BT-Drucksache 17/2040

Die internationale Wettbewerbssituation deutscher Chemieparks

Vom 10. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2040
17. Wahlperiode 10. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Doris Barnett, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Ingrid
Arndt-Brauer, Klaus Barthel, Sören Bartol, Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco
Bülow, Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Martin Dörmann, Petra Ernstberger,
Peter Friedrich, Michael Gerdes, Iris Gleicke, Rolf Hempelmann, Gabriele
Hiller-Ohm, Josip Juratovic, Oliver Kaczmarek, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler,
Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller,
Katja Mast, Dr. Matthias Miersch, Manfred Nink, Thomas Oppermann, Holger Ortel,
Heinz Paula, Gerold Reichenbach, Anton Schaaf, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar
Schreiner, Frank Schwabe, Dr. Martin Schwanholz, Wolfgang Tiefensee, Ute Vogt,
Andrea Wicklein, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier und
der Fraktion der SPD

Die internationale Wettbewerbssituation deutscher Chemieparks

Die chemische Industrie ist für den Standort Deutschland von zentraler Be-
deutung. Sie erwirtschaftete im Jahr 2008 176 Mrd. Euro. Zirka 25 Prozent des
gesamten europäischen Umsatzes an chemischen Produkten werden in Deutsch-
land erwirtschaftet. Dementsprechend hoch ist das Exportvolumen chemischer
Produkte. Es betrug im Jahr 2008 140 Mrd. Euro.

Im Jahr 2008 waren rund 440 000 Menschen in Deutschland im Bereich der
chemischen Industrie beschäftigt. Das sind 10 Prozent der Gesamtbeschäftigten
des verarbeitenden Gewerbes. Darüber hinaus sichert sie 1,1 Millionen Arbeits-
plätze in den Zulieferer- und Abnehmerindustrien.

Chemische Industriebetriebe siedelten sich bisher als Einzelbetrieb an. In den
letzten Jahren haben sich in Deutschland durch Outsourcing andere Betriebs-
strukturen gebildet; es entstanden mehrere Chemieparks. Als Industriekonglo-
merat können sie durch Synergieeffekte in der Energieversorgung, der Logistik
usw. ein zukunftsträchtiges Konzept mit entscheidenden Wettbewerbsvorteilen
für die Chemieunternehmen anbieten. Die Zahl der in deutschen Chemieparks
ansässigen Unternehmen hat sich in den zurückliegenden drei Jahren erhöht: Im
Jahr 2006 hatten knapp 840 Unternehmen ihre Niederlassungen in einem Che-
miepark; im Jahr 2008 waren es bereits rund 920 Firmen. Das ist ein Plus von
knapp 10 Prozent.
Die Unternehmen in den Chemieparks haben in den Jahren 2006 und 2007 jähr-
lich etwa 3 Mrd. Euro in den Aus- und Neubau ihrer Anlagen investiert; 2008
waren es 3,5 Mrd. Euro.

Energiekosten sind für Unternehmen der chemischen Industrie entscheidende
Produktionsfaktoren, denn die chemische Industrie gehört zu den Branchen mit
dem höchsten Energiebedarf. Diese Kosten können allerdings aufgrund des in-
ternationalen Wettbewerbs nicht in vollem Umfang über höhere Produktpreise

Drucksache 17/2040 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

weitergegeben werden und beeinträchtigen deshalb die internationale Wett-
bewerbsfähigkeit der Industrie. Insbesondere aus diesem Grunde sind Unter-
nehmen des produzierenden Gewerbes in verschiedener Hinsicht bei der Besteu-
erung von Energie und bei Umlagen aufgrund von Fördergesetzen wie dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und dem Kraft-Wärme-Kopplungsgeset-
zes (KWKG) begünstigt worden.

Ein Kriterium für die Standortwahl und den Standortverbleib von produzieren-
den Chemieunternehmen sind die Energiepreise, wobei Chemieparkbetreiber für
die im Chemiepark ansässigen Unternehmen Energie (Strom, Dampf, Wasser)
vielfach mit modernen, hocheffizienten KWK-Anlagen erzeugen. Chemiepark-
betreiber beklagen einen verstärkten Wettbewerbsdruck aufgrund niedriger
Energiepreise in Europa und im außereuropäischen Ausland. Hinzu kommen
Bedingungen, die für die Chemieparkbetreiber Folgen haben: Wenn sie ihre
Netze im Park für die Verteilung des in KWK-Anlagen hergestellten Stromes und
Dampfes von der Produktion trennen müssen und als verschiedene Firmen agie-
ren müssen, verringert sich der Kosteneinspareffekt erheblich – einer der wich-
tigsten Synergieeffekte. Andererseits könnte eine einseitige Begünstigung von
Chemieparks etwa bei Netzentgelten und Umlagekosten dazu führen, dass
gesellschaftliche Lasten auf weniger Schultern verteilt würden und die Belastun-
gen nicht begünstigter Unternehmen und privater Haushalte steigen. Zudem sind
Konstruktionen wie Chemieparks auf die Realisierung von Kostensenkungen
angelegt, so dass unter anderem bei Löhnen und Gehältern wie auch Steuern
gespart werden soll. Chemieparks sollten jedoch kein Instrument sein, um den
Wettbewerb zu beeinträchtigen oder Strategien zur Lohnabsenkung zu begüns-
tigen.

Es besteht daher Informationsbedarf zu den einzelnen relevanten Kostenfaktoren
für Unternehmen der chemischen Industrie und zur Situation im internationalen
Wettbewerb, um die Entwicklung beeinflussen zu können.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung das innovative Geschäftsmodell eines
Industrieparks, insbesondere eines Chemieparks?

