BT-Drucksache 17/2481

Rüstungsexporte in Staaten des Nahen Ostens einstellen - Militärische Zusammenarbeit beenden - Atomwaffenfreie Zone befördern

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2481
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Rüstungsexporte in Staaten des Nahen Ostens einstellen –
Militärische Zusammenarbeit beenden – Atomwaffenfreie Zone befördern

Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Anhäufung von Waffen und die ständige Modernisierung von
Waffensystemen in der Konfliktregion Naher Osten hat nicht zu mehr Si-
cherheit geführt. Im Gegenteil: Die politische Situation im Nahen Osten ist
und bleibt explosiv. Waffenlieferungen erhöhen die Gefahr von Kriegen und
Gewalt. Deutschland ist an Waffenlieferungen in diese Region beteiligt.
Diese Rüstungskooperation mit Staaten der Nahostregion trägt zu einer per-
manenten Bedrohungslage bei. Deutsche Rüstungslieferungen machen es
zugleich schwerer, andere Staaten für ihre Waffengeschäfte glaubwürdig zu
kritisieren.

2. Deutsche Waffenlieferungen haben die politische Vermittlungsfähigkeit und
die Möglichkeiten Deutschlands, einen Beitrag zur Vermeidung gewaltsa-
mer Konflikte zu leisten nicht erhöht, sondern eingeschränkt. Der Export
und die Vergabe von Lizenzen zum Bau von Rüstungsgütern führen dazu,
dass sich deutsche Waffen oftmals auf beiden Seiten von Konflikten wieder-
finden.

So waren z. B. im Sommer 2006 im zweiten Libanonkrieg die Zielerfassung
israelischer Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber „Made in Germany“.
Die am Boden eingesetzten Merkava-Kampfpanzer sind mit zahlreichen
Komponenten aus Deutschland bestückt. Gleichzeitig besaß die Hisbollah in
Lizenz produzierte G3-Gewehre sowie Panzerabwehrraketen der franzö-
sisch-deutschen Gemeinschaftsentwicklung Milan. Mit diesen Panzerab-
wehrraketen war es möglich, die Merkava-Panzer zu bekämpfen.

3. Die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegs-

waffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19. Januar 2000 sehen vor, dass
„die Lieferungen von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüs-
tungsgütern“ nicht genehmigt wird in Länder, „die in bewaffnete Auseinan-
dersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht.“

Drucksache 17/2481 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Im Nahen Osten fanden 2006 der zweite Libanonkrieg und zur Jahreswende
2008/2009 der Gaza-Krieg statt. Das waren „bewaffnete Auseinandersetzun-
gen“ im Sinne der politischen Grundsätze der Bundesregierung. Ein Export
von Rüstungsgütern in die Region hätte damit ausgeschlossen werden müs-
sen, fand aber statt.

4. Deutschland hat nicht nur Waffen an Staaten im Nahen Osten geliefert, son-
dern auch Waffensysteme in Israel für die Bundeswehr beschafft. Insbeson-
dere der Ankauf von Drohnen in Israel und die erstmalige Ausbildung deut-
scher Piloten zur Steuerung der Drohnen durch die israelische Armee kön-
nen zu einer neuen Qualität der Rüstungskooperation zwischen Israel und
Deutschland führen. Die von Israel an Deutschland gelieferten Drohnen
werden von der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt. Die Rüstungszusam-
menarbeit zwischen Deutschland und Israel wird von zahlreichen Men-
schenrechtsorganistationen und Angehörigen der Friedensbewegung sowie
von allen regionalen Nachbarn Israels kritisiert.

Gleichzeitig ermöglicht es die Bundesregierung, dass die Schiffbaugruppe
Abu Dhabi Mar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten Mehrheitsanteile
der Hamburger Werft Blohm + Voss übernimmt und somit Zugang zu deut-
scher Marinetechnologie erhält. Darüber hinaus übernahm der Staatsfonds
IPIC der Vereinigten Arabischen Emirate die Ferrostaal AG von MAN,
welche unter anderem Spezialmaschinen zum Bau von Waffen und Muni-
tion herstellt.

