BT-Drucksache 17/2022

Klimaschutz im Verkehr braucht wesentlich mehr als Elektroautos

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2022
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Petra Sitte, Dr. Gesine Lötzsch, Herbert
Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert,
Thomas Lutze, Dorothee Menzner, Sabine Stüber und der Fraktion DIE LINKE.

Klimaschutz im Verkehr braucht wesentlich mehr als Elektroautos

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Elektromobilität existiert seit gut einem Jahrhundert. Elektrisch betriebene
Eisenbahnen sind in Deutschland seit ziemlich genau 100 Jahren in Betrieb. In
den Städten gibt es Elektromobilität in Form von Straßenbahnen sogar seit
115 Jahren. Mitte des 20. Jahrhunderts kam es dann mit der Einführung von
O- oder Trolley-Bussen zu einer Elektrifizierung von größeren Teilen des Bus-
Verkehrs.

Vor dem Hintergrund dieser Verkehrsgeschichte ist eine Bezeichnung Elektro-
mobilität für die Elektrifizierung von Kraftfahrzeugen irreführend.

2. Der Verkehr ist das große Sorgenkind im Klimaschutz. Während alle ande-
ren Sektoren ihre Klimabelastung seit 1990 deutlich senken konnten, stieg die
Klimabelastung durch den Verkehr insgesamt seit 1990 EU-weit um 35 Prozent
an. Der Verkehr verursachte im Jahr 2006 damit EU-weit bereits 27,9 Prozent
aller Kohlendioxid-Emissionen.

3. Die offenkundige Beschränkung der aktuellen Bundesregierung im Klima-
schutz im Verkehr auf die Förderung von Elektroautos wird der klimapolitisch
notwendigen erheblichen Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen in keiner
Weise gerecht und lenkt vom tatsächlich Notwendigen ab. Zudem werden viele
der mit dem motorisierten Individualverkehr verbundenen Probleme – Ver-
kehrswegeinfarkt, Flächenversiegelung, Unfälle, Feinstaub durch Brems- und
Reifenabrieb – durch die Elektrifizierung der Antriebe nicht beseitigt. Um zu
gewährleisten, dass die von der Bundesregierung selbst angestrebte Reduzie-
rung der Kohlendioxid-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 er-
reicht werden kann, muss der Verkehr seine Kohlendioxid-Emissionen bis 2020
um mindestens 40 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren. Hierfür ist ein um-
fangreiches Maßnahmenbündel erforderlich.
4. Viele Menschen, gerade Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sind auf den
Verkehrsträger Auto heute und in naher Zukunft angewiesen. Zugleich ist die
Mehrheit der Menschen bereit, sich von Gewohnheiten, etwa dem Schnellfah-
ren auf Autobahnen, zugunsten eines besseren Umwelt- und Klimaschutzes,
der eigenen Sicherheit und lebenswerter Städte, zu verabschieden. Die Politik
in Bund, Ländern und Kommunen muss die Bedingungen für einen Wechsel zu
ressourceneffizienten, sicheren und sauberen Verkehrsformen schaffen, ohne

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Mobilität zu einem Privileg für Besserverdienende werden zu lassen. Die Ver-
kehrswende muss sozial verträglich umgesetzt werden.

5. Im Straßenverkehr ist die Steigerung der Effizienz und damit eine Senkung
des Energieverbrauches aller Fahrzeuge die vordringlichste Aufgabe. Deshalb
muss sich die Bundesregierung eine konsequente Durchsetzung CO2-ärmerer
Fahrzeuge unabhängig von der verwendeten Antriebstechnologie zum Ziel set-
zen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes wäre bereits mit vorhandenen
Techniken an vorhandenen Fahrzeugen eine Verbrauchsminderung um 25 bis
30 Prozent erreichbar. Erforderlich ist darüber hinaus ein Downsizing der Fahr-
zeuge insgesamt. Die Absatzchancen niedriger motorisierter kleinerer Fahr-
zeuge ist durch begleitende politische Rahmenbedingungen wie z. B. ein allge-
meines Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen und eine
Änderung der steuerlichen Rahmenbedingungen zu steigern. Die massive Ein-
flussnahme der letzten Bundesregierung, die zu einer erheblichen Abschwä-
chung der Zielwerte in der EG-Verordnung 443/2009 für den Kohlendioxid-
Ausstoß von Pkw geführt hat, darf sich bei den europäischen Verhandlungen
um CO2-Obergrenzen für leichte Nutzfahrzeuge nicht wiederholen.

