BT-Drucksache 17/2856

Ausmaß der steuerlichen Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften vor dem Hintergrund aktueller Urteile des Bundesverfassungsgerichts

Vom 2. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2856
17. Wahlperiode 02. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Cornelia Möhring, Richard
Pitterle, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

Ausmaß der steuerlichen Ungleichbehandlung von eingetragenen
Lebenspartnerschaften vor dem Hintergrund aktueller Urteile des
Bundesverfassungsgerichts

Das Gesellschaftsbild über Lesben und Schwule hat sich in den letzten Jahr-
zehnten stark verändert. Während gleichgeschlechtliche Partnerschaften bis
hinein in die jüngere Vergangenheit oftmals ein Tabuthema waren, werden diese
in der heutigen Gesellschaft zunehmend toleriert und anerkannt. Gleichwohl er-
fahren gleichgeschlechtliche Partnerschaften häufig noch gesellschaftliche und
rechtliche Ungleichbehandlungen gegenüber heterosexuellen Partnerschaften.
Mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) hat der Gesetzgeber erste Schritte
unternommen, den gesellschaftlichen Wandel auch im Gesetz abzubilden und
somit die Akzeptanz in der Bevölkerung weiter zu steigern.

Gerade im Bereich der individuellen Besteuerung erfahren eingetragene
Lebenspartnerschaften diverse Ungleichbehandlungen gegenüber Eheleuten.
So hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 7. Juli
2009 die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft
in der Hinterbliebenenversorgung für mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes
unvereinbar erklärt. Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht entschieden,
dass eine Ungleichbehandlung auch im Erbschaftsteuergesetz verfassungswid-
rig ist. Vor diesem Hintergrund gilt es zu diskutieren, in welchen weiteren
Bereichen des Steuerrechts eine Diskriminierung besteht und wie diese zu
beseitigen ist. Dies betrifft unter anderem das Ehegattensplitting. Der gesell-
schaftliche Wandel hat dazu geführt, dass die klassische Partnerschaft immer
häufiger kinderlos bleibt. Demzufolge erscheint es fragwürdig, warum das Ehe-
gattensplitting nur heterosexuellen Partnerschaften offensteht.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP ist festgehalten, „gleichheits-
widrige Benachteiligungen im Steuerrecht“ abzubauen. Wir fragen daher die Bun-
desregierung, in welchen weiteren Bereichen des Steuerrechts gleichgeschlecht-
liche Partnerschaften benachteiligt werden, welche bisherigen Maßnahmen unter-
nommen wurden, um das Ziel des Koalitionsvertrages zu erfüllen, und wie die
Bundesregierung mit bestehenden Ungleichbehandlungen umgehen wird.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung in der aktuellen
Legislaturperiode getroffen, um das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel zu
erreichen, gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abzubauen
und insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur
Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten umzusetzen (bitte mit
Auflistung der Einzelmaßnahmen)?

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2. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem Abbau von Diskrimi-
nierungen im Steuerrecht bei eingetragenen Lebenspartnerschaften bei
(bitte mit Begründung)?

3. Wie viele eingetragene Lebenspartnerschaften und gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften, die keine eingetragenen Lebenspartnerschaften
sind, existieren basierend auf den Erhebungen des Mikrozensus in den
Jahren 2007 bis 2009 (bitte untergliedert nach Jahren, Mann/Mann, Frau/
Frau, zusammen im Haushalt/getrennt lebend und Mittelwerte über Anzahl
der Kinder), und in wie vielen Fällen gehören jeweils Kinder zur eingetra-
genen oder nicht eingetragenen Lebenspartnerschaft?

4. Aus welchem Grund existieren keine amtlichen Statistiken über die ein-
getragenen Lebenspartnerschaften, sondern lediglich per Primärerhebung
gewonnene Daten, und erachtet die Bundesregierung diesen Umstand als
kritisch, um sich ein adäquates Bild der Lebenssituation der Bevölkerung
bilden zu können (bitte mit Begründung)?

5. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss des Bun-
desverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07), und wie will sie
den bemängelten verfassungswidrigen Zustand beseitigen, und will sie
rückwirkend zum Jahr 2001, wie vom Bundesverfassungsgericht gefor-
dert, die Gleichbehandlung erreichen (bitte mit Begründung)?

6. Welche steuerlichen Mindereinnahmen resultieren aus dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07), und wie
viele Fälle sind hiervon betroffen?

7. Wie begründet die Bundesregierung die Differenzierung bei Steuerklassen,
Steuerbefreiungen und persönlichen Freibeträgen im Erbschaftsteuergesetz
nach Verwandtschaftsgrad und Familienstatus (bitte mit Begründung)?

8. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass es nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechts-
ordnung notwendig ist, die geplanten Änderungen im Jahressteuergesetz
2010 bei der Einordnung der eingetragenen Lebenspartnerschaften rück-
wirkend zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer-
und Bewertungsrechtes nunmehr in die Steuerklasse I vorzunehmen (bitte
mit Begründung)?

9. Wie viele steuerpflichtige Erwerbe im Erbschaftsteuergesetz (Vorgänge)
ergeben sich jeweils aus der Erbschaftsteuerstatistik 2002 und 2007, und
welcher steuerpflichtige Erwerb bzw. welche Erbschaftsteuer resultiert da-
raus (bitte gruppiert nach steuerpflichtigem Erwerb bis 52 000 Euro,
256 000 Euro, 512 000 Euro, 5 113 000 Euro, 12 783 000 Euro, 25 565 000
Euro, über 25 565 000 Euro und differenziert nach Steuerklassen mit je-
weils Klassenmittelwert des steuerpflichtigen Erwerbs und der Erbschaft-
steuer)?

10. In welchen weiteren speziellen Einzelsteuergesetzen existieren Ab-
weichungen der steuerlichen Behandlung von eingetragener Partnerschaft
und Ehe/Zusammenveranlagung, und wie sehen diese aus bzw. wie begrün-
det die Bundesregierung diese Abweichungen (bitte mit Auflistung der ent-
sprechenden Normen)?

11. Welche der genannten steuerlichen Ungleichbehandlungen zwischen Ehe-
paaren und eingetragenen Lebenspartnern beabsichtigt die Regierung zu
beseitigen, und welche möchte sie beibehalten (bitte mit Begründung)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2856

12. Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, dass der Splittingtarif
eingetragenen Lebenspartnern nicht offen steht, auch vor dem Hintergrund
des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (Rn. 107 f. des zitierten
Beschlusses), wonach eine steuerliche Differenzierung bei Ehen nur dann
sachlich gerechtfertig ist, wenn hierbei auf das Vorhandensein von Kindern
abgestellt wird, was bei Ehegattensplitting nicht zwangsweise gegeben ist
(bitte mit Begründung)?

13. Welche Haltung verfolgt die Bundesregierung zur Ausweitung des Split-
tingtarifs auf eingetragene Lebenspartnerschaften auch vor dem Hinter-
grund unterschiedlicher Äußerungen des Bundesministers der Finanzen,
Dr. Wolfgang Schäuble, und der Bundesministerin der Justiz, Sabine
Leuthheusser-Schnarrenberger, in Bezug auf die Übertragung des Split-
tings auf eingetragene Lebenspartnerschaften (bitte mit Begründung)?

14. Auf welcher Datengrundlage/Statistik bzw. Untersuchung beruht die Aus-
sage des Bundesministers der Finanzen (FOCUS ONLINE, 21. August
2010), dass auch heute noch 90 Prozent der Splittingwirkung auf Ehepaare
mit Kindern entfallen, und wie viele Ehepaare mit Kindern (unabhängig
vom Alter) existieren in Deutschland?

15. Wie verteilt sich der Splittingvorteil auf Ehepaare mit Kindern (unabhän-
gig vom Alter, bitte klassiert nach zu versteuerndem gemeinsamem Ein-
kommen bis 10 000 Euro, bis 20 000 Euro, bis 30 000 Euro, bis 40 000
Euro, bis 50 000 Euro, bis 75 000 Euro, bis 100 000 Euro, bis 150 000
Euro, bis 300 000 Euro, bis 500 000 Euro, bis 1 000 000 Euro, über
1 000 000 Euro mit Gruppenmittelwerten, Anzahl der Kinder der Steuer-
pflichtigen, differenziert für Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und
Kirchensteuer)?

16. Wie verteilt sich der Splittingvorteil auf Ehepaare mit Kindern im steuer-
rechtlichen Sinne basierend auf der Einkommensteuerstatistik (bitte klas-
siert nach zu versteuerndem gemeinsamem Einkommen bis 10 000 Euro,
bis 20 000 Euro, bis 30 000 Euro, bis 40 000 Euro, bis 50 000 Euro, bis
75 000 Euro, bis 100 000 Euro, bis 150 000 Euro, bis 300 000 Euro, bis
500 000 Euro, bis 1 000 000 Euro, über 1 000 000 Euro mit Gruppen-
mittelwerten, Anzahl der Kinder der Steuerpflichtigen, differenziert für
Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer)?

