BT-Drucksache 17/2201

Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen

Vom 16. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2201
17. Wahlperiode 16. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Jens
Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime
anerkennen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die schwierige Aufarbeitung der bis heute einzigartigen Verbrechensgeschichte
des NS-Regimes verlief auch in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer
Gründung nicht ohne Brüche, Fehlentwicklungen und Versäumnisse. Dies be-
trifft insbesondere die in vielen Bereichen sehr weitgehende Eingliederung ehe-
maliger Anhänger und Träger des NS-Regimes in den Staatsdienst, namentlich
die Justiz. Und es betrifft auf der anderen Seite die vorenthaltene oder sehr späte
Entschädigung für zahlreiche Opfer des NS-Terrorregimes. Prominente Bei-
spiele sind hier die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Homosexuelle,
Zwangssterilisierte und Euthanasiegeschädigte, als Jüdinnen und Juden ver-
folgte Menschen aus osteuropäischen Ländern, sowjetische Kriegsgefangene
und viele deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, die aktiven Widerstand
gegen das NS-Regime geleistet haben.

Die Gründe für die Ausgrenzung zahlreicher dieser Gruppen lagen nach Auffas-
sung des Deutschen Bundestages in der Kontinuität politischer und gesellschaft-
licher Stigmatisierungen – so z. B. bei den Homosexuellen, den Zwangssterili-
sierten und Euthanasiegeschädigten – bzw. in den besonderen Umständen des
Kalten Krieges begründet, wie es für verweigerte Entschädigungen und Wieder-
gutmachungsleistungen für Verfolgtengruppen aus Osteuropa und auch für die
Aberkennung von Entschädigungsleistungen nach dem Bundesentschädigungs-
gesetzt (BEG) für Kommunistinnen und Kommunisten in Westdeutschland zu-
trifft.

Während zahlreiche dieser Verfolgtengruppen inzwischen durch Entscheidun-
gen des Deutschen Bundestages eine finanzielle Leistung und damit auch eine
moralische Rehabilitierung durch die Anerkennung ihres Leids erfahren haben,
ist jede Form der Rehabilitierung für die nach § 6 BEG von Entschädigungsleis-
tungen ausgeschlossenen Kommunistinnen und Kommunisten bis heute ausge-

blieben.

Der Deutsche Bundestag ehrt in besonderer Weise die Leistungen der Frauen
und Männer, die sich aktiv gegen das NS-Regime gewandt haben und in zahl-
reichen Fällen ihr Leben eingesetzt haben, um Widerstand gegen die Nazi-
herrschaft in Deutschland zu leisten. Er sieht diesen, nicht sehr zahlreichen,
Widerstand gegen das Hitler-Regime in seiner Integrität als unteilbar an. Die

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Anerkennung des politischen Widerstands der Kommunistinnen und Kommu-
nisten, wie sie etwa in der Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von
Weizsäcker zum 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht
wurde, gehört für den Deutschen Bundestag zum unteilbaren Erbe des Wider-
stands gegen das NS-Regime.

65 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes und 20 Jahre nach Beendigung des
Kalten Krieges sieht es der Deutsche Bundestag als eine wichtige Geste an, das
den damaligen politischen Umständen entspringende Unrecht gegenüber kom-
munistischen Opfern des NS-Regimes, wie es in der teilweisen Verweigerung
bzw. Aberkennung von Entschädigungsansprüchen nach dem BEG zum Aus-
druck kommt, anzuerkennen und wiedergutzumachen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Härtefonds für NS-Verfolgte, denen Leistungen nach dem BEG auf-
grund ihrer Mitgliedschaft in der KPD, der Vereinigung der Verfolgten des
NS-Regimes (VVN) oder anderen als kommunistisch beeinflusst geltenden
Organisationen aberkannt bzw. verweigert wurde, einzurichten, aus dem den
Betroffenen eine Zahlung in Höhe einer schon einmal gewährten und dann
aberkannten oder einer zu erwartenden aber aufgrund der Mitgliedschaft in
kommunistischen Organisationen verweigerten Entschädigung nach dem
BEG ausgezahlt wird;

2. durch eine öffentliche Geste die Zugehörigkeit deutscher Kommunisten und
Kommunistinnen zum Erbe des Widerstands gegen das NS-Regime zum
Ausdruck zu bringen und damit eine Rehabilitierung der als Kommunistin-
nen und Kommunisten von den Leistungen nach dem BEG ausgeschlossenen
Menschen vorzunehmen.

