BT-Drucksache 17/2106

Bundeswehrgelöbnis am 20. Juli in Berlin

Vom 15. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2106
17. Wahlperiode 15. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Harald Koch, Wolfgang Neskovic, Jens Petermann,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Bundeswehrgelöbnis am 20. Juli in Berlin

Am 20. Juli 2010 ist erneut ein sogenanntes Feierliches Gelöbnis der Bundes-
wehr vor dem Reichstagsgebäude in Berlin geplant.

Nach Auffassung der Fragesteller ist sowohl die Wahl eines öffentlichen Ortes
als auch des Datums problematisch. Militäraufmärsche in der Öffentlichkeit er-
innern an propagandistische Mittel der Vergangenheit. Auch der Wissenschaft-
liche Dienst des Deutschen Bundestages stellt in einer Ausarbeitung fest, dass
das Truppenzeremoniell öffentlicher Gelöbnisse „insbesondere von der Wehr-
macht“ übernommen worden sei.

Zudem lassen sich die Motive der Offiziersopposition, die sich im Anschlag auf
Hitler vom 20. Juli 1944 niedergeschlagen haben, nicht als „Aufstand des Gewis-
sens“ zusammenfassen. Die meisten der beteiligten Offiziere hatten sich zuvor
an Kriegsverbrechen beteiligt, die Ermordung der jüdischen Bevölkerung unter-
stützt, den Kommissarbefehl umgesetzt, die Verschleppung und Versklavung der
Zivilbevölkerung vor allem in Osteuropa befürwortet und mitbetrieben. Die
Intensität ihres Widerstandes hing wesentlich von ihrer Einschätzung der militä-
rischen Lage ab. Je sicherer die Niederlage, desto höher war die Bereitschaft, die
politische und militärische Führung zu stürzen und selbst zu übernehmen.

Aus Sicht der Fragesteller ist nicht ersichtlich, warum jungen Rekruten der Bun-
deswehr ausgerechnet solche Vorbilder vermittelt werden. Die politische Orien-
tierung jener Offiziere hat mit dem heute proklamierten Anspruch von Soldaten
als Bürger in Uniform und dem Primat der Politik nichts zu tun. Daher symboli-
siert der Aufmarsch der Bundeswehr vor dem Reichstagsgebäude weniger ihr
Selbstverständnis als Parlamentsarmee, sondern ihre Verhaftung in Traditionen
aus undemokratischer Vergangenheit. Dem entspricht auch die Orientierung der
Bundeswehr auf weltweite Kriegseinsätze aus wirtschaftlichen Interessen und
ihr faktischer Abschied vom Verteidigungsauftrag.

Wenn man überhaupt Vorbilder aus der Zeit des Dritten Reiches sucht, wären
Deserteure, Überläufer und „Kriegsverräter“ wesentlich besser geeignet: Sie
haben den Dienst verweigert und nicht, wie die Offiziere des 20. Juli 1944, bis
zum Ende ihr militärisches Können in den Dienst des Naziregimes gestellt.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Soldaten sollen am 20. Juli 2010 in Berlin ihr Gelöbnis leisten?

2. Wie viele weitere Soldatinnen und Soldaten sollen an der Zeremonie teilneh-
men bzw. in deren Umfeld eingesetzt werden?

a) Von welchen Einheiten stammen diese, und welche Funktion haben sie da-
bei jeweils?

Drucksache 17/2106 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Wie viele Feldjägerinnen und Feldjäger sollen eingesetzt werden?

c) Wie viele Feldjägerinnen und Feldjäger waren jeweils am 19. Juli und am
20. Juli 2009 anlässlich des Gelöbnisses bzw. dessen Vorbereitung im
Einsatz, und wie viele hiervon in Zivilkleidung?

3. Welche Kosten sind in Zusammenhang mit dem Gelöbnis 2009 entstanden
(bitte Gesamtsumme nennen sowie die größten Rechnungsposten einzeln
auflisten), und mit welchen Kosten rechnet die Bundesregierung in diesem
Jahr (signifikante Abweichungen bitte erläutern)?

