BT-Drucksache 17/2718

Leiharbeit in einer Boombranche - Der Fall des Windanlagenbauers AMBAU

Vom 6. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2718
17. Wahlperiode 06. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Dorothee Menzner, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Cornelia Möhring,
Ingrid Remmers, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Leiharbeit in einer Boombranche – Der Fall des Windanlagenbauers AMBAU

Die Firma AMBAU GmbH ist ein führender Hersteller für Offshore- und On-
shore-Turmsegmente. Diese Türme werden für die Errichtung von Windenergie-
anlagen, sowohl offshore (auf See) als auch onshore (Festland) benötigt. Die
Firma AMBAU GmbH ist Teil eines Wachstumsmarkts. Durch den steigenden
Auftragseingang steigt die Beschäftigtenzahl kontinuierlich.

Zur Unternehmensgruppe gehört auch die AMBAU Personalservice GmbH.
Hier werden Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer beschäftigt, die
hauptsächlich bei der Firma AMBAU GmbH arbeiten.

Ein wichtiger Standort des Unternehmens ist in Cuxhaven: Im Werk werden Off-
shore-Türme mit großen Durchmessern und hohen Bauteilgewichten gebaut.
Von 108 Beschäftigten im Cuxhavener Werk arbeiten 51 in der hauseigenen
Leiharbeitsfirma (Lohn Leiharbeit/Festangestellte). Für die Beschäftigten in der
Leiharbeit gilt der AMP-Tarifvertrag (AMP = Arbeitgeberverband Mittelständi-
schen Personaldienstleister), d. h. sie bekommen zurzeit 7,60 Euro, wenn sie in
der untersten Entgeltstufe beschäftigt sind. Festangestellte haben bisher keinen
Tarifvertrag, ihre Löhne werden individuell ausgehandelt. Die Löhne für die
Leiharbeitsbeschäftigten liegen in der Regel zwischen 4 und 5 Euro unterhalb
denen der Stammbeschäftigten mit vergleichbaren Tätigkeiten. In die Schlag-
zeilen geraten ist die Firma AMBAU GmbH zudem durch die Kündigung des
Mitarbeiters Ali Can, der an der Vorbereitung der Betriebsratswahl im Werk
Cuxhaven beteiligt ist.

Die Firma AMBAU GmbH bekam zur Errichtung der Betriebsstätte in Cux-
haven (Anlage zur seriellen Herstellung von Stahlrohrtürmen für Offshore-
Windkraftanlagen) 2008 eine Förderung von 6 637 500 Euro. Eine Hälfte kommt
aus EU-Mitteln (EFRE). Die andere Hälfte kommt zu gleichen Anteilen aus
Bundes- und Landesmitteln, also je 1 659 375 Euro.

Zusätzlich profitierte die Firma AMBAU GmbH an der Förderung von Weiter-
bildungsmaßnahmen ihrer Beschäftigten (im Bereich Stahlverarbeitung und für
das Führen von Gabelstaplern und Kranen) durch ESF-Mittel in Höhe von

ungefähr 100 000 Euro.

Folgt man der Definition der Bundesregierung, so liegt missbräuchlicher Einsatz
von Leiharbeit dort vor, „wo Zeitarbeit dazu genutzt wird, systematisch Stamm-
beschäftigte durch Zeitarbeitnehmerinnern und Zeitarbeitnehmer zu ersetzen …“
(Bundestagsdrucksache 17/1321). Beim Windanlagenbauer AMBAU GmbH
werden faktisch Stammbeschäftigte durch Leiharbeitskräfte ersetzt: Denn Neu-

Drucksache 17/2718 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

einstellungen erfolgen nahezu ausschließlich über Leiharbeitskräfte. Ein Einsatz
von Leiharbeit ausschließlich zur Deckung von Auftragsspitzen liegt nicht vor,
da der Einsatz kontinuierlich und in einer Situation von gesicherten Auftrags-
büchern erfolgt. Die Firma AMBAU GmbH plant nach eigenen Angaben (Sonn-
tagsjournal der Nordsee-Zeitung, vom 11. Juli 2011) bereits für 2012 die Errich-
tung eines zweiten Werks in Cuxhaven. Ebenda steht, dass die Firma AMBAU
GmbH bereits seit 15 Jahren mit einem hohen Anteil an Leiharbeitsbeschäftig-
ten arbeitet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Liegt ein „unsachgemäßer Einsatz von Leiharbeit vor, der nicht dem Willen
des Gesetzgebers entspricht, wenn der Einsatz von Leiharbeit dazu genutzt
wird, systematisch Stammbelegschaften zu ersetzen“, und wenn dies in
einem Umfang von rund 50 Prozent bereits geschehen ist?

