BT-Drucksache 17/2720

Beim Bundeskriminalamt geführte Gewalttäter- und andere Dateien

Vom 6. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2720
17. Wahlperiode 06. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Neskovic, Jens Petermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Beim Bundeskriminalamt geführte Gewalttäter- und andere Dateien

Das Bundeskriminalamt (BKA) führt zahlreiche Dateien mit personenbezogenen
Daten. Diese dienen nicht nur der Strafverfolgung, sondern auch der Prävention.
Einzelne dieser Dateien sind geeignet, unverhältnismäßig in Grundrechte der
Betroffenen einzugreifen. Dies gilt insbesondere für die „Gewalttäter“-Dateien,
in denen, anders als die Bezeichnung suggeriert, mitnichten nur solche Personen
gespeichert werden, denen eine Gewalttat nachzuweisen ist. Bei einem Eintrag
kann es auch nach der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, mitunter sogar
nach einem gerichtlichen Freispruch bleiben. Es genügt gar die bloße Annahme,
eine Person könne in der Zukunft Straftaten begehen. Damit wird die willkür-
liche Erfassung politischer Aktivisten ermöglicht. Die Bundesregierung hat in
ihren Ausführungen auf Bundestagsdrucksache 16/13563 deutlich gemacht,
dass es für die Prognose, ob eine Person womöglich Gewalttaten begehen
könnte, keine klaren Kriterien gibt. Sie hat außerdem bestätigt, dass es keine
wissenschaftliche Evaluierung der Wirksamkeit dieser „Gewalttäter“-Dateien
gibt. Zugleich wurde aus der Antwort der Bundesregierung deutlich, dass Ein-
träge in diese Dateien weitere Grundrechtseingriffe nach sich ziehen können wie
etwa Ausreiseverbote, Aufenthaltsbeschränkungen, präventive Festnahmen
usw. Bei Weitergabe der Daten an ausländische Behörden drohen von deren
Seite ebenfalls grundrechtseinschränkende Maßnahmen. Angesichts der Tat-
sache, dass etlichen der in den Dateien Gespeicherten keinerlei Gewalttaten
nachzuweisen sind, wäre eine Evaluierung der Wirksamkeit das Mindeste, um
die Grundrechtseingriffe auf ihre Verhältnismäßigkeit zu untersuchen.

Im Juni 2010 hat der Bundesrat einer Verordnung des Bundesministeriums des
Innern bezüglich der Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskrimi-
nalamtgesetzes gespeichert werden dürfen, zugestimmt (Bundesratsdrucksache
329/10). Das Bundesministerium des Innern ist mit der Verordnung nicht nur
gerichtlichen Forderungen nach Legalisierung der bisherigen Dateien nachge-
kommen, sondern hat sich gleich dazu ermächtigen lassen, weitere Dateien ein-
zurichten. Die Voraussetzungen dafür sind sowohl im Bereich der delikts- und
phänomenbezogenen Dateien als auch im Bereich der „Gewalttäter“-Dateien
höchst unpräzise formuliert; so heißt es bezüglich der „Gewalttäter“-Dateien:
„Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen und sonstiger Straftaten“,

wobei es keine Beschränkung auf schwere Straftaten wie auch keine Eingren-
zung hinsichtlich der Konkretheit eines entsprechenden Verdachtes gibt.

Drucksache 17/2720 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen sind derzeit in der Datei „Gewalttäter links“ gespeichert?

a) Wie viele dieser Personen gelten als Verdächtige/Beschuldigte?

b) Wie viele dieser Personen sind als Kontakt- oder Begleitpersonen gespei-
chert?

c) Wie viele andere Personen sind gespeichert (bitte nach jeweiligen Grün-
den der Speicherung darstellen)?

d) Wie viele dieser Personen haben ihren Wohnsitz in Deutschland (bitte
nach den in den Fragen 1a bis 1c abgefragten Kategorien unterteilen)?

