BT-Drucksache 17/2361

Zum "Konzept zur Digitalisierung der Kinos in Deutschland" des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien

Vom 30. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2361
17. Wahlperiode 30. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Agnes Krumwiede, Tabea Rößner,
Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Monika Lazar,
Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zum „Konzept zur Digitalisierung der Kinos in Deutschland“ des Beauftragten
der Bundesregierung für Kultur und Medien

Am 19. Mai 2010 hat der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien (BKM), Staatsminister Bernd Neumann, im Ausschuss für Kultur und
Medien des Deutschen Bundestages ein „Konzept zur Digitalisierung der Kinos
in Deutschland“ (Ausschussdrucksache 17(22)19) vorgelegt. Am 16. Juni 2010
fand ein öffentliches Expertengespräch zur Kinodigitalisierung im Ausschuss
für Kultur und Medien statt, bei dem bereits einige der das Konzept betreffenden
offenen Fragen angesprochen wurden. In Bezug auf zu erwartende Markt-
verschiebungen und die konkrete Umsetzung des BKM-Konzeptes zur Digita-
lisierungsförderung stellen sich jedoch weitere Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Folgen hat es für die deutsche und europäische Film- und Kinoland-
schaft, wenn große Hollywood-Studios gegenwärtig über Drittanbieter die
Umrüstung von Kinoketten auf die digitale Abspieltechnik finanzieren und
dafür als Gegenleistung in langfristigen Verträgen ein Abspielen von Holly-
wood-Blockbuster- und Mainstreamfilmen vereinbart wird, mit einem voraus-
sehbar nur sehr geringen Anteil des deutschen und europäischen Arthouse-
films?

2. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass Kinobetreiber im Zuge der Digi-
talisierung zu einer Änderung ihres Programmprofils zuungunsten des deut-
schen und europäischen Films gezwungen werden?

3. Sieht die Bundesregierung in der langfristigen Festlegung eines großen Teils
der Kinos auf Hollywood-Blockbuster- und Mainstreamproduktionen einen
Konflikt mit der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung
der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, die ja ausdrücklich betont, dass
„kulturelle Aktivitäten, Güter und Dienstleistungen sowohl eine wirtschaft-
liche als auch eine kulturelle Natur haben, da sie Träger von Identitäten,
Werten und Sinn sind, und daher nicht so behandelt werden dürfen, als hätten

sie nur einen kommerziellen Wert“?

4. Sieht die Bundesregierung durch eine solche Festlegung die Gefahr einer
marktbeherrschenden Stellung zu Lasten der deutschen und europäischen
Film- und Kinolandschaft?

Drucksache 17/2361 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Sieht die Bundesregierung die Gefahr einer „Marktbereinigung“ durch
Kinoketten, die ihren Firmensitz zum Teil gar nicht in Deutschland haben
und daher auch wenig oder kein Interesse an einem Solidarmodell zur För-
derung kulturell wichtiger deutscher und europäischer Filme haben?

6. Das Digitalisierungskonzept des BKM sieht die Digitalisierung nach dem
sehr aufwändigen und teuren DCI-Standard (DCI: Digital Cinema Initia-
tives) vor, der von den großen Hollywood-Studios definiert wurde und auf
deren Bedürfnisse zugeschnitten ist. Wie begründet die Bundesregierung
die Festlegung auf diesen Standard?

7. Warum sieht die Bundesregierung sich unter wettbewerbsrechtlichen Über-
legungen nicht zur Technikneutralität verpflichtet?

8. Warum schließt das BKM-Konzept die Förderung digitaler Abspieltechni-
ken aus, die nicht dem DCI-Standard entsprechen, aber von vielen kleineren
Kinos bevorzugt werden – vor allem, weil sie statt 70 000 Euro nur ca.
20 000 Euro kosten und deshalb für eine wirklich flächendeckende Erhal-
tung einer vielgestaltigen Kinolandschaft auch mit ihren Filminitiativen,
Open-Air-Kinos und kleinen Sälen eine wichtige Rolle spielen können?

9. Wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass der DCI-Standard modi-
fiziert wird, damit auch andere digitale Projektionstechniken verwendet und
die Kosten für die Kinos deutlich gesenkt werden können?

10. Falls nein, plant die Bundesregierung eine Regelung, die sicherstellt, dass
Filme auch für nicht DCI-kompatible, aber DCP-fähige Projektoren in den
Verleih gelangen?

11. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, modifizierte oder alternative
Standards anderweitig zu fördern, etwa im Rahmen von Kinoerneuerungs-
zuschüssen oder durch langfristige und zinsgünstige Darlehen mit anteili-
gen Zuschüssen?

12. Wie steht die Bundesregierung zu Übergangsregelungen und -vereinbarun-
gen zum Schutz der deutschen Kinolandschaft in der Phase der Digitalisie-
rung, die eine zeitgleiche digitale und analoge Herausbringung von Filmen
gewährleisten?

13. Wird die Bundesregierung Anstrengungen unternehmen, damit solche Re-
gelungen und Vereinbarungen zustande kommen?

14. Welche Maßnahmen zur Unterstützung sieht die Bundesregierung für Kinos
vor, die in besonderer Weise um die Zugänglichmachung historischer Filme
bemüht sind und für den hierzu langfristig erforderlichen Hybridbetrieb mit
gleichzeitiger digitaler und analoger Ausrüstung aufwändige Umbaumaß-
nahmen durchführen müssen?

15. Geht die Bundesregierung davon aus, dass sich mit dem digitalen Verleih
der bislang für die Überlassung von Filmen für die Vorführung geltende
Umsatzsteuersatz ändert?

