BT-Drucksache 17/303

EU-Pläne zur Bekämpfung von Zahlungsverzug

Vom 17. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/303
17. Wahlperiode 17. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ralph Lenkert, Katrin Kunert, Dr. Barbara Höll, Steffen
Bockhahn, Harald Koch, Jens Petermann, Sabine Stüber, Sahra Wagenknecht,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

EU-Pläne zur Bekämpfung von Zahlungsverzug

Immer wieder klagen Handwerks- und andere Unternehmen darüber, dass
Kunden ihre Rechnungen verspätet bezahlen. Laut „Frankfurter Allgemeine
Zeitung (FAZ)“ (27. November 2009) soll sich die Zahlungsmoral vieler
Kunden im Rahmen der Wirtschaftskrise noch verschlechtert haben, was zu
Liquiditätsengpässen bei Unternehmen beitrage. Um dem Problem grund-
sätzlich zu begegnen, hat die EU-Kommission den Entwurf einer Richtlinie
zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (KOM(2009)
126) vorgelegt.

Der Entwurf sieht allerdings eine Ungleichbehandlung von öffentlichen und
privaten Auftraggebern vor: Öffentliche Auftraggeber sollen verpflichtet wer-
den, Forderungen innerhalb von 30 Tagen zu begleichen. Andernfalls drohen
nicht nur Verzugszinsen und Ersatz der Beitreibungskosten, sondern zur Ab-
schreckung auch eine pauschale Entschädigung in Höhe von 5 Prozent des ge-
schuldeten Betrages ab dem ersten Tag des Verzugs. Für private Auftraggeber
soll diese Regelung nicht gelten.

Die verschärften Vorschriften, verbunden mit der einseitigen Betroffenheit der
öffentlichen Hand, können zu einer Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte
führen. Insbesondere wenn die Richtlinie auch für öffentliche Unternehmen
gelten sollte, könnten die Regelungen zu zusätzlichem Privatisierungsdruck
führen.

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat die geplante
Richtlinie bereits scharf kritisiert. Bei Gewährleistungsfragen im Rahmen der
Vertragsabwicklung bei öffentlichen Aufträgen schaffe sie „eine Risikoverlage-
rung zu Lasten der öffentlichen Hand und damit des Steuerzahlers“. Die EU-
Kommission gehe allein aufgrund pauschaler Vorwürfe gegen öffentliche Auf-
traggeber vor; es gebe keine Zweifel, dass öffentliche Stellen „ihren vertrag-
lichen Zahlungsverpflichtungen regelmäßig rechtzeitig nachkommen“. Auch
die Bundesregierung betonte noch 2008: „Es ist kein Fall bekannt, in dem kon-
kret ein öffentlicher Auftraggeber benannt wurde, der mit seinen Zahlungen

wesentlich in Verzug gekommen ist.“ (Bundestagsdrucksache 16/7962).

Das zuständige Referat im Bundesministerium der Justiz (BMJ) kritisierte den
Richtlinienentwurf in einem Ressortbericht vom 6. Mai 2009 und in einer um-
fassenden Bewertung vom 3. Juni 2009: Es widerspreche deutscher Rechtsan-
schauung, zivilrechtliche Regelungen zur Abschreckung einzuführen; Sonder-
regelungen für öffentliche Stellen seien kritisch zu hinterfragen. Eine zusätz-
liche Belastung der öffentlichen Haushalte durch die Richtlinie wird für mög-

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lich gehalten und deshalb zunächst eine eingehende Untersuchung von Ausmaß
und Gründen für verspätete Zahlungen angeregt. Es wird in Frage gestellt, dass
Sonderregelungen für die öffentliche Hand dazu geeignet sind, kleinen und
mittleren Unternehmen (KMU) zu einer schnelleren Bezahlung zu verhelfen.

Der Bundesrat hat in einem Beschluss (Bundesratsdrucksache 385/09 (Be-
schluss)) die Bundesregierung gebeten, sich dafür einzusetzen, dass die Mit-
gliedstaaten keine Sonderregelungen für öffentliche Stellen schaffen müssen
und „im Verlauf des weiteren Normgebungsverfahrens in geeigneter Weise si-
cherzustellen, dass in allen Fällen zur Prüfung und Zahlung von Schlussrech-
nungen für Bauleistungen eine Frist von zwei Monaten zur Verfügung steht“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Unternehmen in Deutschland mussten in den vergangenen zehn
Jahren Insolvenz anmelden, weil Kunden ihre Rechnungen verspätet be-
zahlt haben, und wie viele Insolvenzen sind dabei auf verspätete Zahlungen
der öffentlichen Hand, wie viele auf verspätete Zahlungen von privaten
Auftraggebern zurückzuführen (bitte alle vorhandenen Daten oder Schät-
zungen angeben und nach Jahren aufschlüsseln)?

2. Wie viele Unternehmen in Deutschland mussten in den vergangenen zehn
Jahren Insolvenz anmelden, weil Kunden ihre Rechnungen überhaupt nicht
bezahlt haben, und wie viele Insolvenzen sind dabei auf ausgefallene Zah-
lungen der öffentlichen Hand, wie viele auf ausgefallene Zahlungen von
privaten Auftraggebern zurückzuführen (bitte alle vorhandenen Daten oder
Schätzungen angeben und nach Jahren aufschlüsseln)?

