BT-Drucksache 17/2893

Sofortiger Baustopp für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm

Vom 10. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2893
17. Wahlperiode 10. 09. 2010

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Alexander
Bonde, Ekin Deligöz, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Sylvia Kotting-Uhl, Fritz Kuhn,
Agnes Malczak, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Gerhard Schick, Bettina Herlitzius,
Dr. Anton Hofreiter, Ingrid Nestle, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms, Cornelia
Behm, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Uwe Kekeritz,
Oliver Krischer, Stephan Kühn, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner, Markus Tressel und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sofortiger Baustopp für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich unverzüglich für einen sofortigen Baustopp von Stuttgart 21 und der
Neubaustrecke (NBS) Wendlingen–Ulm einzusetzen und offene Gespräche
mit allen Beteiligten zu führen mit dem Ziel, eine tragfähige, politisch
durchsetzbare und finanzierbare Lösung für die Entwicklung des Bahnkno-
tens Stuttgart und des Korridors Stuttgart–Ulm zu finden,

2. dem Deutschen Bundestag alle relevanten Gutachten zur Beurteilung der
verkehrlichen Auswirkungen, der ökologischen und baulichen Risiken der
beiden Projekte vorzulegen,

3. eine aktualisierte Kostenrechnung vorzunehmen und nachvollziehbar die
Finanzierungsanteile der Projektbeteiligten, insbesondere des Bundes, der
Deutschen Bahn AG als Unternehmen im Eigentum des Bundes, der Euro-
päischen Union, des Landes Baden-Württemberg, der Stadt und der Region
Stuttgart sowie der Flughafengesellschaft Stuttgart darzulegen und dabei die
öffentlichen Mittel (Landes- bzw. Bundesprogramme) auszuweisen,

4. eine aktuelle Wirtschaftlichkeitsberechnung für Stuttgart 21 und eine aktua-
lisierte Nutzen-Kosten-Berechnung für die NBS Wendlingen–Ulm insbe-
sondere auf der Basis realistischer Zahlen für den Schienengüterverkehr vor-
zunehmen und dem Detuschen Bundestag offenzulegen,

5. dem Deutschen Bundestag darzulegen, in welcher Zeitachse die beiden Pro-
jekte mit den aktualisierten Kosten bei welchen Annahmen von erwarteten

Investitionsmitteln für Aus- und Neubauten der Detuschen Bahn AG insge-
samt im Verkehrsetat finanziert werden sollen.

Berlin, den 10. September 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/2893 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Das unterirdische Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 spaltet die Stadt. Seit Monaten
mobilisieren die Gegner des Projekts jeden Montag und inzwischen auch jeden
Freitag zu Großkundgebungen – seit dem Abriss des Nordflügels des Haupt-
bahnhofs sogar täglich Tausende, die kreativ und friedlich gegen Stuttgart 21
demonstrieren. Der bisherige Höhepunkt war eine Kundgebung am 27. August
2010 mit mehr als 50 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Der Widerstand
kommt aus allen Schichten mit den unterschiedlichsten politischen Ansichten,
Junge und Alte, Familien und Singles. Sie alle eint, dass sie nicht wollen, dass
der gut funktionierende, denkmalgeschützte Kopfbahnhof mit integralem Takt-
fahrplan zerstört wird, dass gewaltige Baustellen und riesige Baugruben für
mindestens ein Jahrzehnt (eher mehr) das Leben erschweren für ein Prestige-
projekt mit hohen baulichen Risiken, unter Inkaufnahme der Zerstörung von
Teilen des alten Bahnhofs und des Schlossgartens, mit geringen Vorteilen und
großen verkehrlichen Nachteilen und mit unglaublich hohen Kosten.

In einer Umfrage für die „Stuttgarter Nachrichten“ vom August 2010 haben sich
63 Prozent der Befragten im Stuttgarter Stadtgebiet gegen das Bahnprojekt
ausgesprochen, nur 26 Prozent waren für das Projekt. Und auch in der Region
Stuttgart ist eine deutliche Mehrheit von 48 Prozent zu 30 Prozent gegen Stutt-
gart 21. 17 Prozent der Befragten aus dem Stuttgarter Stadtgebiet gaben zudem
an, bereits an einer Montagsdemonstration teilgenommen zu haben. Eine Forsa-
Umfrage für das Magazin „stern“ vom August 2010 in ganz Baden-Württemberg
ergab, dass 51 Prozent der Befragten gegen das Projekt sind und nur 26 Prozent
dafür. In Stuttgart selbst sind nach dieser Umfrage sogar 67 Prozent der Befrag-
ten gegen Stuttgart 21.