16. Bis zu welchem Zeitpunkt wird die für die Beteiligung der Länder nötige
Verwaltungsvereinbarung aller Länder vorliegen, die wiederum Vorausset-
zung ist für die Entsperrung der im Bundeshaushalt für die Kinodigitalisie-
rung vorgesehenen 4 Mio. Euro?

Steht die Bundesregierung hier bereits in Gesprächen mit den Bundeslän-
dern?

17. In welcher Weise wurden die Bundesländer bislang in die Erarbeitung des
Konzepts einbezogen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2361

18. Wie gedenkt die Bundesregierung die Finanzierung der Kinodigitalisierung
für den Fall sicherzustellen, dass es nicht zu einer Beteiligung der Länder
und der Wirtschaft kommt?

Erwägt die Bundesregierung für diesen Fall die Aufstockung der Bundes-
mittel, und wie gedenkt die Bundesregierung vorzugehen, sollten sich nur
einzelne Länder zu einer finanziellen Beteiligung bereiterklären?

19. In welcher Form und bis wann soll die Zusicherung der Beteiligung der
Filmwirtschaft vorliegen?

20. Sieht die Bundesregierung in den bestehenden Angeboten der Drittparteien-
ausrüster eine angemessene Beteiligung der Filmwirtschaft?

21. Wie funktioniert das Modell des Verbands der Filmverleiher, und ist der vor-
gesehene Beitrag der Verleiher angemessen im Hinblick auf deren dauer-
hafte Einspareffekte?

22. Ist das Modell wirtschaftlich noch angemessen, wenn sich die Multiplex-
konzerne ganz oder teilweise nicht an ihm beteiligen?

23. Plant die Bundesregierung generell oder alternativ zu diesem Modell eine
gesetzliche respektive freiwillige Abgabe je digitaler Startkopie?

24. Warum hält die Bundesregierung an der Kopplung der Themen Digitalisie-
rung und Filmförderungsgesetz nach dem Scheitern der Verhandlungen im
Winter 2009/2010 fest, wenn dadurch der Erfolg des Zwei-Säulen-Modells
vom Wohlverhalten der klagenden respektive unter Vorbehalt zahlenden
Multiplexkonzerne, die bei der Digitalisierung nicht auf öffentliche Gelder
angewiesen sind, abhängig ist?

25. Ist für den Fall der Nichtbeteiligung einiger Länder oder der Verleiher vor-
gesehen, eine Art Notfonds einzurichten, sodass die Kinobetreiber die ver-
sprochenen Gelder dennoch abrufen können?

26. Aus welchen Mitteln würde ein solcher Notfonds wiederum gespeist?

27. Welche Auswirkungen hat die Ankündigung der EU-Kommissarin
Androulla Vassiliou, im Herbst 2010 Leitlinien zur Kinodigitalisierung vor-
legen zu wollen?

Hat dies Auswirkungen auf das vom BKM vorgelegte Konzept?

28. Einige der Kinos haben bereits mit der Digitalisierung begonnen – können
Fördergelder auch rückwirkend noch ausgezahlt werden?

Wenn ja, für welchen Zeitraum?

29. Welchen Eigenbeitrag können die Kinos nach Ansicht der Bundesregierung
leisten?

Ist dieser absolut oder relativ nach oben gedeckt?

30. Ist eine Härtefallregelung geplant, die Kinos zugute kommt, die den Eigen-
beteiligungsanteil nicht leisten können oder deren Eigenbeteiligung auf-
grund mangelnder Digitalisierungsförderung im jeweiligen Bundesland auf
über 20 Prozent steigen würde?

31. Wie sollte eine solche Härtefallregelung aussehen, und wie wären Länder
und Kommunen daran zu beteiligen?

32. Was hat die Bundesregierung dazu bewogen, sich am Umsatz zu orientieren,
und was spräche dagegen, stattdessen das Kriterium Gewinn zu wählen, wie
es die Mehrheit der Experten im Gespräch am 16. Juni 2010 im Ausschuss
für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages empfohlen hat?

Drucksache 17/2361 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
33. Welche Unter- und Obergrenzen müssten anhand welcher Kriterien gewählt
werden, wenn man sich am Gewinn orientierte und wirklich alle Kriterien-
und Programmkinos einbezogen wären?

34. Ist angedacht, Ausnahmen bei den Ober- oder Untergrenzen zuzulassen,
wenn etwa bestimmte kulturelle oder strukturelle Voraussetzungen vorlie-
gen?

35. Kann die Bundesregierung erläutern, wie viele Kinos zu dem vom HDF
KINO e. V. in seiner Stellungnahme zum Expertengespräch des Ausschus-
ses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages am 16. Juni 2010
genannten Mittelstand zählen, und inwiefern diese beim vorliegenden
Konzept nicht berücksichtigt werden?

36. Wie steht die Bundesregierung zu den alternativen Überlegungen des HDF
KINO e. V., die vorsehen, die 37 Mio. Euro Vorbehaltszahlungen bei der
Filmförderungsanstalt (FFA) und jährlich weitere 6,2 Mio. Euro aus der
FFA-Projektförderung in den nächsten fünf Jahren zur Unterstützung aller
Kinos (Markt- und Kriterienkinos) ohne Zweck- und Mittelbindung einzu-
setzen?

Hätte ein solches Konzept zur Folge, dass die Einbeziehung in die Filmför-
derabgabe ebenfalls geändert werden müsste?

Berlin, den 29. Juni 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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