5. Deutschland liefert mit U-Booten der Dolphin-Klasse ein Waffensystem an
Israel, von dem möglicherweise auch nuklear bestückte Marschflugkörper
abgeschossen werden können. Die israelische Marine beabsichtigt, zwei mo-
derne Korvetten, die mit Raketenabwehrsystemen bestückt werden können,
in Deutschland zu beschaffen. Solche Waffensysteme sind geeignet, militäri-
sche Kräfteverhältnisse tiefgehend zu verändern.

6. Die Chancen für eine friedliche Zukunft im Nahen Osten hängen maßgeblich
davon ab, dass alle Staaten der Region die bestehenden internationalen Ver-
träge zum Verbot von Massenvernichtungswaffen unterzeichnen und damit
eine notwendige Grundlage für tragfähige, vertrauensbildende Maßnahmen
schaffen. Aus diesem Grund ist die Entscheidung auf der diesjährigen Über-
prüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag (NPT) zur Unterstützung
für eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten zu begrüßen.
Die Vorgabe, bis zum Jahr 2012 eine Konferenz mit allen Staaten der Region
abzuhalten, bedarf der konsequenten Unterstützung der NPT-Unterzeichner-
staaten. Dies erfordert eine deutliche Neuausrichtung der deutschen Politik.
Bislang wurde es hingenommen, dass Israel nicht dem Nichtverbreitungsver-
trag für Atomwaffen beigetreten ist. Ägypten, Israel, Syrien und Katar wei-
gern sich bisher, die Biowaffenkonvention zu ratifizieren. Die Konvention
über die Chemiewaffen wurde von Ägypten, Israel und Syrien ebenfalls noch
nicht ratifiziert. Das umfassende Testverbot von Nuklearwaffen wurde von
Ägypten, Jemen, Iran, Irak, Israel, Saudi-Arabien und Syrien nicht ratifiziert.

Die Unterzeichnung und Ratifizierung des NPT-Vertrags, der Konventionen
zu biologischen und chemischen Waffen sowie das umfassende Testverbot
von Nuklearwaffen wären wichtige Schritte zu einer Sicherheitsarchitektur
im Nahen Osten.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2481

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. umgehend den Export von Kriegswaffen oder kriegswaffenähnlichen Rüs-
tungsgütern in alle Länder des Nahen Ostens zu stoppen bzw. keine weiteren
Exporte zu genehmigen. Das betrifft ebenso Güter mit so genanntem Dop-
pelten Charakter (Dual Use), die für militärische Zwecke geeignet sind bzw.
deren Besitz für Waffenproduzenten von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Auch Lizenzen zur Produktion von Kriegswaffen oder Rüstungsgütern dür-
fen nicht mehr für Länder des Nahen Osten genehmigt werden,

2. die Einberufung einer Konferenz zur Schaffung einer atomwaffenfreien
Zone im Nahen Osten, wie sie von der UNO für 2012 geplant ist, aktiv zu
unterstützen,

3. Waffeneinkäufe in Israel sowie die Ausbildungskooperation zwischen der
Bundeswehr und der israelischen Armee einzustellen,

4. in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Überprüfungskonferenz des
NPT-Vertrags 2010 Israel aufzufordern, dem Nichtweiterverbreitungsvertrag
beizutreten und seine Nuklearanlagen der Kontrolle von Inspektoren der In-
ternationalen Atomenergiebehörde zu öffnen und den Iran aufzufordern, sich
verstärkt für vertrauensbildende Maßnahmen zur Kontrolle des iranischen
Nuklearprogramms zu öffnen,

5. dafür einzutreten, dass Ägypten, Israel, Syrien und Katar die Biowaffenkon-
vention ratifizieren,

6. dafür einzutreten, dass Ägypten, Israel und Syrien die Chemiewaffenkon-
vention ratifizieren,

7. dafür einzutreten, dass Ägypten, Israel, Jemen, Iran, Irak und Saudi-Arabien
das umfassende Testverbot von Nuklearwaffen ratifizieren,

8. an Staatsbesuchen im Nahen Osten künftig keine Vertreter von deutschen
Rüstungsunternehmen zu beteiligen und selbst nicht mehr anbahnend für
Rüstungsgeschäfte tätig zu werden.

Berlin, den 7. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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