Welche Kosten werden durch welche Umstände und Maßgaben gegenüber
einem Ein-Unternehmen-Modell eingespart, und in welchem Umfang (relativ
zum Umsatz sowie relativ zum Betriebsergebnis) realisieren Unternehmen
damit Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Referenzfall ohne das Geschäfts-
modell Industriepark/Chemiepark?

2. Welche Bedeutung

a) für die chemische Industrie in Deutschland und

b) für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen chemischen Industrie im
globalen Wettbewerb

misst die Bundesregierung dem Geschäftsmodell der Chemieparks bei?

3. Bestehen aus Sicht der Bundesregierung Benachteiligungen durch regulato-
rische Maßnahmen von Chemieparks im Vergleich zu Ein-Unternehmen-
Standorten?

Wie bewertet sie diese gegebenenfalls, und ergeben sich aufgrund der unter-
schiedlichen Konstellation Chemiepark bzw. Ein-Unternehmen-Standort an
anderer Stelle z. B. steuerrechtliche oder sonstige Vorteile, die regulatorischen
Nachteilen ggf. entgegenstehen?

4. Beabsichtigt die Bundesregierung diese Benachteiligungen zu beheben, und

wenn ja, wie?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2040

5. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass eine Befreiung von den
Umlagen nach dem EEG und dem KWKG für Unternehmen innerhalb von
Areal- oder Objektnetzen einen Kostenvorteil gegenüber einer gleich ge-
lagerten Strom- und Wärmeerzeugung bedeutet, die aus einem Netz der all-
gemeinen Versorgung stammt?

6. Welche weiteren Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den regulatori-
schen Rahmen im Hinblick auf attraktivere Standortbedingungen für den
Industriestandort Deutschland fortzuentwickeln?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass in Chemieparks die
Energieerzeugung im Wesentlichen durch hocheffiziente KWK-Anlagen
erfolgt, und welchen Stellenwert nimmt dabei die Förderung nach dem
KWKG ein?

8. Wie haben sich innerhalb der letzten zehn Jahre die Gestehungskosten ins-
gesamt und die Preise für Industriestrom in der EU und außerhalb der EU
entwickelt, und welche Auswirkungen hatte diese Entwicklung auf die Wett-
bewerbsfähigkeit der Unternehmen?

Welche Gründe hat diese Entwicklung aus Sicht der Bundesregierung, und
welche Kostenfaktoren haben in welchem Umfang zur Preisentwicklung
beigetragen (aufgeschlüsselt nach absoluten und relativen Werten)?

9. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, bestehende Wettbewerbs-
verzerrungen zu Lasten von in Deutschland produzierenden und energiein-
tensiven Unternehmen neben der bisher schon bestehenden Befreiung von
der EEG- und der KWK-Umlage zu beseitigen?

10. Unterliegen Unternehmen des produzierenden Gewerbes sowie der chemi-
schen Industrie in Deutschland anderen (höheren) realen Preisen beim Be-
zug von Strom und Prozesswärme – also nach Abzug aller jeweils anrechen-
baren Komponenten in den Bereichen Steuern, Netz und Umlagen – als kon-
kurrierende Unternehmen in benachbarten Staaten?

Wie hat sich diese Diskrepanz ggf. innerhalb der letzten Jahre entwickelt?

11. Sind diese möglicherweise durch staatliche Intervention verzerrten Strom-
preise beihilferechtlich genehmigt?

Sind entsprechende Begünstigungen für ausländische Konkurrenten zeitlich
befristet?

Sieht die Bundesregierung vor diesem Hintergrund entsprechenden Hand-
lungsbedarf auf EU-Ebene oder im Rahmen der Welthandelsorganisation
(WTO), und wie begründet sie ihre Position im Einzelnen?

12. Welche Kostenanteile nehmen für Unternehmen der chemischen Industrie
Lohnkosten, Kosten für Energie, Kosten für Rohstoffe und andere Vorleis-
tungen sowie sonstige Kosten jeweils anteilig an den Gestehungskosten bzw.
am Umsatz ein, wie haben sie sich innerhalb der letzten zehn Jahre jeweils
entwickelt, und wo liegen nach Auffassung der Bundesregierung die jeweils
größten Kostensenkungspotenziale?

13. In welchem Umfang profitieren Unternehmen oder Unternehmensverbünde,
die eine Förderung nach dem KWKG bei der Stromerzeugung in Anspruch
nehmen (Förderbetrag je Kilowattstunde Strom- und Wärmeerzeugung im
Fall einer typischen Prozessdampfanlage für ein Unternehmen der chemi-
schen Industrie), und welche Belastung steht dem ggf. aus den Umlagen
nach dem EEG und dem KWKG gegenüber?

14. Wie wirkt sich nach Ansicht der Bundesregierung die Aufteilung und

Ansiedlung von Betrieben und Teilbetrieben in Chemieparks auf die Lohn-
situation und damit die Tarifhoheit der Gewerkschaften aus?

Drucksache 17/2040 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
15. Wie schätzt die Bundesregierung Bedenken ein, dass durch das Konstrukt
Chemiepark/Industriepark die Aufteilung und das Outsourcen von Betrie-
ben dazu führen, Tarifverträge und auch Mitbestimmung zu umgehen bzw.
einzuschränken?

16. Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, dass Unternehmen
durch Bildung von Chemieparks und Ausgliederung von Unternehmen bzw.
Unternehmensteilen in der Zuständigkeit anderer Lohntarifvertragsgebiete
Lohnkosten gespart haben, und kann die Bundesregierung Angaben darüber
machen, in welchem relativen Umfang sich dadurch Kostensenkungen
gegenüber einem Referenzfall ohne einer solchen Ausgliederungsstrategie
ergibt?

Berlin, den 9. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.