17. Unter welchen Umständen können gleichgeschlechtliche Ehen (weiter) be-
stehen und somit den Splittingtarif in Anspruch nehmen, und wie begrün-
det die Bundesregierung diesen Umstand gegenüber der Behandlung von
eingetragenen Lebenspartnerschaften (bitte mit Begründung)?

18. Wie begründet die Bundesregierung die fehlende Möglichkeit zur Inan-
spruchnahme des Realsplittings nach § 10 Absatz 1 Nummer 1 des Einkom-
mensteuergesetzes für eingetragene Lebenspartner (bitte mit Begründung)?

19. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Beschlusses
des Bundesverfassungsgerichts eine Veränderung des Ehegattensplittings
hin zu einem Familiensplitting im Einkommensteuerrecht (bitte mit Be-
gründung)?

20. Zu welchen steuerlichen Mehreinnahmen würde der komplette Wegfall des
Splittingtarifs führen, basierend auf der aktuellen Einkommensteuer-
statistik (bitte klassiert nach zu versteuerndem gemeinsamem Einkommen
bis 10 000 Euro, bis 20 000 Euro, bis 30 000 Euro, bis 40 000 Euro, bis
50 000 Euro, bis 75 000 Euro, bis 100 000 Euro, bis 150 000 Euro, bis
300 000 Euro, bis 500 000 Euro, bis 1 000 000 Euro, über 1 000 000 Euro
mit Gruppenmittelwerten der steuerlichen Mehrbelastung der Steuer-

pflichtigen, differenziert für Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und
Kirchensteuer)?

Drucksache 17/2856 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Zu welchen steuerlichen Mindereinnahmen würde die Einführung eines
Familiensplittings führen (Ehepartner und Kinder bis 25 Jahre, jeweils mit
gleicher Gewichtung) basierend auf der aktuellen Einkommensteuerstatis-
tik (bitte klassiert nach zu versteuerndem Einkommen bis 10 000 Euro,
bis 20 000 Euro, bis 30 000 Euro, bis 40 000 Euro, bis 50 000 Euro, bis
75 000 Euro, bis 100 000 Euro, bis 150 000 Euro, bis 300 000 Euro, bis
500 000 Euro, bis 1 000 000 Euro, über 1 000 000 Euro mit Gruppenmit-
telwerten der steuerlichen Mehrbelastung der Steuerpflichtigen, differen-
ziert für Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer)?

22. Wie ist der eingetragene Lebenspartner unter den Begriff der nahestehen-
den Person im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) einzuordnen,
und welche Schlussfolgerungen ergeben sich hierfür für die steuerrecht-
liche Anerkennung von Verträgen zwischen Lebenspartnern (bitte mit Be-
gründung)?

23. Wie ist die eingetragene Lebenspartnerschaft im Sinne des § 32d Ab-
satz 2 EStG zu den dort kodifizierten Missbrauchsvorschriften zu werten
(bitte mit Begründung)?

24. Wie ist der eingetragene Lebenspartner unter den Begriff der nahestehen-
den Person im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes (KstG) einzuordnen,
und welche Schlussfolgerungen ergeben sich hierfür bei der verdeckten
Gewinnausschüttung bzw. Einlagen nach § 8 Absatz 3 KStG (bitte mit Be-
gründung)?

25. Wie ist der eingetragene Lebenspartner unter den Begriff der nahestehen-
den Person im Sinne des Umsatzsteuergesetzes einzuordnen (bitte mit Be-
gründung)?

26. Wie ist der eingetragene Lebenspartner unter den Begriff Angehöriger im
Sinne der Abgabenordnung einzuordnen, und teilt die Bundesregierung die
Auffassung, dass die fehlende Nennung der eingetragenen Lebenspartner-
schaft in § 15 der Abgabenordnung (AO) über die Rechtsauslegung lex
posterior derogat legi priori § 11 Absatz 1 LPartG verdrängt (bitte mit Be-
gründung)?

27. Inwieweit steht dem eingetragenen Lebenspartner ein Auskunfts- und
Eidesverweigerungsrecht nach § 101 AO zu, und wie begründet die Bun-
desregierung eine Abweichung zur Behandlung von Ehepartnern (bitte mit
Begründung)?

28. Inwieweit steht dem eingetragenen Lebenspartner ein Zeugnisverweige-
rungsrecht aus persönlichen Gründen nach § 52 der Strafprozessordnung
über § 385 Absatz 1 AO zu (bitte mit Begründung)?

29. Welche Zahlen liegen der Bundesregierung über die Anzahl von Ehen,
gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften (nicht eingetragene Lebens-
partnerschaft) und eingetragenen Lebenspartnerschaften, in denen Kinder
leben, vor?

Berlin, den 30. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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