BT-Drucksache 17/2946

Bilanz der Bleiberechts- bzw. Altfallregelung zum 30. Juni 2010

Vom 16. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2946
17. Wahlperiode 16. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic,
Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma und der Fraktion DIE LINKE.

Bilanz der Bleiberechts- bzw. Altfallregelung zum 30. Juni 2010

Die gesetzliche „Altfallregelung“ nach den §§ 104a und 104b des Aufenthalts-
gesetzes (AufenthG) konnte die an sie gestellten Erwartungen von möglicher-
weise bis zu 60 000 Bleibeberechtigen nicht erfüllen. Grund hierfür sind vor
allem die Stichtagsregelung, wonach die Bedingung eines sechs- bzw. achtjähri-
genAufenthalts zum 1. Juli 2007 erfüllt seinmusste, hoheAnforderungen an den
Lebensunterhaltsnachweis und zahlreiche weitere Bedingungen und Aus-
schlussgründe.

Aufgrund von Angaben der Bundesregierung bzw. der Bundesländer (vgl. Bun-
destagsdrucksachen 17/2269 und 17/1539) ist davon auszugehen, dass zum
Stichtag 31. März 2010 nur etwa 13 000 Personen über eine Aufenthaltserlaub-
nis nach der „Altfallregelung“ verfügten. Über 7 000 weitere Personen konnten
zudem eine Aufenthaltserlaubnis infolge eines Beschlusses der Innenminister-
konferenz (IMK) vom Dezember 2009 erhalten, mehrheitlich erneut „auf
Probe“. Die meisten dieser Aufenthaltserlaubnisse stehen unter dem Vorbehalt
des Nachweises einer (komplett) eigenständigen Lebensunterhaltssicherung
zum 31. Dezember 2011.

Weder die „Altfallregelung“ noch die IMK-Anschlussregelung konnten das all-
seits beklagte Problem der massenhaften Kettenduldungen wirksam beenden.
Zum 31. März 2010 lebten immer noch über 56 000 lediglich geduldete Perso-
nen bereits seit mehr als sechs Jahren in Deutschland; der Anteil der langjährig
Geduldeten an allen Geduldeten ist mit 64 Prozent so hoch wie nie zuvor. Die
FraktionDIELINKE. hat vor diesemHintergrund einen umfassendenGesetzent-
wurf zur Vermeidung von Kettenduldungen und für eine wirksame Bleiberechts-
regelung in den Bundestag eingebracht (vgl. Bundestagsdrucksache 17/1557,
Plenarprotokoll 17/40, S. 3948 ff.).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen haben bis zum 31. März 2010 bzw. zum 30. Juni 2010
nach Angaben der Bundesländer eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaub-
nis „auf Probe“ im Rahmen des IMK-Beschlusses vom 4. Dezember 2009
bzw. nach der „Altfallregelung“ des § 104a AufenthG beantragt (bitte nach
Bundesländern differenzieren, bezüglich Nordrhein-Westfalen bitte die Zahl
der Verlängerungsanträge entsprechend der dortigen Ausführungsregelung
nennen)?

2. Wie viele der in Frage 1 benannten Anträge waren nach Angaben der Bundes-
länder zum Stand 31. März 2010 und zum Stand 30. Juni 2010 noch nicht ent-
schieden, wie viele hatten sich erledigt, wie viele waren zu diesen Daten je-
weils abgelehnt (welche genaueren Erkenntnisse gibt es zu den Gründen der

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Ablehnung in welchem Umfang), und wie viele Personen erhielten zu diesen
beiden Daten

a) eine Aufenthaltserlaubnis infolge des IMK-Beschlusses von Ende 2009
nach § 23 Absatz 1 Satz 1 AufenthG wegen nachgewiesener oder glaub-
haft gemachter Halbtagsbeschäftigung,

b) eine Aufenthaltserlaubnis infolge des IMK-Beschlusses von Ende 2009
nach § 23 Absatz 1 Satz 1 AufenthGwegen (voraussichtlich) erfolgreicher
Schul- oder Berufsausbildung,

c) eine Aufenthaltserlaubnis infolge des IMK-Beschlusses von Ende 2009
„auf Probe“ nach § 23 Absatz 1 Satz 1 AufenthG wegen nachgewiesener
Bemühungen um eine eigenständige Lebensunterhaltssicherung,

d) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Absatz 5 bzw. 6 AufenthG (bitte
differenzieren),

e) eine Aufenthaltserlaubnis aus sonstigem Grunde/auf sonstiger Rechts-
grundlage, und welche genaueren Angaben lassen sich hierzu machen

(bitte jeweils nach Bundesländern differenzieren und Prozentangaben imVer-
gleich zur Zahl der Anträge machen, bezüglich Nordrhein-Westfalen bitte
differenzierte Angaben entsprechend der dortigen Ausführungsregelung
machen)?