3. Ist die im Zuge der Krise laut „FAZ“ aufgetretene Verschlechterung der
Zahlungsmoral nach Ansicht der Bundesregierung eher auf eine ver-
schlechterte Zahlungsmoral öffentlicher Stellen oder eher auf mehr verspä-
tete Zahlungen durch Private zurückzuführen, und wie begründet die
Bundesregierung ihre Position?

4. Liegen der Bundesregierung empirische Untersuchungen vor, die belegen,
dass öffentliche Stellen Rechnungen öfter verspätet bezahlen als private
Auftraggeber, wenn ja, welche Studien sind das, und was waren ihre kon-
kreten Ergebnisse?

5. Wie sind die Zahlungsfristen in der Regel bislang bei der öffentlichen Auf-
tragsvergabe allgemein, und wie lang bei Bauleistungen im Speziellen?

6. Wie bewertet die Bundesregregierung die bereits vorhandenen Forderungs-
regelungen, insbesondere die Umsetzung des seit 2008 geltenden Forde-
rungssicherungsgesetzes?

7. Falls Fälle vorliegen, in denen die öffentliche Hand Zahlungen verspätet
geleistet hat, sind der Bundesregierung dann die Gründe für diese verspäte-
ten Zahlungen bekannt?

Wenn ja, welche Gründe sind das?

8. Hat eine „nähere Untersuchung des Ausmaßes und vor allem der Gründe
für verspätete Zahlungen der öffentlichen Hand“ stattgefunden, seitdem
das Referat III des BMJ eine solche im Juni 2009 angeregt hat, wenn ja,
was hat diese ergeben, und wenn nein, weshalb nicht?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die in Artikel 5 des o. g. Richtlinienent-
wurfs festgeschriebenen Regelungen für den Fall von Zahlungsverzug
durch öffentliche Stellen?
10. Können diese Regelungen nach Ansicht der Bundesregierung dazu beitra-
gen, dass kleine und mittlere Unternehmen zukünftig keine Probleme mehr

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mit dem Zahlungsverzug von Kunden haben, wenn ja, auf welche Weise,
und wie begründet die Bundesregierung ihre Position?

11. Teilt die Bundesregierung die Sorge, dass die Richtlinie zu einer Mehrbe-
lastung der öffentlichen Haushalte führen könnte, und wie begründet sie
ihre Position?

12. Gelten die in Artikel 5 des Richtlinienentwurfs formulierten Regelungen
auch für öffentliche bzw. kommunale Unternehmen oder solche mit Mehr-
heitsbeteiligung der öffentlichen Hand, und wenn ja, wie bewertet die Bun-
desregierung dies; wenn nein, ist der Bundesregierung bekannt, ob im Eu-
ropäischen Parlament darauf hingearbeitet wird, den Anwendungsbereich
der geplanten Richtlinie auf den öffentlichen Unternehmensbereich auszu-
dehnen, und wie bewertet die Bundesregierung dies?

13. Wenn die Regelungen des Artikels 5 auch für öffentliche Unternehmen gel-
ten, wie würde sich das auf den Wettbewerb mit potentiellen privaten Wett-
bewerbern in den jeweiligen Bereichen auswirken?

14. Wie bringt sich die Bundesregierung in die Diskussion um den o. g. Richt-
linienentwurf auf europäischer Ebene ein, und wann hat die Bundesregie-
rung welche Positionen bezüglich des Richtlinienentwurfs gegenüber
Akteuren auf EU-Ebene vertreten?

15. Ist die Bundesregierung der Aufforderung des Bundesrates nachgekom-
men, sich dafür einzusetzen, dass Mitgliedstaaten keine Sonderregelungen
für öffentliche Stellen bei eventuellem Zahlungsverzug schaffen müssen,
und wenn ja, in welcher Weise, und wenn nein, wann wird sie dieser Auf-
forderung nachkommen, und wie begründet die Bundesregierung ihre Posi-
tion?

16. Ist die Bundesregierung der Aufforderung des Bundesrates nachgekom-
men, sicherzustellen, dass in allen Fällen zur Prüfung und Zahlung von
Schlussrechnungen für Bauleistungen eine Frist von zwei Monaten zur
Verfügung steht, und wenn ja, in welcher Weise; wenn nein, wann wird sie
dieser Aufforderung nachkommen, und wie begründet die Bundesregie-
rung ihre Position?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrates, den in
Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a des Richtlinienentwurfs festgesetzten Pau-
schalbetrag für Schadenersatz im Forderungsbereich bis zu 1 000 Euro auf
20 Euro herabzusetzen?

18. Sind die Aussagen des Referats III des Bundesministeriums der Justiz, es
widerspreche deutscher Rechtsanschauung, zivilrechtliche Regelungen
zum Zwecke der „Abschreckung“ einzuführen und die Notwendigkeit von
Sonderregelungen für öffentliche Stellen sei „kritisch zu hinterfragen“, Be-
standteil der Position der Bundesregierung?

Wenn ja, auf welche Weise versucht die Bundesregierung diese Positionen
auf EU-Ebene durchzusetzen?

Wenn nein, welche Bedeutung hat die Bewertung des Referats des BMJ?

19. Wäre die Bundesregierung bereit, für eine Entschädigungsverpflichtung
bei verspäteter Zahlung für alle Auftraggeber, öffentliche und private, im
gleichen Umfang einzutreten, welche aus eventuellen Reklamationsgrün-
den auf 60 Tage befristet wird?

Berlin, den 17. Dezember 2009
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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