BT-Drucksache 17/2707

Umgehung des deutschen Arbeitsrechts im Rahmen entsandter Arbeit

Vom 4. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2707
17. Wahlperiode 04. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Matthias W. Birkwald, Dr. Diether Dehm,
Klaus Ernst, Wolfgang Gehrcke, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Jutta
Krellmann, Ingrid Remmers, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Umgehung des deutschen Arbeitsrechts im Rahmen entsandter Arbeit

Die „Frankfurter Rundschau“ vom 25. Juni 2010 schildert, wie das Enterprise
Europe Network einer tschechischen Firma dabei geholfen hat, das deutsche
Arbeitsrecht zu umgehen: Sie riet der Firma, ihre Beschäftigten als selbständige
Unternehmer anzumelden, um so die notwendige Arbeitserlaubnis in Deutsch-
land zu umgehen. Von diesem Rat war die Exekutivagentur für Wettbewerbs-
fähigkeit und Innovation so begeistert, dass sie es in ihrem Juni-Newsletter als
„Erfolgsgeschichte“ veröffentlichte.

Die Umgehung des deutschen Arbeitsrechts durch Scheinselbständigkeit ist
leider keine Seltenheit, das Brisante an dem in der „Frankfurter Rundschau“ ge-
schilderten Fall ist jedoch, dass das Enterprise Europe Network dem EU-Kom-
missar für Industrie und Unternehmen untersteht und die Exekutivagentur nicht
nur von der EU-Kommission eingerichtet wurde und ihr untersteht, sondern dort
sogar Kommissionsbeamte gemeinsam mit Fachleuten aus der Privatwirtschaft
arbeiten.

Dieser Vorfall weist noch einmal deutlich darauf hin, dass das Prinzip „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ insbesondere vor dem Hintergrund der
Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie und der Geltung der unbeschränkten
Arbeitnehmerfreizügigkeit für die acht 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten ab
Mai 2011 wirksam durchgesetzt werden muss. Hierfür müssen sowohl die Ent-
senderichtlinie als auch die europäischen Vertragswerke geändert werden, in-
dem eine soziale Fortschrittsklausel die Unterordnung von Arbeitnehmerrechten
unter die Binnenmarktfreiheiten wirksam verhindert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die EU-Kommission sich bisher schon zu dem in der „Frankfurter Rund-
schau“ geschilderten Vorfall geäußert?

2. Wann hat die Bundesregierung die EU-Kommission um eine amtliche Stel-
lungnahme zu diesem Vorfall gebeten?
3. Welche eigenen Recherchen hat die Bundesregierung bisher in diesem Fall
unternommen (gebeten wird um eine ausführlichere Erläuterung als in der
Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten
Alexander Ulrich, dass die Bundesregierung alle ihr zur Verfügung stehenden
Quellen nutzt)?

4. Welche Ergebnisse hatten die bisherigen Recherchen der Bundesregierung?

Drucksache 17/2707 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung treffen, wenn sich der ge-
schilderte Fall als wahr erweist?

6. Stellt das Vorgehen des tschechischen Unternehmens – wenn es sich so
zugetragen hat, wie die Zeitung berichtet – aus Sicht der Bundesregierung
einen Verstoß gegen das Entsendegesetz und das Verbot von Schein-
selbständigkeit dar?

Wenn nein, warum nicht?

7. Welche Schritte wurden nach Erkenntnissen der Bundesregierung eingelei-
tet, um erstens das Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen, zweitens das
Vorgehen des Unternehmens zu unterbinden und drittens den betroffenen
Beschäftigten zur Durchsetzung ihrer Rechte zu verhelfen?

8. Wie will die Bundesregierung zukünftig sicherstellen, dass derartige „Bera-
tungsleistungen“ durch das Enterprise Europe Network unterbleiben?

9. Liegen der Bundesregierung über den geschilderten Fall hinaus Informa-
tionen über weitere Missbrauchsfälle im Bereich entsandter Arbeit vor?

Wenn ja, bitte Angaben von Zahlen (nach Jahren und Branchen)?

10. Ist der Bundesregierung konkret bekannt, ob, und wenn ja, in welchem Um-
fang entsandte Beschäftigte in Branchen mit allgemeinverbindlichen Tarif-
verträgen nach dem Entsendegesetz unterhalb der dort geregelten Mindest-
löhne entlohnt wurden?

Wenn ja, bitte Angaben von Summen pro Jahr und Branche?

Wenn nein, warum nicht?

11. Hat die Bundesregierung – die in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. zur Dienstleistungsrichtlinie (Bundestagsdrucksache
17/728) mitteilte, dass die Entsendung von Beschäftigten nach Deutschland
von 2005 bis 2007 nach Angaben der EU-Kommission kontinuierlich zuge-
nommen habe – vor, künftig eine eigene Datenerhebung und -erfassung,
differenziert nach Bundesländern (Zielort der Entsendung) durchzuführen,
auch um aktuellere Daten zu haben?

Wenn nein, warum nicht?

12. Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung vor, um Artikel 5 der Ent-
senderichtlinie (96/71/EG) – „Die Mitgliedstaaten sehen geeignete Maß-
nahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vor. Sie stellen
insbesondere sicher, dass den Arbeitnehmern und/oder ihren Vertretern für
die Durchsetzung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen
geeignete Verfahren zur Verfügung stehen.“ – zu entsprechen?

Welche geeigneten Verfahren stehen den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern und/oder ihren Vertreterinnen und Vertretern zur Verfügung?

13. Mit welcher Begründung erfolgt die Ausstellung der Bescheinigungen
E 101 für entsandte Beschäftigte durch die Krankenkassen und nicht durch
die Arbeitsverwaltung?

14. Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen den Krankenkassen als ausstellende
Behörde und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit als zuständige Behörde zur
Bekämpfung des Missbrauchs u. a. von Entsendung?

15. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung treffen und welche auf der
europäischen Ebene einfordern, um gegen die Umgehung nationaler
arbeitsrechtlicher Standards im Rahmen der Dienstleistungs-, Niederlas-
sungs- und Arbeitnehmerfreizügigkeit vorzugehen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2707

16. Wie ist die Haftung bei Verstößen gegen arbeits-, entsende-, sozial- und
steuerrechtliche Vorschriften im Rahmen der grenzüberschreitenden
Dienstleistungserbringung geklärt?

17. Sieht die Bundesregierung in der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie
und der Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für acht neue Mitglied-
staaten ab Mitte 2011 einen wachsenden Handlungsbedarf, um nationale
Standards zu schützen und ihre Einhaltung zu kontrollieren?

18. Welche genauen Aufgaben hat die 2005 gegründete „Task Force zur
Bekämpfung des Missbrauchs der Dienstleistungs- und Niederlassungsfrei-
heit“?

19. Wer ist außer Bund, Ländern und Zoll noch an dieser Task Force beteiligt?

Wie sind die Gewerkschaften in die Arbeit dieser Task Force eingebunden?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Arbeit der Task Force, wel-
che Verbesserungen oder Erweiterungen (z. B. Personalaufstockung) sind
hier geplant?

Berlin, den 3. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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