3. Wie viele in Deutschland lebende Personen verfügten nachAngaben des Aus-
länderzentralregisters zum Stand 30. Juni 2010 und zum Stand 31. August
2010 über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1 i. V. m. § 104a oder
§ 104b AufenthG (bitte – auch im Folgenden – nach Bundesländern differen-
zieren)?

a) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1
Satz 1 i. V. m. § 104a AufenthG erhalten, weil der Lebensunterhalt voll-
ständig durch Erwerbstätigkeit gesichert war?

b) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1
Satz 1 AufenthG „auf Probe“ erhalten (bzw. – wie aus Bundestagsdruck-
sache 17/1539 zu Frage 7 hervorgeht – eigentlich nach § 104a Absatz 5
bzw. 6 AufenthG, jedoch gab die Bundesregierung auf Bundestagsdruck-
sache 17/2269 zu Frage 4b hierzu keine Antwort, obwohl in der Frage aus-
drücklich auf Bundestagsdrucksache 17/1539, Antwort zu Frage 7, hinge-
wiesen worden war)?

c) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1
Satz 1 i. V. m. § 104a Absatz 2 Satz 1 AufenthG als bei der Einreise noch
minderjährige, inzwischen aber volljährige Kinder erhalten?

d) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 1
Satz 1 i. V. m. § 104a Absatz 2 Satz 2 AufenthG als unbegleitete Minder-
jährige erhalten?

e) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104b i. V. m.
§ 23 Absatz 1 Satz 1 AufenthG als Minderjährige unter der Bedingung der
Zusage einer Ausreise der Eltern erhalten?

4. Wie hoch und aufgrund welcher Annahmen schätzt die Bundesregierung die
Zahl der Personen, die sich aktuell in Deutschland befinden mit einer Aufent-
haltserlaubnis

a) aufgrund der „Altfallregelung“ nach § 104a AufenthG insgesamt,

b) aufgrund der „Altfallregelung“ nach § 104a Absatz 5 bzw. 6 AufenthG,
nachdem sie zuvor lediglich eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ hatten,

c) aufgrund des IMK-Beschlusses vomDezember 2009?

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5. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass aufgrund
der vorliegenden Länder- und AZR-Angaben (AZR = Ausländerzentral-
register) davon ausgegangen werden kann (bezogen auf den Stichtag
31. März 2010, zu dem jedoch noch die Angaben dreier Bundesländer fehl-
ten), dass

a) insgesamt etwa 13 000 Personen in Deutschland leben, die eine Aufent-
haltserlaubnis infolge der Altfallregelung nach § 104aAufenthG erhalten
haben (vgl. Länderangaben zu den Fragen 2a bis 2c in Tabelle und ergän-
zende Angaben zu Nordrhein-Westfalen auf Bundestagsdrucksache 17/
2269, Frage 2, sowie AZR-Angaben, Bundestagsdrucksachen 17/1539,
Frage 7 und 17/2269, Frage 4),

b) davon über 5 000 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Absatz 5 bzw. 6
AufenthG im Anschluss an eine Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ erhal-
ten haben (Bundestagsdrucksache 17/1539, Frage 7) sowie über 7 500,
weil sie eine vollständig eigenständige Lebensunterhaltssicherung nach-
weisen konnten oder dies aufgrund von Sonderregelungen nicht mussten
(Bundestagsdrucksache 17/2269, Frage 4),

c) über 7 000 Personen eine Aufenthaltserlaubnis nach der IMK-Regelung
vom Dezember 2009 erhalten haben (vgl. Länderangaben zu den Fragen
2a bis 2c in Tabelle und ergänzendeAngaben zuNordrhein-Westfalen auf
Bundestagsdrucksache 17/2269, Frage 2)?

6. Wie viele Menschen befanden sich zu den Stichtagen 30. Juni 2010 und
31. August 2010 in Deutschland, deren Aufenthalt lediglich geduldet oder
gestattet wurde oder die ohne Duldung ausreisepflichtig waren (bitte diffe-
renzieren), und wie viele von ihnen lebten länger als sechs Jahre in Deutsch-
land (bitte nach Bundesländern differenzieren und jeweils die Zahl bzw. den
Anteil der länger als sechs Jahre hier Lebenden an der Gesamtzahl in Prozent
angeben)?

7. Wie viele Personen lebten zum31.August 2010mit einerAufenthaltserlaub-
nis nach Artikel 23 Absatz 1 Satz 1 AufenthG in Deutschland, die nicht in
Verbindung mit § 104a AufenthG erteilt wurde (bitte auch nach Bundeslän-
dern differenzieren und die Zahl der länger als sechs Jahre hier Lebenden
nennen)?

