BT-Drucksache 17/2418

Forderungen des Goldstone-Berichts nach unabhängigen Untersuchungen des Gaza-Kriegs unterstützen

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2418
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Annette Groth, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord,
Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Forderungen des Goldstone-Berichts nach unabhängigen Untersuchungen
des Gaza-Kriegs unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bei der israelischen Militäroffensive „Gegossenes Blei“ gegen den Gaza-
Streifen vom 27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009 kamen nach Angaben
des Goldstone-Berichts etwa 1 400 Palästinenserinnen und Palästinenser ums
Leben. 850 waren Zivilisten, davon 300 Kinder und 110 Frauen. Über 5 000
Menschen wurden verletzt. Auf israelischer Seite kamen 13 Menschen ums
Leben, davon neun Soldaten, vier durch eigenes Feuer. 182 Zivilisten und
148 Soldaten wurden verletzt. Aufgrund der massiven Angriffe auf die zivilen
Lebensgrundlagen der Bevölkerung in Gaza und den verheerenden Auswirkun-
gen von Zerstörung und Gewalt wurde international der Ruf nach unabhängi-
gen Untersuchungen über mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen
die Menschlichkeit laut.

Am 3. April 2009 gründete der Vorsitzende des Menschenrechtsrates die Unter-
suchungskommission der Vereinten Nationen zum Gaza-Konflikt mit dem Auf-
trag, mögliche Verletzungen des humanitären Völkerrechts bzw. internationaler
Menschenrechtsvorschriften im Zusammenhang mit den Kriegshandlungen zu
untersuchen. Am 29. September 2009 hat der Leiter der Untersuchungskom-
mission, Richard Goldstone, dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen
einen 575-seitigen Bericht über mutmaßliche israelische und palästinensische
Kriegsverbrechen im Kontext der Kriegshandlungen vorgelegt.

In der Resolution A/64/10 der Generalversammlung der Vereinten Nationen
vom 5. November 2009 wurde der Goldstone-Bericht bestätigt und der Gene-
ralsekretär der Vereinten Nationen aufgefordert, den Bericht der Unter-
suchungskommission der Vereinten Nationen zum Gaza-Konflikt an den Welt-
sicherheitsrat weiterzuleiten. Die Resolution wurde mit 114 gegen 18 Stimmen
und bei 44 Enthaltungen der Mitgliedsländer angenommen. Deutschland hat

gegen die Resolution gestimmt.

Die israelische Regierung und die palästinensische Vertretung wurden im
Goldstone-Bericht aufgefordert, binnen sechs Monaten unabhängige Unter-
suchungskommissionen einzurichten, die die Vorwürfe untersuchen sollten.
Weder der israelische noch der palästinensische Bericht zum Stand der jeweili-
gen Untersuchungen entsprachen nach Aussagen von Amnesty International

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und Human Rights Watch den Forderungen des Goldstone-Berichts nach unab-
hängigen, unparteilichen, transparenten und effektiven Untersuchungen.

Ende Januar 2010 hatte die israelische Regierung einen 45-seitigen Bericht über
armee-interne Untersuchungen an die Vereinten Nationen übergeben, den
Amnesty International als vollkommen inadäquat bezeichnete. Israelische
Menschenrechtsorganisationen, die sich in dem Bündnis „New Israel Fund“ zu-
sammengeschlossen haben, traten in dieser Zeit mit Zeugnissen von Menschen-
rechtsverletzungen während der Gaza-Offensive an die Öffentlichkeit. Sie ap-
pellierten an die israelische Regierung, die im Goldstone-Bericht erhobenen
Vorwürfe in unabhängigen Untersuchungen zu überprüfen. Sie kritisierten, dass
ein wesentlicher Teil des israelischen Berichts darin bestand, zu rechtfertigen,
dass die Armee in der Lage sei, ihr eigenes Verhalten zu untersuchen und zu be-
werten. In vielen Punkten zweifelten sie am Wahrheitsgehalt des israelischen
Berichts und widerlegten ihn auch.

