortführungsperspektive der heimischen Steinkohleförde-
rung als Sockelbergbau über 2018 hinaus ist mit Blick auf den internationalen
Rohstoffhandel eine Frage der Versorgungssicherheit. Auf den Weltmärkten
verschärft sich die Verknappungssituation für energetische und nichtenerge-
tische Rohstoffe. Die wachsende Lücke zwischen Angebot und Nachfrage führt
zu teilweise erheblichen Preissteigerungen, die den Erhalt eines Sockelberg-
baus wirtschaftlich machen könnten.

Die Verstromung heimischer Kohle wird so lange durch Importkohle ersetzt
werden müssen, bis ausreichend regenerative Erzeugungskapazitäten aufgebaut
sind. Vor dem Hintergrund eines starken Kraftwerksausbaus in den aufstreben-
den Schwellenländern wächst die Konkurrenz um den international gehandel-
ten Rohstoff Steinkohle.

Steinkohle ist darüber hinaus wichtiger Ausgangsstoff für die Koksproduktion.
Auch hier droht eine Preisexplosion aufgrund der weltweit steigenden Stahl-
nachfrage.

Deutschland ist als Hochtechnologieland auf umfassende Rohstoffimporte an-
gewiesen. Die Weltmarktsituation ist heute schon problematisch: Der Rohstoff-
handel ist durch eine starke Marktkonzentration großer Konzerne geprägt.
Auch staatliche Akteure sichern sich auf teilweise aggressive Weise Konzessio-
nen für den Abbau von Rohstoffen in Entwicklungsländern. Hinzu kommt, dass
sich aufstrebende Schwellenländer Wettbewerbsvorteile durch Exportbeschrän-
kungen eigener Ressourcen sichern – wie im Fall seltener Erden, die zur Pro-
duktion neuer Technologien etwa im Bereich der Lasertechnik und der Infor-
mationstechnologien benötigt werden.

Es ist vor diesem Hintergrund eine Frage der Vorsorge, sich bei veränderten
Rahmenbedingungen den Zugang zu heimischen Ressourcen und industriellen
Rohstoffen zu erhalten. Daher ist dem Deutschen Bundestag bis zum 30. Juni
2012 ein Bericht zum deutschen Steinkohlenbergbau vorzulegen, der die oben
aufgeworfenen Fragen zur Versorgungssicherheit hinreichend beantworten
muss.

II. Der Deutsche Bundestag bekräftigt den Beschluss des Landtags von
Nordrhein-Westfalen (Auszug):

„1. Ziel des Steinkohlefinanzierungsgesetzes ist es, einen verlässlichen Rah-
men für die mit allen relevanten Partnern einvernehmlich abgestimmte
sozialverträgliche Beendigung des deutschen Steinkohlenbergbaus zu
schaffen und eine belastbare Perspektive für die verbliebenen Beschäftigten
zu schaffen.

2. Die Entscheidung der EU-Kommission steht im krassen Gegensatz zu den

getroffenen Vereinbarungen, missachtet nationales Recht, das geltende
Steinkohlefinanzierungsgesetz, und führt unmittelbar zu Massenentlassun-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3043

gen. Durch die Planungen der Europäischen Kommission würden bis zu
23 000 Beschäftigte vorzeitig ihren Arbeitsplatz verlieren.

3. Der mit der Entscheidung zwangsläufig verbundene frühere Ausstieg aus
dem subventionierten Steinkohlenbergbau wäre ein unvertretbarer Vertrau-
ensbruch gegenüber den Beschäftigten im Steinkohlenbergbau und seiner
Zulieferindustrie vor allem in Nordrhein-Westfalen.

4. Ein vorzeitiges Auslaufen der Steinkohlebeihilfen würde das Vermögen der
RAG-Stiftung zur Finanzierung der Ewigkeitslasten gefährden.“

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der
laufenden Verhandlungen auf EU-Ratsebene i. S. d. § 9 Absatz 4 des Ge-
setzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union als wesentliche
Belange durchzusetzen,

1. das Weiterbestehen des Steinkohlefinanzierungsgesetzes auf EU-Ebene zu
garantieren; der Deutsche Bundestag sichert seine volle Unterstützung bei
den dazu notwendigen Verhandlungen zu;

2. eine Veränderung des vorgelegten Verordnungsvorschlages dahingehend zu
erreichen, dass die Verordnung den in Deutschland vereinbarten sozialver-
träglichen Ausstieg aus der Steinkohle bis 2018 ermöglicht;

3. nicht zuzulassen, dass die künftige EU-Verordnung eine Fortführung der
Steinkohlefinanzierung bis 2018 nur unter der Maßgabe zulässt, dass die
Revisionsklausel fallen gelassen wird.

IV. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung weiterhin auf,

alle ihre Möglichkeiten auf Bundes- und EU-Ebene zu nutzen, um eine Ände-
rung der EU-Kommissionsvorlage zu erwirken. Ziel muss es sein, der mit dem
Steinkohlefinanzierungsgesetz gefundenen sozialverträglichen Anpassung von
Förderung und Arbeitsplätzen auch auf EU-Ebene Geltung zu verschaffen.

Berlin, den 28. September 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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