Längst hat der Protest gegen Stuttgart 21 überregionale Bedeutung bekommen.
Er steht stellvertretend für eine Politik, die über die Köpfe der Menschen hin-
weg Beschlüsse fällt, die gegen die Bevölkerungsmehrheit gerichtet sind. Die
Projektbefürworter von CDU, SPD und FDP argumentieren vor allem damit,
dass die Beschlüsse für das Projekt demokratisch entschieden wurden. Die Be-
schlüsse wurden allerdings ohne Kenntnis einer Reihe von Gutachten geschlos-
sen, die das Projekt heute in neuem Licht stehen lassen. So ist den Abgeordne-
ten des Deutschen Bundestages bis heute die Wirtschaftlichkeitsrechnung der
Deutschen Bahn AG (DB AG) für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlin-
gen–Ulm mit Verweis auf ein angebliches Betriebs- und Geschäftsgeheimnis
der DB AG nicht vorgelegt worden.

Ein Gutachten des Schweizer Büros SMA und Partner AG im Auftrag der Nah-
verkehrsgesellschaft Baden-Württemberg aus dem Jahr 2008, dessen Ergebnisse
im Juli 2010 öffentlich wurden, hatte den Auftrag ein Fahrplankonzept für den
Integralen Taktfahrplan für 2020 auf der Basis der Stuttgart-21-Infrastruktur zu
entwickeln. Das Ergebnis war, dass Stuttgart 21 zu Engpässen führen würde. So
stünden für den Fernverkehr nach Ulm unter dem Strich nur zwei Trassen pro
Stunde und Richtung zur Verfügung, im Zulauf zur Gäubahn seien für Fern- und
Regionalverkehrstrassen aufgrund von S-Bahn-Zugfolgen Fahrzeitverlängerun-
gen von im Mittel rund sieben Minuten erforderlich. Mehrere Fahrstraßenkon-
flikte im Hauptbahnhof ließen sich nicht auflösen. Die Gestaltung des Fahrplans
sei aufgrund der „knapp dimensionierte[n] Infrastruktur (…) nur in sehr gerin-
gem Maße möglich“, das „Gesamtsystem nur sehr schwer beherrschbar“ und
zukünftige Angebotsausweitungen nur sehr bedingt realisierbar.

Ein geologisches Gutachten der Stuttgarter Firma Smoltczyk & Partner GmbH
aus dem Jahr 2003, das erst im Juli 2010 bekannt wurde, weist auf viele geo-
logische Risiken des Stuttgarter Baugrunds hin. Der Tübinger Geologe Jakob
Sierig, der Geothermiebohrungen in der Region durchführen lässt, verweist da-

rauf, dass bei der Suche nach Erdwärme sofort ein Bohrstopp verfügt wird,
wenn auf Gipskeuper gestoßen wird. Gegenüber dem Magazin „stern“ sagte er:

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2893

„In Stuttgart bohrt man direkt in den Gips. Es geht hier nicht um Risse, es geht
um mögliche Krater, in denen Häuser verschwinden können.“ Der weltbe-
rühmte Architekt Frei Otto, der 1997 zusammen mit dem Bahnarchitekten
Christoph Ingenhoven die Ausschreibung für den Bahnhof gewonnen hatte, zog
sich 2009 aus dem Projekt zurück, weil er die Risiken nicht mehr mittragen
wollte. Er befürchtet, dass der Bahnhof „überschwemmt“ oder „wie ein U-Boot
aus dem Meer aufsteigen“ könnte.