2. Wie viele Personen sind derzeit in der Datei „International agierende gewalt-
bereite Störer“ (IgaSt) gespeichert?

a) Wie viele dieser Personen gelten als Verdächtige/Beschuldigte?

b) Wie viele dieser Personen sind als Kontakt- oder Begleitpersonen gespei-
chert?

c) Wie viele andere Personen sind gespeichert (bitte nach jeweiligen Grün-
den der Speicherung darstellen)?

d) Wie viele dieser Personen haben ihren Wohnsitz in Deutschland (bitte
nach den in den Fragen 2a bis 2c abgefragten Kategorien unterteilen)?

3. Wie viele Personen sind derzeit in der Datei „Gewalttäter politisch motivierte
Ausländerkriminalität“ gespeichert?

a) Wie viele dieser Personen gelten als Verdächtige/Beschuldigte?

b) Wie viele dieser Personen sind als Kontakt- oder Begleitpersonen gespei-
chert?

c) Wie viele andere Personen sind gespeichert (bitte nach jeweiligen Grün-
den der Speicherung darstellen)?

d) Wie viele dieser Personen haben ihren Wohnsitz in Deutschland (bitte
nach den in den Fragen 3a bis 3c abgefragten Kategorien unterteilen)?

4. Wie viele Personen sind derzeit in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert?

a) Wie viele dieser Personen gelten als Verdächtige/Beschuldigte?

b) Wie viele dieser Personen sind als Kontakt- oder Begleitpersonen gespei-
chert?

c) Wie viele andere Personen sind gespeichert (bitte nach jeweiligen Grün-
den der Speicherung darstellen)?

d) Wie viele dieser Personen haben ihren Wohnsitz in Deutschland (bitte
nach den in den Fragen 4a bis 4c abgefragten Kategorien unterteilen)?

5. Wie viele als verdächtig/beschuldigt geführte Personen sind im Laufe des
Jahres 2009 neu in diese Dateien aufgenommen, und wie viele sind heraus-
genommen worden (bitte für jede Datei einzeln angeben)?

6. Bei welchen Anlässen (Gipfeltreffen, Großveranstaltungen etc.) hat das BKA
im Jahr 2009 ausländischen Sicherheitsorganen Daten aus den vorgenannten
Dateien übermittelt?

a) Zu wie vielen als verdächtig/beschuldigt geführten „Gewalttätern“ sind
Daten übermittelt worden?

b) Wer war jeweils Empfänger dieser Daten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2720

7. Hat die Bundesregierung begonnen oder die Absicht, über die Übermittlung
von Daten an ausländische Polizeibehörden eine ausführliche Statistik zu
führen, und wenn nein, was spricht aus Sicht der Bundesregierung gegen
das Führen einer solchen Statistik, die geeignet wäre, das Ausmaß ein-
zuschätzen, in dem von der Möglichkeit der Datenübermittlung Gebrauch
gemacht wird, bei der es sich immerhin um eine Maßnahme handelt, die
schwere Grundrechtseingriffe nach sich ziehen kann?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung, eine wissenschaftlichen Ansprüchen
genügende Wirksamkeitseinschätzung dieser Dateien vorzunehmen?

Welche gesetzliche Grundlage bräuchte es aus Sicht der Bundesregierung
hierfür?

9. Welches belastbare Zahlenmaterial steht der Bundesregierung zur Verfü-
gung, um die Verlässlichkeit von Prognosen über womöglich bevorstehende
Straftaten von Personen, die in den genannten Dateien gespeichert werden,
zu überprüfen?

a) Kann die Bundesregierung ungefähre Angaben zu der Frage machen,
wie viele jener Personen, die aufgrund der Annahme, sie würden (in der
Zukunft) Straftaten begehen, in einer der genannten Dateien gespeichert
wurden, später tatsächlich Straftaten im erwarteten Zusammenhang be-
gangen haben (bitte ggf. ausführen)?