6. Die notwendigen Investitionen in leichtere, kleinere, langlebigere und CO2-
arme Kraftfahrzeuge benötigen keinen neuen Subventionswettlauf. Die betei-
ligten Branchen – Automobil-, Mineralöl- und Energieunternehmen – können
auf hohe Renditen verweisen. Es ist nicht Aufgabe des Staates, privaten Unter-
nehmen Entwicklungskosten abzunehmen. Unternehmen und Nutzer sind vor
allem auf klare und mindestens mittelfristig stabile rechtliche Rahmenbedin-
gungen angewiesen. Dann sind die Hersteller eher bereit, hohe Forschungs-
und Entwicklungskosten und komplexe Investitionsstrategien für saubere Fahr-
zeuge selbst zu tragen. Auch deutsche Hersteller werden die notwendige Ent-
wicklung kleinerer und leichterer Fahrzeuge nutzen können und nutzen müs-
sen.

7. Die Elektrifizierung des Antriebs von Straßenfahrzeugen hat an sich keinen
positiven Klimaeffekt. Wenn Elektroautos mit dem aktuellen Strommix (Kohle
43,6 Prozent, Kernkraft 29 Prozent, erneuerbare Energien 15,1 Prozent, Erdgas
13 Prozent und sonstige – Zahlen für 2008) betrieben werden, erreichen sie
keine Vorteile gegenüber modernen fossilen Antriebstechnologien. Da selbst
bei umfänglichem Ausbau erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2030 kein nen-
nenswertes Potenzial an über den vorrangigen Ersatz von Atom- und Kohle-
strom hinaus zur Verfügung stehenden Stroms vorhanden sein wird, ist die mas-
senhafte Nutzung von Elektroautos vor 2030 nicht sinnvoll.

8. Die Elektrifizierung der Fahrzeugantriebe im Individualverkehr ist einer der
teuersten Lösungsansätze für Klimaschutz im Verkehr und deswegen aus heuti-
ger Sicht volkswirtschaftlich nicht rentabel. Produktion und Absatz von elek-
trisch angetriebenen Zweitwagen für die wohlhabenden Schichten sollte nicht
durch die öffentliche Hand gefördert werden. Wegen der extrem hohen Kosten
ist nicht absehbar, ob sich Elektroautos jemals ohne dauerhafte Subventionen
am Markt bewähren können. Eine nachhaltige Strategie zum Ausweg aus der
automobilen Krise kann nicht in der Produktion von immer mehr Kraftfahrzeu-
gen für den privaten Besitz bestehen, sondern muss neue integrierte Systeme
von Mobilitätsdienstleistungen und öffentlichen Verkehrsangeboten vorsehen.
Die Einführung von Kaufprämien für Elektroautos oder emissionsarme Fahr-
zeuge ist deswegen verkehrspolitisch kontraproduktiv.

9. Am 3. Mai 2010 wurde die „Nationale Plattform Elektromobilität“ unter
Anwesenheit der Bundeskanzlerin ins Leben gerufen. Der Deutsche Bundestag
kritisiert, dass weder Umwelt- und Verkehrs- noch Verbraucherschutzverbände
zu diesem wichtigen Thema gehört wurden. Begrüßt wird hingegen, dass bei

fehlender verbindlichen Investitionsbereitschaft der Industrie nicht vorschnell
auf Subventionsforderungen eingegangen wurde.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2022

10. Aus heutiger Sicht können Fahrzeuge mit rein elektrischem Antrieb vor-
rangig in urbanen Räumen Marktnischen ausfüllen. Dies gilt insbesondere,
wenn sie ein attraktives und leistungsfähiges Angebot des öffentlichen Perso-
nennahverkehrs (ÖPNV) ergänzen. Verbraucherumfragen haben ergeben, dass
die derzeit verfügbaren Elektroautos auf Grund hoher Preise und mangelnder
Reichweiten nicht als Ersatz für den Erstwagen gesehen werden, sondern als
Zweitwagen für den Nahverkehr. Begrenzt wird die Reichweite der Plug-In-
Stromfahrzeuge durch die begrenzte Batteriekapazitäten bei langen Ladezeiten.
Völlig offen ist auch, wer die Kosten für die Ladestationen übernehmen soll.
Derzeit muss auch davon ausgegangen werden, dass eine mehr als marginale
Zahl von Ladestationen in Städten zu einer erheblichen Einschränkung anderer
Nutzer des öffentlichen Straßenraumes führt.