Die projektierten Kosten für Stuttgart 21 sind noch vor dem ersten Spatenstich
innerhalb eines Jahres von 3,076 Mrd. Euro auf 4,088 Mrd. Euro gestiegen.
Nach der Neuberechnung der Kosten im Dezember 2009 waren es sogar
4,9 Mrd. Euro. Von der DB AG wurden angesichts der „Sollbruch-Stelle“ von
4,5 Mrd. Euro nicht nachvollziehbare „Einsparpotenziale“ von rund 900 Mio.
Euro angenommen, u. a. durch eine bisher ungenehmigte Reduzierung der Tun-
nelwandstärke. Es soll also zu Lasten der Sicherheit gespart werden und das bei
einem Baugrund, der als sehr schwierig beherrschbar gilt. Der Bundesrech-
nungshof kam in einem Gutachten von 2007 zu dem Schluss, dass die Bau-
kosten für Stuttgart 21 bei 5,3 Mrd. Euro liegen würden. Sicher ist schon jetzt,
dass Stuttgart 21 mindestens um 1,3 Mrd. Euro, eher aber um 2,5 Mrd. Euro
teurer wird, als Ende 2008 im Deutschen Bundestag von der Bundesregierung
dargelegt wurde, als der Deutsche Bundestag für das angeblich „am besten ge-
rechnete Bahnprojekt“ grünes Licht für die Unterzeichnung der Finanzierungs-
vereinbarung mit den Projektpartnern gab.

Das Bahnhofsprojekt steht zudem in einem zwingenden baulichen Zusammen-
hang mit der anschließenden ICE-Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Nur bei
gleichzeitiger Inbetriebnahme beider Projekte ist bahntechnisch der Verkehr im
Korridor Stuttgart–Ulm gewährleistet. Verzögert sich ein Projekt, kann auch
das andere nicht in Betrieb genommen werden. Die Neubaustrecke Wendlin-
gen–Ulm hat einen Tunnelanteil von über 51 Prozent und ist damit die tunnel-
reichste Strecke in Deutschland, die jemals geplant wurde. Die offizielle Rech-
nung für das Projekt ging – noch bis weit nach dem Vertragsschluss über
Stuttgart 21 – von lediglich 2,025 Mrd. Euro aus. Eine Nachberechnung für die-
ses Projekt vom Juli 2010 hat eine Kostensteigerung um 865 Mio. Euro von
2,025 Mrd. Euro auf 2,89 Mrd. Euro ergeben. Davon trägt das Land Baden-
Württemberg 950 Mio. Euro.

Aber selbst die nun eingeräumte Kostensteigerung um fast die Hälfte hält einer
vertieften Analyse nicht stand. Die Berliner Beratungsgesellschaft KCW
GmbH hat im Rahmen eines Gutachtens für das Umweltbundesamt, dessen
Aufgabe es war eine Ausbaukonzeption für einen leistungsfähigen Schienen-
güterverkehr zu erarbeiten, auch eine kritische Würdigung von Stuttgart 21 und
der NBS Wendlingen–Ulm vorgenommen. Dabei wiesen die Gutachter ins-
besondere darauf hin, dass die Neubaustrecke für den Güterverkehr nutzlos ist.
Die Strecke weist eine Steigung von bis zu 31 Promille auf, so dass nur
160 km/h schnelle Güterzüge mit einem Gewicht von maximal 1 000 Tonnen
und 500 Meter Länge die Strecke nutzen können. Dieses Zugsegment ist aber
nicht existent (auch nicht im Ausland). Der Trend geht seit Jahren in Richtung
höherer Transportgewichte und steigender Zuglängen, um rentabel und konkur-
renzfähig zur Straße anbieten zu können. Die Neubaustrecke weist also gegen-
über der Altstrecke über die Geislinger Steige, die schon heute weitgehend vom
Schienengüterverkehr gemieden wird, keinen Vorteil auf. Allerdings hebt in der
Nutzen-Kosten-Berechnung gerade die Annahme einer Mitnutzung durch den
Güterverkehr das Projekt überhaupt erst über die Schwelle der Bauwürdigkeit.
Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass die Gesamtkosten von Stuttgart 21
und der NBS Wendlingen–Ulm bis zu 11 Mrd. Euro betragen werden. Mit die-
ser Summe könnten alternativ alle zusätzlichen Infrastrukturmaßnahmen für

den Schienengüterverkehr in Deutschland finanziert werden, um bis 2025 die
Trassenkapazität für eine verdoppelte Transportleistung zu schaffen und damit

Drucksache 17/2893 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

einen wesentlichen Beitrag für die Ermöglichung der Verlagerung von Verkehr
von der Straße auf die Schiene zu leisten.