2. Ist der Einsatz der Leiharbeit bei der Firma AMBAU GmbH nach der
Rechtsauffassung der Bundesregierung rechtswidrig?

3. Falls Frage 2 verneint wird, wie begründet die Bundesregierung die Recht-
mäßigkeit der systematischen Ersetzung der Stammbelegschaften durch
Leiharbeiter bei der Firma AMBAU GmbH in einem Umfang wie in
Frage 1 beschrieben?

4. Welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung
aus dem hier dargelegten Fall von Leiharbeit beim Windanlagenbauer
AMBAU GmbH ab, damit Leiharbeit nicht dazu genutzt werden kann
systematisch Stammbeschäftigte zu ersetzen?

5. Sollte die Bundesregierung aus der Frage 4 heraus keinen Handlungsbedarf
ableiten, ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung den Einsatz in
Übereinstimmung mit ihrer Intention hinsichtlich des Einsatzes von Leih-
arbeit sieht?

6. Hält die Bundesregierung den Einsatz von Leiharbeit zum Zwecke des
Lohndumpings für gerechtfertigt?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass dies im Falle von der
Firma AMBAU GmbH sogar in einer Boombranche geschieht und das
Unternehmen aufgrund seiner sicheren Auftragslage fest einstellen könnte?

8. Hat die Leiharbeitsfirma AMBAU Personalservice GmbH eine Genehmi-
gung der Bundesagentur für Arbeit?

9. Wurde bei der Firma AMBAU Personalservice GmbH eine örtliche Prüfung
durch die Bundesagentur für Arbeit durchgeführt?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

10. Liegt nach Ansicht der Bundesregierung im Falle der Firma AMBAU
GmbH und der AMBAU Personalservice GmbH eine konzerninterne Leih-
arbeit vor?

Wenn ja, handelt es sich nach Meinung der Bundesregierung hierbei um ei-
nen Missbrauch von Leiharbeit, wie im Falle Schlecker?

11. In wie vielen Fällen wird die Entlohnung der Leiharbeitskräfte bei der
Firma AMBAU GmbH in Cuxhaven mit Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) aufgestockt?

In welcher Höhe erhalten Aufstocker im Werk Cuxhaven insgesamt und im

Durchschnitt Leistungen nach SGB II?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2718

12. Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um den
strategischen Einsatz von Leiharbeit zum Lohndumping und zur Ersetzung
von Stammbelegschaften zu unterbinden, damit u. a. dem systematischen
Einsatz von Steuergeldern zur Existenzsicherung von Leiharbeitsbeschäf-
tigten ein Riegel vorgeschoben wird?

Wie begründet die Bundesregierung ihr Vorgehen?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Firma AMBAU
GmbH Fördermittel von über 6,7 Mio. Euro für die Errichtung ihrer Be-
triebsstätte in Cuxhaven und für die Weiterbildung ihrer Beschäftigten be-
kommt und gleichzeitig ca. 50 Prozent dieser Beschäftigten statt in festen
Arbeitsverhältnissen in unsicheren und schlecht bezahlten Leiharbeitsver-
hältnissen beschäftigt sind?

14. Welche Förderbedingungen hat die Bundesregierung an die Vergabe der
1 659 375 Euro Förderung des Bundes zur Errichtung des Werks in Cux-
haven geknüpft?

Wurden die Förderbedingungen an Festanstellungen geknüpft?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche Konsequenzen sind vorgesehen?

15. Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz von 1 659 375 Euro des
Bundes zur Errichtung des Werks in Cuxhaven in Zusammenhang mit der
Tatsache, dass ca. 50 Prozent der Beschäftigten in diesem Werk in Leih-
arbeit beschäftigt sind?

16. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, aufgrund des Missbrauchs
von Leiharbeit in der Firma AMBAU GmbH eine Rückverlangung von För-
dermitteln zu prüfen?

17. Wird die Bundesregierung auf Grundlage der gezahlten Fördermittel die
Firma AMBAU GmbH auffordern, den Missbrauch von Leiharbeit zum
Lohndumping einzustellen?

18. Hat das Verhalten der Firma AMBAU GmbH Auswirkungen auf die Ver-
gabe von Fördermitteln an die Firma AMBAU GmbH insbesondere hin-
sichtlich einer eventuellen Förderung der geplanten Erweiterung des Werks
in Cuxhaven?

19. Plant die Bundesregierung die Vergabe von Fördermitteln zukünftig an Kri-
terien zu koppeln, die Beschäftigte der Unternehmen vor Lohndumping
durch den Einsatz von Leiharbeit schützen?

Berlin, den 3. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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