11. Zur sozial verträglichen Umsetzung gehört auch, eine Perspektive für die
Beschäftigten in der Automobilindustrie zu entwickeln. Wenn an die Stelle des
Arbeitsplatzabbaus in der Automobilindustrie ein sozial-ökologischer Umbau
treten soll, bedarf es wesentlich umfassenderer und nachhaltigerer Antworten
als das Elektroauto. Zur Erarbeitung eines industriepolitischen Konzeptes für
die Automobilindustrie ist ein Beirat einzurichten. Ziel ist die Entwicklung
alternativer Produktfelder, wie z. B. umweltfreundlicher Fahrzeuge, integrierter
Verkehrssysteme oder von Umwelt- und Effizienztechnologien. In den Beirat
sind Vertreter des Deutschen Bundestages, der betroffenen Landtage, der Ge-
werkschaften, der Automobilindustrie, von ökologischen Organisationen und
von Hochschulen einzubinden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bis Ende 2010 ein umfassendes Konzept für den Klimaschutz im Verkehr vor-
zulegen, das die Einhaltung des vom Umweltbundesamt formulierten Zieles
einer Minderung der CO2-Emissionen im Verkehr um 40 Millionen Tonnen bis
2020 gewährleistet. Wichtiges Ziel dabei ist die Verkehrsvermeidung und die
Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger. Die Bundesregierung soll
sich dabei an den durch das Umweltbundesamt aufgezeigten, vielfach auch
kurzfristig anwendbaren, Maßnahmenvorschlägen orientieren, dazu gehört:

a) die Investitionen für den Ausbau und den Erhalt des Schienennetzes und des
öffentlichen Nahverkehrs dauerhaft deutlich zu erhöhen und die Förderung
des Schienenverkehrs sowie des öffentlichen Personennahverkehrs auszu-
weiten,

b) sich auf europäischer Ebene für eine frühzeitige rechtliche Verbindlichkeit
der in der EG-Verordnung 443/2009 als Option verankerten CO2-Grenz-
werte für Neuwagen bis 2020 auf 95 Gramm/Kilometer einzusetzen,

c) sich in den europäischen Verhandlungen um CO2-Obergrenzen für leichte
Nutzfahrzeuge für eine verbindliche Zielgröße von 175 Gramm/Kilometer
bis 2014 und von 125 Gramm/Kilometer bis 2020 einzusetzen,

d) ein Konzept für eine emissionsorientierte Besteuerung des Fahrstromes von
Elektrofahrzeugen analog des zur Anwendung kommenden Strommixes ein-
zuführen,

e) die im Rahmen des Konjunkturpakets II angeschobene Förderung der For-
schung für effiziente Energiespeicher und Batterietechnik zu verstetigen, auf
stationäre Energiespeicher auszudehnen und ein neues Forschungspro-
gramm für Fertigungsabläufe bei Leichtbauwerkstoffen aufzulegen,

f) als Eigentümerin der Deutschen Bahn AG die Erprobung eines integrierten
Verkehrsdienstleistungsangebots der DB AG in städtischen Räumen unter

Nutzung von öffentlichen Elektrofahrzeugen und in Zusammenarbeit mit re-
gionalen Verkehrsanbietern voranzutreiben,

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g) in Modellregionen innovative Formen eines öffentlichen Verkehrsangebots
in ländlichen Räumen zu erproben, das Nutzerinnen und Nutzern einen An-
reiz zum Umstieg aus dem privaten Pkw setzt und einem weiteren Ausdün-
nen des öffentlichen Verkehrsangebots in diesen Regionen entgegenwirkt.

