BT-Drucksache 17/2417

Menschenrechte und Friedensprozess in Sri Lanka fördern

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2417
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Katrin Werner, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema
Movassat, Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der
Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechte und Friedensprozess in Sri Lanka fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Sri Lanka ist nach der militärischen Beendigung des über 25-jährigen Bürger-
kriegs im Frühjahr 2009 von einem Friedensprozess noch weit entfernt. Es
herrscht ein allgemeines Klima der Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzun-
gen wie extralegale Hinrichtungen, Aktionen des organisierten „Verschwinden-
lassens“ von Personen und für begangene Verbrechen der Kriegsparteien. Die
Regierung Sri Lankas lehnt unabhängige Untersuchungen der Kriegsver-
brechen weiterhin strikt ab. In der Schlussphase des Bürgerkriegs setzte die
sri-lankische Armee bei der Bekämpfung der „Liberation Tigers of Tamil
Eelam“ (LTTE) in dicht besiedelten Gebieten auch schwere Waffen gegen die
tamilische Zivilbevölkerung ein. Die LTTE ihrerseits rekrutierte gewaltsam
Kinder und Erwachsene als Kämpfer, benutzte die Zivilbevölkerung als
menschliche Schutzschilde gegen heranrückende Regierungstruppen und ver-
hinderte aktiv die Flucht von Zivilistinnen und Zivilisten aus den Kampfgebie-
ten.

Nach Kriegsende wurden zeitweilig bis zu 300 000 Tamilinnen und Tamilen,
darunter mindestens 30 000 Kinder, unter unerträglichen humanitären und
menschenrechtlichen Bedingungen in Lagern interniert. Diese Masseninternie-
rung stellt eine völkerrechtswidrige Kollektivstrafe dar. Seit Jahresbeginn 2010
führte der zunehmende internationale Druck zur beschleunigten Freilassung
von Zivilistinnen und Zivilisten. Derzeit befinden sich noch ca. 30 000 Men-
schen in Flüchtlingslagern, die mittlerweile meist frei zugänglich sind und von
den Betroffenen auch für längere Zeiträume verlassen werden können. Mut-
maßliche Angehörige der LTTE wurden hingegen seit Anbeginn in gesonderten
„Rehabilitierungslagern“ gefangen gehalten, zu denen die Regierung selbst
Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) keinen Zu-
tritt erlaubte. Verlässliche Angaben zur Zahl und Lebenssituation von inhaftier-

ten LTTE-Kämpfern und -Kämpferinnen sind daher kaum vorhanden.

In der Praxis dient bereits der bloße Verdacht einer LTTE-Sympathisanten-
schaft oder -Mitgliedschaft als Anlass für willkürliche Festnahmen. Menschen-
rechtsverteidigerinnen und -verteidiger sowie regierungskritische Journalistin-
nen und Journalisten werden häufig massiv bedroht. Staatliche Bemühungen
für ihren Schutz sind bislang nicht erkennbar.

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Nach dem internationalen Völkerrecht haben die Tamilinnen und Tamilen das
Recht auf innere Selbstbestimmung, das neben einem effektiven Minderheiten-
schutz gegebenenfalls auch die Schaffung einer Autonomie innerhalb der
territorialen Integrität Sri Lankas beinhalten kann. Während selbst die der LTTE
nahestehende „Tamilische Nationale Allianz“ ihr früheres Ziel der Schaffung
eines unabhängigen Staates „Tamil Eelam“ aufgegeben hat, verweigert die poli-
tische Führung unter Präsident Mahinda Rajapaksa weiterhin den politischen
Dialog. Die Konflikttransformation von einem bis vor kurzem bewaffneten
Konflikt in einen gewaltfreien, im parlamentarischen Raum zu lösenden, Kon-
flikt droht deshalb zu scheitern, was zur Wiederaufnahme bewaffneter Kampf-
handlungen führen könnte.

