BT-Drucksache 17/2212

Endgültiger Verzicht auf transatlantische und europäische Flugpassagierdaten-Abkommen

Vom 16. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2212
17. Wahlperiode 16. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Wolfgang
Neskovic, Petra Pau, Jens Petermann, Frank Tempel, Raju Sharma, Alexander
Ulrich, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Endgültiger Verzicht auf transatlantische und europäische
Flugpassagierdaten-Abkommen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Europäischen Rat und gegenüber der EU-Kommission gegen die
Neuauflage der vorläufig in Kraft gesetzten Fluggastdatenabkommen, den
sogenannten Passenger Name Record-Abkommen (PNR-Abkommen) mit
den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und Australien einzusetzen so-
wie gewährte Finanzmittel einzufrieren;

2. alle im Europäischen Rat und der EU-Kommission geleisteten Vorarbeiten
für ein europäisches Fluggastdatenabkommen und entsprechende Daten-
übermittlungssysteme einzustellen;

3. auf die Ausarbeitung und Vorlage des sogenannten PNR-Pakets, dessen Ver-
öffentlichung im Juli 2010 geplant war, zu verzichten und stattdessen

4. eine umfassende und unabhängige Untersuchung aller seit 2001 im Bereich
der inneren Sicherheit und des Datenaustauschs geltender europäischen Ab-
kommen und Regelungen nach den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zur Vorratsdatenspeicherung festgelegten Maßgaben zu veranlassen. Insbe-
sondere sind diese europäischen Abkommen und Regelungen dahingehend
zu überprüfen, ob der vom Verfassungsgericht als „erheblich geringer“ be-
zeichnete Spielraum für anlasslose Datenspeicherungen eingehalten wird.

Berlin, den 16. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung

Das Europäische Parlament hat am 6. Mai 2010 die Abstimmung über die Flug-
gastdatenabkommen (PNR) mit den Vereinigten Staaten (USA) und Australien
auf Ende des Jahres verschoben. Bis Juli 2010 soll die EU-Kommission ein
PNR-Paket vorlegen, das sowohl den Abkommen mit den USA und Australien

Drucksache 17/2212 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

einen Rahmen geben, als auch mit den Standards des angestrebten euro-
päischen Fluggastdatenabkommens kompatibel sein soll.

Leider hat das Europäische Parlament im April 2010 die Chance nicht genutzt,
die beiden Abkommen bzw. deren vorläufige Gültigkeit durch seine konse-
quente Ablehnung außer Kraft zu setzen. Die Verschiebung bis zur Vorlage
eines „PNR-Pakets“, das eine „globale externe PNR-Strategie“ (Pressemittei-
lung auf www.europarl.europa.eu) bedeutet dennoch noch einmal eine Mög-
lichkeit, diese besondere Form der verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung
endgültig zu beenden und ihr nicht nur durch kosmetische Veränderungen die
datenschutzrechtlichen Weihen zu geben.

Seit 2001 greifen die USA auf europäische Fluggastdaten zu. Das Department
of Homeland Security (DHS) mit seinen über 20 angeschlossenen Sicherheits-
und Geheimdienstbehörden wurde zu einem regelrechten Datenumschlagplatz
entwickelt und bis heute das Prinzip der verdachtslosen Fluggastdatenübermitt-
lung auf Vorrat trotz aller Bedenken durchgesetzt. Die ursprünglich über 60 Da-
tenkategorien wurden nur scheinbar auf zunächst 35, dann auf 19 Kategorien
geschrumpft, da zahlreiche Unterkategorien eingeführt wurden und so der In-
formationsgehalt unwesentlich verringert wurde. Sehr problematisch sind der
Umfang der Datenerfassung (darunter höchst sensible Daten zu Religions- und
Gewerkschaftszugehörigkeit oder Essensgewohnheiten), die lange Speicherzeit
(von zunächst 50 Jahren auf bis zu 13 Jahre) und die schwammige Zweckbin-
dung, d. h. die nicht nachvollziehbare tatsächliche Verwendung.

Nach Bekanntwerden der zunächst nur von den USA-Behörden diktierten Praxis
wurden Verhandlungen zum Abschluss eines regelgerechten Abkommens auf-
genommen, deren Details teilweise geheim waren bzw. geheim bleiben sollten.

Am 30. Mai 2006 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Praxis der
Übermittlung personenbezogener Daten von Flugpassagieren im transatlan-
tischen Flugverkehr wegen fehlender bzw. fehlerhafter Rechtsgrundlage für
nichtig erklärt. Damit war zwar die Möglichkeit eröffnet, Fragen des Daten-
schutzes in den Mittelpunkt zu rücken. Übergangsweise durften die USA die
Daten aber weiter nutzen. 2007 wurde dann ein, unter dem Gesichtspunkt
Datenschutz und Bürgerrechte, gleichbleibend problematisches Abkommen ab-
geschlossen.

Dieses Abkommen und das nach seinem Vorbild mit Australien gefertigte, hät-
ten jetzt durch die Ablehnung des Europäischen Parlaments zu Fall gebracht
werden können.

Inzwischen arbeiten die EU-Kommission und der Europäische Rat aber schon
seit längerem an einem eigenen europäischen Fluggastdatenabkommen und
verweisen auf interessierte Drittstaaten wie Südkorea, China, Indien und Russ-
land. Das jetzt von der EU-Kommission angekündigte PNR-Paket soll für alle
avisierten Abkommen dieser Art die (Datenschutz-)Standards und wesent-
lichen Verfahren vorgeben.

Auch mit den derzeit diskutierten datenschutzrechtlichen „Leitplanken“ würde
die weitere Verfolgung der PNR-Abkommen zu einem weltweiten System der
Datenübermittlung führen. Ihre wesentliche Grundlage wären verdachtslos, auf
Vorrat und für lange Zeit gespeicherte sowie übermittelte Daten, deren konkre-
ter Verwendungszusammenhang für niemand mehr kontrollierbar wäre.

Ein solches System wäre nicht erforderlich, unverhältnismäßig, und es wider-
spräche allen Schlussfolgerungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem
Urteil zur Vorratsdatenspeicherung für internationale und europäische Daten-
sammlungen gefordert hat. Dort heißt es nämlich:
„Die Einführung der Telekommunikationsverkehrsdatenspeicherung kann da-
mit nicht als Vorbild für die Schaffung weiterer vorsorglich anlassloser Daten-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2212

sammlungen dienen, sondern zwingt den Gesetzgeber bei der Erwägung neuer
Speicherungspflichten oder -berechtigungen in Blick auf die Gesamtheit der
verschiedenen schon vorhandenen Datensammlungen zu größerer Zurück-
haltung. Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und
registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundes-
republik Deutschland …, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in euro-
päischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss. Durch eine
vorsorgliche Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten wird der
Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen auch über den Weg der
Europäischen Union erheblich geringer.“ ( BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2. März
2010, Absatz 218).

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