BT-Drucksache 17/2740

Mindestlohn und Mindestarbeitsstandards in der Weiterbildung

Vom 10. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2740
17. Wahlperiode 10. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Diana Golze, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie
Hein, Katja Kipping, Ingrid Remmers, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion der DIE LINKE.

Mindestlohn und Mindestarbeitsstandards in der Weiterbildung

Seit Jahren werden in der Öffentlichkeit die sozialen Verwerfungen für die Be-
schäftigten in der allgemeinen, politischen, kulturellen und beruflichen Weiter-
bildung problematisiert. Die vom Bundesministerium für Bildung und For-
schung (BMBF) in Auftrag gegebene und seit Anfang 2006 vorliegende Studie
„Zur sozialen und wirtschaftlichen Lage von Beschäftigten in der Weiterbil-
dung“ hat erneut deutlich gemacht, dass die Beschäftigungssituation eines über-
wiegenden Teils der insgesamt 650 000 Lehrenden in der Weiterbildung als
„atypisch“ und in der Regel als „prekär“ einzustufen ist. Der Anteil der sozial-
versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse liegt in der Branche unter 15 Pro-
zent. Die „im Hauptberuf freiberuflich lehrenden Honorarkräfte“ (23 Prozent
der Weiterbildnerinnen und Weiterbildner) sind zumeist nur durch die Kombi-
nation unterschiedlicher Verträge in der Lage, ein existenzsicherndes Einkom-
men zu erwirtschaften. Für eine effektive soziale Vorsorge reichen die Bezüge
in der Regel nicht aus (vgl. prekär – Zeitung für Beschäftigte in der Weiterbil-
dung, Heft 02/2009).

Die Ausweitung der ungesicherten und unterwertigen Beschäftigung in der Wei-
terbildung, einschließlich der Zahlung von Dumpinglöhnen für hauptberufliche
Honorardozentinnen und -dozenten, hat sich seit den Hartz-Reformen und den
damit verbundenen Mittelkürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA)
dynamisiert. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die Gewerk-
schaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) befürchten jetzt infolge des 80-Mil-
liarden-Kürzungsprogramms der Bundesregierung einen erneuten Unterbie-
tungswettbewerb auf Seiten der Bildungsträger und im Ergebnis weitere Lohn-
einbrüche, insbesondere bei kostenintensiven langfristigen Maßnahmen (vgl.
Presseerklärung ver.di vom 23. Juni 2010).

Für die Beschäftigten der Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich des Zweiten
und Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB III) hat die Dienst-
leistungsgewerkschaft ver.di in Vollmacht des Bundesverbandes der Träger der
beruflichen Bildung (BBB) sowie der GEW am 27. März 2008 beim Bundes-

ministerium für Arbeit und Soziales mit Erfolg einen Antrag auf Aufnahme der
Weiterbildungsbranche in das Arbeitnehmerentsendegesetz gestellt. Die Tarif-
parteien haben am 12. Mai 2009 einen Branchentarifvertrag vorgelegt und damit
den Weg für die Einführung eines Branchenmindestlohns in der Weiterbildung
frei gemacht. Die hierfür notwendige Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit
durch die Bundesregierung steht jedoch bis heute aus.

Drucksache 17/2740 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Ursachen identifiziert die Bundesregierung für die prekären Vergü-
tungsstrukturen in der pädagogischen Arbeit in der Weiterbildungsbranche,
und welche Möglichkeiten sieht sie, der Ausweitung unterwertiger Beschäf-
tigungsverhältnisse in diesem Bereich entgegenzuwirken?

2. Welche Schlüsse zieht die jetzige Bundesregierung aus der vom Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung 2006 veröffentlichten Studie „Zur
sozialen und wirtschaftlichen Lage von Beschäftigten in der Weiterbildung“
vor dem Hintergrund der anhaltenden Prekarisierung der Beschäftigungsver-
hältnisse in dieser Branche?

3. a) Welche Erkenntnisse über die soziale und wirtschaftliche Situation der
Beschäftigten in der Weiterbildungsbranche liegen der Bundesregierung
neben der unter Frage 1 genannten Studie vor?

b) Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den unter Frage 3a ge-
nannten Erkenntnissen?

4. a) Wie viele Lehrende arbeiten nach Kenntnis der Bundesregierung fest
angestellt, im Hauptberuf freiberuflich lehrend und als nebenberufliche
Honorarkräfte in der Weiterbildung (bitte aufschlüsseln nach Volkshoch-
schulen, öffentlichen geförderten freien Trägern, sonstigen Weiterbil-
dungseinrichtungen und nach Bundesländern)?

b) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die durchschnittlichen
Einzeleinkommen der Lehrenden in der Weiterbildung (bitte aufschlüs-
seln nach fest Angestellten, im Hauptberuf freiberuflich Lehrenden und
nebenberuflichen Honorarkräften sowie nach Volkshochschulen, öffent-
lich geförderten freien Trägern, sonstigen Weiterbildungseinrichtungen
und nach Bundesländern)?

c) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über wöchentliche Arbeits-
zeit der Lehrenden in der Weiterbildung (bitte aufschlüsseln nach fest
Angestellten, im Hauptberuf freiberuflich Lehrenden und nebenberuf-
lichen Honorarkräften sowie nach Volkshochschulen, öffentlich geför-
derten freien Trägern, sonstigen Weiterbildungseinrichtungen und nach
Bundesländern)?

5. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine hinreichende Vergü-
tung und soziale Absicherung für die Beschäftigten wichtige Voraussetzun-
gen für eine qualitativ hochwertige Weiterbildung sind?

6. Hat die Bundesregierung eine Folgenabschätzung der ab 1. Mai 2011 voll-
ständig gültigen Europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Weiterbil-
dungsbranche erstellt?

Wenn ja, welche Folgen sieht die Bundesregierung, und welche Schlüsse
zieht sie hieraus?

Wenn nein, warum nicht?

7. a) Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung mit der im Koalitionsvertrag
der Regierungsfraktionen avisierten Weiterbildungsallianz?

b) Gehört die Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen in der Weiter-
bildung zu den zentralen Zielen der Weiterbildungsallianz?

Wenn ja, welche konkreten Ziele formuliert die Bundesregierung in die-
sem Bereich, und bis wann und wie sollen diese erreicht werden?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2740

8. a) Wie bewertet die Bundesregierung den Zielkonflikt zwischen der im
Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen avisierten Stärkung des
lebensbegleitenden Lernens und den geplanten Kürzungen im Bereich
der aktiven Arbeitsmarktpolitik?

b) Welche Auswirkungen werden die geplanten Kürzungen im Bereich der
aktiven Arbeitsmarktpolitik auf die Beschäftigungsbedingungen in der
Weiterbildung nach Einschätzung der Bundesregierung haben?

c) Wird die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern,
dass sich die Beschäftigungsbedingungen in der Weiterbildung durch die
Umsetzung des Sparpaketes weiter verschlechtern?

d) In welchen Bereichen der Weiterbildungsförderung plant die Bundes-
regierung Einsparungen vorzunehmen?

e) Gibt es Bereiche der Weiterbildungsförderung, für die die Bundesregie-
rung Kürzungen im Rahmen der Umsetzung des Sparpaketes oder im
Rahmen der Evaluation der arbeitsmarktpolitischen Instrumente aus-
schließt?

9. a) Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Tatsache, dass mittels öf-
fentlicher Gelder in der Förderung und Durchführung von Weiter- und
Ausbildungsmaßnahmen im Bereich des SGB II und SGB III ein pre-
käres Vergütungssystem aufrechterhalten und die Lohnspirale weiter
nach unten getrieben wird?

b) Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung vor, insbesondere im
Hinblick auf die Vergabepraxis der BA, um der unter Frage 9a genannten
Tendenz entgegenzuwirken?

10. a) Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Erforderlichkeit
und Angemessenheit von Branchenmindestlöhnen und Mindestarbeits-
bedingungen am besten durch die in der entsprechenden Branchen ver-
tretenen Tarifpartner beurteilt bzw. definiert werden kann (bitte begrün-
den)?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung die Sachkunde der vertragsschließen-
den Tarifpartner BBB, ver.di und GEW bezüglich der Erforderlichkeit
und Angemessenheit von Mindestlöhnen und Mindestarbeitsbedingun-
gen in der Weiterbildungsbranche (bitte begründen)?

c) Wie beurteilt die Bundesregierung die Sachkunde der im Tarifausschuss
vertretenen Akteure bezüglich der Erforderlichkeit und Angemessenheit
von Mindestlöhnen und Mindestarbeitsbedingungen in der Weiterbil-
dungsbranche (bitte begründen)?

11. a) Wie viele Beschäftigte in der Weiterbildungsbranche erhalten zusätzlich
zu ihren Vergütungen bzw. Löhnen Aufstockungsleistungen nach dem
SGB II (bitte differenzieren nach den einzelnen Branchensegmenten und
nach den Beschäftigungsformen)?

b) Wie hoch sind die Finanzmittel, mit denen die Grundsicherungsträger
die niedrigen Löhne der betroffenen Beschäftigten aufstocken, um deren
Existenz zu sichern (wenn möglich bitte differenzieren nach den einzel-
nen Branchensegmenten, nach den Beschäftigungsformen und Bundes-
ländern)?

12. a) Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung bislang keine Rechtsver-
ordnung für die Allgemeinverbindlichkeit tarifvertraglicher Mindest-
standards in der Weiterbildung nach § 7 Absatz 5 Satz 4 des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes (AEntG) erlassen?

Drucksache 17/2740 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) Plant die Bundesregierung eine Rechtsverordnung für die Allgemeinver-
bindlichkeit tarifvertraglicher Mindeststandards in der Weiterbildung
nach § 7 Absatz 5 Satz 4 AEntG zu erlassen?

Wenn ja, wann soll dies geschehen?

Wenn nein, warum nicht?

c) Wenn diese Entscheidung noch nicht getroffen worden ist, nach welchen
Kriterien wird die Bundesregierung entscheiden, ob sie eine Rechtsver-
ordnung für die Allgemeinverbindlichkeit tarifvertraglicher Mindest-
standards in der Weiterbildung nach § 7 Absatz 5 Satz 4 AEntG erlassen
wird, und für wann ist diese Entscheidung vorgesehen?

Berlin, den 23. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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