Ein Gutachten der Vieregg-Rössler GmbH Innovative Verkehrsberatung in
München zur NBS Wendlingen–Ulm vom September 2010 für die Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kalkuliert allein für die Neubaustrecke Wendlin-
gen–Ulm Kosten in Höhe von 5,3 Mrd. Euro, fast das Doppelte der schon aktu-
alisierten Kostenberechnung vom Juli 2010. Die Mehrkosten, die 2,4 Mrd.
Euro und mehr betragen, sind allein vom Bund zu zahlen. Das Gutachten kann
auf Erfahrungen mit den Kosten der Neubaustrecke Nürnberg–Ingolstadt–
München (Bauzeit 1998 bis 2005) zurückgreifen, die durch die gleiche Ge-
steinsformation gekennzeichnet ist. Im Unterschied zur geplanten NBS Wend-
lingen–Ulm ist die Tunnelstrecke bei der NBS Nürnberg–Ingolstadt–München
weitaus geringer gewesen, zudem wurde nur eine Tunnelröhre für beide Gleise
ausgehoben, während für die NBS Wendlingen–Ulm nach der neuen EU-Tun-
nelrichtlinie für jedes Gleis ein separater Tunnel notwendig wird, wodurch die
Tunnelstrecke am Ende 59 Kilometer betragen würde. Abhängig von der
gewählten Tunnel-Baumethode sind die von den Gutachtern prognostizierten
5,3 Mrd. Euro daher auch nur die untere Grenze. Kommen – wie bisher geplant –
keine Tunnelbohrmaschinen zum Einsatz, würden die Kostenrisiken noch
höher liegen. Es ist also davon auszugehen, dass die Kilometerkosten für die
NBS Wendlingen–Ulm weitaus höher sein werden als bei der bereits vor fünf
Jahren fertiggestellten NBS Nürnberg–Ingolstadt–München. Kalkuliert wird
das Projekt bisher aber mit viel geringeren Kilometerkosten.

Im November 2008 lagen dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
zur Entscheidung über die Freigabe der Verpflichtungsermächtigungen ab dem
Jahr 2016 für die Neubaustrecke nur Kostenprognosen in Höhe von 2,025 Mrd.
Euro vor, davon 950 Mio. Euro aus Landesmitteln. Es wurden 925 Mio. Euro
Bundesmittel bewilligt. Schon nach der aktualisierten Kostenberechnung vom
Juli 2010 kostet das Projekt 865 Mio. Euro mehr und bei einer realistischen
Kostenberechnung würde es sich nochmals um mindestens 2,4 Mrd. Euro ver-
teuern. Der Bundesanteil ist also gegenüber der Entscheidung 2008 schon heute
um mehr als 80 Prozent gestiegen, es könnte aber sogar zu einer Steigerung der
Kosten für den Bund um mehr als das Dreifache kommen. Das heißt, der Deut-
sche Bundestag hat aufgrund völlig falscher Kostendaten grünes Licht zum
Beginn der Projekte gegeben.

Bei der Überprüfung des Bedarfsplans Schiene hat es zudem eine Neuberech-
nung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses (NKV) gegeben, die einen Wert von
1,0xx ergeben hat. Damit liegt das Projekt nur mit Nachkommastellen über der
Wirtschaftlichkeitsschwelle von 1,0. Dieser Berechnung liegen allerdings nur
die bisher eingestandenen Baukosten von 2,9 Mrd. Euro zu Grunde. Außerdem
wird der Nutzen mit einer Güterzugsprognose berechnet, die vollkommen un-
realistisch ist, da die Neubaustrecke aufgrund der Steigungsparameter keinen
Vorteil gegenüber der Bestandsstrecke aufweisen wird. Das Projekt wird daher
bei den noch absehbaren Kostensteigerungen deutlich unter 1,0 fallen und ver-
liert damit schon formal seinen Status als vordringliches Projekt. Der Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, hat einen
NKV von 4,0 als Schwellenwert benannt, ab dem Projekte vordringlich reali-
siert werden sollen. Nimmt er seine eigenen Worte ernst, müsste er die NBS
Wendlingen–Ulm sofort stoppen. Wenn Stuttgart 21 und die Neubaustrecke
Wendlingen–Ulm nach den bisherigen Planungen gebaut werden, wird für an-
dere Projekte in Baden-Württemberg und im Rest der Republik kaum Geld
mehr vorhanden sein. Zusammen mit der Neubaustrecke Halle/Leipzig–Erfurt–
Nürnberg binden diese Großprojekte etwa 70 Prozent der bereits fest verplanten
Mittel. Dies zeigt eine Liste des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und

