BT-Drucksache 17/2001

Die Drogenbekämpfung in Afghanistan und die Auswirkungen auf die Bevölkerung des Landes

Vom 8. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2001
17. Wahlperiode 08. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen,
Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrke, Harald Koch, Niema Movassat, Thomas Nord,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Die Drogenbekämpfung in Afghanistan und die Auswirkungen auf die Bevölkerung
des Landes

Die NATO-Invasion hat Afghanistan blühende Landschaften beschert. Der An-
bau von Schlafmohn, der den Rohstoff für Opium und Heroin, aber auch für
Schmerzmedikamente bildet, hat nach der Invasion der westlichen Truppen
sprunghaft zugenommen. Laut United Nations Office on Drugs and Crime leben
etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung Afghanistans vom Drogenanbau, wo-
bei auf diese Bauernfamilien nur ein Fünftel des Drogeneinkommens entfällt.
Der Löwenanteil des Profits geht an Händler und lokale Machthaber, die damit
auch Privatheere und Waffenkäufe finanzieren. Auch Staatsvertreter verdienen
mit; von Polizisten der untersten Ebene bis zu hohen Verantwortlichen der
Karzai-Regierung, die sich offiziell der Bekämpfung der Drogenproduktion ver-
schrieben hat. Nach Angaben der „taz“ hat sich bei Schmiergeldzahlungen be-
sonders der frühere afghanische Innenminister Ahmad Zarar Moqbel hervorge-
tan, der von Afghanistans Präsidenten Hamit Karzai zum Minister für Drogen-
bekämpfung des neuen Kabinetts ernannt wurde.

Das Geschäft mit dem Schlafmohn läuft gut. Rund 90 Prozent des weltweit ange-
bauten Rohstoffs für Heroin stammen aus Afghanistan. Im Jahr 2008 betrugen
die Ausfuhren 7 700 Tonnen, was einem Exportwert von 3,4 Mrd. US-Dollar
entspricht. Der Opiumexport macht nach Schätzungen zwischen 25 Prozent und
50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) des Landes aus.

Die sogenannte Drogenbekämpfung hochgerüsteter Drogenpolizeien mit Unter-
stützung von NATO und Bundeswehr trifft einerseits die falschen, nämlich die
wirtschaftlich existenziell vom Anbau abhängigen Menschen, während anderer-
seits die Profiteure nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie haben sich nach Erkenntnissen der Bundesregierung die Produktions-
menge, die Anbaufläche und die Exportmenge für den Schlafmohnanbau in
Afghanistan seit 2001 jährlich entwickelt?
Rechnet die Bundesregierung mit einem anhaltenden Produktionsrückgang?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Bemühungen der NATO-
Staaten und der Karzai-Regierungen den Drogenanbau und Drogenhandel
einzudämmen, in Hinblick auf die Effektivität und Effizienz der ergriffenen
Maßnahmen sowie auf die finanziellen Verluste und mangelnden wirtschaftli-
chen Alternativen für die betroffene Bevölkerung?

Drucksache 17/2001 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Welche konkreten Projekte zur Entwicklung von Alternativen zur Schlaf-
mohnwirtschaft hat die Bundesregierung bislang in Afghanistan gefördert,
welche wirtschaftliche Größenordnung hatten diese Projekte, und wie viel
Einkommen konnte mit ihnen durchschnittlich erzielt werden?

4. Nach welchen Kriterien wurden diese Projekte ausgewählt, wie und in wel-
chen Abständen werden sie von der Bundesregierung evaluiert, und wie
schätzt sie deren Erfolge ein (bitte einzeln aufschlüsseln und begründen)?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung wirtschaftlicher Alter-
nativen zur Drogenproduktion für die Strategie der Drogenbekämpfung an-
gesichts der gesamtwirtschaftlichen Rolle des Opiumanbaus und der finan-
ziellen Abhängigkeit vieler Familien vom Anbau in den darauf spezialisier-
ten Regionen?

6. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der wirtschaft-
lichen Abhängigkeit vieler Familien von Drogenproduzenten und der Land-
verteilung bzw. dem Zugang zu Wasser, und welche Konsequenzen leitet sie
daraus ab?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die herausragende Rolle, die der der
Zugang zu Land bzw. Wasser als Ursache für lokale Konflikte in Afghanis-
tan spielen (www.oxfam.de)?

8. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung einer Bodenreform sowie
einem garantierten Zugang zu Wasser für eine möglichen Lösung des Pro-
blems des illegalen Drogenanbaus in Afghanistan bei?

9. Befürwortet die Bundesregierung aus entwicklungspolitischer Sicht eine
Lizensierung des Mohnanbaus, um diesen Sektor in die formelle Ökonomie
zu überführen?

10. Wie beurteilt es die Bundesregierung in Anbetracht des großen und dringen-
den Bedarfs an schmerzlindernden Medikamenten in vielen Teilen der Welt,
dass bei der Annahme, es gäbe keine ausreichende Nachfrage nach Opiaten
für medizinische Zwecke, die potenzielle Nachfrage nicht berücksichtigt
wird (vgl. Empfehlung des Europäischen Parlaments P6_TA(2007)0485)?

11. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem Problem der Korruption
von Regierungsbeamten für die Strategie der „Drogenbekämpfung“ bei?

12. Welche Hinweise und Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die direkte
oder indirekte Beteiligung von afghanischen Provinzgouverneuren, ehema-
ligen und derzeitigen Ministern der Regierungen Karzais und dessen Familie
an Drogenproduktion und Drogenhandel?

13. Auf welcher Ebene sollten nach Einschätzung der Bundesregierung die
Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption schwerpunktmäßig ansetzen
(bitte begründen)?

14. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, die Internationale Sicher-
heitsunterstützungsgruppe in Afghanistan (ISAF) und die Karzai-Regierung,
um der weitverbreiteten Korruption in den afghanischen Strafverfolgungs-
und Drogenbekämpfungsorganen zu begegnen?

15. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung neben der Ausbil-
dung afghanischer Sicherheitskräfte, um die Verwicklung (auch hochrangi-
ger) Staatsbeamter in das Drogengeschäft zu unterbinden, und wie schätzt
sie deren bisherigen Erfolg ein?

16. Welche Maßnahmen unternehmen die übrigen ISAF-Truppensteller, um die
Verwicklung (auch hochrangiger) Staatsbeamte in das Drogengeschäft zu

unterbinden, und wie schätzt die Bundesregierung deren bisherigen Erfolg
ein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2001

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die von Jonathan Good-
hand untersuchten Vorgänge, bei denen der amerikanische Geheimdienst
CIA mit „mehreren hundert Millionen US-Dollar“ afghanische Komman-
danten für den sogenannten Krieg gegen den Terror kaufte und „es anschlie-
ßend duldete, dass diese Kommandanten die Gelder in Kredite für Mohnbau-
ern umsetzten“ (Afghanistans Drogenkarriere, Stiftung Wissenschaft und
Politik, 2010, S. 24), und wie bewertet sie diesen Sachverhalt?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Unterschlagung von
Hilfsgeldern, die den Verzicht auf Opiumanbau wirtschaftlich entschädigen
sollten (vgl. taz, www.taz.de)?

19. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Gelder aus dem Bundes-
haushalt oder dem EU-Haushalt unterschlagen oder sogar für die Drogen-
produktion verwendet wurden?

Wenn ja, für jeweils welche Fälle belaufen sich die Gelder auf welche Höhe?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Angaben von den Vereinten Nationen
(VN) und den USA, nach denen von rund 3,4 Mrd. Dollar Gesamtwert der
Rohopiumernte nur zwischen 70 und 400 Mio. Dollar an die Aufständischen
gehen (www.taz.de)?

21. Welche Rolle spielt die Beteiligung an Gewinnen aus dem Drogenanbau und
Drogenhandel für die Finanzierung der „Taliban“ nach Erkenntnissen der
Bundesregierung?

22. Welche afghanischen Gruppen profitieren nach Meinung der Bundesregie-
rung maßgeblich von der illegalen Opiumproduktion?

23. Teilt die Bundesregierung die Befürchtungen des UNODC (VN-Büro für
Drogenkontrolle und Verbrechensverhütung), wonach der Pilzbefall
afghanischer Opiumfelder über steigende Rohopiumpreise langfristig zu
einer Zunahme des Opiumanbaus führen könnte (www.guardian.co.uk)?

24. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über einen möglichen Zusam-
menhang des Pilzbefalls mit der von den VN koordinierten und von den
USA und Großbritannien finanziell geförderten Züchtung eines Pilzes, der
Mohnpflanzen in Zentral- und Südwestasien befallen sollte (www.focus.de)?

25. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Ausbau der Drogenpoli-
zei, Counter Narcotics Police of Afghanistan (CNP-A), der Poppy Eradica-
tion Force (PEF) und der Governor-led Eradication Force (GLE) weniger die
Schaffung eines glaubwürdigen Strafverfolgungsrisikos bewirkt, der die
Drogenproduktion senkt als eine „Marktbereinigung“ dergestalt vorantreibt,
dass „der Verrat von Konkurrenten an Straforgane dazu dient, den Drogen-
markt in den Händen weniger zu konsolidieren“ (vgl. Afghanistans Drogen-
karriere, Stiftung Wissenschaft und Politik, 2010, S. 22) (bitte begründen)?

26. Wie viele Personen wurden seit 2001 bei Einsätzen der CNPA, der PEF und
der GLE festgenommen, und wie viele davon wurden im Anschluss rechts-
kräftig verurteilt?

27. Wie viele Personen wurden seit 2001 bei Einsätzen der CNPA, der PEF und
der GLE verletzt oder getötet (bitte nach Jahren aufgeschlüsselt)?

28. Sieht die Bundesregierung vor diesem Hintergrund den Aufbau von Repres-
sionsorganen als geeignet an, um die Drogenproduktion zu bekämpfen?

29. Wie hat sich die Personalstärke der CNPA, der PEF und der GLE seit 2001
entwickelt, und welche Zielgröße soll bis 2013 erreicht werden?

Drucksache 17/2001 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
30. Mit welchen finanziellen und personellen Mitteln wurde seit 2001 der Auf-
bau der CNPA, der PEF und der GLE aus dem Ausland unterstützt, und wel-
chen Anteil daran hatte die Bundesregierung (bitte jeweils nach Jahren und
Einheit aufgeschlüsselt)?

31. Wie oft wurden Einsätze von CNPA, PEF und GLE seit 2001 von deutschen
Bundeswehr- oder Polizeieinheiten unterstützt?

32. In wie vielen Fällen wurden die von deutschen Tornado-Flugzeugen gesam-
melten Aufklärungsergebnisse den für Drogenbekämpfung zuständigen
afghanischen Behörden übergeben?

33. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den bewaffneten Einsatz von
privaten Sicherheitsunternehmen im Rahmen der Drogenbekämpfung in
Afghanistan seit 2006, und auf welcher Grundlage sind die dort tätig?

34. Anhand welcher Kriterien wird in der Praxis entschieden, ob Drogenprodu-
zenten Aufständische unterstützen, was dazu führt, dass es gemäß des
NATO-Gipfelbeschlusses vom 9. und 10. Oktober 2008 NATO-Truppen er-
laubt ist, gegen Drogenproduzenten vorzugehen, und wer entscheidet über
die Erfüllung des Kriteriums?

35. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch in der Strategie der Drogen-
bekämpfung darin, dass viele afghanische Staatsbeamte in den Drogenhan-
del verwickelt sind, gemäß NATO-Gipfelbeschluss vom 9. und 10. Oktober
2008 ISAF-Truppen aber nur dann gegen Drogenproduzenten vorgehen dür-
fen, wenn diese die Aufständischen unterstützen?

36. Können deutsche Truppen an solchen Drogenbekämpfungseinsätzen teil-
nehmen, und wenn ja, wie oft war dies der Fall?

Wie sollen nach Ansicht der Bundesregierung bei solchen Einsätzen zivile
Opfer vermieden werden?

37. Mit welchen Maßnahmen hat die Bundeswehr die Drogenbekämpfungsein-
sätze der ISAF bzw. der afghanischen Sicherheitsbehörden mit vorbereitet
oder anderweitig durch Informationen und Logistik unterstützt?

38. Durch welche Maßnahmen hat ISAF die Drogenbekämpfung seitens der
afghanischen Regierung militärisch unterstützt (bitte aufgeschlüsselt nach
Jahren und beteiligten Einheiten)?

39. Wie viele Personen wurden bei Einsätzen von ISAF-Einheiten und bei ge-
meinsamen Einsätzen von ISAF-Einheiten und afghanischer Polizei oder
afghanischem Militär seit 2001 jährlich getötet oder verletzt, und wie viele
Personen davon waren angeblich Aufständische unterstützende Drogenpro-
duzenten?

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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