BT-Drucksache 17/2054

Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise und Beteiligung des Finanzsektors

Vom 10. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2054
17. Wahlperiode 10. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Nicolette Kressl, Joachim Poß, Ingrid
Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Lothar Binding (Heidelberg),
Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Petra Ernstberger, Martin Gerster, Iris Gleicke,
Petra Hinz (Essen), Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Bernd Scheelen, Manfred
Zöllmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise und Beteiligung des Finanzsektors

Während der Finanz- und Wirtschaftskrise mussten die Banken mit milliarden-
schweren Rettungspaketen durch den Staat gestützt werden. Außerdem mussten
umfangreiche Konjunkturprogramme zur Stabilisierung der wirtschaftlichen
Entwicklung aufgelegt werden. In der Krise sind Staatsausgaben gestiegen und
die Steuereinnahmen gesunken. Die Folge ist ein enormer Anstieg der Verschul-
dung bei Bund, Länder und Gemeinden. Dies wird zu einer gravierenden Erhö-
hung der Zinslasten in öffentlichen Haushalten führen, die die finanziellen
Spielräume für Zukunftsaufgaben in einem kritischen Maß einschränken wer-
den.

Die Ertragslage der Banken hat sich mittlerweile erholt. Dennoch wurde den
Banken bisher ausschließlich die Entrichtung von Garantiegebühren und Aus-
gleichsbeträge für die direkt gewährten staatlichen Stützungsmaßnahmen auf-
erlegt. Die enormen Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise werden damit bis-
lang fast allein von den Bürgerinnen und Bürger in unserem Land getragen.

Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, aber auch zur Legitimation unserer
Sozialen Marktwirtschaft ist es wichtig, dass auch diejenigen die Lasten der
Krise tragen, die maßgeblich für diese Krise verantwortlich sind. Die Bundes-
regierung hat, abgesehen von unverbindlichen Ankündigungen und einem Eck-
punktepapier, dazu noch kein Konzept vorgelegt. In gleichem Maße, wie im
Finanzsektor wieder Gewinne geschrieben und hohe Boni gezahlt werden,
wächst in unserem Land und überall auf der Welt der Unmut der Bürgerinnen
und Bürger darüber, dass die Politik bisher nicht in der Lage ist, die Lasten der
Finanz- und Wirtschaftskrise den Verursachern in Rechnung zu stellen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Finanzindustrie einen
fairen und substanziellen Beitrag zur Bewältigung der Kosten der Krise

leisten muss?

2. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die weltweiten Kosten der aktuellen
Wirtschafts- und Finanzkrise?

Drucksache 17/2054 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Internationalen Währungs-
fonds (IWF), dass die „ungedeckten Kosten“ der Finanz- und Wirtschafts-
krise für Deutschland bei 4,8 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts
(BIP) liegen (vgl. IWF Interim Report for the G-20 vom 16. April 2010,
S. 5), und wenn nein, wie hoch sind die Kosten der Krise nach Einschät-
zung der Bundesregierung?

Hat die Bundesregierung eigene Berechnungen zu den Kosten der Krise in
Deutschland angestellt, und wenn nein, warum nicht?

4. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die bisher bei Unternehmen des
Finanzsektors erfolgten notwendigen Abschreibungen und Bilanzbereini-
gungen durch sog. toxische Wertpapiere im Zuge der Finanz- und Wirt-
schaftskrise, und wie hoch schätzt die Bundesregierung den noch notwen-
digen Berichtigungsbedarf?

5. In welcher Höhe wurden bisher Garantien und Mittel für Rekapitalisie-
rungsmaßnahmen für Unternehmen des Finanzsektors durch den Sonder-
fonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) bereitgestellt (bitte nach Jahren
und Instituten aufschlüsseln)?

6. In welcher Höhe wurden bisher Gebühren, Vergütungen bzw. Zinsen für
Garantien und Rekapitalisierungsmaßnahmen von Unternehmen des Fi-
nanzsektors an den SoFFin gezahlt (bitte nach Jahren und Instituten auf-
schlüsseln)?

7. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Kapitalkosten für die zusätz-
liche Kreditbelastung in den Jahren 2009 bis 2013 durch die Banken-
rettung für Bund, Länder und Kommunen (bitte nach Jahren, Bund und
Ländern aufschlüsseln)?

8. In welchem Umfang ist die Neuverschuldung des Bundes für das Jahr 2010
in Höhe von 80,2 Mrd. Euro krisenbedingt, und welche Effekte hat das
Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums für die Neuver-
schuldung (bitte nach einzelnen Maßnahmen des Gesetzes und seine Aus-
wirkungen auf Bund und Länder aufschlüsseln)?

9. In welcher Höhe wurden die durch das „Maßnahmenpaket Beschäftigungs-
sicherung durch Wachstumsstärkung“ (Konjunkturpaket I) bereitgestellten
Mittel bis zum jetzigen Zeitpunkt abgerufen (bitte nach einzelnen Pro-
grammen und Ländern aufschlüsseln)?

10. In welcher Höhe wurden die durch das Programm „Entschlossen in der
Krise, stark für den nächsten Aufschwung – Pakt für Beschäftigung und
Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der
Wachstumskräfte und Modernisierung des Landes“ (Konjunkturpaket II)
bereitgestellten Mittel bis zum jetzigen Zeitpunkt abgerufen (bitte nach ein-
zelnen Programmen und Ländern aufschlüsseln)?

11. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der International Labour Orga-
nization (ILO), (vgl. Pressemitteilung vom 9. Dezember 2009), dass in der
weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise schätzungsweise 20 Millionen Ar-
beitsplätze verloren gegangen sind, und wie viele Arbeitsplätze in Deutsch-
land gingen nach Schätzung der Bundesregierung krisenbedingt verloren?

12. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den krisenbedingten Rückgang der
Bruttolohn- und Gehaltssumme für die Jahre 2008 bis 2011, und welche
Steuerausfälle hat das zur Folge (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

Liegen der Bundesregierung Erhebungen vor, inwieweit sich daraus Ein-
bußen hinsichtlich der Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung

für die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ergeben, und wenn
nein, plant die Bundesregierung entsprechende Erhebungen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2054

13. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die bisher aufgelaufenen Totalver-
luste privater Anlegerinnen und Anleger im Zuge der Finanz- und Wirt-
schaftskrise durch wertlos gewordene Wertpapiere in Deutschland, ins-
besondere durch die Insolvenz der Lehman Brothers Holdings Inc. bzw.
ihrer europäischen Tochterunternehmen?

14. Welche krisenbedingten Mehrausgaben erwartet die Bundesregierung für
die Jahre 2008 bis 2011 für die umlagefinanzierten sozialen Sicherungssys-
teme (bitte nach Jahren aufschlüsseln)

a) der Arbeitslosenversicherung,

b) der gesetzlichen Rentenversicherung,

c) der Kranken- und Pflegeversicherung?

15. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die möglichen Einnahmen durch
eine internationale bzw. europäische Finanztransaktionssteuer im Hinblick
auf die derzeit diskutierten Steuersätze?

Liegen der Bundesregierung entsprechende Berechnungen vor oder hat die
Bundesregierung diesbezüglich eigene Berechnungen angestellt, und wenn
nein, warum nicht?

16. Plant die Bundesregierung eine europäisch abgestimmte Version der Finanz-
transaktionssteuer im Vorfeld des G-20-Gipfels in Kanada am 25. und
26. Juni 2010 herbeizuführen, und wenn nein, warum nicht?

17. In welcher Weise will sich die Bundesregierung auf dem G-20-Gipfel in
Kanada am 25. und 26. Juni 2010 für die Einführung einer internationalen
Finanztransaktionssteuer einsetzen (bitte nach beteiligten Akteuren und
Institutionen aufschlüsseln)?

18. Mit welchen Einnahmen durch eine vom IWF (vgl. IWF Interim Report for
the G-20 vom 16. April 2010, S. 18 ff.) vorgeschlagene Finanzaktivitäts-
steuer („financial activities tax“) rechnet die Bundesregierung?

Liegen der Bundesregierung entsprechende Berechnungen vor oder hat die
Bundesregierung diesbezüglich eigene Berechnungen angestellt, und wenn
ja, auf welcher Grundlage, und wenn nein, warum nicht?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Prof. Dr. Hans-Peter Burghof
(vgl. SPIEGEL ONLINE vom 18. Mai 2010), dass eine Finanzaktivitäts-
steuer „die Kreativität der Banken-Buchhalter stark anregen [würde]“ und
„in den Finanzhäusern (…) dann Mittel und Wege gesucht [würden], wie
Gewinne aus Spekulationen in der Bilanz an anderer Stelle ausgewiesen
werden könnten“?

Wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen, und
wenn nein, warum nicht?

20. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des IWF, dass ein Fonds zur
Vermeidung zukünftiger Krisen im Finanzsektor die Höhe von zwei bis vier
Prozent des BIP des jeweiligen Landes erreichen sollte (vgl. IWF Interim
Report for the G-20 vom 16. April 2010, S. 11)?

21. Stimmen die Medienberichte (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
23. März 2010, S. 9), wonach eine nach dem US-amerikanischen Vorbild
konzipierte Bankenabgabe in Deutschland ein potenzielles Einnahmevolu-
men von ca. 9 Mrd. Euro jährlich hätte?

22. Mit welchen Einnahmen durch eine von Bundesminister der Finanzen,
Dr. Wolfgang Schäuble, vorgeschlagene risikoadjustierte Bankenabgabe

rechnet die Bundesregierung (bitte nach Bankensektoren auf Grundlage des
Geschäftsjahres 2009 aufschlüsseln)?

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23. Stimmen die Medienberichte (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
26. März 2010, S. 11), wonach die Banken die risikoadjustierte Banken-
abgabe von der Steuer absetzen können, und wenn ja, in welcher Höhe?

24. Plant die Bundesregierung auch Hedgefonds bzw. Private-Equity-Fonds an
der risikoadjustierten Bankenabgabe zu beteiligen, und wenn ja, mit
welchen Mehreinnahmen wäre diesbezüglich zu rechnen, und wenn nein,
warum nicht?

25. Plant die Bundesregierung auch Versicherungen an der risikoadjustierten
Bankenabgabe zu beteiligen, und wenn ja, mit welchen Mehreinnahmen
wäre diesbezüglich zu rechnen, und wenn nein, warum nicht?

26. Plant die Bundesregierung, die derzeit diskutieren Instrumente einer risiko-
adjustierten Bankenabgabe, einer Finanztransaktionssteuer und einer
Finanzaktivitätssteuer zeitlich zu befristen, wenn ja, warum und für wel-
chen Zeitraum?

Berlin, den 9. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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