Von der Hamas wurde Anfang Februar 2010 ein 81-seitiger Bericht an die Ver-
einten Nationen übergeben. Der Bericht der Hamas stritt die gegen sie erhobe-
nen Vorwürfe des Goldstone-Berichts entweder ab oder rechtfertigte sie. Vom
Ständigen Beobachter der palästinensischen Gebiete bei den Vereinten Nationen
wurde ein Schreiben von Premierminister Salam Fayyad übermittelt, das die
Einrichtung einer Untersuchungskommission im Westjordanland ankündigte.

Am 26. Februar 2010 wurde die Resolution A/64/L/48 der Generalversamm-
lung der Vereinten Nationen mit 98 gegen sieben Stimmen und bei 31 Enthal-
tungen angenommen. Deutschland hat sich bei der Abstimmung enthalten. Die
Resolution bekräftigte die Forderungen der Resolution 10/64 nach unabhängi-
gen Untersuchungen in Israel und dem palästinensischen Gebiet. Der General-
sekretär wurde aufgefordert, der Generalversammlung innerhalb von fünf
Monaten – also bis Ende Juli 2010 – über die Erfüllung der Resolution zu be-
richten und weiteres Handeln zu erwägen, wenn nötig durch die einschlägigen
Organe und Gremien der Vereinten Nationen, inklusive des Weltsicherheits-
rates.

In seiner Entschließung vom 10. März 2010 zur Umsetzung der Goldstone-
Empfehlungen forderte das Europäische Parlament die Vizepräsidentin der
Kommission/Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und
die Mitgliedstaaten auf, öffentlich dafür einzutreten, dass die Empfehlungen
des Goldstone-Berichts umgesetzt werden. Das Europäische Parlament betonte,
dass die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit sowohl innerhalb der Europäischen
Union als auch im Rahmen der Beziehungen der EU zu Drittländern und Ver-
tragsparteien einen Grundwert darstellt. Die Überwachung der Ermittlungen
durch die EU und ihre Mitgliedstaaten sei daher auch im Interesse der Glaub-
würdigkeit der EU.

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat in seiner 13. Sitzung am
14. Juni 2010 die Resolution 13/9 verabschiedet. Darin wird die UN-Hoch-
kommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, aufgefordert, ein Experten-
komitee einzurichten, um die nationalen Untersuchungen zum Gaza-Krieg in
Israel und den palästinensischen Gebieten im Lichte der Resolution der General-
versammlung der Vereinten Nationen 64/254 zu überwachen und in Bezug auf
Unabhängigkeit, Effektivität und Glaubwürdigkeit dieser Untersuchungen und
deren Konformität mit internationalen Standards zu bewerten. Als Mitglieder
des Komitees wurden die Experten Professor Christian Tomuschat (Deutsch-
land), Richterin Mary McGowan Davis (USA) und Param Cumaraswamy
(Malysia) ernannt.

Nur internationalen Standards entsprechende, unabhängige, transparente und
effektive Ermittlungen können die im Goldstone-Bericht erhobenen Vorwürfe

bestätigen oder entkräften. Diese Einsicht haben auch einige israelische Politi-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2418

kerinnen und Politiker und Inhaberinnen und Inhaber öffentlicher Ämter ge-
wonnen. Bevor die Frist Ende Juli 2010 abläuft, müssen daher mit Nachdruck
unabhängige Untersuchungen unter Beobachtung und Auswertung des von der
UN-Hochkommissarin für Menschenrechte eingesetzten Expertenkomitees ge-
fordert werden. Sollten keine unabhängigen Untersuchungen vor Ablauf der
Frist durchgeführt werden, ist es Aufgabe des Weltsicherheitsrates über das
weitere Vorgehen zu entscheiden und die Angelegenheit an den Internationalen
Strafgerichtshof zu überweisen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in bilateralen Beziehungen und im Rahmen der EU die israelische Regie-
rung und die palästinensische Vertretung aufzufordern, Untersuchungen des
Gaza-Kriegs entsprechend den Forderungen des Goldstone-Berichts durch-
zuführen;

