BT-Drucksache 17/1975

zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bürgerinitiative, Ratsdok. 8399/10 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Europäische Bürgerinitiative bürgerfreundlich gestalten

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1975
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Michael Roth (Heringen), Axel Schäfer (Bochum), Dr. Angelica
Schwall-Düren, Heinz-Joachim Barchmann, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Klaus
Hagemann, Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Hinz (Essen), Dr. Eva Högl,
Oliver Kaczmarek, Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme, Katja Mast, Dietmar Nietan,
Thomas Oppermann, Werner Schieder (Weiden), Dr. Martin Schwanholz, Stefan
Schwartze, Sonja Steffen, Peer Steinbrück, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der
Fraktion der SPD

zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Euro-
päischen Parlaments und des Rates über die Bürgerinitiative, Ratsdok. 8399/10

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes

Europäische Bürgerinitiative bürgerfreundlich gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde die Europäische Union
auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt. Zentrales Anliegen des Vertrags
von Lissabon ist die Stärkung der demokratischen Legitimation der Politik der
EU. Hierzu sieht der Vertrag von Lissabon nicht nur ein verändertes Institu-
tionen- und Entscheidungsgefüge vor, sondern er ermöglicht auch die direkte
demokratische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger durch die Einführung
der europäischen Bürgerinitiative in Artikel 11 Absatz 4 des Vertrags über die
Europäische Union (EUV). Hiernach können Unionsbürgerinnen und Unions-
bürger, deren Mindestanzahl eine Million beträgt und die aus einer erheblichen
Anzahl von Mitgliedstaaten kommen müssen, die Europäische Kommission
auffordern, in einem Bereich, für den die EU auch die Kompetenz innehat, ini-
tiativ zu werden.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Einführung der europäischen Bürgeriniti-
ative. Die EU leidet unter einem tiefgreifendem Kommunikations- und Öffent-
lichkeitsproblem. Europäische Politik wird vielerorts als bürgerfern und techno-
kratisch empfunden. Die bessere Ausgestaltung demokratischer Rückkoppelung
ist zwingend. Die Europäische Bürgerinitiative kann dazu beitragen. Sie ermög-

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licht eine direkte Teilnahme an dem politischen Prozess und kann somit die Ak-
zeptanz der EU durch die Bürgerinnen und Bürger steigern.

Vor der Ausarbeitung des Verordnungsvorschlags hat die Europäische Kommis-
sion ein Grünbuch zur Europäischen Bürgerinitiative (KOM(2009) 622 end-
gültig) vorgelegt und die Öffentlichkeit zu einer Konsultation über dieses neue
Instrument eingeladen. Diese Konsultation endete am 31. Januar 2010. Der
Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Europäische Kommission diesen Konsul-
tationsprozess durchgeführt hat. Der Vielzahl interessierter Akteure wurde da-
mit Gelegenheit gegeben, sich frühzeitig mit den Anwendungsvoraussetzungen
der Bürgerinitiative auseinanderzusetzen. Nach Auswertung der Beiträge zum
Grünbuch hat die Europäische Kommission am 31. März 2010 einen Vorschlag
für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bür-
gerinitiative vorgelegt. Es ist davon auszugehen, dass das ordentliche Gesetz-
gebungsverfahren in diesem Jahr abgeschlossen wird. Somit könnten ab 2011
die ersten europäischen Bürgerinitiativen in den politischen Prozess der EU ein-
gebracht werden.

Der Deutsche Bundestag ist der Ansicht, dass die Bürgerinitiative sowohl hin-
sichtlich der organisatorischen Anforderungen als auch in der sprachlichen Aus-
gestaltung dieser Anforderungen in der Verordnung so bürgerfreundlich wie
möglich ausgestaltet werden muss.

Deshalb begrüßt der Deutsche Bundestag, dass die Europäische Kommission
von ihrem ursprünglich im Grünbuch vorgeschlagenen Quorum für die Min-
destanzahl der Unterzeichner von 0,2 Prozent der Bevölkerung pro Mitgliedstaat
in dem jetzt vorliegenden Verordnungsvorschlag abgerückt ist.

Ferner ist die Europäische Kommission dem Anliegen vieler Akteure nachge-
kommen, die Art und Weise der Sammlung von Unterstützungsbekundungen
freizustellen. Laut Verordnungsvorschlag können sie sowohl in Papierform als
auch elektronisch gesammelt werden. Für die Papierform soll dies aber nicht nur
auf den von der Kommission zur Verfügung gestellten Formularen möglich sein,
sondern auch auf anderen Formularen, die alle vorgesehenen notwendigen
Daten der Unterstützer und Unterstützerinnen wiedergeben.