Berlin, den 9. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Elektroautos sind kein Königsweg

Selbst optimistischste Prognosen sehen Elektroautos im Jahr 2020 bei einem
Marktanteil von maximal 5 Prozent bzw. bei einem Anteil am Bestand von
etwa 2 Prozent. Damit können sie keinen relevanten Beitrag zur Erreichung der
von der Bundesregierung gesetzten Klimaziele leisten.

Einen klima- und umweltschonenden Ersatz der umfassenden Individualmoto-
risierung leisten Elektrofahrzeuge nicht per se, weil die Klima- und Umweltbi-
lanz des per Steckdose betankten E-Fahrzeuges von der Herkunft des produ-
zierten Stromes abhängt. Nur bei der Herstellung des Fahrstromes aus
erneuerbaren Energien kann von CO2-armer oder -freier Mobilität gesprochen
werden. Dieses Problem besteht in verschärfter Form für wasserstoffbasierte
Elektroantriebe, die zusätzlich Wirkungsgradverluste durch Transport und Be-
tankung sowie Umwandlung des Wasserstoffs aufweisen.

Bereits mehrfach wurde die Zukunftsvision des Elektroantriebs in der Ge-
schichte der Automobilproduktion beschworen. Die grundsätzliche Idee, Fahr-
zeuge mit Elektromotoren anzutreiben, wird bereits seit mehr als 100 Jahren er-
forscht. 1990 hatte die damalige Bundesregierung Deutschland zum Leitmarkt
für elektrisch betriebene Fahrzeuge ernannt und einen umfangreichen Flotten-
versuch auf der Insel Rügen ins Leben gerufen. Bis zum Jahr 2000, so das Ziel
der damaligen Bundesregierung, sollte der Anteil der Elektrofahrzeuge am
Fahrzeugausstoß die 10-Prozent-Marke überschreiten. Weder der Flottenver-
such noch die Strategie zur Steigerung der Verkaufsanteile von Elektroautos
wurde erfolgreich abgeschlossen.

Nach Wasserstoffantrieben und Agrokraftstoffen stellen Kraftfahrzeuge mit
Elektroantrieb nach Ansicht der Industrie, aber auch vieler politischer Akteure,
nun erneut den angeblich entscheidenden langfristigen Ausweg aus der Absatz-
krise der Automobilindustrie dar. Deutschland soll nach dem Willen der letzten
und der aktuellen Bundesregierung zu einem „Leitmarkt für Elektroautos“ wer-
den und damit seine führende Stellung als Exporteur von Kraftfahrzeugen hal-
ten und ausbauen. Zu diesem Zweck hat die letzte Bundesregierung 500 Mio.
Euro für Forschung, Entwicklung und Demonstration elektrogetriebener Fahr-
zeuge im Rahmen des Konjunkturprogramms II zur Verfügung gestellt. Zudem
enthält der 2009 beschlossene „Nationale Entwicklungsplan Elektromobilität“
das Ziel, bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen, da-
von 750 000 mit Hybridantrieb und 250 000 rein batteriebetriebene Fahrzeuge.
Dies entspricht einem Anteil von etwa 2 Prozent des heutigen Bestandes an
Kraftfahrzeugen in Deutschland. Ohne dass serientaugliche Fahrzeuge aus
deutscher Produktion vorgestellt werden können, will die Bundesregierung
etwa Modellregionen „Elektromobilität im öffentlichen Raum“ zur öffentlichen

Darstellung der neuen Antriebstechnik mit 115 Mio. Euro fördern.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2022

Die aktuelle Bundesregierung verkündete am 3. Mai 2010 öffentlich den Start
der „Nationalen Plattform Elektromobilität“. In sieben hochrangig besetzten
Arbeitsgruppen sollen nun die Weichen für die weitere Entwicklung und die
Markteinführung der Elektroautos gestellt werden. Entgegen der öffentlichen
Erwartungen erfüllte die Bundesregierung die Subventionsforderungen der In-
dustrie nicht.