Berlin, den 16. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Im Zuge des mit aller Härte geführten Kalten Krieges kam es auch in der Bun-
desrepublik Deutschland zu Ausgrenzungen und juristischen Verurteilungen
von Menschen aufgrund ihrer politischen Einstellung, die nach heutigen Maß-
stäben als übertrieben und einer westlichen Demokratie nicht angemessen gel-
ten. Im Zusammenhang mit dem KPD-Verbotsverfahren kam es zwischen 1950
und 1968 zu ca. 200 000 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen
tatsächliche oder vermeintliche Kommunistinnen und Kommunisten, die zu
7 000 bis 10 000 Verurteilungen führten. Der generalpräventive Charakter die-
ser Verfahren spiegelt den antikommunistischen Zeitgeist dieser Hochphase des
Kalten Krieges wider. Neben dem häufigen Verlust des Arbeitsplatzes, der
staatsbürgerlichen Rechte und sonstiger Einschränkungen für die Betroffenen
hatten die staatlichen Maßnahmen gegen Kommunistinnen und Kommunisten
auch Auswirkungen auf ihre möglichen Entschädigungen nach dem BEG. Auf-
grund der Bestimmungen nach § 6 Absatz 1 Nummer 2 BEG war von der Ent-
schädigung ausgeschlossen, wer nach dem 23. Mai 1949 die freiheitlich demo-
kratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft hatte. Diese
Unterstellung traf Kommunistinnen und Kommunisten nach Einleitung des
KPD-Verbotsverfahrens pauschal und führte zum Ausschluss zahlreicher Men-

schen von Leistungen nach dem BEG oder sogar zu Rückforderungen schon
ausgezahlter Leistungen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2201

Formal rechtsstaatlichen Entscheidungen in diesem Zusammenhang steht die
Tatsache gegenüber, dass gerade im Bereich der Justiz eine erhebliche Anzahl
der gegen Kommunistinnen und Kommunisten ermittelnden und urteilenden
Richter und Staatsanwälte Anhänger des NS-Regimes gewesen waren und nun
erneut gegen Kommunistinnen und Kommunisten vorgingen. Hinzu kommt,
dass zeitlich parallel zum KPD-Verbotsverfahren und dem Ausschluss von
Kommunistinnen und Kommunisten von BEG-Leistungen mit dem so genann-
ten 131er-Gesetz die Rückkehr von NS-belasteten Personen in den Staatsdienst
ermöglicht wurde, die zuvor von den alliierten Siegermächten aufgrund ihrer
NS-Vergangenheit entlassen worden waren. Sie kamen damit auch in den Ge-
nuss von Versorgungsleistungen des Staates.

Alexander von Brünneck schreibt resümierend zum teilweisen Ausschluss von
Kommunistinnen und Kommunisten von Leistungen nach dem BEG: „Politisch
waren die Ausschließungen (…) von Anfang an umstritten. Von den Betroffenen
wurden sie als Ausdruck der Mißachtung ihres Widerstandes gegen den Faschis-
mus verstanden. Der Aberkennung der Rente für die Opfer des Nationalsozialis-
mus stand ja gegenüber, daß viele der aus der nationalsozialistischen Zeit zum
Teil schwer belasteten Personen weiterhin Staatspensionen empfingen, die in
der Regel erheblich höher als die Verfolgtenrenten waren. Da viele der Betrof-
fenen aufgrund der gesundheitlichen Schäden auf die Rente angewiesen waren,
stürzte sie der Entzug oder die Rückforderung von Leistungen in materielle Not.
Die Aberkennung widersprach überdies dem Sinn der Wiedergutmachung.
Denn die Entschädigung wurde als Ausgleich für früher erlittenes Unrecht ge-
zahlt, das nicht mit Maßstäben späterer politischer Loyalität zu messen ist.“
(Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundes-
republik Deutschland 1949–1968, FfM 1978).

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