4. Wann ist die Bundeswehr bzw. das Bundesministerium der Verteidigung an
welche Berliner Behörde erstmals mit dem Ziel herangetreten, das Gelöbnis
am 20. Juli 2010 vor dem Reichstagsgebäude durchzuführen, und wie hat
sich der Prozess der Planung bzw. Genehmigung mit diesen Behörden seit-
her entwickelt?

5. Auf welcher Rechtsgrundlage soll das Gelöbnis auf dem Platz der Republik
stattfinden?

a) Hat die Bundeswehr Anträge auf Straßensondernutzung oder Nutzung
einer Grünanlage gestellt (wenn ja, bitte im Wortlaut beifügen) oder beab-
sichtigt sie dies noch zu tun?

b) Sind entsprechende Bescheide bzw. Genehmigungen bereits erteilt, und
wenn ja, von welcher Behörde bzw. Stelle (Bescheide bitte im Wortlaut
anfügen)?

c) Beabsichtigt die Bundeswehr, einen militärischen Sondernutzungs-
bereich einzurichten?

d) Beabsichtigt die Bundeswehr, bei den zuständigen Stellen die Überlas-
sung des Hausrechts über den Platz der Republik oder benachbarte Areale
zu beantragen oder ist sie von diesen Stellen hierum gebeten worden, und
wenn ja, für welchen Zeitraum und welche Areale genau?

e) Welche Absprachen gibt es mit dem Präsidium des Deutschen Bundes-
tages, und welche Absprachen hat es 2009 gegeben?

6. Welche Überlegungen haben dazu geführt, dass die Bundeswehr im Jahr
2009, anders als im Jahr 2008, kein Hausrecht über den Platz der Republik
innehatte?

7. Wie viele Gäste sollen zur Zeremonie eingeladen werden?

a) Nach welchen Kriterien wird bei der Erstellung der Gästeliste bzw. der
Einladungsliste verfahren, und wer legt diese fest?

b) Wie viele Gäste sind im Vorjahr eingeladen worden, und wie viele sind
der Einladung gefolgt?

8. Welche Persönlichkeiten werden in diesem Jahr Ansprachen halten bzw. wer
ist derzeit hierzu angefragt?

9. Aus welchem Grund führt die Bundeswehr das Gelöbnis am 20. Juli 2010 zu
Ehren antidemokratisch eingestellter Wehrmachtsoffiziere ausgerechnet am
Reichstagsgebäude durch, der heute als Symbol für Demokratie verstanden
werden soll, zumal die im Vorjahr genannte Begründung, der Appellplatz
des Bendlerblocks stehe wegen Bauarbeiten nicht zur Verfügung, in diesem
Jahr nicht mehr zutrifft?

10. Warum lehnt es die Bundesregierung ab, den Soldaten der Bundeswehr als
Vorbilder statt der Offiziere des 20. Juli 1944, diejenigen Soldaten der Wehr-
macht zu nennen, die, ohne zuvor Kriegsverbrechen begangen zu haben, aus

der Wehrmacht desertiert sind oder als sogenannte Kriegsverräter verfolgt
wurden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2106

11. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer auf Bundestagsdrucksache 16/13576
erteilten Antwort, eine Ehrung von Deserteuren sei aus dem Grunde nicht er-
forderlich, „weil die Bundesrepublik Deutschland ihre Soldaten/Soldatinnen
niemals in eine vergleichbare Situation bringen wird, in der die Angehörigen
der Wehrmacht stehen mussten“, und wenn ja, ist dann die durchgeführte Eh-
rung der Offiziere des 20. Juli 1944 als Ausdruck dafür zu sehen, dass zumin-
dest die Offiziere der Bundeswehr womöglich doch in eine der Wehrmacht
ähnliche Situation gebracht werden könnten, und worin genau sieht die Bun-
desregierung eine solche Ähnlichkeit?

Berlin, den 15. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.