BT-Drucksache 17/2004

Ausmaß der Steuerstraftaten und Zielgenauigkeit der strafbefreienden Selbstanzeige

Vom 8. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2004
17. Wahlperiode 08. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, Harald Koch
und der Fraktion DIE LINKE.

Ausmaß der Steuerstraftaten und Zielgenauigkeit der strafbefreienden
Selbstanzeige

Das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 der Abgabenord-
nung (AO) wird derzeit in der Presse und Öffentlichkeit weiterhin intensiv dis-
kutiert. In der Antwort der Bundesregierung vom 8. April 2010 auf die Kleine
Anfrage vom 19. März 2010 (Bundestagsdrucksache 17/1352) hat die Bundes-
regierung mitgeteilt, dass sie an diesem Instrument festhalten werde, da nur hier-
durch bisher unbekannte Steuerquellen erschlossen werden könnten. Mittler-
weile sind auch von Seiten der Koalitionsfraktionen Forderungen aufgekommen,
die strafbefreiende Selbstanzeige nachzujustieren (vgl. z. B. FAZ vom 15. Mai
2010). Die derzeitige Regelung schließt nicht aus, dass Hinterziehungsstrategien
mit dem Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige kombiniert werden, was
einem Anreiz zur Steuerehrlichkeit widerspricht. Wer Steuern hinterzieht, schä-
digt den Sozialstaat und damit die Allgemeinheit. Das Steueraufkommen sinkt
hierdurch und wird zudem auf eine geringere Anzahl an Schultern verteilt. Steu-
erhinterziehung schädigt damit insbesondere jene Bürgerinnen und Bürger, die
auf aus Steuermitteln finanzierte staatliche Hilfen angewiesen sind. Vor diesem
Hintergrund gilt es, das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige zu evalu-
ieren, auch vor dem Hintergrund der neuesten Rechtsprechung des Bundes-
gerichtshofes (BGH) zu diesem Themenkomplex. Hierbei ist auch von Interesse,
inwieweit die Bundesregierung anhand von Statistiken dienliche Informationen
besitzt, um Effektivität und Effizienz der strafbefreienden Selbstanzeige beurtei-
len zu können.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen wurden wegen Steuerdelikten bzw. Betrugsdelikten zu
Freiheitsstrafe nach allgemeinem Strafrecht basierend auf der Strafverfol-
gungsstatistik in den Jahren 2004 bis 2009 verurteilt (bitte in absoluten Zahlen
und in Prozent zu allen Verurteilten differenziert nach Art der Straftaten und
Bundesland)?

2. Wie viele Personen wurden wegen Steuerdelikten bzw. Betrugsdelikten zu
Geldstrafen nach allgemeinem Strafrecht basierend auf der Strafverfolgungs-

statistik in den Jahren 2004 bis 2009 verurteilt (bitte in absoluten Zahlen und
in Prozent zu allen Verurteilten differenziert nach Art der Straftaten und Bun-
desland)?

3. In wie vielen Fällen wurden Verfahren, die Steuerdelikte betrafen, sanktions-
los, gegen Geldauflage oder gegen sonstige Auflagen basierend auf der
Staatsanwaltstatistik in den Jahren 2004 bis 2009 eingestellt (bitte in absolu-
ten Zahlen und in Prozent zum Anteil an allen Beschuldigten differenziert
nach Art der Straftaten und Bundesland)?

Drucksache 17/2004 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Wie viele Strafverfahren wurden von den Finanzbehörden bzw. von Staats-
anwaltschaften und Gerichten in den Jahren 2004 bis 2009 basierend auf der
Steuerstrafsachenstatistik abgeschlossen, und wie lange dauerten die Ver-
fahren im Durchschnitt (bitte in absoluten Zahlen und in Prozent zu allen ab-
geschlossenen Verfahren differenziert nach Bundesländern)?