Die technischen Beschränkungen bei der Energiespeicherung und die unklare
Klimaschutzbilanz begrenzen sowohl den Anwendungsbereich wie auch das
Verbreitungspotenzial von reinen Elektrofahrzeugen. Zudem wird der Preis
durch die teure Batterietechnik, für die wegen steigender Rohstoffkosten nur
unsichere Preisprognosen gestellt werden können, auch in Zukunft hoch blei-
ben. Experten gehen davon aus, dass ein Elektroantrieb selbst bei Massenpro-
duktion etwa doppelt so teuer bleiben wird wie ein Verbrennungsantrieb. Das
Elektroauto bleibt auf lange Zeit ein Nischenprodukt für spezielle urbane Ver-
kehrsräume, in dem es zur Vermeidung lokaler Emissionen beitragen kann.

Hybridantriebe können den Kraftstoffverbrauch durch effiziente Verwendung
und Rückgewinnung der Antriebsenergie senken, wenn die Gesamtarchitektur
des Fahrzeugs (Gewicht, Größe, Motorleistung) ebenfalls auf dieses Ziel aus-
gerichtet ist. Für lange Strecken mit höherer Geschwindigkeit haben das erheb-
liche Gewicht von Batterie- und E-Motortechnik in Hybridmobilen hingegen
eher nachteilige Effekte. Daher sind auch Hybridantriebe vor allem eine Option
zum Einsatz im Stadt- und Kurzstreckenverkehr.

Klimaschutz im Verkehr

Der Straßenverkehr gehört zu den Bereichen mit einem großen Ausstoß an kli-
maschädlichen Gasen. Sein Anteil am CO2-Ausstoß in Deutschland lag 2007
bei 18,1 Prozent. Das Gesamtvolumen betrug im Jahr 2007 144,1 Millionen
Tonnen. Von 1999 bis 2005 ist der Ausstoß an Kohlendioxid nach Angaben des
Umweltbundesamtes (CO2-Emissionsminderung im Verkehr, Umweltbundes-
amt, Texte 05/2010, S. 40) um lediglich 0,7 Millionen Tonnen gesunken. Um
das Klimaziel der Bundesregierung, den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2020
gegenüber 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, erreichen zu können, muss auch
der Verkehr endlich einen substanziellen Beitrag für den Klimaschutz leisten.
Das Umweltbundesamt gibt die erforderliche Minderung mit 40 Millionen Ton-
nen auf 119 Millionen Tonnen an (ebd., S. 75). Mit der Umsetzung aller vom
Umweltbundesamt vorgeschlagen Maßnahmen ließe sich eine Minderung von
bis zu 43 Prozent gegenüber dem Trend erreichen (ebd., S. 74).

Schienenförderungs-Programm

Der Schienenverkehr konnte in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten seine
Marktanteile nur knapp verteidigen: Im Schienenpersonenfernverkehr, wo es
die meisten Investitionen gab, gab es einen deutlichen Rückgang des Verkehrs-
marktanteils. Zuwächse gab es nur im Nahverkehr, was in starkem Maß Ergeb-
nis der relativ hohen Regionalisierungsmittel ist. Ein Sonderinvestitionspro-
gramm zur Förderung des Schienenverkehrs sollte sechs Grundelemente haben:
Erstens Ausbau des Schienennetzes (Ziel: Stand von 1994 mit 44 000 km an-
stelle von aktuell 34 000 km) und eine grundlegende Sanierung des bestehen-
den Netzes; zweitens Ausbau des Schienenverkehrsangebotes insbesondere in
der Fläche (u. a. mit der Wiedereinführung einer modernen InterRegio-Zug-
gattung); drittens die Elektrifizierung von 90 Prozent des Schienennetzes (ak-
tuell sind nur knapp 57 Prozent des deutschen Netzes elektrifiziert; in der
Schweiz liegt der Elektrifizierungsgrad bei 100 Prozent); viertens eine Moder-
nisierung der Fahrzeugflotte (u. a. mit der Zielsetzung der Gewährleistung

einer barrierefreien Mobilität); fünftens die längst überfällige Lärmsanierung,
womit die Attraktivität der Schiene deutlich erhöht wird, und schließlich sechs-

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tens eine Revitalisierung von rund 3 000 derzeit geschlossenen oder zweckent-
fremdeten Bahnhöfen.

Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs

Selbst wenn die Antriebsenergie für Pkw völlig aus erneuerbaren Energiequel-
len bestehen würde, wären viele Verkehrsprobleme in städtischen Ballungsräu-
men nicht gelöst. Typisch ist hierbei die Stadt mit der weltweit höchsten Pkw-
Dichte, Los Angeles, in der die Durchschnittsgeschwindigkeit im Pkw-Verkehr
unter 20 km/h liegt und zugleich der Raum, der Fußgängern, Fahrradfahrern,
Kindern oder für Grünanlagen vorbehalten ist, besonders klein ist. Da öffent-
liche Verkehrsmittel nicht nur deutlich weniger Treibhausgase emittieren, son-
dern auch im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr deutlich kleinere
Flächen für motorisierten Verkehr beanspruchen, ist eine allgemeine Förderung
des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ein wichtiger Beitrag für
Klimaschutz und Stadtqualität.

Grundsätzlich sollte dabei bei Städten spätestens ab einer Einwohnerzahl von
40 000 Menschen der Ausbau von schienengebundenen öffentlichen Verkehrs-
mitteln im Vordergrund stehen – bzw. die Wiedereinführung oder erstmalige
Einführung solcher Straßen-, Stadt- und S-Bahnen. In einer Reihe westdeut-
scher Städte, in denen die Straßenbahn in den 50er- oder 60er-Jahren abge-
schafft wurde, gibt es eine lebhafte Debatte über deren Wiedereinführung. In
einigen ostdeutschen Städten, in denen sich die Tram bis nach der Wende halten
konnte, ist man heute stolz auf dieses Verkehrsmittel und setzt auf dessen Aus-
bau.

Grundsätzlich gilt: Der im Vergleich zum städtischen Individualverkehr sozial-
und umweltverträglichere ÖPNV ist strukturell unterfinanziert. Eine aktuelle
Studie im Auftrag von 13 Bundesländern sowie dem Deutschen Städtetag und
dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sieht einen Investitionsstau von
2,4 Mrd. Euro sowie eine Finanzierungslücke für turnusmäßige Reinvestitionen
von 330 Mio. Euro im Jahr. Die Kosten für den laufenden Betrieb würden um
einen Betrag von 580 Mio. Euro bis 2025 steigen, der derzeit nicht gegenfinan-
ziert sei.

Effiziente Antriebe

Das Umweltbundesamt (ebd., S. 55) sieht es als realistisch an, dass die Effizienz
konventioneller Fahrzeuge bis zu einem Verbrauch von etwa 2 Litern Ottokraft-
stoff auf 100 Kilometer reduziert werden kann. Die Bundesregierung sieht sich
bis heute vor allem in der Rolle der Bewahrerin der etablierten Geschäftsmodelle
der deutschen Automobilindustrie. Dies wurde etwa bei den Verhandlungen um
die europaweiten CO2-Grenzwerte für Pkw und aktuell für Kleinlaster deutlich,
in denen die alte und die neue Bundesregierung jeweils weitergehende Regelun-
gen zu verhindern sucht(en) und im Verbund mit anderen Mitgliedstaaten Verzö-
gerungen und Schlupflöcher durchsetzt(en). Auch bei der Ausgestaltung der Ab-
wrackprämie oder der Konzeption der Kfz-Steuer mussten innovationsfördernde
Umwelt- und Klimaschutzziele hinter den Interessen der deutschen Automobil-
hersteller zurückstehen. Die deutsche Automobilindustrie gehört mit einem
durchschnittlichen Norm-CO2-Ausstoß von 172 g/km nach der US-amerikani-
schen zu den Herstellern besonders klimaschädlicher Fahrzeuge. Mit diesem
Wert sind die einheimischen Hersteller entscheidend vom europäischen Grenz-
wert von 130 g/km entfernt, der stufenweise ab 2012 erreicht werden soll. Die
Selbstverpflichtung der Industrie, zu deren Gunsten eine gesetzliche Regelung
im Jahr 1998 fallen gelassen wurde, sah vor, einen Flottenausstoß bei Kohlen-
dioxid von 140 g/km bis 2008 zu erreichen. Dieses Ziel ist weit verfehlt worden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/2022