Der in Anhang III vom Unterzeichner auszufüllende Kasten 3 beinhaltet unter
anderem die Angabe einer persönlichen Identifikationsnummer in Form eines
Personalausweises, Passes oder einer Sozialversicherungsnummer. In Deutsch-
land sind diese Angaben beispielsweise bei Petitionen nicht notwendig und soll-
ten deshalb nicht als Pflichtfelder gekennzeichnet werden.

Wichtig ist die Verpflichtung der Kommission, innerhalb von vier Monaten in
einer öffentlichen schriftlichen Mitteilung ihre Schlussfolgerungen zu der Initi-
ative sowie ihr weiteres Vorgehen und die Gründe hierfür darzulegen.

Das im Verordnungsvorschlag enthaltene Erfordernis von 300 000 Unterstüt-
zungsbekundungen aus mindestens drei Mitgliedstaaten ist nicht sinnvoll. Das
bedeutete, dass im Vergleich zu den festgelegten Gesamtquoren gemäß
Anhang I des Verordnungsvorschlags unverhältnismäßig hohe Quoren in drei
Mitgliedstaaten erreicht werden müssten. Zudem setzt die hohe Zahl der Unter-
stützungsbekundungen eine sehr breite Unterstützung voraus, angesichts derer
ein negativer Zulässigkeitsbescheid politisch schwierig zu vermitteln sein wird.
Zu bemängeln ist auch, dass die Frage der Überprüfung oder Anfechtung der
Kommissionsentscheidung über die Zulässigkeit, aber auch der abschließenden
Überprüfung einer Bürgerinitiative durch die Kommission in dem Verord-
nungsvorschlag nicht aufgegriffen wird.

Ablehnend steht der Deutsche Bundestag dem Vorhaben gegenüber, die Min-
destanzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Unterzeichnerinnen und Unter-

zeichner kommen sollen, bei einem Drittel festzusetzen. Dieser Vorschlag würde

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1975

Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern aus gegenwärtig neun Mitglied-
staaten erforderlich machen, was eine unverhältnismäßig hohe Hürde für den Er-
folg einer Initiative darstellt. Unklar ist zudem, ob dabei die Staatsangehörigkeit
oder der Wohnsitz der Unterzeichnenden ausschlaggebend ist. Angelehnt an das
Wahlrecht zum Europäischen Parlament sollte Letzteres gelten.

Weiterhin befindet der Deutsche Bundestag den im Verordnungsvorschlag fest-
gelegten Zeitraum für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen als zu
kurz.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich dafür einzusetzen, dass der Gesetzgebungsprozess so schnell wie mög-
lich abgeschlossen wird, damit so früh wie möglich europäische Bürgerini-
tiativen eingeleitet werden können,

2. sich dafür einzusetzen, dass die Verordnung in einer verständlichen, nutzer-
freundlichen Sprache verfasst wird,

im Rat folgende wesentliche Belange im Sinne von § 9 Absatz 4 EUZBBG zu
vertreten:

3. dass die Mindestanzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Unterstützungs-
bekundungen kommen müssen, im weiteren Gesetzgebungsprozess auf ein
Viertel begrenzt werden,

4. dabei klarzustellen, dass nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Wohnsitz
für die Anrechnung der Unterstützungsbekundungen ausschlaggebend ist,

5. sich dafür einzusetzen, dass die Zulässigkeitsprüfung aus Gründen der
Rechtssicherheit so früh wie möglich stattfindet,

6. sich bei den Beratungen im Rat dafür einzusetzen, dass der Zeitraum für die
Sammlung der Unterschriften auf 18 Monate ausgedehnt wird,

7. sich dafür stark zu machen, dass im Verordnungsvorschlag ein Anhörungs-
recht für die Organisatoren einer europäischen Bürgerinitiative vor der ab-
schließenden Überprüfung durch die Kommission gemäß Artikel 11 des Ver-
ordnungsvorschlags verankert wird,

8. sich dafür stark zu machen, dass im Verordnungsvorschlag die Möglichkeit
der Überprüfung bzw. Anfechtung der Entscheidung der Kommission veran-
kert wird,

9. bei den Beratungen im Rat durchzusetzen, dass das Erfordernis der Angabe
einer persönlichen Identifikationsnummer durch Ausweisdokumente nicht
verpflichtend ist, sondern auf Ebene der Mitgliedstaaten geregelt wird.

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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