Eine politische Lösung erfordert einen umfassenden Prozess unter Einbezie-
hung aller Bevölkerungsgruppen sowie die Erarbeitung einer nachhaltigen Ent-
wicklungsstrategie zur Beseitigung der großen ökonomischen Binnendisparitä-
ten zwischen dem Süden und dem Norden und Osten des Landes. Ohne eine
spürbare Verbesserung der konkreten Lebensbedingungen für die Allgemein-
heit, den gleichberechtigten Zugang zu sozialen Grunddiensten vor allem in
den Bereichen Bildung und Gesundheit sowie verbesserten Infrastrukturange-
boten bei der Trinkwasser- und Energieversorgung, wird keine dauerhafte
friedliche Entwicklung zu erreichen sein.

Die Europäische Union (EU) gewährt Sri Lanka seit 2005 im Rahmen ihres All-
gemeinen Präferenzsystems („APS“) erweiterte Handelspräferenzen („APS-
Plus“), welche die zollfreie Einfuhr von sri-lankischen Textilprodukten in den
EU-Binnenmarkt beinhalten. Hierfür wird von den Vertragspartnern im Gegen-
zug die Ratifizierung und Implementierung von insgesamt 27 Internationalen
Übereinkommen über bürgerliche und politische Rechte, zum Schutz von
Menschenrechten inklusive Folterverbot, über die Rechte von Arbeitnehmern,
darunter das Recht auf Vereinigungsfreiheit in Gewerkschaften und die Ein-
haltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO),
sowie zum Umweltschutz und zu „guter Regierungsführung“ verlangt. Trotz
Ratifizierung bestehen in zahlreichen Bereichen gravierende Umsetzungsdefi-
zite: Folter wird in sri-lankischen Gefängnissen systematisch angewandt, die
Menschenrechte werden anhaltend und schwerwiegend verletzt und die Arbeits-
normen der ILO regelmäßig unterlaufen, ebenso wie die Gewerkschaftsarbeit
insbesondere in den exportintensiven Sonderwirtschaftszonen erheblich einge-
schränkt ist. Die Mitgliedschaft von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
einer Gewerkschaft ist sogar häufig ein verdeckter Kündigungsgrund.

Die EU-Freihandelspolitik fügt sich in die Politik des Internationalen Wäh-
rungsfonds (IWF) und der Weltbank seit Ende der 70er-Jahre ein. Ihr Ziel bildet
die Integration Sri Lankas in die internationale Arbeitsteilung unter Aufrechter-
haltung der neokolonialen Abhängigkeitsverhältnisse. Die soziale Spaltung hat
seitdem erheblich zugenommen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit beim
Textilexport beruht auf extremen Niedriglöhnen der sri-lankischen Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, die in volkswirtschaftlicher Hinsicht der Binnen-
nachfrage massiv Kaufkraft entziehen. Darüber hinaus wurde die Vertretungs-
macht der Gewerkschaften vor allem in den Exportsektoren stark geschwächt:
Während von den rund 7,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
durchschnittlich etwa 12 Prozent gewerkschaftlich organisiert sind, beträgt in
der exportierenden Textilindustrie der Organisationsgrad lediglich ca. 5 Pro-
zent. Selbst unter wettbewerbspolitischen Vorzeichen hat die EU-Freihandels-
politik versagt: In der Textilindustrie dominieren weiterhin oligarchische Eigen-
tumsstrukturen, der Großteil befindet sich in den Händen der acht reichsten
Familien des Landes.
Mit dem Ratsbeschluss der EU vom 15. Februar 2010 wurde Sri Lanka eine
Sechsmonatsfrist eingeräumt, um die menschenrechtlichen Kriterien für die

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Weitergewährung von APS-Plus doch noch nachträglich zu erfüllen. Die sri-
lankische Regierung hat jedoch die Fristsetzung der EU zur Dokumentation ih-
rer Fortschritte zur Aufhebung der Suspendierungsgründe verstreichen lassen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt deshalb die Entscheidung der EU, die
erweiterten Handelsvorteile für Sri Lanka nunmehr zum 15. August 2010 zu
suspendieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den internationalen Druck auf die Regierung Sri Lankas mit dem Ziel zu
verstärken, dass die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die
von der Regierung, der Armee, den paramilitärischen Gruppen und Rebellen
begangen wurden, von einer unabhängigen Kommission untersucht und die
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden;