8. Wie viele Abschiebungen und „freiwillige“ Ausreisen (bitte differenzieren)
gab es jährlich im Zeitraum 2005 bis heute (bitte auch nach den zehn bedeu-
tendsten Zielländern differenzieren)?

9. Wie sieht das vom Bundesministerium des Innern den Ländern zur Verwen-
dung empfohlene Formular einer Grenzübertrittsbescheinigung aus bzw. wo
kann es eingesehen werden?

10. Inwieweit stimmt die Bundesregierung vor dem Hintergrund ihrer Ausfüh-
rungen auf Bundestagsdrucksache 17/2269 zu Frage 11b der Aussage zu,
dass es rechtswidrig ist, ausreisepflichtigen Personen, deren Ausreise nicht
ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann oder soll, statt einer schrift-
lichen Duldung eine Passeinzugsbescheinigung oder andere Bescheinigun-
gen auszuhändigen (bitte begründen)?

11. Was hat das Bundesamt fürMigration und Flüchtlinge (BAMF) als Register-
führer des AZR der Bundesregierung dazu geantwortet, „welche Gründe …
für die mangelnde Qualität der zu Ausreisepflichtigen ohne Duldung gespei-
cherten Zahlen verantwortlich sind undwelcheMöglichkeiten zur Qualitäts-
verbesserung bestehen“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/2269, Frage 11c)?

a) Hat sich insbesondere die Einschätzung der Bundesregierung bestätigt,
dass längst nicht so viele Ausreisepflichtige ohne Duldung in Deutsch-

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land leben, wie im AZR vermerkt ist, und wie hoch schätzt die Bundes-
regierung deren tatsächliche Zahl, nachdem das BAMF weitere Aus-
künfte zu den Gründen möglicher statistischer Fehler gegeben hat?

b) In welchem Umfang haben Ausländerbehörden von der Möglichkeit des
Datenabgleichs zwischen lokalemDatenbestand und demAZRGebrauch
gemacht, welche Erfahrungen wurden dabei gesammelt, und wie wirkte
sich dieser Abgleich auf die im AZR erfasste Zahl der Ausreisepflichti-
gen ohne Duldung – aber auch bezogen auf andere Aufenthaltstitel – aus?

c) Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass ihre auf Bundes-
tagsdrucksache 17/2269 zu Frage 11 zuerst genannte Erklärung, es wür-
den nach Ausreisen häufig mehrere Monate bis zu einer AZR-Meldung
von Personen als „unbekannt verzogen“ vergehen, kein Indiz für eine
überhöhte, sondern lediglich für eine um mehrere Monate veraltete Zahl
Ausreisepflichtiger ohne Duldung ist, wie auch deren relativ konstante
Zahl über Jahre hinweg zeigt (Ende 2007 waren es zum Beispiel 68 788,
Ende 2008 65 953, Bundestagsdrucksachen 16/8321 und 16/12029), und
wenn ja, welche Schlussfolgerung zieht sie hieraus in Bezug auf ihre Ein-
schätzung, dass die im AZR gespeicherte Zahl der Ausreisepflichtigen
ohne Duldung „deutlich überhöht“ ist?

12. Werden Ausreisepflichtige ohne Duldung auf Dauer im AZR gespeichert,
selbst wenn sie nicht mehr bei der zuständigen Ausländerbehörde vorspre-
chen (und auch nicht abgeschoben wurden)?

a) Was veranlassen die zuständigen Ausländerbehörden, wenn eine Person,
die zur Ausreise aufgefordert wurde bzw. ist und über keine Duldung
mehr verfügt, innerhalb der Ausreisefrist oder auch danach nicht mehr
vorspricht und auch keine Hinweise auf eine „freiwillige“ Ausreise der
Betroffenen vorliegen (etwa eine von den Grenzbehörden zurückge-
sandte Grenzübertrittsbescheinigung)?

b) Gehen die Behörden in diesen Fällen davon aus, dass die Betroffenen
„untergetaucht“ und „illegal“ im Land verblieben oder dass sie unkon-
trolliert ausgereist sind, und inwieweit wird dies gegebenenfalls im AZR
vermerkt?

c) Kommt es in diesen Fällen regelmäßig zu Ausschreibungen zur Fest-
nahme (für wie lange), und wann erfolgt gegebenenfalls eine Abmeldung
im AZR (etwa: „unbekannt verzogen“)?

d) Inwieweit geht die Bundesregierung vor dem Hintergrund dieser Um-
stände weiterhin davon aus, dass die im AZR gespeicherte Zahl der Aus-
reisepflichtigen ohne Duldung „deutlich überhöht“ ist?

Berlin, den 16. September 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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