Die deutschen Automobilhersteller konnten zwar relevante Effizienzgewinne in
der fossil getriebenen Antriebstechnik erzielen. Diese wurden jedoch durch im-
mer größere, schwerere und leistungsstärkere Fahrzeuge mehr als kompensiert.
Es ist vor allem einer perfekten Anpassung der Motoren- und Getriebetechnik
an den normierten, aber praxisfernen Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ)
für die Messung des Kraftstoffverbrauchs zu verdanken, dass die Hersteller in
den vergangenen Jahren eine Senkung ihrer Durchschnittsverbräuche ver-
melden können. Diese Normverbräuche werden, so vermelden Automobil-
clubs, Verkehrsexperten und Fachzeitschriften, im praktischen Fahrbetrieb um
bis zu 40 Prozent überschritten. Im internationalen Vergleich liegen jene Fahr-
zeughersteller bei den Flottenverbräuchen vorn, die kleinere und leichtere Fahr-
zeuge produzieren. Der beste deutsche Hersteller ist Volkswagen auf Platz 13
mit einem Flottenausstoß von 156 g/km.

Besteuerung von Elektroautos

Von Seiten der Bundesregierung werden die niedrigen Betriebskosten bei
Elektroautos – in etwa die Hälfte eines vergleichbaren Benzinfahrzeugs – als
größter Vorteil herausgestellt. Dieser Vorteil ergibt sich jedoch nur, weil Strom
deutlich niedriger besteuert wird als fossiler Kraftstoff. Die Stromsteuer beträgt
derzeit 20,50 Euro je Megawattstunde, also 2,05 Cent pro Kilowattstunde. Bei
einem angenommenen Stromverbrauch eines Elektroautos von zukünftig
16 kWh pro 100 Kilometer (derzeit sind es real ca. 25 kWh) fallen Steuerein-
nahmen von knapp 23 Cent an. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von
8 Liter Benzin auf 100 km sind es derzeit 5,20 Euro (ca. 65 Cent, schwefelfrei),
bei Diesel wären es knapp 4 Euro. Derzeit werden jährlich etwa 40 Mrd. Euro
über die Energiesteuer und die Mehrwertsteuer durch den Verkauf von Kraft-
stoffen für den Straßenverkehr eingenommen. Bei einer vollständigen Umstel-
lung der Pkw auf Elektroautos würden dem Fiskus ohne Änderung der Besteu-
erungsgrundlagen also Steuereinnahmen in Höhe von ca. 35 Mrd. Euro
entgehen.

Es ist verständlich, dass die Verbände der Energie-, Automobil- und Elektroin-
dustrie eine weiterhin niedrige Besteuerung des „Fahrstromes“ analog dem
Haushaltsstrom als maßgeblich für die Durchsetzungsfähigkeit von Elektro-
autos sehen. Da auch Elektroautos eine vom Staat finanzierte Verkehrsinfra-
struktur benötigen, muss für ihren Betrieb aber ein sozial verträgliches und
ökologisch ausgerichtetes Besteuerungssystem entwickelt werden.

Energiespeicher und Batterien

Während die E-Motorentechnik mit einem hohen Wirkungsgrad punkten kann,
gibt es weiterhin erhebliche Praxis-Probleme in den Bereichen Energiespeiche-
rung, -betankung und Systemintegration. Sowohl Preis, Gewicht, Speicher-
größe, verfügbare Produktionsmenge wie auch Sicherheitsanforderungen der
heutigen Speichertechnik sind nicht auf der Höhe der Anforderungen für den
Markt. Batterien für 150 Kilometer Reichweite kosten derzeit zwischen 7 500
und 15 000 Euro und wiegen 200 bis 400 Kilogramm. Fortschritte in diesem
Bereich werden sich schrittweise, nicht sprunghaft vollziehen. Ungeklärt ist zu-
dem, wie lange die Akkus im reinen Elektrobetrieb mit zahlreichen Ladezyklen
ihre Kapazität behalten. Denn die teuren Batterien sind Verschleißteile, die im
Laufe eines durchschnittlichen Fahrzeuglebens mehrfach ausgewechselt wer-
den müssen, wenn die ohnehin schon geringe Reichweite erhalten bleiben soll.
Die Erforschung und Entwicklung leistungsfähiger Energiespeicher ist deshalb
eine Schlüsselaufgabe zur Integration erneuerbarer Energien in das Stromnetz.
Dabei sind mobile und stationäre Stromspeichertechnologien über den Sektor

Mobilität hinaus von Bedeutung. Das Know-how und die Produktionskapazitä-
ten in diesem Bereich sind bisher auf Grund der Entwicklung der Unterhal-
tungselektronik vor allem im asiatischen Raum angesiedelt.