2. sich für die strikte Einhaltung der Genfer Konventionen, insbesondere hin-
sichtlich der Behandlung von Kriegsgefangenen durch die Armee und die
staatlichen Sicherheitskräfte, einzusetzen, und zu diesem Zweck die Regie-
rung Sri Lankas aufzufordern, Vertretern des IKRK und der UNO sofortigen
und ungehinderten Zugang zu den Sonderlagern mit den LTTE-Gefangenen
zu gewähren;

3. sich für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern
und Journalistinnen und Journalisten in Sri Lanka aktiv einzusetzen;

4. sich für die schnellstmögliche Auflösung der noch verbliebenen Flüchtlings-
lager und die Rückkehr aller Binnenvertriebenen in ihre früheren Wohnorte
einzusetzen und in den ehemaligen Kampfgebieten Maßnahmen zur Wieder-
herstellung der Lebensgrundlagen, insbesondere die Wiedernutzbarmachung
der landwirtschaftlichen Anbauflächen, und der humanitären Minenräu-
mung weiterhin finanziell zu unterstützen;

5. die Regierung Sri Lankas aufzufordern, die Programme zur beruflichen
Wiedereingliederung von früheren Kriegsteilnehmern und Kriegsteilnehme-
rinnen fortzuführen und auszuweiten und hierbei stärker die gesellschaftliche
Reintegration von ehemaligen Kindersoldaten durch nachholende Bildungs-
maßnahmen und Maßnahmen zur Berufsqualifizierung zu unterstützen;

6. gegenüber der Regierung Sri Lankas die Notwendigkeit eines politischen
Friedensprozesses unter Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen zu be-
tonen, der das gleichberechtigte Zusammenleben zwischen Singhalesen und
Tamilen zum Ziel haben muss;

7. sich zu diesem Zweck gegenüber der Regierung Sri Lankas für eine um-
fassende Amnestie für ehemalige LTTE-Angehörige einzusetzen, die nicht
unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt waren, um ihre Reintegration in
die sri-lankische Gesellschaft zu ermöglichen;

8. sich gegenüber der Regierung Sri Lankas für die strikte Achtung der
Menschenrechte und einen wirksamen Minderheitenschutz auszusprechen,
der die Möglichkeit einer Autonomie für die tamilische Bevölkerung in
ihrem alteingesessenen Siedlungsgebiet einschließt;

9. dem Deutschen Bundestag gegenüber in geeigneter Weise Bericht darüber zu
erstatten, inwieweit deutsche Unternehmen, die in Sri Lanka unternehme-
risch tätig sind, und ihre Zulieferbetriebe die dort geltende Arbeitsgesetzge-
bung achten und Arbeitnehmerrechte nach den ILO-Konventionen, Umwelt-,
Arbeits- und Sozialstandards entsprechend dem Pakt der wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte einhalten sowie Partizipations-
rechte nach dem in verschiedenen internationalen Vereinbarungen enthalte-

nen Prinzip der freien, rechtzeitigen und informierten Zustimmung umset-
zen, und hierüber ein dauerhaftes und transparentes Monitoring einzurichten;

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10. gegenüber den deutschen Unternehmen die Umsetzung dieser Standards in
der gesamten Lieferkette verbindlich einzufordern und insbesondere
sicherzustellen, dass die Unterstützung deutscher Auslandsdirektinvestitio-
nen in Sri Lanka durch öffentliche Kredite, andere öffentliche Förderung
und/oder Investitionsschutzabkommen nur unter dieser Bedingung gewährt
wird;

11. Bund und Länder aufzufordern, angesichts der weiterhin angespannten
Menschenrechtslage einen sofortigen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus
Sri Lanka zu erlassen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
anzuweisen, bei derzeit noch laufenden Asylverfahren zumindest Abschie-
behindernisse anzuerkennen;

12. bei der Akkreditierung von sri-lankischen Diplomatinnen und Diplomaten
in der Bundesrepublik Deutschland Hinweisen auf eine mögliche, frühere
Beteiligung an Kriegsverbrechen sorgfältig nachzugehen.

Berlin, den 7. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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