b) Wenn nein, welches Instrument steht dann zur Verfügung, um die Prog-
noseverlässlichkeit zu überprüfen?

c) Welche verschriftlichten Regelungen gibt es hinsichtlich der Eintragung
in die „Gewalttäter“-Dateien aufgrund eines in die Zukunft gerichteten
Verdachtes (bitte Anweisungen, Handbücher, Verordnungen, Hausmit-
teilungen etc. nennen und als Anlage beifügen)?

d) Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Speicherung von Personen in
den „Gewalttäter“-Dateien allein aufgrund einer Prognose angesichts
der Tatsache, dass eine solche Speicherung dazu beitragen kann, schwer
wiegende Grundrechtseingriffe (präventive Festnahmen, Ausreisesper-
ren, Einreiseverbote und Verfolgung durch ausländische Sicherheitsor-
gane, sofern die Daten an jene übermittelt werden) auszulösen?

10. Wie viele der in den Dateien „IgaSt“, „Gewalttäter links“, „Gewalttäter
politisch motivierter Ausländerkriminalität“ und „Gewalttäter Sport“ ge-
speicherten Personen sind aufgrund von Hinweisen ausländischer Sicher-
heitsbehörden (welcher?) gespeichert worden (die Fragesteller erklären sich
damit einverstanden, dass die Antwort zu dieser Frage wegen einer mögli-
cherweise zeitaufwändigen Recherche zu einem späteren Zeitpunkt nachge-
reicht wird)?

11. Wie häufig macht das BKA von den in der Antwort zu Frage 7a auf Bun-
destagsdrucksache 16/13563 ausgeführten Möglichkeiten Gebrauch, nach-
zuprüfen, ob die von ausländischen Sicherheitsbehörden zufließenden
Informationen über mutmaßliche Gewalttäter inhaltlich zutreffend sind,
und in wie vielen Fällen wurden diese Informationen bestätigt?

12. Erwägt die Bundesregierung eine Statistik zu Anträgen auf Löschung oder
Berichtigung aus den genannten Dateien bzw. Widerspruchsverfahren und
Gerichtsurteile zu solchen Anträgen einzuführen, um Aufschluss darüber zu
erlangen, in wie vielen Fällen eine rechtswidrige oder fehlerhafte Speiche-
rung vorlag, und wenn nein, was spricht – angesichts der Grundrechte-
relevanz der Eintragung in solche Dateien – gegen eine solche Statistik?

Drucksache 17/2720 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
13. Wie viele Datensätze enthalten die übrigen zu Strafverfolgung, Gefahren-
abwehr oder Prävention eingerichteten Dateien der deutschen Sicherheits-
behörden (bitte analog den Bundestagsdrucksachen 16/2875 bzw. 16/13563
unter Angabe des Namens, der Rechtsgrundlage, des Zwecks, des Anord-
nungsdatums sowie der Zahl der Datensätze darstellen)?

a) Von wie vielen Personen sind in diesen Dateien jeweils Angaben gespei-
chert?

b) Wie viele dieser Personen sind als Verdächtige/Beschuldigte gespei-
chert?

c) Wie viele dieser Personen sind als Kontakt- bzw. Begleitpersonen ge-
speichert?

d) Wie viele dieser Personen haben ihren Wohnsitz in Deutschland (bitte
nach den in den Fragen 13a bis 13c abgefragten Kategorien unterteilen)?

14. Wie viele und welche dieser Dateien sind in den Jahren 2006, 2007, 2008,
2009 und 2010 neu errichtet worden?

15. Welche Dateien sind in den Jahren 2006, 2007, 2008, 2009 und 2010 ge-
löscht worden, und was ist mit den zugehörigen Datensätzen geschehen
(bitte ggf. angeben, wenn sie in andere Dateien übertragen wurden)?

16. Welche weiteren Dateien erwägt die Bundesregierung derzeit neu einzu-
richten?

Berlin, den 4. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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