BT-Drucksache 17/2039

Durchsetzung von Sozialstandards in der Lieferkette von Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen

Vom 10. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2039
17. Wahlperiode 10. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Lothar Binding
(Heidelberg), Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Hubertus
Heil (Peine), Dr. Barbara Hendricks, Josip Juratovic, Dr. Bärbel Kofler, Angelika
Krüger-Leißner, Burkhard Lischka, Gariele Lösekrug-Möller, Katja Mast, Anton
Schaaf, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner, Dr. Sascha Raabe, Karin Roth
(Esslingen), Frank Schwabe, Wolfgang Tiefensee, Manfred Zöllmer, Dr. Frank-
Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Durchsetzung von Sozialstandards in der Lieferkette von
Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen

In den letzten Jahren hat in Deutschland und der Europäischen Union ein Verdrän-
gungswettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel stattgefunden. Die sechs größten
deutschen Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen EDEKA ZENTRALE AG &
Co. KG, REWE Markt GmbH, Lidl DienstleistungGmbH & Co. KG, ALDI
Einkauf GmbH & Co. oHG, METRO AG und Tengelmann Warenhandelsgesell-
schaft KG verfügen heute bereits über einen Anteil von ca. 90 Prozent am inlän-
dischen Marktvolumen. Dieser sich fortsetzende Konzentrationsprozess führt zu
einer Verschärfung des Preisdrucks auf die im Ausland ansässigen Lieferanten
und Erzeuger, z. B. in Costa Rica und Ecuador. Durch Niedrigstpreise kommt es
in diesen Betrieben teilweise zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, wie
die Studie „Endstation Ladentheke“ von Oxfam Deutschland e. V. zeigt. Dazu
gehören Löhne, die weit unter dem Existenzminimum liegen, Arbeitszeiten
von mehr als 80 Wochenstunden, Entlassungen von Gewerkschaftsmitgliedern,
Frauendiskriminierung, Nichteinhaltung von Arbeitsschutz sowie die Andro-
hung von Massenentlassungen und Betriebsschließungen. Insbesondere Frauen
sind von diesen Arbeitsbedingungen und nicht nur von Diskriminierung, sondern
auch von den Verletzungen des Arbeitsschutzes betroffen. Sie stellen Menschen-
rechtsverletzungen dar und widersprechen internationalen Standards zu men-
schenwürdigen Arbeitsbedingungen.

Die Unterstützung der Einhaltung von Menschenrechten in globalen Liefer-
ketten durch deutsche Unternehmen ist schon heute durch freiwillige Selbst-
verpflichtungen der Unternehmen möglich. In Deutschland gibt es Bemühungen
zur Stärkung der freiwilligen Unternehmensverantwortung (Corporate Social
Responsibility, CSR). Das Bundeskabinett hatte am 15. Juli 2009 dem vom

Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegten „Zwischenbericht zur
Entwicklung einer nationalen CSR-Strategie“ zugestimmt. Im Rahmen der CSR-
Strategie sollte Anfang 2010 der „Aktionsplan CSR in Deutschland“ verabschie-
det werden. Einige der deutschen Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen setzen
bereits auf freiwillige Verhaltenskodizes, die auch eine Unterstützung menschen-
würdiger Arbeitsbedingungen in den globalen Lieferketten umfassen, und sind
der weltweiten Business Social Compliance Initiative (BSCI) beigetreten. Aller-

Drucksache 17/2039 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

dings wird im BSCI-Jahresbericht 2008 darauf hingewiesen, dass nur 43 Prozent
der auditierten Unternehmen die Anforderungen der Sozialstandards erfüllt
haben, teilweise auch erst nach einer Nachauditierung.

Ziel deutscher Politik muss es weiterhin sein, die Globalisierung sozial und
gerecht zu gestalten. Dazu gehört die Schaffung menschenwürdiger Arbeits-
bedingungen in den Partnerländern als ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung
weltweiter Armut. Der Verankerung und Durchsetzung der Kernarbeitsnormen
der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) auf den internationalen Ebenen
von Welthandelsorganisation (WTO), Organisation für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (OECD), Internationalem Währungsfonds (IWF),
Weltbank und der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) kommt
dabei entscheidende Bedeutung zu.

Der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte und transnationale Unter-
nehmen, John Ruggie, hat 2008 dem UN-Menschenrechtsrat das Rahmenwerk
„Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights“
(A/HRC/8/5) vorgelegt, das die staatliche Pflicht hervorhebt, Schutz vor – auch
in anderen Ländern begangenen – Menschenrechtsverstößen durch im Staats-
gebiet ansässige Unternehmen zu gewähren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Marktkonzentration im Lebens-
mitteleinzelhandel unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten?