Drucksache 17/2022 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Bahn und Elektroautos

Elektrofahrzeuge können vor allem in innovativen Nutzungskonzepten einen
sinnvollen Beitrag zur Ergänzung des öffentlichen Verkehrs leisten. Statt Mo-
dellregionen für die private Nutzung von E-Mobilen zu fördern, die ohnehin
nicht in absehbarer Zeit verfügbar sind, sollte der Fokus für die Forschung auf
dem Zusammenspiel verschiedener öffentlicher Verkehrsträger und der Akzep-
tanz neuer integrierter Nutzungsmodelle liegen. Die Bahn bzw. regionale Nah-
verkehrsanbieter spielen dabei als strategisch wichtige Verkehrsunternehmen in
öffentlicher Trägerschaft eine entscheidende Rolle.

Ländlicher Verkehr

Während die öffentliche Debatte zu Elektrofahrzeugen auf Grund der techni-
schen Beschränkungen vor allem urbane Regionen im Blick hat, fehlt eine Per-
spektive für den Verkehr im ländlichen Raum. Der traditionelle öffentliche
Nahverkehr gerät wegen des demographischen Wandels, aber auch wegen der
Verbreitung privater Pkw in eine immer schwierigere wirtschaftliche Situation
und ist vielerorts kaum noch eine praktikable Alternative zum Pkw. Auf der an-
deren Seite ist eine auf Pkw basierende Mobilität – unabhängig von der jewei-
ligen Energiequelle – keine überzeugende Basis für eine Gesellschaft mit deut-
lich wachsendem Anteil von Seniorinnen und Senioren, die oftmals nicht Auto
fahren können oder dürfen und deswegen zur Aufrechterhaltung ihrer Mobilität
auf funktionierende öffentlichen Verkehrsangebote bzw. auf Freizeit- und Ein-
kaufsangebote in der fußläufigen Umgebung angewiesen sind. Deshalb muss
gerade auch dem ländlichen Raum eine nachhaltige Verkehrs- und Mobilitäts-
politik Perspektiven geboten werden, die den sozialen und demographischen
Anforderungen gerecht wird und die eine Strategie zu mehr Ressourceneffi-
zienz verfolgt.

Industriepolitik

Die Investitionsverweigerung und die Shareholder-Orientierung der gesamten
Volkswirtschaft hat sich auch in den Unternehmensstrategien der Industrieun-
ternehmen durchgesetzt. Für die Automobilindustrie bedeutet das: Fokussie-
rung auf das Kerngeschäft und damit auf die Produktion kurzfristig markt-
gängiger Automobile mit hohen Gewinnmargen. Damit setzten sich renditege-
triebene Produkt- und Marktstrategien durch, die Aspekte wie gesellschaftliche
Nützlichkeit und ökologische Verträglichkeit weitestgehend ignorierten. Ergeb-
nis sind Wirtschaftskonzerne, deren Manager selbst im Aufschwung Investitio-
nen und Forschungsausgaben reduzieren, die Eigenkapitalbasis angreifen, um
den Anteilseignern möglichst hohe Summen auszuschütten. Produkte und
Dienstleistungen, die dringend benötigt werden, aber nicht kurzfristig profita-
bel sind, werden nicht entwickelt. Ein Strukturwandel wurde verschlafen – von
Managern und von Bundesregierungen, die auf Industriepolitik verzichteten
und alles den Marktkräften überlassen wollten.

Deshalb braucht es eine aktive staatliche Industriepolitik die nicht weiter auf
Kostenreduzierung, Arbeitsplatzabbau und Verdrängungskonkurrenz setzt. Im
Gegensatz zur Konzernpolitik ist eine staatliche Industriepolitik dem Gemein-
wohl verpflichtet und hat möglichst alle Interessen und die Folgewirkungen auf
die Gesellschaft zu berücksichtigen. Deshalb ist es zwingend, an der Erarbei-
tung eines zukunftsfähigen Konzeptes für die Automobilindustrie möglichst
alle betroffenen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen in einem Beirat
zu beteiligen.

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