2. sich entsprechend den Empfehlungen von Amnesty International, Human
Rights Watch und Menschenrechtsorganisationen in Israel und den palästi-
nensischen Gebieten in bilateralen Gesprächen und im Rahmen der EU dafür
einzusetzen, dass Israel und die palästinensische Vertretung mit dem von der
UN-Hochkommissarin für Menschenrechte eingesetzten Expertenkomitee
kooperieren;

3. die Verweisungen der Resolutionen A/64/10 und A/64/L/48 der General-
versammlung der Vereinten Nationen an den Weltsicherheitsrat und die
Implementierung der Forderungen des Goldstone-Berichts durch den Welt-
sicherheitsrat zu unterstützen;

4. die Empfehlung des Goldstone-Berichts an den Weltsicherheitsrat, die
Angelegenheit gemäß Artikel 13 Buchstabe b des Rom Statuts dem Ankläger
des Internationalen Strafgerichtshofs vorzulegen, zu unterstützen, wenn
innerhalb der gesetzten Fristen keine unabhängigen, effektiven, glaubwürdi-
gen und internationalen Standards entsprechenden Untersuchungen in Israel
und dem palästinensischen Gebiet durchgeführt wurden.

Berlin, den 7. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Goldstone-Bericht erhebt schwere Vorwürfe gegen die israelischen Armee-
einsätze während der Gaza-Offensive „Gegossenes Blei“. In zahlreichen Fällen
wird die Armee der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlich-
keit sowie zahlreicher Verletzungen des humanitären Völkerrechts beschuldigt.
Auch gegen bewaffnete palästinensische Gruppen wird der Vorwurf der Kriegs-
verbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. In seinem
Ende Mai 2010 erschienenen Jahresbericht beklagte Amnesty International,
dass die USA und die Europäische Union ihre Positionen im Weltsicherheitsrat
der Vereinten Nationen ausgenutzt haben, um sich internationaler Gerechtigkeit
entgegenzustellen und Israel von der Rechenschaftspflicht und Verantwortung
für Kriegsverbrechen freizusprechen.

Internationale, israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen

appellieren nach wie vor eindringlich an die internationale Gemeinschaft, sich
für eine adäquate Untersuchung der Vorwürfe einzusetzen. Das von der UN-

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Hochkommissarin für Menschenrechte eingesetzte Expertenkomitee ist hierbei
wichtig, um die bisher erfolgten Untersuchungen auszuwerten und weitere
Empfehlungen auszusprechen. Adäquate Untersuchungen seien den Opfern
geschuldet, aber auch notwendig, um weiteren Aggressionen vorzubeugen und
einem Klima der Straflosigkeit in der Region entgegenzuwirken. Die Armee
feiert die Operation „Gegossenes Blei“ als großen Sieg, so Yehuda Shaul,
Direktor der israelischen Menschenrechtsorganisation „Breaking the Silence“
im Gespräch mit den Mitgliedern des Ausschusses für Menschenrechte im
Deutschen Bundestag. Er befürchtet, dass zukünftige Kriege wieder mit den
gleichen Mitteln oder sogar noch schlimmer geführt werden, wenn die Armee
sich keinen unabhängigen Untersuchungen stellen muss. Israelische Menschen-
rechtsorganisationen betonen darüber hinaus das Recht und die Pflicht der
israelischen Gesellschaft, zu erfahren, welche Kriege zu welchen Regeln in
ihrem Namen geführt werden.

Wenn gravierende Verstöße gegen das Völkerrecht nicht angeklagt werden,
würde dies zu einer Legitimierung von Kriegsverbrechen und einem allgemei-
nen Klima der Straflosigkeit führen. Die Einhaltung des humanitären Völker-
rechts und internationaler Menschenrechtsnormen durch alle Seiten und unter
allen Umständen ist wesentliche Voraussetzung für einen gerechten und nach-
haltigen Frieden in der Region.

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