5. Wie viele abgeschlossene Strafverfahren auf Grund von Selbstanzeigen
basierend auf der Steuerstrafsachenstatistik wurden in den Jahren 2004 bis
2009 abgeschlossen, und wie lange dauerten die Verfahren im Durchschnitt
(bitte in absoluten Zahlen und in Prozent zu allen abgeschlossenen Verfahren
differenziert nach Bundesländern)?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Nutzung des Instru-
ments der strafbefreienden Selbstanzeige durch die Steuerbürger, und wel-
che wissenschaftliche Studien zum Ausmaß der Steuerhinterziehung in
Deutschland sind der Bundesregierung bekannt (wenn keine bekannt sind,
wieso wurden derartige Studien nicht in Auftrag gegeben)?

7. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass gemäß der Antwort der
Bundesregierung zu den Fragen 10 bis 11 auf die Kleine Anfrage vom
19. März 2010 (Bundestagsdrucksache 17/1352) es zur Evaluierung des In-
struments der strafbefreienden Selbstanzeige sinnvoll ist, wenn entspre-
chende Statistiken über den Umfang der getätigten, abgeschlossenen und
laufenden strafbefreienden Selbstanzeigen von den einzelnen Finanzbehör-
den gesammelt und an das Bundesministerium der Finanzen (BMF) weiter-
geleitet werden (bitte mit Begründung)?

8. Erfolgt auf Bund-Länder-Ebene (z. B. auf Ebene der Einkommensteuer-
referatsleiter) ein Informationsaustausch hinsichtlich des Umfangs an straf-
befreienden Selbstanzeigen, und wenn ja, wie sieht dieser Informationsaus-
tausch aus, und welche Schlüsse zieht die Bundesregierung hieraus (bitte mit
Begründung)?

9. Welche Änderungen beabsichtigt die Bundesregierung in der aktuellen
Legislaturperiode, um den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit
der Finanzbehörden hinsichtlich der Bekämpfung von Steuerhinterziehung
untereinander zu verbessern, und sieht die Bundesregierung in den aktuellen
Regelungen Defizite (bitte mit Begründung)?

10. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des BGH vom
28. Mai 2010 (1 StR 577/09, bitte mit Begründung)?

11. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, das Instrument der strafbefrei-
enden Selbstanzeige gesetzlich dahingehend zu verändern, dass § 371 AO
bei Abgabe einer Teil-Selbstanzeige nicht mehr zur Anwendung kommt
(bitte mit Begründung)?

12. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass eine „dolose Selbstan-
zeige“, d. h. eine Selbstanzeige, die in der Erwartung vorgenommen wird,
dass dadurch hinsichtlich einer anderen Tathandlung nicht weiter ermittelt
wird, nicht insoweit zur Straffreiheit führen sollte (bitte mit Begründung)?

13. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, den Zeitpunkt, ab welchem
eine strafbefreiende Erklärung nicht mehr möglich ist, so einzuschränken,
dass bereits bei Zustellung einer Prüfungsordnung die Abgabe einer strafbe-
freienden Erklärung nicht mehr möglich ist (bitte mit Begründung)?

14. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff der Hinterziehungsstrategie,
und sieht die Bundesregierung die aktuelle Gesetzeslage als ausreichend an,
um Hinterziehungsstrategien wirksam zu bekämpfen, so dass die strafbefrei-
ende Selbstanzeige nicht Teil einer Hinterziehungsstrategie wird (bitte mit

Begründung)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2004

15. Stimmt die Bundesregierung damit überein, § 371 AO dahingehend zu kon-
kretisieren, dass bei Erscheinen von Amtsträgern anderer Behörden, die im
Wege der Amtshilfe für eine Finanzbehörde steuerliche Ermittlungsauf-
gaben durchführen sollen, die Ausschlusswirkung herbeigeführt wird, so-
dass nach § 371 Absatz 2 Nummer 1a AO eine Straffreiheit nicht mehr mög-
lich ist (bitte mit Begründung)?

16. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass im Falle der Anwendung
des § 371 AO der zur Anwendung kommende Zinssatz (Verzugszinsen) in-
folge der verspäteten Steuerzahlung erhöht werden sollte, um eine sanktio-
nierende Wirkung zu entfalten (bitte mit Begründung)?

17. Welche weiteren Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um der Forde-
rung der Koalitionsfraktionen nachzukommen (vgl. FAZ vom 15. Mai
2010), die strafbefreiende Selbstanzeige unattraktiver zu machen (bitte mit
Begründung)?

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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