BT-Drucksache 17/1999

Ausmaß der Streitanfälligkeit des Steuerrechts vor den Finanzgerichten, dem Bundesfinanzhof und dem Europäischen Gerichtshof

Vom 8. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1999
17. Wahlperiode 08. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, Harald Koch
und der Fraktion DIE LINKE.

Ausmaß der Streitanfälligkeit des Steuerrechts vor den Finanzgerichten,
dem Bundesfinanzhof und dem Europäischen Gerichtshof

In der politischen Diskussion als auch in der öffentlichen Meinung wird das
Steuerrecht häufig als streitanfällig beschrieben. Gründe hierfür können die
Komplexität der Materie als auch die persönliche Gerechtigkeitsempfindung
von Steuerpflichtigen hinsichtlich einzelner Regelungen sein. Ein hohes Maß an
Streitanfälligkeit des Steuerrechts belastet nicht nur die Judikative, sondern führt
auch zu Belastungen bei den einzelnen Steuerpflichtigen. Das Bundesministe-
rium der Finanzen (BMF) hat mit Schreiben vom 12. März 2010 erneut klarge-
stellt, dass gegen Urteile der Finanzgerichte, die sich gegen ein BMF-Schreiben,
eine Richtlinie oder einen gleichlautenden Ländererlass richten, grundsätzlich
Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen ist. Abweichungen von
dieser grundsätzlichen Regelung sind nur mit Zustimmung des BMF möglich.
Vor diesem Hintergrund gilt es, die Streitanfälligkeit des deutschen Steuerrechts
allgemein und die Verwaltungsanweisung des BMF im Speziellen zu evaluieren.
Eine derartige Evaluierung kann anhand der Fallzahl der gerichtlichen Entschei-
dungen bei den Finanzgerichten, dem Bundesfinanzhof (BFH) und dem Euro-
päischen Gerichtshof (EuGH) beurteilt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Richterinnen und Richter waren in den Jahren 2004 bis 2009
jeweils bei den Finanzgerichten und dem BFH tätig, und wie viele Planstellen
waren hierfür vorgesehen (bitte aufgegliedert nach den Finanzgerichten und
dem BFH jeweils für die entsprechenden Jahre)?

2. Wie viele Verfahren waren jeweils zum 31. Dezember 2004 bis 31. Dezember
2009 bei den Finanzgerichten und bei dem BFH anhängig (bitte aufgegliedert
nach den Finanzgerichten und dem BFH jeweils für die entsprechenden
Jahre)?

3. Wie viele Verfahren wurden in den Jahren 2004 bis 2009 bei den Finanzge-
richten und bei dem BFH jeweils abgeschlossen, und in wie vielen Verfahren
wurde bei den Finanzgerichten die Revision zugelassen (bitte aufgegliedert

nach den Finanzgerichten und dem BFH jeweils für die entsprechenden
Jahre)?

Drucksache 17/1999 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Wie viele Verfahren sind in den Jahren 2004 bis 2009 bei den Finanzge-
richten und bei dem BFH jeweils neu eingegangen, und wie lange betrug
die durchschnittliche Bearbeitungsdauer (bitte aufgegliedert nach den Fi-
nanzgerichten und dem BFH jeweils für die entsprechenden Jahre)?

5. In wie vielen Fällen hat der BFH in den Jahren 2004 bis 2009 einer Revi-
sion stattgegeben (bitte aufgegliedert nach Steuerarten jeweils für die ent-
sprechenden Jahre)?

6. In wie vielen Fällen hat der BFH in den Jahren 2004 bis 2009 eine Nicht-
zulassungsbeschwerde zugelassen, und in wie vielen dieser Fälle wurde
zugunsten des Steuerpflichtigen entschieden (bitte aufgegliedert nach
Steuerarten jeweils für die entsprechenden Jahre)?

7. Wie viele Verfahren waren jeweils zum 31. Dezember 2004 bis 31. Dezem-
ber 2009 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig, die verfas-
sungsrechtliche Fragen des Steuerrechts zum Gegenstand hatten (bitte auf-
gegliedert nach Jahren, für den Stichtag 2009 bitte mit Aktenzeichen und
strittiger Gesetzesnorm)?

8. Wie viele Verfahren wurden in den Jahren 2004 bis 2009 beim BVerfG je-
weils abgeschlossen bzw. sind neu eingegangen, die verfassungsrechtliche
Fragen des Steuerrechts zum Gegenstand haben (bitte aufgegliedert nach
Jahren)?

9. In wie vielen Fällen hat das BVerfG in den Jahren 2004 bis 2009 verfas-
sungsrechtliche Zweifel an einer steuerrechtlichen Regelung geäußert
(bitte aufgegliedert nach Jahren und Nennung von Aktenzeichen und ent-
sprechender Gesetzesnorm)?

10. In wie vielen Fällen hat sich in den Jahren 2004 bis 2009 der EuGH mit
einer entsprechenden deutschen Steuerrechtsnorm beschäftigt, und in wie
vielen Fällen wurden europarechtliche Bedenken gegen entsprechende
nationale Norm erhoben (bitte aufgegliedert nach Jahren und Nennung von
Aktenzeichen und entsprechender Gesetzesnorm für den Fall europarecht-
licher Zweifel)?

11. Stimmt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Fragen 1 bis 10 der
Aussage zu, dass das Ausmaß der Streitanfälligkeit des Steuerrechts vor den
Finanzgerichten, dem BFH und dem EuGH zugenommen hat (bitte mit Be-
gründung)?

12. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass die Anzahl der anhängigen
Verfahren als ein möglicher Indikator für die Komplexität des Steuerrechts
angesehen werden kann (bitte mit Begründung)?

13. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch eine Veränderung
des Steuerrechts die Streitanfälligkeit zu verringern (bitte mit Begrün-
dung)?

14. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass durch eine Vereinfachung
des Steuerrechts die Streitanfälligkeit des Steuerrechts gesenkt werden kann,
und dass hierdurch eine Senkung von Bürokratiekosten, insbesondere bei
den Finanzämtern, erreicht werden kann (bitte mit Begründung)?

15. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, welche zusätzlichen
Bürokratiekosten durch die Streitanfälligkeit des Steuerrechts, u. a. durch
die Bearbeitung von Einspruchsentscheidungen usw., entstehen, und wenn
nein, warum erachtet es die Bundesregierung nicht für notwendig, diesen
Aspekt zu evaluieren (bitte mit Begründung)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1999

16. Wie viele und welche Urteile des BFH wurden noch nicht im Bundes-
steuerblatt veröffentlicht bzw. nicht auf der Internetseite des BMF zur ent-
sprechenden Anwendung erklärt (bitte mit Nennung von Datum, Akten-
zeichen, strittiger Gesetzesnorm und Grund der bisherigen Nichtveröffent-
lichung)?

17. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass zur Sicherung des Rechts-
friedens und zur einheitlichen Anwendung des Rechts es erforderlich ist,
die Urteile des BFH zeitnah zu veröffentlichen bzw. allgemeingültige An-
wendung zu klären, sodass eine Veröffentlichung bzw. Prüfung des Urteils
spätestens nach einem halben Jahr nach dem Urteilsdatum abgeschlossen ist
(bitte mit Begründung)?

18. Über welche Gerichtsverfahren wurde das BMF gemäß Schreiben vom
19. März 2004 bzw. 12. März 2010 in der 16. und 17. Legislaturperiode
informiert (bitte untergliedert nach den einzelnen Positionen [Nummer 1a
bis 1c] des BMF-Schreibens vom 19. März 2004 bzw. nach den einzelnen
Positionen [Nummer 1a bis 1d] des BMF-Schreibens vom 12. März 2010,
Datum, Aktenzeichen und Gericht)?

19. Anhand welcher Kriterien ist im Sinne der Nummer 1b des BMF-Schrei-
bens vom 12. März 2010 zu entscheiden, ob einem Gerichtsverfahren eine
grundsätzliche oder größere finanzielle Bedeutung zukommt, und wie wird
sichergestellt, dass diese Kriterien bundesweit einheitlich angewendet wer-
den (bitte mit Begründung)?

20. In wie vielen Fällen wurde gemäß Nummer 2 des BMF-Schreibens vom
19. März 2004 bzw. 12. März 2010 in der 16. und 17. Legislaturperiode
Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, und in wie vielen Fäl-
len wurde der Revision bzw. der Nichtzulassungsbeschwerde in den Jahren
2004 bis 2009 entsprochen?

21. In wie vielen Fällen hat das BMF in der 16. und 17. Legislaturperiode ge-
mäß Nummer 2 Satz 3 des BMF-Schreibens vom 12. März 2010 eine Ab-
weichung von den Grundsätzen gemäß Nummer 2 des BMF-Schreibens
vom 12. März 2010 zugelassen, und aus welchen Gründen wurde Num-
mer 2 des BMF-Schreibens vom 19. März 2004 um einen Satz 3 erweitert,
wonach ein Abweichen nur mit Zustimmung des BMF nunmehr möglich ist
(bitte mit Nennung des strittigen Verfahrens)?

22. Stimmt die Bundesregierung damit überein, dass die allgemeine Anwei-
sung, gegen Urteile der Finanzgerichte weitere Rechtsmittel von Seiten der
Verwaltung einzulegen, wenn diese sich gegen Richtlinien und BMF-
Schreiben richten, von den Steuerpflichtigen als Ablehnung der Verwaltung
hinsichtlich der finanzgerichtlichen Kompetenz bei „Missfallen“ der Ur-
teile empfunden werden kann (bitte mit Begründung)?

23. Anhand welcher Kriterien entscheidet das BMF, ob eine Zustimmung
gemäß Nummer 2 Satz 3 des BMF-Schreibens vom 12. März 2010 zur
Abweichung vom Grundsatz zum Einlegen der Revision gegeben wird
(bitte mit Begründung)?

24. Welche weiteren umfassenden Informationen gemäß Nummer 5 des BMF-
Schreibens vom 12. März 2010 sind nach der anfänglichen Unterrichtung
an das BMF heranzutragen, und wie wird sichergestellt, dass Nummer 5 des
BMF-Schreibens vom 12. März 2010 hinsichtlich der Berichterstattung von
umfassenden Informationen bundesweit einheitlich ausgeübt werden (bitte
mit Begründung)?

Drucksache 17/1999 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
25. In wie vielen Fällen ist das BMF in den Jahren 2004 bis 2009 einem Verfah-
ren nach § 122 Absatz 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetre-
ten, und in wie vielen Fällen wurde eine entsprechende Anfrage zum Beitritt
abgelehnt (bitte aufgegliedert nach Jahren)?

26. Ist das BMF in den entsprechenden Verfahren, deren Urteile in der 16. und
17. Legislaturperiode mit einem Nichtanwendungserlass belegt wurden,
nach § 122 Absatz 2 Satz 1 FGO beigetreten und hat seine Rechtsposition
dargelegt (bitte aufgegliedert nach den einzelnen Verfahren)?

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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