Stadtentwicklung vom 28. Juli 2010 mit den abgeschlossenen Finanzierungs-
vereinbarungen laufender Bedarfsplanvorhaben, welche Projekte dafür zurück-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2893

stehen müssen. So sind für den Ausbau der Rheintalbahn bis 2020 bisher nur
117,5 Mio. Euro fest eingeplant, obwohl das Projekt noch rund 4 Mrd. Euro
kosten wird und nach einem Staatsvertrag mit der Schweiz 2017 komplett fer-
tiggestellt sein soll. Die Neubaustrecke Frankfurt–Mannheim fehlt in der Liste
ganz.

Insbesondere der schon heute um 865 Mio. Euro höhere Bundesanteil für die
Neubaustrecke Wendlingen–Ulm bedeutet, dass der Haushaltsausschuss des
Deutschen Bundestages die Verpflichtungsermächtigungen für den Zeitraum
2016 bis 2019 nochmals verdoppeln müsste, wenn das Projekt tatsächlich Ende
2019 in Betrieb gehen soll. Das würde aber bedeuten, dass in der zweiten
Hälfte dieses Jahrzehnts mindestens die Hälfte (eher deutlich mehr) der nach
heutigem Kenntnisstand jährlich zur Verfügung stehenden Neu- und Ausbau-
mittel für die Schiene für dieses einzige Projekt ausgegeben werden müsste.

Die Entscheidung für Stuttgart 21 und für die NBS Wendlingen–Ulm mit den
dargestellten Kostenrisiken für den Bund wird gravierende Folgen für die
Bewältigung des Güterverkehrs haben, dessen Zuwächse – anders als von Bun-
desverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer mehrfach öffentlich gefordert – nicht
mehr auf der Schiene abgefahren werden können, weil die notwendigen Maß-
nahmen zur Beseitigung von Engpässen und für den Kapazitätsausbau nicht
finanziert werden können. Es drohen logistische Nadelöhre im Seehafenhinter-
landverkehr, die der Wirtschaft und dem Standort Deutschland massiven
Schaden zufügen. Außerdem können die Klimaschutzziele im Verkehr dann
nicht erreicht werden, die von einem starken Wachstum des Schienengüterver-
kehrs ausgehen.

Mit den schon heute absehbaren Baukostensteigerungen ist klar, dass weder
Stuttgart 21 noch die NBS Wendlingen–Ulm, wie derzeit geplant, zum Dezem-
ber 2019 in Betrieb gehen können. Die Bauzeit könnte sich sogar noch über das
Jahr 2030 hinziehen, wenn die Tunnelkosten explodieren sollten. Vor diesem
Hintergrund ist auch der Zeitverlust für eine Neuplanung des Bahnknotens
Stuttgart und des Bahnkorridors Stuttgart–Ulm vernachlässigbar. Eine Neupla-
nung, die eine verbesserte Infrastruktur in Etappen für den Verkehr freigeben
könnte, würde sogar deutlich vor 2019 zu spürbaren Verbesserungen für den
Eisenbahnverkehr in und um Stuttgart führen.

Die von den Projektbefürwortern kolportierten Abbruchkosten der derzeitigen
Planungen sind nicht seriös belegt. Sie sind aber auch immer im Verhältnis zu
den Gesamtkosten beider Projekte zu sehen. Eine auf dem Bestand aufbauende
Neuplanung wäre daher selbst unter Berücksichtigung der Abbruchkosten für
die öffentliche Hand weitaus günstiger.

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