BT-Drucksache 17/1967

zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Bürgerinitiative KOM (2010) 119 endgültig; Ratdok-Nr. 8399/10 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Europäische Bürgerinitiative bürgerfreundlich gestalten

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1967
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, Thomas
Nord, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema
Movassat, Paul Schäfer (Köln), Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates über eine Bürgerinitiative KOM(2010)
119 endgültig; Ratdok. 8399/10

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes i. V. m. § 9 Absatz 4 des Gesetzes über die
Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in
Angelegenheiten der Europäischen Union

Europäische Bürgerinitiative bürgerfreundlich gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Europäische Union ist weiterhin von einem Demokratiedefizit geprägt.
Dazu gehört, dass bisher keine Elemente direkter Demokratie in der EU ein-
geführt wurden. Demokratie lebt aber von stärkerer Beteiligung der Bürge-
rinnen und Bürger und direkter Partizipation. Mit dem Vertrag von Lissabon
konnte leider der Weg zu Europäischen Bürgerbegehren und Europäischen
Bürgerentscheiden, wie von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisa-
tionen und Bürgerinnen und Bürgern gefordert, nicht eröffnet werden.

2. Mit dem neu geschaffenen Instrument der Europäischen Bürgerinitiative
(Artikel 11 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union – EUV) kann
die Europäische Kommission mittels einer Million Unterschriften dazu auf-
gefordert werden, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten geeignete Rechtset-
zungsvorschläge zu unterbreiten, um die bestehenden Verträge umzusetzen.
Die Europäische Bürgerinitiative eröffnet mit dem neuen Recht auf Massen-
petition ein Stück partizipatorischer Demokratie. Das Instrument bietet die
Chance, grenzüberschreitende Debatten anzustoßen und zum Aufbau einer
europäischen Öffentlichkeit beizutragen. Einen Schritt zur unmittelbaren
Volksgesetzgebung stellt es indes nicht dar.

3. Um die positiven Möglichkeiten der Europäischen Bürgerinitiative nicht
durch eine restriktive Handhabung zu konterkarieren, muss das Verfahren zur
Durchführung dieser Europäischen Bürgerinitiative so bürgerfreundlich,
transparent und unbürokratisch wie möglich ausgestaltet werden. Zugleich

Drucksache 17/1967 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

muss der höchste Datenschutzstand gewährleistet und dem Missbrauch der
Initiative für Unternehmensinteressen vorgebeugt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in den Verhandlungen über die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Rege-
lungen dafür Sorge zu tragen, dass folgende wesentliche Belange i. S. d. § 9
Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und
Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union durch-
gesetzt werden:

1. Die Europäische Bürgerinitiative kann von jeder Einzelperson und nicht-
wirtschaftlichen Organisation initiiert werden.

2. Für eine Vorlage der Europäischen Bürgerinitiative bei der Kommission
sind eine Million Unterschriften erforderlich. An der Europäischen Bürger-
initiative können sich Personen über 16 Jahre beteiligen. Sowohl Unions-
bürgerinnen und Unionsbürger, als auch Drittstaatsangehörige, die seit
drei Jahren in der EU leben, können eine Unterschrift für die Europäische
Bürgerinitiative leisten.

3. Die Unterschriften für die Europäische Bürgerinitiative müssen mindestens
aus fünf Mitgliedstaaten stammen. Das Mindestquorum pro Mitgliedstaat
sollte bei 0,1 Prozent liegen.

4. Eine Online-Sammlung von Unterschriften für die Europäische Bürger-
initiative ist zulässig.

5. Die Unterschriften für die Europäische Bürgerinitiative dürfen ohne räum-
liche Beschränkung innerhalb von zwei Jahren durch die Initiatorinnen und
Initiatoren gesammelt werden.

6. Bei der Vorlage einer ausreichenden Anzahl an Unterschriften, haben die
Initiatorinnen und Initiatoren der Europäischen Bürgerinitiative das Recht
von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament ange-
hört zu werden.

7. Die Initiatorinnen und Initiatoren der Europäischen Bürgerinitiative haben
ab der Sammlung von 100 000 Unterschriften Anspruch auf eine Kosten-
erstattung für den organisatorischen Aufwand. Dieser soll bei einer Ent-
schädigung von 5 Cent pro Unterschrift liegen.

8. Die Initiatorinnen und Initiatoren der Europäischen Bürgerinitiative sind zu
Transparenz verpflichtet. Unternehmensspenden für die Unterstützung
einer Europäischen Bürgerinitiative sind untersagt. Spenden von Einzelper-
sonen sind lediglich bis zu einer Höhe von 10 000 Euro zulässig.

9. Legt die Europäische Kommission keinen Gesetzesvorschlag infolge einer
erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative vor, können die Initiatorinnen
und Initiatoren dagegen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)
einreichen.

10. Der Datenschutz muss im gesamten Verfahren in vollem Umfang gewähr-
leistet werden. Die Einhaltung der Datenschutzvorschriften ist von einer
unabhängigen Stelle zu überwachen.

11. Der Europäischen Bürgerinitiative kann ein konkreter Rechtsetzungs-
vorschlag beigefügt werden. Bei einer Abweichung vom beigefügten Recht-
setzungsvorschlag ist die Europäische Kommission verpflichtet, dies zu
begründen.

12. Die Verordnung für eine Europäische Bürgerinitiative sollte schnellstmög-
lich umgesetzt werden und unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung im
Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1967

Können diese wesentlichen Belange von der Bundesregierung nicht durchge-
setzt werden, darf die Bundesregierung den Vorschlag der Europäischen Kom-
mission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über
eine Bürgerinitiative KOM(2010) 119 endgültig; Ratdok. 8399/10 nicht zustim-
men.

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.