2. Welche Auswirkungen hat die Marktkonzentration für die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer in den Lebensmittelmärkten in Deutschland?

3. Welche Auswirkungen hat die Marktkonzentration für die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer in den Lieferanten- und Erzeugerbetrieben im Aus-
land?

4. Welche Auswirkungen hat die Marktkonzentration für die Verbraucherinnen
und Verbraucher – hinsichtlich Preis, Angebotsvielfalt und Produktzusam-
mensetzungen (wie z. B. Nutzung billigerer Ersatzstoffe)?

5. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zu unfairen Einkaufsprakti-
ken im Lebensmitteleinzelhandel vor, und wie bewertet sie diese?

6. Welche internationalen Sozialstandards menschenwürdiger Arbeitsbedingun-
gen sind auch für Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland verbind-
lich?

Gibt es darüber hinaus weitere internationale Sozialstandards zu menschen-
würdigen Arbeitsbedingungen?

7. Welche Verstöße gegen internationale Sozialstandards menschenwürdiger
Arbeitsbedingungen in den letzten vier Jahren sind der Bundesregierung
bekannt, und wie wurde die Bundesregierung darauf aufmerksam bzw. wer
informiert üblicherweise über solche Verstöße?

8. Welche Maßnahmen, einschließlich Änderungen im Kartellrecht, hält die
Bundesregierung für notwendig, um die Ausnutzung von konzentrierter
Marktmacht der Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen zum Nachteil der
Zuliefererunternehmen – auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern –
zu verhindern?

9. Hält die Bundesregierung eine Sektoruntersuchung durch das Bundeskartell-
amt zu den Auswirkungen der Marktkonzentration im Lebensmitteleinzel-
handel auf Erzeuger- und Zuliefererunternehmen für sinnvoll, und wenn

nicht, aus welchen Gründen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2039

10. In welcher Form setzt sich die Bundesregierung für die Durchsetzung von
internationalen Sozialstandards menschenwürdiger Arbeitsbedingungen in
der Lieferkette von deutschen Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen ein?

11. Welche Maßnahmen der sechs größten deutschen Lebensmitteleinzel-
handelsunternehmen zur Einhaltung von internationalen Sozialstandards
menschenwürdiger Arbeitsbedingungen in deren Lieferkette sind der Bun-
desregierung bekannt?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen freiwilligen Vereinbarun-
gen der deutschen Unternehmen im Bereich CSR, auch im Rahmen der
BSCI?

13. In welcher Form unterstützt die Bundesregierung CSR-Maßnahmen deut-
scher Unternehmen?

14. Wird die Bundesregierung im Rahmen der deutschen CSR-Strategie einen
Aktionsplan CSR in Deutschland verabschieden?

Wenn ja, wann, und wenn nicht, aus welchen Gründen?

15. Wird die Bundesregierung gesetzliche Regelungen zur sozialen Verantwor-
tung von Unternehmen einführen, und wenn nicht, aus welchen Gründen?

16. Wird die Bundesregierung umfassende Berichtspflichten für Unternehmen
in Bezug auf ihre soziale Verantwortung auch für ihre Lieferkette unab-
hängig von ihrer Geschäftstätigkeit in Erweiterung bestehender Berichts-
pflichten des Bilanzrechtes einführen, und wenn nicht, aus welchen Grün-
den?

17. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um mehr Transparenz und
Vergleichbarkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher zu schaffen, hin-
sichtlich der Einhaltung bzw. Nichteinhaltung von Sozialstandards bei be-
stimmten Produkten oder Anbietern?

18. Wird die Bundesregierung bei der im Koalitionsvertrag zwischen CDU,
CSU und FDP festgeschriebenen Reform des Verbraucherinformations-
gesetzes und der Zusammenfassung der Informationsansprüche der Bürge-
rinnen und Bürger auch einen gesetzlichen Informationsanspruch in Bezug
auf Sozialstandards in der Lieferkette von Unternehmen einbeziehen?

19. Mit welchen Maßnahmen kommt die Bundesregierung ihrer Pflicht zum
Schutz vor Menschenrechtsverletzungen im Ausland durch deutsche Unter-
nehmen nach?

20. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um deutsche Mutter-
konzerne für im Ausland begangene Menschenrechtsverletzungen ihrer
Tochterunternehmen und Zulieferer haftbar zu machen?

21. Welche Initiativen wird die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen
Union und der Vereinten Nationen ergreifen, um verbindliche Regeln für
faire Arbeits- und Produktionsbedingungen, z. B. im Rahmen der Verhand-
lungen der Welthandelsorganisation (WTO) oder der OECD, durchzusetzen
und deren Einhaltung zu gewährleisten?

Berlin, den 9. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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